Protocol of the Session on February 9, 2000

Wir wollen sie dabei nach Kräften unterstützen.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort hat die Frau Kultusministerin.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich freue mich sehr, dass quer durch die Parteien und durch die Fraktionen hindurch die Realschule in Baden-Württemberg so viel Zustimmung erfährt. Sie ist die Schulart, die seit Jahrzehnten auch in der öffentlichen Diskussion eher unspektakulär mit gewachsener Tradition und in hohem Maße innovativ und akzeptiert arbeitet. Das ist übrigens sehr schön deutlich geworden. In mancher Region in anderen Bundesländern, in denen man schon einmal überlegt hat, Realschulen aufzulösen, spürt man die hohe Akzeptanz, die diese Schulform hat.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Sehr richtig, ja!)

Ich glaube, es ist auch richtig, wenn hier von einigen Vorrednerinnen und Vorrednern gesagt wurde: Die Realschule hat in den letzten Jahren eine wichtige Rolle als Motor innerer Schulentwicklung übernommen. Das kann man sehr schön an unseren Antworten auf die Große Anfrage feststellen. Es laufen längst weitere innovative Entwicklungen. Ich glaube, es ist ein großer Fortschritt, dass jetzt flächendeckend an allen Realschulen der Fachbereich „Wirtschaften, Verwalten und Recht“ eingeführt wurde. Das ist etwas,

was wir in dieser wirklich überzeugenden Form eigentlich bislang nirgends so geschafft haben.

Die Abschlüsse der Realschule sind akzeptiert. Die Durchlässigkeit ist gewahrt. Die Frage, wie viele Klassen es im beruflichen Gymnasium geben soll, ist in jedem Jahr wieder in der Diskussion.

(Abg. Wintruff SPD: Ein Ärgernis!)

Das weiß ich. – Ja, das mag ein Ärgernis sein. Aber wir müssen schon auch realistisch sehen, dass wir die Zahl der Klassen in unseren Wirtschaftsgymnasien nicht unendlich ausdehnen können, weil es auch darum geht, dass diejenigen, die eine Schulart besuchen, im Hinblick auf den Schwerpunkt eine Perspektive brauchen.

(Zuruf des Abg. Capezzuto SPD)

Wir brauchen nicht immer mehr Ausweitung im Bereich von Ökonomie und kaufmännischen Berufen. Ich denke aber, im Bereich der Technischen Gymnasien ist die Situation anders.

Die Übergangsquoten zeigen: Dieser mittlere Schulabschluss bietet sehr verschiedene Perspektiven und gute Chancen. Die Realschule ist – auch das wurde bereits gesagt – eine Schule des sozialen Aufstiegs, eine stabile Säule. Die Übergangsquoten sind in den letzten zehn Jahren tendenziell gestiegen, und zwar von rund 28 % auf gut 30,8 %.

Gerade im Blick auf Technik und Naturwissenschaften, wo wir beim Gymnasium jetzt durchaus auch vor Herausforderungen bei der Weiterentwicklung stehen, bietet die Realschule eine solide Grundbildung. Die Bedeutung von Technik und Naturwissenschaft ist vermutlich in keiner Schulart so ausgeprägt wie in der Realschule. Auch das verschafft ihr im Wettbewerb der Schularten und -profile heute erhebliche Pluspunkte.

Letzter Satz: Die Schüler-Lehrer-Relation ist angesprochen worden. Auf der Zuhörertribüne ist der Vorsitzende des Realschullehrerverbandes. Ich denke, das ist eine gute Gelegenheit, auch einmal zu sagen: Wenn wir sagen: „unspektakuläre Arbeit“, dann heißt das: In unseren Realschulen arbeiten Lehrer und Lehrerinnen, ohne viel Aufhebens zu machen und ohne große öffentlichkeitsrelevante Aktivitäten zu gestalten, in hohem Maße modern und innovativ. Sie bringen innere Schulentwicklung voran, auch wenn die Klassengrößen in der Realschule durchaus für manche eine Belastung sind. Auch für diesen Beitrag der Realschule, was die bildungspolitischen Innovationen in unserem Land angeht, möchte ich mich sehr herzlich bedanken.

Wenn es um die Verteilung neuer Lehrerstellen geht, dann wird es den Realschulen in den nächsten Jahren besser gehen; denn zum neuen Schuljahr haben wir erstmals die Lage, dass es neue Lehrerstellen entsprechend dem Schülerzuwachs gibt.

(Abg. Capezzuto SPD: Versprochen? – Zuruf des Abg. Kleinmann FDP/DVP)

Das haben Sie beschlossen. Das haben Sie alle miteinander beschlossen.

(Ministerin Dr. Annette Schavan)

(Abg. Capezzuto SPD: Und Sie versprechen es! Gut! Wir geben das weiter!)

Das ist im Sack. Da kann nichts mehr passieren. Auch das wird den Realschulen zugute kommen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Capezzuto SPD: Mehr Lehrer!)

Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende der Aussprache über die Große Anfrage der Fraktion der FDP/DVP, Drucksache 12/3588.

(Abg. Capezzuto SPD: Wir wollen eine zweite Runde!)

Damit ist Punkt 7 der Tagesordnung erledigt.

Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion Die Republikaner und Stellungnahme des Sozialministeriums – Familienarmut in Baden-Württemberg – Drucksache 12/4670

Das Präsidium hat eine Redezeit von fünf Minuten für die Begründung und von fünf Minuten je Fraktion für die Aussprache festgelegt.

Das Wort hat Herr Abg. Krisch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Drucksache 12/4670 liegt Ihnen vor. Sie enthält eine ausführliche Stellungnahme der Landesregierung. Ich möchte auf diese Zahlen und Informationen nicht eingehen, sondern das Thema etwas erweitern.

Im „Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg“ vom Februar wird auf eine Studie der Universität Bielefeld hingewiesen. In dieser Studie wird festgestellt, Kinder seien für ihre Eltern ein Armutsrisiko, denn nur 60 % der Aufwendungen für Kinder würden durch Steuervorteile und Kindergeld aufgefangen, der Rest nicht. Dazu muss man sagen: Steuervorteile kann es für verarmte Familien nicht geben. Sie werden sich also dadurch im Verhältnis zu den anderen noch schlechter stellen.

In dieser Studie wird auch festgestellt, dass Kinder bis zum Abschluss ihrer Ausbildung die Eltern 150 000 DM kosten. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden rechnet sogar mit 240 000 DM bis zum 20. Lebensjahr. Das sind Beträge, die eine verarmte Familie nicht aufwenden kann.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Es gibt noch höhere!)

Wir kritisieren zwar Formulierungen und Wortwahl dieser Studie, denn über Kinder kann man nicht unter fiskalischen Gesichtspunkten diskutieren. Aber sicher ist: Eines der reicheren Länder dieser Welt hat einen wachsenden Anteil an Familien, die unter Arbeitslosigkeit und wachsender Überschuldung leiden, also unter Familienarmut, und stets sind die Kinder die Betroffenen.

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner)

So sollen in Deutschland 700 000 Heranwachsende schon Sozialhilfeempfänger sein. Man spricht von 100 000 Stra

ßenkindern in Deutschland. Die Zukunftsperspektiven dieser Kinder sind armutsbedingt sehr düster. Jede Regierung, die diese Entwicklung zulässt, macht sich schuldig, meine Damen und Herren. Die Ökosteuer verschärft dieses Problem.

Dass Einkommen und Besitzstand von Eltern die Zukunftsaussichten und die Berufschancen der Kinder beeinflussen, zeigt ein ganz einfacher Test. Ich frage jetzt einmal nach den Nichtakademikern in diesem hohen Haus. Sie sind absolut in der Minderheit; da erhebt sich kein Widerspruch. Jene, die nicht einmal Abitur haben, sind eine noch geringere Anzahl – auch hier kein Widerspruch. Das heißt doch, meine Damen und Herren, wer unten anfängt, wer aus einer verarmten Familie kommt, der tut sich schwer im Wettbewerb mit jenen, die durch sozialen Wohlstand der Eltern begünstigt sind.

(Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)

Diesen verarmten Familien zu helfen ist Pflicht und Aufgabe des Staates.

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner)

Jetzt sollten wir für unsere Debatte kurz diskutieren, was man eigentlich als Familie zu betrachten hat. Die CDU hat sich auf ihrem Parteitag im letzten Dezember in Berlin eine neue Familienpolitik gegeben, Kollegin Blank. Da kann man nur staunen, wie auch die CDU die Grundsätze der Gründer ihrer Partei verlässt, wie Sie sich um Gruppen am Rand der Gesellschaft kümmern und den Kern der Gesellschaft vernachlässigen.

(Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)

Denn auch heute noch leben 80 % aller Kinder in intakten Familien mit Vater und Mutter.

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner – Abg. Deuschle REP: Sehr gut! Gott sei Dank!)

Die überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung betrachtet Familie als Ehepaar mit Kindern. Aber seit Dezember 1999 gibt es im Bundestag nicht eine einzige Partei, die grundsätzlich diese Mehrheitsmeinung der Bevölkerung ungebrochen teilt.

(Abg. Deuschle REP: Sehr richtig!)

Das Grundgesetz verlangt in Artikel 6 den besonderen Schutz von Familie und Ehe. Wenn aber jede Wohngemeinschaft mit Kindern schon als Familie gilt, dann gibt es auch nichts besonders Schützenswertes.

Meine Damen und Herren, Politik braucht Visionen. Unsere Gesellschaft braucht Ziele. Werden Werte wie der Begriff Familie ständig ausgehöhlt, dann ist es kein Wunder, wenn diese Werte schnell wertlos werden.

(Beifall bei Abgeordneten der Republikaner)