Protocol of the Session on February 9, 2000

Das ist der Plan. Also kann doch noch gar nicht von den Amtsgerichten die Rede sein. Aber das Ziel, das bisher – –

(Zuruf)

Verzeihung, ich bin der Letzte,

(Abg. Bebber SPD: Das stimmt! Sie sind wirklich der Letzte!)

der Gefahren heraufbeschwören will, die nicht da sind. Aber was soll denn unsereiner davon halten, wenn bis heute der Staatssekretär und das BMJ exakt diese drei Schritte in Antworten auf parlamentarische Anfragen aufzählen und wenn bis heute unkorrigiert in der Koalitionsvereinbarung drinsteht, die neue Bundesregierung werde eine umfassende Justizreform (Dreistufigkeit, Aufwertung der einheitli- chen Eingangsgerichte, Reform der Gerichte, Instanzen usw.) durchsetzen?

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Und beim 62. Juristentag von der Ministerin bestätigt! – Gegenruf des Abg. Bebber SPD: Oh, wir lesen euch eure Vereinbarun- gen vor!)

Dann kann ich doch den ersten Reformschritt nur danach beurteilen, ob er in Richtung Dreistufigkeit und in Richtung einheitliches Eingangsgericht zeigt – und das zeigt er, und zwar in nicht zu überbietender Deutlichkeit.

Das jetzige Vorhaben hat eigentlich zwei Kennzeichen, wenn man alle Details weglässt.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Das ist alles ganz anders!)

Lieber Herr Oelmayer, das geht ganz speziell an Ihre Adresse; denn ich habe von dieser Seite des Hauses viel Zutreffendes zur Praxis und zu dem, was man machen sollte, gehört, und ich bin wirklich in Sorge, dass Sie aus falsch verstandener Solidarität in eine Richtung mitlaufen, die für die Justiz und für unser Land schädlich ist, weil eine Reform im Eiltempo durchgezogen werden soll.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Aber lassen Sie mich in aller Ruhe nur die beiden Kernpunkte nennen. Es geht darum, dass die Verfahren in erster Instanz aufwendiger gestaltet werden sollen, und dafür nimmt man in der zweiten Instanz den Rechtsschutz zurück. Das ist völlig klar. Man kann den Rechtsschutz horizontal abschneiden, indem man Berufungssummen verändert, man kann ihn aber auch vertikal abschneiden, indem man keine Tatsachen mehr, sondern nur noch Rechtsfragen prüft. Dabei weiß ich übrigens, dass die Tatsachen natürlich die Bürger am meisten beschäftigen. Es ist viel schlimmer, die Tatsachen nicht mehr überprüfen zu lassen, als an der Berufungssumme irgendetwas zu ändern.

Wenn die Leute mir Briefe schreiben, dass sie mit einem Urteil nicht zufrieden sind, geht es in 90 % natürlich um Tatsachen.

(Abg. Bebber SPD: Das stimmt doch so nicht! Wenn Sie gebetsmühlenhaft so etwas wiederholen, wird es nicht richtiger!)

Mir geht es nur darum: Die Logik der Reform ist die: die erste Instanz aufwendiger und in der zweiten Instanz Beschränkungen. Darüber sind wir uns klar. Die Einführung der Annahmeberufung hätten wir uns übrigens als Landesjustizministerium nie getraut auch nur beim Bund jemals anzumelden,

(Abg. Bebber SPD: Erste Instanz Bürgernähe!)

(Minister Dr. Ulrich Goll)

aber jetzt soll es für die zweite Instanz Annahmeberufung und nur noch Überprüfung der Rechtsfragen geben. Da bleibt von ihr nicht mehr viel übrig.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Das ist der Kernpunkt! – Zuruf des Abg. Kluck FDP/DVP)

Es mag an sich Sinn machen, wenn man hingeht und sagt: „Der Rechtsstaat ist mir zu aufwendig, und wir wollen sparen.“ Darum sagt die Bundesjustizministerin dazu: „Ihr könnt 600 Richterstellen sparen.“ Damit versucht sie, die Länder zu ködern. Nur, es ist eben alles falsch. Es stimmt nicht. Diese Reform kann nicht funktionieren, abgesehen davon, dass ich es auch nicht für richtig halten würde, in der Sache so viel an Rechtsschutz abzubauen,

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

auch als Exponent einer Landesjustizverwaltung. Ständig wird einem von Ihrer Partei in Berlin irgendwelcher Sparwille unterstellt. Aber ich sage Ihnen noch mal: Nicht einmal 10 % dessen, was jetzt an Abbau von Rechtsschutz in diesem Reformprojekt steht, hätten wir uns je zu fordern getraut.

(Abg. Bebber SPD: Das sind doch glatte Attacken von Ihnen!)

Das ist Tatsache. Auf die Annahmeberufung ist der Einzelrichter in diesem weiten Umfang – –

(Abg. Bebber SPD: Das ist doch Ihrer nicht würdig als Justizminister!)

Lieber Herr Bebber, diese Reform kann nicht funktionieren, weil sie von falschen Tatsachen ausgeht.

(Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grü- nen)

Jetzt wollen wir bei allen Gefechten neben dem Thema – –

Verzeihung, Herr Oelmayer, Sie haben nicht sehr viel zur Reform gesagt. Ich weiß, warum. Sie ist schwer zu verteidigen.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Was habt ihr denn gemacht? Das war die Quintessenz!)

Jetzt wollen wir einmal in Ruhe anfangen. Von welchen Tatsachen geht diese Reform aus? Das ist unbestritten. – Herr Bebber, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt zuhören würden.

(Zuruf des Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grü- nen)

Möglicherweise hängt die mangelnde Nähe zur Realität, Herr Bebber – –

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, ich bitte um mehr Ruhe und bitte Sie, Herr Kollege Hauk, Platz zu nehmen, da die angesprochenen Herren Abg. Beb

ber und Oelmayer sonst den Minister nicht verstehen können.

(Abg. Dr. Reinhart CDU: Akustisch oder intellek- tuell?)

Bitte schön, Herr Minister.

Wenn es einen Sinn macht, diese Debatte hier zu führen, dann nur, wenn wir versuchen, uns hier gegenseitig zu überzeugen und zur besten Lösung zu kommen. Das setzt aber schon voraus, dass Sie einen Moment lang zuhören.

(Abg. Bebber SPD: Wie in der Haushaltsdebatte!)

Die Voraussetzungen, von denen diese Reform ausgeht – das ist unbestritten und wird von der Justizministerin in Berlin immer wieder betont –, sind, dass die erste Instanz eine Durchlaufinstanz ist und dass in der Berufungsinstanz dasselbe wie in der ersten noch einmal gemacht wird. Es tut mir Leid: Mittlerweile wissen alle, die ein bisschen von der Sache verstehen, dass exakt diese beiden Angelpunkte falsch sind,

(Abg. Kiesswetter FDP/DVP: Sehr richtig!)

und zwar völlig falsch. Die Zahlen sind genannt worden. Durchlaufinstanz Amtsgericht: 93 % der Fälle werden endgültig am Amtsgericht verhandelt. Durchgangsinstanz Landgericht: 84 % der Fälle werden endgültig am Landgericht verhandelt.

(Abg. Bebber SPD: Sie argumentieren gegen sich selbst!)

Übrigens: Beides geschieht in Baden-Württemberg schneller als in irgendeinem anderen Bundesland.

(Abg. Bebber SPD: Sie argumentieren gerade ge- gen sich selbst!)

Nein, nein. Ich argumentiere nicht gegen mich selbst – das werden Sie gleich sehen –, sondern ich bleibe meinen Linien – das darf man sagen – treu, auch bei dem, was Sie gesagt haben: einfachere Verfahren – einfache Entscheidung, kompliziertere Verfahren – komplizierte Entscheidung. Deswegen: Lassen Sie den Amtsgerichtsprozess so, wie er jetzt ist; lassen Sie diese 93 % der Amtsgerichtsprozesse, die schnell in einem einfacheren Verfahren zu Ende gehen,

(Zuruf des Abg. Dr. Reinhart CDU)

denn deren Fehlen würden wir noch bitter bereuen.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Die Annahmen sind falsch, und darum kann das Ergebnis nicht richtig sein. Diese Reform kann nicht funktionieren. Sie wird keinem nützen, wie sich immer deutlicher herausstellt.