Protocol of the Session on March 22, 2000

Es mag wohl wahr sein, dass im Anschluss an den Amsterdamer Vertrag irgendwann eine Entwicklung auf uns zukommt, die zu einer europäischen Harmonisierung der Ausländer- und Asylpolitik führen wird. Aber nach dem heutigen Stand, März 2000, steht dies offensichtlich in den Sternen. Damit ist, meine sehr verehrten Damen und Herren – dies auch an die Adresse des verehrten Koalitionspartners –, jedenfalls in dieser Phase der Diskussion über ein Zuwanderungsbegrenzungsgesetz der Boden entzogen. Nichts anderes trifft zu.

(Beifall bei der CDU)

Nun darf ich bei diesem Thema auch auf das Anliegen der Steuerung eingehen. Wir wollen ja nicht nur den Zugang begrenzen, sondern wir wollen ihn auch besser steuern, und zwar in dem Sinne, dass mehr von denjenigen zu uns kommen können, an deren Kommen nach Deutschland wir ein Interesse haben. Da will ich einfach nur darauf hinweisen, dass man schon heute einiges machen kann, und wir in Baden-Württemberg praktizieren dies auch. Wenn wir zum Beispiel dringend ausländische Experten für die Wirtschaft brauchen,

(Abg. Deuschle REP: Brauchen wir die?)

weil wir sie nicht oder nicht in ausreichender Zahl haben, dann muss man klar und eindeutig feststellen, dass die Arbeitsverwaltung zusammen mit der Ausländerverwaltung bereits heute einzelfallbezogen entsprechende Experten nach Deutschland kommen lassen kann. Das ist die Wahrheit, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Deshalb bin ich gerne bereit, dieses Thema in der Weise noch etwas zu unterstützen, dass ich sage: Die Administration kann vielleicht noch etwas effizienter und unbürokratischer gestaltet werden. Aber Tatsache ist, dass wir für dieses Anliegen keine Gesetzesänderung und auch keine Änderung der Verordnungen brauchen. Wir können das auf der Grundlage des bisherigen Rechts einfach durchführen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Wieser CDU)

Außerdem muss – das wird dann auch Thema bei Punkt 3 der Tagesordnung sein –, Herr Kollege Wieser, natürlich auch gesehen werden: Wenn man so genannte oder auch wirkliche Experten nach Deutschland und auch nach Baden-Württemberg kommen lassen will, dann darf dies nicht den Arbeitslosen und vor allem nicht der jungen Generation Chancen entziehen. Deswegen ist hervorragend, was auf diesem Gebiet – übrigens im Gegensatz, meine Damen und

Herren von der SPD-Fraktion, zu Niedersachsen – in Baden-Württemberg seit Jahren geleistet wird.

(Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die Grünen: Denkste! – Abg. Brinkmann SPD: Wie die Stellen- streichungen bei der Informatik in Karlsruhe, mei- nen Sie?)

Wir haben, Herr Kollege Brinkmann, seit Jahren immer wieder Menschen nach Deutschland kommen lassen, weil es offensichtlich enorm schwer ist, für die Arbeiten, die diese Gruppe – Stichwort so genannte Gastarbeiter – durchführt, auf dem einheimischen Arbeitsmarkt entsprechende Kräfte zu finden. Angesichts von über 4 Millionen Arbeitslosen ist dies, meine sehr verehrten Damen und Herren – und ich drücke mich milde aus –, wirklich ein herausragendes gesellschaftliches Problem.

Deshalb sollten wir in dieser Diskussion immer wieder klarstellen, dass es uns ein dringendes Anliegen sein muss, den Sozialstaat nicht abzuschaffen, aber so umzubauen, dass wir zum Arbeiten motivieren und nicht zum Nichtarbeiten verführen.

(Beifall bei der CDU)

Das muss das zentrale Anliegen sein, wenn wir immer wieder feststellen, dass Arbeiten offensichtlich von denjenigen, die als Arbeitslose dem Arbeitsmarkt eigentlich zur Verfügung stehen sollten, nicht wahrgenommen werden.

Ein Punkt darf auch nicht übersehen werden: Wir werden wie in der jüngsten Vergangenheit bis in die Gegenwart hinein immer wieder aus humanitären Gründen Menschen aus dem Ausland zu uns nach Deutschland kommen lassen müssen. Deutschland braucht sich bei diesem Thema des humanitären Gesichtspunkts beileibe nicht zu verstecken. Es ist bekannt – dies gilt sowohl für die Kosovaren als auch ganz besonders für die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina –: Kein Staat in Europa hat einen solch humanitären Beitrag geleistet wie Deutschland, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP)

Bei dieser Gruppe – das möchte ich noch einmal an die Adresse aller in diesem hohen Hause sagen –, bei denjenigen, die zum Beispiel, weil sie Not leidend sind – aus welchen Gründen auch immer, wegen Krieg, wegen Verfolgung –, nach Deutschland kommen, auch gerade bei der Gruppe der Bürgerkriegsflüchtlinge und damit erst recht bei der Gruppe der Bosnier, sollten wir immer wieder prüfen, ob es nicht zumutbar ist, dass diese Menschen nicht auf Dauer, sondern nur auf Zeit in Deutschland anwesend sein dürfen.

Deshalb bitte ich von ganzem Herzen, nachdem wir inzwischen 90 % der Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina zurückführen konnten, was wirklich eine herausragende Leistung war und ist: Wir sollten unbedingt bei dem zutreffenden Grundsatz bleiben, dass wir sagen: Während des Bürgerkriegs in diesem Raum hat Deutschland wie kein anderer Staat aus humanitären Gründen geholfen. Aber nachdem der Bürgerkrieg vorbei ist, ist es den Men

(Minister Dr. Schäuble)

schen zumutbar, in einem angemessenen zeitlichen Abstand in ihre Heimat zurückzukehren und dabei zu helfen, ihre Heimat wieder aufzubauen. Bei diesem Grundsatz müssen wir bleiben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Zum Steuern gehört zum Beispiel – wenn Sie davon reden, dies sei ein dringendes Anliegen, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, was alles getan wird und was, wenn ein Konsens erreichbar wäre, zusätzlich noch alles möglich wäre –, dass wir alles bleiben lassen, was dazu führt, dass die Menschen politische Verfolgung vorgeben, in Wahrheit aber nur aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen. Deshalb war es beim Thema Ausländerpolitik eines der größten Verdienste der gegenwärtigen Landesregierung, ein völlig neues Flüchtlingsaufnahmegesetz geschaffen zu haben, das konsequent die Unterbringung in Sammelunterkünften vorsieht und uns damit vor allem ermöglicht hat, wiederum konsequent von Geld- auf Sachleistungen umzusteigen. Denn das ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Menschen nicht aus rein finanziellen Gründen zu uns kommen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

In diesem Zusammenhang kann ich nur sagen: Es wäre ein Schuss ins Knie, ein Eigentor, wenn sich die Bundesregierung, wenn sich der Bundesinnenminister breitschlagen lassen würden, das Arbeitsverbot, das für die Asylbewerber und die Flüchtlinge überhaupt seit einiger Zeit besteht, zu lockern. Denn dann würden wir genauso wiederum einen falschen Anreiz schaffen, aus rein wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen zu wollen, weil die Menschen darauf setzen würden: Das Verfahren dauert einige Jahre; so lange kann ich hier sein und vor allem Geld verdienen. Das wäre ein zusätzlicher Anreiz, aus finanziellen Gründen nach Deutschland zu kommen. Deshalb die klare Aussage der Landesregierung, meine sehr verehrten Damen und Herren: keine Lockerung des Arbeitsverbots für Asylbewerber!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Zu dem anderen Thema muss ich sagen: Es ist mehr als betrüblich – der Kollege Haasis hat es angesprochen –, dass die Bundesratsinitiative von Baden-Württemberg, in der gefordert wird, den vorhin erwähnten § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes zu streichen, bei der Mehrheit der Länder im Bundesrat keinen Erfolg hatte. Das ist deshalb so furchtbar: Dieser § 2 sieht vor, dass die Asylbewerber für eine Frist von drei Jahren nicht den vollen Sozialhilfesatz, sondern nur den um 20 % reduzierten Satz erhalten. Wie gesagt worden ist, läuft diese Dreijahresfrist im Juli dieses Jahres aus mit der Folge, dass die Zahlungsträger ab diesem Zeitpunkt den normalen und damit höheren Satz nach dem Sozialhilferecht entrichten müssen – eine weitere zusätzliche Belastung und ein weiterer Anreiz, der in die falsche Richtung geht, nämlich aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland zu kommen.

Im Übrigen ist das aus folgendem Grund auch eine dumme Entscheidung: Die Länder und auch die Beteiligten auf der kommunale Seite sagen seit Jahren, an die Adresse des Bundes gerichtet – und das ist ja auch nicht ganz falsch –,

dass die Zuständigkeit und damit auch die finanzielle Verantwortung für Flüchtlinge und Asylbewerber eigentlich nicht bei den Ländern und den Kommunen liegen sollte, sondern beim Bund selbst. Wir hatten damit weder bei der alten Regierung noch bisher bei der neuen Regierung Erfolg.

Wenn diese Auffassung aber richtig ist, dann ist es aus Sicht der Länder geradezu idiotisch, der Streichung des § 2 des Asylbewerberleistungsgesetzes nicht zuzustimmen, denn damit ermöglichen wir dem Bund eine Regelung, die dazu führt, dass ab Sommer dieses Jahres noch höhere Kosten auf uns zukommen. Da haben die Länder in ihrer Mehrheit wirklich ein klassisches Eigentor geschossen. Es ist mehr als bedauerlich, dass die Initiative von BadenWürttemberg keinen Erfolg hatte.

(Beifall der Abg. Dr. Inge Gräßle CDU)

Weiter darf ich darauf hinweisen, dass sich beim Thema Steuerung eine weitere sehr ungute Situation, die man vermeiden müsste, anbahnt, und zwar dadurch, dass das Außenministerium mit seinem Außenminister Joschka Fischer die deutschen Vertretungen im Ausland offensichtlich inzwischen angewiesen hat, bei der Visaerteilung eine großzügige Praxis walten zu lassen.

(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Mein lieber Mann! – Abg. Wieser CDU: Unglaublich!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, was damit in absehbarer Zeit zusätzlich auf uns zukommen kann, muss sich jeder einmal klarmachen. Deshalb sage ich auch, dass die Fehlentwicklung, die das Außenministerium hiermit in die Wege geleitet hat, verantwortungslos ist.

(Abg. Brechtken SPD: Ich sage Ihnen mal Beispie- le aus der bisherigen Praxis, wo Verwandte nicht hierher reisen durften! Das ist unglaublich! Sie müssen mal draußen mit den Leuten reden!)

Da muss ich Sie einfach darauf hinweisen, Herr Kollege: Auch Innenminister Schily, der Ihrer Partei angehört, hat diese Praxis des Außenministeriums scharf kritisiert. Dies nur als kleinen Hinweis für Ihren politischen Bildungshorizont.

(Beifall und Lachen der Abg. Wieser und Hans- Michael Bender CDU – Abg. Brechtken SPD: Hu- manität besteht darin, dass man sich auf die Ein- zelfälle einlässt!)

Meine Damen und Herren von der SPD, der Kollege Maurer, der leider nicht anwesend ist,

(Abg. Wieser CDU: Schon wieder! – Abg. Hans- Michael Bender CDU: Immer noch nicht!)

hat vorhin in der zweiten Runde das Thema Familiennachzug angesprochen. Es ist nach wie vor, wie in der Debatte dargelegt worden ist – das muss ich nicht alles wiederholen –, aus vielerlei Gründen eines der großen Probleme. Wenn Sie mit Ihrer Mehrheit im Bundestag über dieses Thema mit uns ins Gespräch kommen wollen, dann sofort und herzlich gern.

(Minister Dr. Schäuble)

Dazu will ich gleich einmal die Nagelprobe machen. Bisher haben wir für Minderjährige, wenn ich es richtig im Kopf habe, ein Recht auf Familiennachzug bis zum vollendeten 16. Lebensjahr.

(Abg. Ingrid Blank CDU: Zu spät!)

Jetzt überlegt die Europäische Union nicht etwa, dieses Nachzugsalter zu senken, was mit Blick auf die Integration das Richtige wäre, sondern sie überlegt, es auf das 21. Lebensjahr anzuheben.

(Abg. Ingrid Blank CDU: Was? Nein! Um Gottes willen!)

Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie gegen dieses Vorhaben der Europäischen Union mit allen Kräften Widerstand leistet, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Dann wird man ja sehen, ob Sie es ernst meinen mit dem Familiennachzug.

Im Übrigen – weil es angesprochen worden ist – noch zwei, drei Sätze zum Thema Integration. Ich glaube, in ganz Deutschland, auch in Baden-Württemberg, wird schon viel geleistet. Ich will das einmal damit vergleichen, was zum Beispiel im Ausland zum Thema Integration stattfindet oder nicht stattfindet. Wir sind auch bereit, dies noch zu steigern.

Doch neulich sagte mir ein Polizeipräsident – ich will seinen Namen jetzt nicht nennen – zum Thema „kriminelle junge Ausländer“: Das Problem sind für uns nicht etwa fehlende Angebote zur Integration, sondern das Problem ist, dass die Angebote von zu wenigen Ausländern angenommen werden. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da liegt doch der Hund begraben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Abg. Deuschle REP: Eben! So ist es! – Zuruf der Abg. Ingrid Blank CDU)