Protocol of the Session on April 12, 2000

Man muss sich das einmal vorstellen: Der CDU-Fraktionsvorsitzende sagt, es sollten noch viele zusätzlich kommen, mit Greencard, und zwar auch außerhalb der IT-Berufe. Ich sage Ihnen noch einmal: Das Problem sehe ich so noch nicht. Aber dieselbe Regierung schickt einen, der noch übrig geblieben ist und dringend in einem Handwerksbetrieb gebraucht wird, aus ideologischer Verbohrtheit auch noch heim.

(Abg. Deuschle REP: Nicht aus ideologischer Ver- bohrtheit! – Zuruf des Abg. Rapp REP)

Das ist die Realität Ihrer Politik. Deshalb: Fangen Sie einmal an, sich zu sortieren. Angela wird es nicht lange richten. Sie müssen in der Sache Farbe bekennen.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Salomon.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Man kann eigentlich ganz unaufgeregt sein. Ich habe den Eindruck, die Debatte bei der CDU läuft so wie bei Eltern, die irgendwann damit konfrontiert werden, dass ihre Kinder etwas ganz anderes wollen und einen ganz anderen Horizont haben, und die dann zu ihnen sagen: Ich verstehe das gar nicht, ich habe mein Lebtag lang alles für dich getan, mir vieles vom Mund abgespart, und du bist so undankbar.

Der Herr Minister kommt daher und zählt Statistiken auf, was er alles für die Informatik getan habe. Auch Herr Rau und Herr Bender haben das gemacht.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Das wäre zu viel verlangt! Das ist ein menschlicher Zug von uns! – Unruhe)

Das wird von uns überhaupt nicht infrage gestellt. Was die Hochschulbildung angeht, ist unbestritten, dass BadenWürttemberg – das habe ich an anderer Stelle immer gesagt – führend war. Es war ein Problem der Wirtschaft. Herr Hundt hat auch zugegeben: „Wir haben uns getäuscht.“ Die Hochschulen haben selber gesagt, sie hätten in diesem Bereich zum Teil zu viele Studienplätze, und auch wir von der Politik haben uns getäuscht. Das muss man einfach sagen. Es ist verdienstvoll, dass wir in BadenWürttemberg die Studienplätze nicht abgebaut haben.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Also!)

Das ist richtig. Wir sind froh, dass sie jetzt ausgebaut sind, und ich bin auch froh über die Informatik in Freiburg. Das ist aber alles gar nicht strittig.

(Abg. Dr. Birk CDU: Schade, in der ersten Runde kam das nicht so deutlich rüber!)

Die entscheidende Frage ist die, die Herr Maurer gestellt hat: Was haben wir denn davon, wenn alle Diplominformatiker sind? Sind das eigentlich die Qualifikationen, die wir brauchen? Dazu wird uns aus der Wirtschaft eben gesagt: Die Diplominformatiker, die alle schon mit 19 Jahren mit dem Schlips und mit dem Handy am Ohr herumlaufen und eigentlich BWL studieren, sind nicht die Freaks, die

Kreativen, die Software entwickeln. Das hat damit zu tun – und da kommen wir zu einem anderen Thema; da muss ich Frau Schavan ansprechen –, wie wir an unseren Schulen ausbilden. Was ist mit unseren mathematischen Fähigkeiten?

(Zuruf des Abg. Dr. Birk CDU)

Die TIMSS-Studie hat ergeben, dass wir, was unsere mathematische Grundbildung angeht, nicht nur in Europa, sondern weltweit am unteren Ende der Skala angelangt sind, obwohl wir immer noch glauben, dass wir Weltruf in der Mathematik haben. Um so etwas geht es doch.

(Abg. Dr. Birk CDU: Jetzt kommt doch die Ober- stufenreform! – Gegenruf des Abg. Maurer SPD)

Die Oberstufenreform ist ein ganz tolles Beispiel. Die Informatik wird abgestuft bzw. bleibt ein zweistündiges Fach.

(Abg. Dr. Birk CDU: Das ist doch Blödsinn, was Sie sagen!)

Sie können keinen Informatik-Leistungskurs machen. Wohin soll das denn führen?

(Zuruf des Abg. Dr. Birk CDU)

Jetzt zu der Ausstattungsfrage. Herr Kollege Rau, Sie haben angeführt, was die Landesregierung alles für die Ausstattung getan habe. Aber ein Internetzugang im Rektorat oder die Tatsache, dass 98 % der Schulen einen Internetzugang haben, ist lächerlich. Internetzugang muss heißen, dass jeder seinen Laptop hat.

(Abg. Haas CDU: Ach komm!)

Aber Sie wissen nicht, wie Sie das finanzieren sollen. Da muss meines Erachtens die Industrie einspringen. Aber selbst wenn jeder einen Internetzugang und einen Laptop hat und die Kulturtechnik Internet beherrscht, haben wir damit noch keine Informatikspezialisten. Man kann schließlich auch nicht von jedem, dem man ein Auto schenkt, erwarten, dass er Maschinenbau studiert. Das sind zwei völlig unterschiedliche Geschichten. Die Fähigkeiten, die Skills, die Sie brauchen, um in der Softwareentwicklung vorne zu sein, müssen Rückwirkungen auf die Art der Bildung, auf die Art der Ausbildung und auf das Verhältnis zwischen Schülern und Lehrern haben. Heutzutage müssen die Lehrer bei den Schülern lernen. Das ist eigentlich der Punkt. Diese Debatte müsste man eigentlich führen.

Danke schön.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Deuschle.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In der bisherigen Debatte sind eigentlich noch drei Punkte offen geblieben. Die Frage des wirklichen Bedarfs konnte nicht geklärt werden. Sie bleibt ungeklärt. Der Präsident des Landesarbeitsamts, Schade, hat nachgewiesen, dass zurzeit in Baden-Württemberg 2 200 Fachkräfte für den EDV-Bereich arbeitslos sind und rund 1 400 davon,

genau 1 360, älter als 50 Jahre sind. Ich will das ganz wichtige Problem ansprechen, dass fast 70 % der arbeitslosen Ingenieure und Computerfachleute über 50 Jahre alt sind.

Nun kann man sicher auch noch mit über 50 Jahren, zum Beispiel mit 60, sehr fit sein. Ich weiß, dass mancher 60oder 70-Jährige viel fitter ist als ein 20-Jähriger, der total in rot-grünen Kategorien denkt.

(Heiterkeit des Abg. Brechtken SPD – Abg. Brechtken SPD: Mein Gott!)

Da ist mancher, der normal denkt, mit 70 oder 80 Jahren viel fitter und viel bereiter, den Anforderungen der Gesellschaft der Zukunft nachzukommen und sich dieser Herausforderung zu stellen.

Nun müssen wir auch fragen, ob es in unserer Gesellschaft so weitergehen kann mit diesem, so möchte ich fast einmal sagen, Jugendlichkeitswahn, dass jemand, der 40 oder 45 Jahre alt ist, Angst haben muss vor der weiteren Entwicklung und Angst haben muss, noch einen Arbeitsplatz zu bekommen. Das kann doch auch nicht so sein. Da müssen wir doch der Wirtschaft sagen, meine Damen und Herren: Es ist viel wichtiger, den Menschen mit über 40 oder über 50 Jahren hier noch einmal eine Chance zur Umschulung zu geben,

(Beifall bei den Republikanern)

als arbeitslose junge Leute, die in ihren Ländern dringender gebraucht werden als in Deutschland oder in BadenWürttemberg, ins Land zu holen. Wo bleibt denn da die soziale Ader der SPD, frage ich einmal. Wer denkt denn noch an diese Leute,

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Rapp REP: Die bleiben ideologisch auf der Strecke!)

die Familien durchzufüttern haben, hätte ich fast gesagt, die für ihre Familien zu sorgen haben? Wollen wir, dass die Menschen dann hier in der Arbeitslosigkeit oder am Ende in der Sozialhilfe dahinvegetieren? Welche Schicksale spielen sich denn da ab, und warum nehmen Vertreter einer sich sozial gebenden Partei diese Aspekte denn nicht mehr auf? Das frage ich mich.

(Beifall bei den Republikanern)

Uns Republikanern ist natürlich die Weiterbildung von Familienvätern wichtiger als die Zuwanderung zum Beispiel junger Inder. Herr Maurer hat das Thema ja vorhin durchaus angesprochen. Rüttgers hat ja auch nicht ganz Unrecht. Rüttgers hat in manchen Punkten das Richtige gesagt. Natürlich haben wir auch ein Problem damit, dass wir hier in diesem Land zu wenige Kinder haben. Natürlich ist das ein Problem nicht nur für die Rente,

(Abg. Kluck FDP/DVP: Ja, genau!)

sondern auch für solche Arbeitsplätze. Das ist doch unbestreitbar. Wer das bestreiten will, der kennt sich doch in der Situation gar nicht aus.

(Beifall bei den Republikanern)

Ein zweiter Aspekt: In der bisherigen Debatte hat keiner der Redner das Thema „Greencard und Industriespionage“ angeschnitten. Der Präsident des Fachverbands Deutscher Sicherheitsunternehmensberater, Klaus-Dieter Matschke, hat in der „Welt“ am 1. April 2000 Folgendes geschrieben: Die Anwerbung ausländischer Computerexperten sei aus nachrichtendienstlicher Sicht ideal, um einen Undercovereinsatz zu tarnen. Als Geheimdienst würde er sich diese Chance nicht entgehen lassen. Das heißt also, wenn wir diese Gefahr hier eingehen wollen, dann soll mir doch einmal einer sagen, worin der gesellschaftliche Nutzen für unser Land liegen soll, wenn wir diese Risiken massiv eingehen.

(Beifall bei den Republikanern)

Zum Schluss noch ein Aspekt, den ich vorhin auch schon angedeutet habe: Hier treten Kollegen nach dem Motto auf: „Wir müssen das Problem bei uns lösen, aber wir denken gar nicht daran, welche Folgen in diesen Ländern entstehen.“ Dürfen wir denn aus ethischer Sicht diesen ärmeren Ländern ihre besten Leute abwerben? Wollen wir das genauso machen wie die US-Amerikaner, die diesen hoch qualifizierten Arbeitsmarkt der Dritten Welt im Grunde abgegrast haben? Was ist denn das anderes, wie gesagt, als Neokolonialismus? Das sollten wir doch hier in Deutschland nicht wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner)

Wenn wir etwas aus unserer Vergangenheit gelernt haben sollten, dann das, dass wir hier vorsichtig sein müssen. Wenn wir hier, auch aufgrund Ihrer Bildungspolitik und der Antitechnikpolitik von Rot-Grün, Probleme haben,

(Abg. Zeller SPD und Abg. Renate Thon Bünd- nis 90/Die Grünen: Oh Jesses Gott!)

dann müssen wir die in einer gemeinsamen Anstrengung lösen und dürfen diese Probleme hier in Deutschland nicht auf Kosten der Dritten Welt lösen.

(Beifall bei den Republikanern – Abg. Zeller SPD: Das ist doch dummes Geschwätz! – Abg. Renate Thon Bündnis 90/Die Grünen: Seit wann interes- siert ihr euch für die Dritte Welt?)

Das Wort erteile ich Frau Ministerin Dr. Schavan.