Protocol of the Session on May 18, 2000

den-Württemberg die Kapazitäten eben nicht abgebaut, sondern hat sie bestehen lassen und in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre weiter ausgebaut.

Was ich sagen möchte – das muss klar sein –, ist: Das Land Baden-Württemberg hat unabhängig von der Frage Greencard, Zuwanderung usw. auch in der Zukunft die große Aufgabe, Ausbildungskapazitäten für diesen Bereich und auch für andere Bereiche zu schaffen.

Aber, Herr Kollege Salomon, wir haben das Instrument, mit dem wir das machen wollen, doch längst geschaffen. Wir haben zu Beginn dieser Legislaturperiode die erste Privatisierungsoffensive gestartet, bei der wir etwa 700 Millionen DM – Sie haben darüber gesprochen – für den Ausbau von Schulen, auch beruflichen Schulen, Fachhochschulen und Universitäten ausgegeben und damit einen wichtigen Beitrag geleistet haben. Wir sind uns doch einig darüber, dass wir für den weiteren Ausbau der Bildungslandschaft in Baden-Württemberg genau mit dem Ziel, das Sie angesprochen haben

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Kommt die Stiftung für Weiterbildung?)

und das auch der Ministerpräsident angesprochen hat, längst ein Instrument – auch ein finanzpolitisches Instrument – in der Hand haben oder in der Hand haben werden, um auch in der Zukunft deutlich zu machen: Baden-Württemberg will das Land sein, das deutscher Meister ist, wenn es darum geht, die Bildungschancen der jungen Generation in allen Bereichen zu verbessern.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Ministerpräsi- denten Teufel)

Zweiter Punkt: die humanitären Gesichtspunkte. Sie haben vom Asyl gesprochen. Meine Damen und Herren, wir sind eine Europäische Union. Diese Europäische Union hat, wie man weiß, keine Binnengrenzen. Wenn es überhaupt ein Thema gibt, das in der Zukunft europäisch gelöst werden kann und europäisch gelöst werden muss, dann ist das exakt der Asylbereich.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: So ist es!)

Deshalb sagen wir: Auf der Grundlage des Amsterdamer Vertrags, der ja eine klare Zeitschiene vorgibt und der klar sagt, dass die Europäische Union bis zum Jahr 2002 ein gemeinsames europäisches Asylrecht auf den Weg bringen will und, sage ich, auf den Weg bringen muss, und selbstverständlich auch auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention, auf diesen beiden Grundlagen werden wir und müssen wir eine europäische Asyllösung finden.

Eines muss auch klar sein – das steht auch in den Biberacher Beschlüssen –: Wenn sich bei der Suche nach einer europäischen Asyllösung am Ende herausstellen sollte, dass das deutsche Grundgesetz in Artikel 16 mit einem Gesetzesvorbehalt versehen werden muss, wird sich die FDP/ DVP in Baden-Württemberg einem solchen Gesetzesvorbehalt nicht verschließen. Ich stelle fest: Auch dies ist Teil der Biberacher Beschlüsse, die wir vor 14 Tagen gefasst haben. Auch hier gibt es also eine Übereinstimmung mit der Darstellung der Landesregierung.

Dritter Punkt: Ich bin der Meinung, in Baden-Württemberg gibt es einen Fachkräftemangel. Wir haben kürzlich aus Nürnberg gehört, dass in Baden-Württemberg die Arbeitslosigkeit statistisch 5,5 % beträgt. Gleichzeitig sagt uns Nürnberg, dass 50 % der heutigen Arbeitslosen aus irgendwelchen Gründen, auf die ich jetzt nicht im Einzelnen eingehen kann, nicht ohne weiteres qualifizierbar und vermittelbar sind. Wenn ich also von den 5,5 % in Baden-Württemberg ausgehe, stelle ich fest, dass wir eine Arbeitslosenquote haben, die in der Größenordnung von 2,5 % liegt. Dies ist faktisch Vollbeschäftigung – nicht überall, aber statistisch gesehen.

Ich will nur darauf hinweisen, dass allein aufgrund dieser Zahl für mich sonnenklar ist: Wir haben in Baden-Württemberg Bedarf an weiteren qualifizierten Fachkräften, nicht nur im IT-Bereich, damit das klar ist, sondern auch in anderen Bereichen. Deshalb ist natürlich klar: Neben den eigenen Ausbildungsanstrengungen brauchen wir zur Behebung dieses Fachkräftemangels Zuwanderung. Auch in Baden-Württemberg brauchen wir Zuwanderung in allen Bereichen.

Das ist ja der Grund dafür, dass zum Beispiel die Landesregierung vor drei Jahren einen Innovationsbeirat installiert hat. Ich kann all denjenigen, die daran zweifeln oder die Frage stellen, ob wir in Baden-Württemberg Zuwanderung brauchen oder nicht, dringend empfehlen, die Ergebnisse dieses Innovationsbeirats nachzulesen. Da werden Sie ein eindeutiges Ja für Zuwanderung auch in Baden-Württemberg feststellen.

Ich bin schon der Meinung, meine Damen und Herren: Wenn dies so klar ist – und das wird ja auch ergänzt, etwa durch die Zukunftskommission und andere Gutachten –, dann sollten wir solche Gutachten nicht nur in Auftrag geben und sollten uns nicht nur Ergebnisse vorlegen lassen, sondern sie, wenn wir es für richtig halten, auch umsetzen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, will ich meinen Vorschlag wiederholen: Ich meine, die Landesregierung sollte via Bundesratsinitiative von mir aus Ja sagen, Herr Kollege Maurer, zu dieser Greencard-Initiative, aber ich empfehle dringend, dies mit einem Entschließungsantrag zu verbinden, mit dem Druck auf die Bundesregierung gemacht wird, damit sie ein modernes Zuwanderungskonzept auf den Weg bringt, und das ist eben mehr als allein die Greencard. Ich empfehle der Landesregierung, im deutschen Bundesrat einen solchen Entschließungsantrag vorzulegen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

(Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die Grünen: Doch!)

Herr Abg. Dr. Hildebrandt, Sie haben das Wort.

(Unruhe)

Auf die Mittagspause kann ich keine Rücksicht nehmen, meine lieben Herren Kollegen.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Wo sind hier die Weicheier?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist deutlich geworden, dass der Ministerpräsident sich nicht auf diese Art und Weise aus der Sache herausreden kann. Ich will dazu drei Punkte nennen.

Sie haben appelliert, eine Politik zu machen, die die Arbeitslosigkeit und die Arbeitslosen berücksichtigt. Sie waren bei der letzten Debatte nicht da, aber bevor Sie so etwas sagen, hätten Sie wenigstens das Protokoll der Debatte nachlesen können. Es war ausdrücklich Gegenstand der Debatte in diesem Landtag, und ich habe zu denen gehört, die ausdrücklich darauf Bezug genommen haben, dass eine Politik der Einwanderung und ein Einwanderungsgesetz und eine Anwerbung ausländischer Fachkräfte kein Ersatz oder auch nur eine Störung sein können für eine Politik, die Arbeitslosigkeit bekämpft und Arbeitslosigkeit abbaut.

Man kann ökonomisch sogar sagen: In der gegenwärtigen Lage ist der Zuzug von ausländischen Fachkräften ein Faktor zur Behebung der Arbeitslosigkeit, weil wir damit mehr Arbeitsplätze schaffen können.

(Abg. Deuschle REP: Gewagt ist das! Sehr ge- wagt!)

Richtig ist auch, was der Vorsitzende des DGB in BadenWürttemberg sagt, dass es keine Arbeitgeberlösung des Zuzugs und des Abstoßes geben darf, also keine Billiglösung in Bezug auf die Arbeitskräfte. Aber auch das ist nicht geplant. Nur: Wenn Sie ausgerechnet gegenüber der aktuellen Lösung anführen, Sie seien der Vertreter mit der sozialen Standarte des Kampfes gegen die Arbeitslosigkeit, dann müssen Sie sich schon nach den Ergebnissen Ihrer Politik der letzten Jahre fragen lassen. Diese Bundesregierung jedenfalls tut einiges mehr für den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, als die alte Bundesregierung in den 16 Jahren davor getan hat.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und des Abg. Nagel SPD)

Zweitens haben Sie gesagt: Die Menschen, die hier leben, zuerst. Natürlich! Erstens ist das geltendes Recht, und zweitens gehört dazu inzwischen auch eine große Anzahl von Ausländern. Natürlich sind die zuerst dran. Ich sehe auch ein, dass es für jeden, der keine Arbeit findet, schwer verständlich ist, dass in anderen Feldern Leute aus dem Ausland angeworben werden müssen. Weil das aber nicht kompatibel ist, müssen wir unsere Anstrengungen erhöhen, zum Beispiel im Bündnis für Arbeit, zum Beispiel im sozialen Sektor, zum Beispiel bei der Anwerbung der ESFMittel in diesem Land, und das hat mit der Verweigerung der Zustimmung zur Greencard überhaupt nichts zu tun. Ich will Sie warnen, aus der Parole „Die Menschen hier zuerst“ eine Parole „Deutsche zuerst“ zu machen. Sie wissen ja, wohin das führt.

(Abg. Deuschle REP: Wohin führt das denn?)

Das Handwerk hat sich zu Ihren Vorschlägen schon geäußert. Die Lösung, die Sie in Bezug auf die Bosnien- und Kosovo-Flüchtlinge vorschlagen, ist völlig unzureichend. Sie beharren auf dieser Lösung, weil Sie aus rein ideologischen und politischen Gründen auf Ihrer abschreckenden Abschiebepraxis beharren wollen. Sie ist für die Lage im Handwerk aber völlig unzureichend und muss dringend verbessert werden.

Sie sind darauf eingegangen, dass die Studenten, die hier ausgebildet werden, hier bleiben könnten, wenn wir ihre Ausbildung und ihre Fähigkeiten brauchen. Lieber Herr Teufel, Sie kennen die Vorlage zur Greencard nicht. Wer sich über die Sache informiert, weiß, dass das Inhalt des Vorschlags zur Einführung der Greencard ist.

(Ministerpräsident Teufel: Drei Monate vorher ha- ben Sie zugemacht!)

Ich habe letztes Mal für die Grünenfraktion im Plenum gefordert, dass das geschieht,

(Ministerpräsident Teufel: Ja, gut!)

und es ist Bestandteil des Greencard-Vorschlags der Bundesregierung. Man kann sich ja einmal kundig machen, verehrter Herr Ministerpräsident.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Der entscheidende Satz aber, den Sie gesagt haben – den muss man wiederholen und für das Protokoll unterstreichen –, war: „Wer ein Einwanderungsland herbeiredet, handelt verantwortungslos.“

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Un- glaublich!)

Lieber Herr Ministerpräsident, das zeigt wirklich, dass der Wechsel, den die CDU vollziehen will, erstens nur einer der Taktik ist und zweitens bei Ihnen nicht angekommen ist.

(Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)

Ich könnte jetzt sagen, dass die Frage des Einwanderungslandes faktisch geklärt ist, weil wir Einwanderung haben. Ich könnte sagen, dass die Kommissionen, die Sie selber eingesetzt haben, sowohl die Zukunftskommission als auch die, die das Leitbild erarbeitet hat, davon selbstverständlich ausgehen. Die Kommission, die Herr Leibinger geleitet hat, geht zum Beispiel von einem Zuwachs von 25 000 Zuwanderern pro Jahr in Baden-Württemberg aus. Das haben Sie nicht wahrgenommen.

„Wer ein Einwanderungsland herbeiredet, handelt verantwortungslos“ – wissen Sie, worauf das zielt? Natürlich weiß ich – Herr Professor Oberndörfer spricht davon –, dass es in beiden großen Parteien Ansprechpartner für Parolen gibt, die das Zusammenleben mit Ausländern infrage stellen, und dass dann manchmal solche Parolen herauskommen.

Sie haben von der Akzeptanz der Bevölkerung gesprochen, der wir nicht mehr zumuten dürften, als sie tragen könne. Verantwortungslos handelt, wer die mindere Akzeptanz der Bevölkerung herbeiredet

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD – Abg. Dr. Salomon Bünd- nis 90/Die Grünen: So ist es!)

und wer etwas dafür tut, dass diese Akzeptanz gering ist.

(Abg. Ingrid Blank CDU: 40 % der Jugendlichen würden rechtsradikal wählen!)

Zum Schluss sage ich Ihnen noch: Schäbig ist es, sich auf die mangelnde Akzeptanz in der Bevölkerung zu berufen und gleichzeitig bei Wahlen regelmäßig zu versuchen, diese zweifellos in Teilen der Bevölkerung vorhandene Ablehnung eines Zusammenlebens mit Ausländern nicht nur auszunutzen, sondern sogar zu mobilisieren für das Ziel kurzfristiger taktischer Wahlerfolge. Gott sei Dank hat das in Nordrhein-Westfalen nicht geklappt, und ich hoffe, das ist der Beweis dafür, dass es auch in nächster Zeit nicht klappt.

Die Diskussion um Zuwanderung und Einwanderung ist eine weit ausgreifende gesellschaftspolitische Diskussion, aber sie betrifft in allererster Linie die Frage: Welche Politik machen wir im Zusammenleben mit den Ausländern, die zu uns kommen? Ich bin der Letzte, der Migration als solche schon für einen Erfolg hält. Da gibt es nämlich die Migrationsgewinner und die Migrationsverlierer, für die es ein großes Unglück ist, dass sie wandern müssen, weil sie sonst nicht existieren können. Aber wie wir damit umgehen, dass wir dafür offen sind, dass wir ihnen die gleichen Rechte zubilligen wie uns auch und dass wir sie nicht terroristisch abschieben, das ist die entscheidende politische Frage, und da ist der Unterschied zwischen dem, was die Landesregierung macht, und dem, was wir vorschlagen, deutlich geworden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei Ab- geordneten der SPD)