Protocol of the Session on May 17, 2000

Danke.

(Beifall bei den Republikanern)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Braun.

Herr Kollege Deuschle, ich weiß nicht, wo Sie leben. Wenn ich Ihnen zuhöre, bekomme ich das Gefühl, dass Sie erst einheizen. Die Wirklichkeit sieht nämlich anders aus. So wird man seiner Verantwortung nicht gerecht.

Herr Köberle, Sie haben im Grunde Recht, wenn Sie auf Verbindlichkeit setzen, wenn Sie Streitschlichter, Prävention, Ethik, Sport ansprechen. Aber wissen Sie: Wenn wir wieder Ruhe, Verlässlichkeit, Berechenbarkeit in die Schulen kriegen wollen – und das ist die Voraussetzung dafür, dass man Gewalt nachhaltig in den Griff bekommt und die jungen Leute nachhaltig Zukunftsperspektiven haben –,

dann kommen wir mit vielen gesetzten Worten nicht weiter, dann müssen wir sehen, dass es bereits an den Basics fehlt.

(Abg. Deuschle REP: Können Sie vielleicht einmal Deutsch reden?)

Wie wäre es denn, wenn Sie sich einmal anschicken würden, den Unterricht zu garantieren? Das brächte mehr als tausend wohlgesetzte Worte. An allen Ecken fällt Unterricht aus, weil zu wenig Lehrer eingestellt werden, weil Krankheitsreserven fehlen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Abg. Hans- Michael Bender CDU: Oh! Schuldebatte!)

Diejenigen, die schulpflichtige Kinder haben, können ein Lied davon singen. Dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, dass wir von den Stundentafeln her schon weniger Unterricht anbieten als andere Bundesländer. Beispielsweise hinken wir bei den Grundschulen weit, weit hinter Bayern her. Wie wäre es denn, wenn Sie sich darum kümmern würden? Wie wäre es denn, wenn Sie sich einmal um die viel zu großen Klassen kümmern würden?

(Beifall bei der SPD)

Nach den Zahlen der Kultusministerkonferenz liegt BadenWürttemberg im Ländervergleich bei den Hauptschulen auf Rang 8, bei den Gymnasien auf Rang 9, bei den Grundund Realschulen auf Rang 10. Das ist doch alles andere als Spitze. Da lernt doch der Teufel eher Hochdeutsch, als dass er sich im Bundesvergleich nach vorne arbeitet.

(Beifall bei der SPD)

Der Ergänzungsbereich, AGs, Stütz- und Förderkurse, Sprachförderungen, sind vom Kultusministerium so gut wie platt gemacht.

(Abg. Wacker CDU: Quatsch!)

Das ist nicht irgendetwas, was verzichtbar wäre, sondern dabei geht es um ganzheitliches Bildungsverständnis, um die, die Probleme machen, weil sie Probleme haben, und nebenbei um die Glaubwürdigkeit einer Partei, die hausieren gegangen ist mit Unterschriftenlisten unter dem Titel „Integration statt doppelter Staatsbürgerschaft“.

(Abg. Mühlbeyer CDU: Das war richtig! Das war richtig! – Gegenruf des Abg. Dr. Salomon Bünd- nis 90/Die Grünen: Die Frage ist doch, wie ihr den Wahlkampf finanziert habt!)

Wie wäre es denn, wenn Sie einmal mehr Energie darauf verwenden würden, die Schulen zu öffnen? Nicht umsonst hat sich die Jugendenquetekommission für verstärkte Kooperationen zwischen Schule und verbandlicher Jugendarbeit, zwischen Schule und Jugendsozialarbeit, zwischen Schule und Wirtschaft ausgesprochen. In der verbandlichen Jugendarbeit werden soziale Schlüsselqualifikationen trainiert und ausgeprägt. Das ist ein hervorragender Ansatz gegen Gewalt. Schulsozialarbeit entlastet den Unterricht – eine hervorragende Reaktion auf Gewalt, eine hervorragende Prävention, ein hervorragender Ansatz, um Schlüsselqualifikationen herzustellen.

Wir haben ja erst ein Bündnis aus Lehrern, Eltern, Wirtschaft und Polizei gebraucht, um Sie aufs richtige Gleis zu hieven. Und was machen Sie dann? Sie brauchen ein geschlagenes Jahr, um gemeinsame Förderrichtlinien hinzukriegen. Und dann ist das einzig Gemeinsame das Wort „gemeinsam“ in der Überschrift.

Sie verweigern sich standhaft einer dauerhaften und verlässlichen Drittelfinanzierung für den Ausbau der Schulsozialarbeit, wobei die Fachleute in Ihrem Ministerium hinter vorgehaltener Hand schon lange sagen, dass eine solche notwendig wäre.

(Abg. Haasis CDU: Thema!)

Wir haben uns auf eine Anschubfinanzierung geeinigt, also eine Finanzierung, die die Schulsozialarbeit an weiteren Schulen etablieren will.

(Abg. Wacker CDU: Thema kommt doch noch! Nächstes Jahr!)

Jetzt erfahren wir in der Praxis, dass bereits bestehende Projekte damit finanziert werden sollen. So war das nicht gemeint! Wir wollten das in die Fläche bringen. Wir wollten Verlässlichkeit herstellen, wollten Neues einführen. Dem werden Sie so nicht gerecht.

Ich will noch ein Beispiel aus der Praxis bringen. Beispiel Jugendberufshelfer: Das liegt Ihnen ja nahe, dafür haben Sie sich ja eingesetzt. Das steht auch in den Förderrichtlinien. Da wollen Schulen zusammen einen Jugendberufshelfer bekommen. Die Schulen wenden sich an ihren Abgeordneten, und daraufhin müssen sie bei der Schulbehörde „vorsingen“, weil sie den Dienstweg nicht eingehalten hätten. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, so stelle ich mir den Obrigkeitsstaat des 19. Jahrhunderts vor, nicht den Partner Staat des 21. Jahrhunderts.

(Beifall bei der SPD)

So darf man mit den Menschen nicht umgehen. Unser Land hat großartige Chancen, gewaltige Möglichkeiten, und diese werden von Ihnen gehemmt. Wir haben engagierte Lehrer, engagierte Eltern, eine junge Generation, die einsteigen und Verantwortung übernehmen will, die uns aber vorhält, dass wir es in der Schulpolitik nicht mehr schaffen, auch nur annähernd mit der Wirklichkeit Schritt zu halten. Ich denke, sie hat ein ganzes Stück weit Recht.

Ihre Schulpolitik ist noch lange nicht in der Gegenwart angekommen, geschweige dass Sie eine tragfähige Option auf die Zukunft hätten.

(Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Salomon.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe in der ersten Runde gesagt, dass bei den Intensivtätern der Verdacht nahe liegt, dass die Integration gescheitert ist. Politik, meine Damen und Herren – ein Satz, den der Ministerpräsident normalerweise gern sagt –, beginnt mit dem Betrachten der

Wirklichkeit. Wenn ich mir jetzt anschaue, was Sie gestern zusammen, Herr Oettinger und andere, versucht haben, diesem Ministerpräsidenten beizubringen – sich die Wirklichkeit anzugucken und einfach einmal zu sehen, dass wir ein Problem haben, weil wir ein Einwanderungsland sind und zusätzlich Einwanderer brauchen, und zwar aus ökonomischen Gründen;

(Abg. Deuschle REP: Kriminalität!)

Ihnen ist doch erst von der Wirtschaft Dampf gemacht worden, und Ihnen sind von der Wirtschaft die Augen dafür geöffnet worden, dass wir zusätzlich Arbeitskräfte brauchen –, dann muss ich sagen: Dieser Ministerpräsident hat mit der Wirklichkeit überhaupt nichts mehr zu tun. Das muss man hier einmal als Erstes feststellen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich bin aber froh, dass sich die CDU, was die Begrifflichkeit angeht, langsam der Wirklichkeit stellt, das heißt, dass sie sich der Zuwanderung und der Integration begrifflich stellt. Ich habe nur den Eindruck, ich habe den Verdacht, dass sie sich zwar begrifflich der Wirklichkeit stellt, aber nur begrifflich, und sich dennoch nicht der Wirklichkeit stellt. Das ist doch das eigentliche Problem.

(Abg. Ingrid Blank CDU: Nicht so akademisch!)

Meine Damen und Herren, der Spagat, den Sie in Ihren elf Punkten, die Sie gestern vorgelegt haben, machen, ist ein Spagat, der wehtut. Das reißt im Schritt, wenn Sie das verstehen.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Realo!)

Das ist der Spagat, weil er nämlich Sachen zu kombinieren versucht,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

die so gar nicht kombinierbar sind. Sie können nicht zum einen sagen, Sie wollten Zuwanderung, aber gleichzeitig sagen, es müssten hinterher weniger kommen als vorher. Das ist das Problem.

Ich sage jetzt einmal in aller Ruhe, und ich meine es auch ganz ernst: Wenn Sie tatsächlich wollen, was Sie ankündigen, dass man das Thema Zuwanderung gesetzlich regeln soll, das Thema Integration gesetzlich regeln soll, dann kann man mit uns immer darüber reden, und dann wird man auch mit der rot-grünen Berliner Regierung darüber reden können. Es liegt aber der Verdacht nahe, dass Sie eben nur die Begriffe aufgreifen und wieder, ähnlich wie in Hessen, wo Sie immer noch davon überzeugt sind, dass das eine Art Wahlkampf war, wie er Ihnen gut getan hat und auf Dauer gut tut, die Sache hochziehen wollen, nur um das Asyl zu schleifen.

Ich will hier einmal eines festhalten: Ich glaube, dass die Debatte insgesamt auf einem vernünftigen Weg ist, auf dem Weg ist, einen rationalen Umgang mit der Problematik Zuwanderung und Integration zu finden. Das bedeutet aber, dass man sich gemeinsam hinsetzen und gucken muss, was man machen kann. Ich bin dem Bundespräsidenten ausdrücklich dankbar für seine Berliner Rede, die er

letzte Woche gehalten hat. Ich glaube, dass sich der Gehalt dieser Rede noch gar nicht so herumgesprochen hat und dass diese Rede ähnlich wie die Rede von Roman Herzog vor drei Jahren, als er gesagt hat, ein Ruck müsse durch Deutschland gehen, ihre Kraft, ihren Gehalt erst in den nächsten Wochen und Monaten entfalten wird. Da bin ich sicher. Und Johannes Rau hat eines ganz deutlich gesagt, meine Damen und Herren – das will ich Ihnen von der CDU einmal ins Stammbuch schreiben –,

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das ist die Ak- tuelle Debatte von morgen!)

er hat wörtlich gesagt:

Eine Einwanderungsregelung ist eigennützig,

das heißt, die brauchen wir rein ökonomisch –

das Recht auf Asyl ist uneigennützig.

Ich glaube, dass Sie – das ist das Unehrliche an Ihrem Papier – das Asylrecht als Voraussetzung für eine Zuwanderungsregelung schleifen wollen, für eine Regelung, von der Sie sich zusätzlich erhoffen, dass dann noch weniger da sind als vorher. Das kann so nicht hinhauen.