Wir haben Familienpolitik schon in den Siebzigerjahren betrieben, als sie von der SPD noch als Bevölkerungspolitik diffamiert wurde.
Wir haben das Bundeserziehungsgeld für alle Frauen eingeführt – nicht nur für die erwerbstätigen, wie es der sozialdemokratische Minister Ehrenberg in den Siebzigerjahren getan hat.
(Abg. Döpper CDU zur SPD: Wer hat denn gegen das Erziehungsgeld gekämpft? – Zuruf der Abg. Ursula Haußmann SPD)
Wenn wir uns die Leistungen Baden-Württembergs in Sachen Familienpolitik im Bundesvergleich anschauen, brauchen wir uns wahrhaftig nicht zu verstecken. Baden-Württemberg ist mit das einzige Land, das ein Landeserziehungsgeld gewährt.
Natürlich kann es nicht Aufgabe einer Landesregierung sein, den Familienleistungsausgleich umzustrukturieren. Wir sind der Auffassung, dass dies eine Aufgabe der rotgrünen Bundesregierung in Berlin sein müsste.
Deshalb fordern wir, die Gewährung von Bundeserziehungsgeld auf drei Jahre auszuweiten. Das wird eine Aufgabe sein, der Sie sich stellen müssen, weil unser Konzept mittlerweile vorliegt.
Herr Krisch, ich weiß, das war hier Ihre letzte Rede vorhin. Ich habe gehört, dass auch Herr Müller heute hier seine letzte Rede als Abgeordneter hält. Das sind alles Abschiedsreden. Ich verspreche, dass ich in der nächsten Legislaturperiode wieder dabei bin.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Heiterkeit – Abg. Dr. Schlierer REP: Da war der Wunsch Vater des Gedankens! – Abg. Heiler SPD: Es haben nur drei applaudiert! Ich nenne Ihnen nachher die Na- men!)
Herr Krisch, Sie haben so schön gesagt, Sie hätten ein Konzept vorgelegt. Ich muss ganz am Rande noch einmal bemerken: Da haben Sie ein bisschen „gespickt“ bei uns. So ist unsere Pressemitteilung Anfang Februar herausgegeben worden, Ihre jedoch fünf Tage später. Ich muss allerdings sagen: In der Sache unterscheiden wir uns kaum. Auch wir sind für die Einführung eines Familiengelds.
Ich kann durchaus einmal einige Daten nennen. Wir denken an monatlich 1 200 DM für Kinder bis drei Jahre und 600 DM für Kinder bis 18 Jahre. Wir sind auch dafür, für Kinder über 18 Jahre noch 300 DM im Monat zu bezahlen.
Allerdings dürfen wir uns nichts vormachen: Familienpolitik ist nicht nur materiell zu definieren. Wir brauchen Rahmenbedingungen, damit junge Frauen und junge Männer wieder bereit sind, Mutter bzw. Vater zu werden. Wenn ich die erschreckende Zahl von 40 % kinderlosen Akademikerinnen im gebärfähigen Alter anschaue, muss ich sagen, dass uns diese Zahl zu denken geben muss. Deswegen brauchen wir verbesserte Rahmenbedingungen für Frauen und Familien, und wir brauchen in diesem Prozess vor allem auch die Männer. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass Familienpolitik für die ganze Gesellschaft wichtig ist und es ein legitimes Interesse der Gesellschaft sein muss, Kinder zu bekommen. Dies werden und können wir mit Zuwanderung mit Sicherheit nicht lösen.
Ja, natürlich komme ich zu diesem Ergebnis. Sogar bei den Grünen kommen da welche zu diesem Ergebnis. Ich kann eigentlich nur allen empfehlen, den Aufsatz von Rolf Stolz, der ja noch Mitglied der Grünen ist, zu dem Thema „Probleme der Zuwanderung“, der 1998 in „Politik und Zeitgeschichte“ erschienen ist, zu lesen. Für jeden, den es interessiert, habe ich ihn dabei. Er ist hochinteressant.
Jetzt komme ich zum Schluss. Ich freue mich, dass auch die Spitzenkandidatin der SPD – wenn man ins Internet schaut, sieht man es – die Familienpolitik entdeckt hat.
Sie fordert: Baden-Württemberg muss ein familienfreundliches Land werden. Ich kann nur sagen: Sie kommt zu spät. Wir sind ein familienfreundliches Land.
(Abg. Haas CDU: Wo ist denn die familienpoliti- sche Sprecherin der SPD? Darf die nicht sprechen? – Abg. Haasis CDU: Die familienpolitische Spre- cherin der SPD!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe bei den beiden Vorrednern als Antwort auf dieses Problem – Frage des Geburtenrückgangs, Frage der Bevölkerungsentwicklung – gehört, wir müssten mehr Kinder bekommen. Ich meine, das ist als Ausweg etwas zu dünn. Wir müssen uns schon die Frage stellen: Wird es nicht so sein, egal, wie wir es machen, dass wir in den nächsten Jahren mit stagnierenden bis rückläufigen Bevölkerungszahlen umgehen müssen? Angesichts der aktuellen Klimadaten, die man auf der Welt hört, ist das ja unter Umständen nicht die schlechteste Vorstellung. Ich halte es für etwas zu mechanistisch und zu biologistisch, einfach zu sagen: Jetzt kriegen wir mehr Kinder, dann können wir das Problem lösen.
Es zeigt sich auch, dass das ein Problem aller entwickelten Kulturstaaten ist und dass zum Beispiel die Reproduktionsrate bei uns bei 1,3 liegt. Frankreich mit einer vorbildlichen Familienpolitik hat 1,6. Das heißt, egal, was Sie machen, Sie werden es immer mit einer rückläufigen Bevölkerungszahl zu tun haben. Das hat nichts mit einem Familienbild aus dem 19. Jahrhundert zu tun, das Sie beide wieder mehr oder weniger restaurieren wollen,
sondern das hat etwas mit dem veränderten Leitbild insgesamt zu tun. Das Leitbild der Frau in der Gesellschaft ist halt nicht mehr das der Frau, die zu Hause sitzt und auf den Mann wartet und dann ein oder zwei Kinder erzieht, sondern das Leitbild der Frau ist heute, dass sie in ihre Lebensplanung den Beruf integriert. Sie wird ja bei einer Lebenserwartung von 81 Jahren, Frau Kollegin Blank, etwa zehn bis zwölf Jahre Erziehungszeit haben. Was macht sie in der anderen Zeit? Sie ist hoch qualifiziert. Sie ist ausgebildet. Darum muss die Antwort auf diese Frage sein: Wir müssen den Frauen die doppelte Lebensplanung erleichtern.
Herr Abg. Müller, nehmen Sie zur Kenntnis, dass die Berufstätigkeitsquote der Frauen in Baden-Württemberg über dem Bundesdurchschnitt liegt? Auch das spricht dafür, dass Baden-Württemberg ein familienfreundliches Land ist und die Frauen eben nicht an Heim und Herd verbannt.
Frau Kollegin, ich habe tagtäglich mit Frauen, die diese Doppelbelastung haben, zu tun. Ich weiß, dass Frauen unter dieser Doppelbelastung erheblich leiden.
Ich will Ihnen gerade einmal als Gegenbeispiel, Frau Kollegin Blank, eine Situation in Baden-Württemberg schildern: Schwanger, nein danke. Eine medizinische Assistentin will eine Stelle an einer Universitätsklinik. Sie bekommt sie nicht, weil sie schwanger ist. Das heißt, wir haben in diesem Bereich eine alltägliche Diskriminierung. Dagegen gilt es anzugehen.
Es gilt auch, einfach darauf hinzuweisen: Es gibt die Untersuchung von Angelika Tölke, die Sie sicherlich kennen. Eine Frau, die aus dem Beruf ausscheidet und wieder einsteigen will, halbiert ihre Berufschancen. Das heißt, wenn man wiederkommt, kommt man mit halbierten Berufschancen. Sicher kann man sagen: Wir machen ein partnerschaftliches Modell. Die Männer in Baden-Württemberg sind aber nicht übermäßig dazu bereit. Es ist natürlich auch nicht ganz leicht. Wer das in Baden-Württemberg macht,
wird in seinem Betrieb oft noch als Weichei angesehen, als jemand, der nicht karrierebewusst ist. Auch da muss sich etwas ändern. Ich meine zum Beispiel, jeder Personalchef einer großen Firma sollte einmal eine dreijährige Erziehungszeit mitmachen. Er sollte einmal sehen, was er tut, wenn das Kind krank ist, wenn der Hort geschlossen ist und er zur Arbeit gehen muss. Das sind die Alltagsprobleme, und sie müssen gelöst werden.
Dann wurden die instabileren Partnerschaften beklagt. Unabhängig von der beruflichen Perspektive, die heute jede Frau braucht, kann sie sich auf den Mann als Partner nicht mehr so verlassen, wie es einmal in der Vergangenheit war. Das heißt, sie hat auch ein ökonomisches Interesse daran, auf eigenen Füßen zu stehen, weil sie es sonst insgesamt gesehen überhaupt nicht schafft.
Diese Frau trifft dann auf eine Wirtschaft, in der gesagt wird: „Wir brauchen mehr Flexibilität. Du musst mit deinen Arbeitszeiten beweglich sein.“ Der Hort ist äußerst unbeweglich. „Du musst beweglich sein, was deinen Arbeitsort betrifft.“ Das Kind kann nicht jedes Jahr in eine andere Schule eingeschult werden. Ich denke, in diesem Bereich müssen wir etwas tun.
Man darf nicht nur über die Geburtenentwicklung reden, sondern man muss auch sehen, dass wir bei dieser Bevölkerungsentwicklung in den nächsten Jahren einen Mehrbedarf an Pflege haben werden. Heute Morgen habe ich Herrn Teufel über die Zukunftsoffensive sprechen hören, aber zum Thema Pflege habe ich dabei nichts gehört. Wir brauchen Fachhochschulplätze im Bereich der Pflegewissenschaften. Wir brauchen Pflegestudienplätze an Universitäten.