Protocol of the Session on February 1, 2001

Wir brauchen zusätzliche Fremdsprachen, eine wirksame Fortbildung und mehr Zeit für Kinder.

(Abg. Haas CDU: Sie verstehen gar nichts!)

Dass Sie, Herr Haas, nicht viel von Schule verstehen, hat sich herumgesprochen.

Wir brauchen mehr Zeit für Kinder, das heißt zusätzliche Stütz- und Fördermaßnahmen. Wir brauchen eine Orientierungsstufe, die diesen Namen verdient, die Herabsetzung des Klassenteilers und den Ausbau der Kooperation und Integration von Grundschulen und Sonderschulen. Außerdem brauchen wir eine Krankheitsreserve an den Grundschulen.

(Abg. Wieser CDU: Wir brauchen gesunde Leh- rer!)

Erst wenn wir diese Rahmenbedingungen haben, können wir davon ausgehen, dass wir eine gute Grundschule bekommen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Das Wort hat Frau Abg. Rastätter.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Grundschule ist heute die Schulart, die die größten pädagogischen Leistungen in unserem Bildungswesen erbringen muss, und sie erbringt diese Leistungen. Das haben wir vor allem den engagierten Lehrerinnen an der Grundschule zu verdanken. Es sind ja im Wesentlichen Lehrerinnen, die in Teilzeit arbeiten und die sich weit über ihre Verpflichtung hinaus en

gagieren, weil ihnen die individuelle Förderung jedes Kindes am Herzen liegt.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD – Zuruf des Abg. Hans- Michael Bender CDU)

Dabei ist die pädagogische Arbeit an den Grundschulen immer anspruchsvoller, immer schwieriger geworden. Denn die Gesellschaft, die Kindheit haben sich in den letzten Jahrzehnten, ja in den letzten Jahren dramatisch verändert. Die Heterogenität der Kinder hat immer mehr zugenommen, und die kindlichen Lebenswelten sind immer weiter auseinander gedriftet.

Um sich pädagogisch entsprechend den neuen Anforderungen weiterentwickeln zu können, brauchen die Grundschulen in Baden-Württemberg mehr Unterstützung, als sie derzeit bekommen. Die Grundschulen brauchen mehr Zeit, sie brauchen mehr Ressourcen, und sie brauchen ein Gesamtkonzept. Denn, Frau Kultusministerin Schavan, es ist zwar richtig, dass Sie in den letzten Jahren auch an den Grundschulen sehr viele Baustellen eröffnet haben. Aber diese fügen sich noch lange nicht zu einem schlüssigen Gesamtkonzept zusammen.

(Abg. Dr. Schäfer Bündnis 90/Die Grünen: Sehr richtig!)

Erstens: Die Grundschulen brauchen mehr Zeit. Wir brauchen eine echte Halbtagsgrundschule statt einer so genannten verlässlichen Grundschule,

(Abg. Scheuermann CDU: Man könnte meinen, bei uns gäbe es nur Deppen!)

die nichts anderes als einen Etikettenschwindel darstellt. Sie sparen durch ein additives Modell. Bei einer rigorosen Trennung von Betreuung und Unterricht sparen Sie auf dem Rücken der Kinder, die dadurch nicht genügend Fördermöglichkeiten haben, die sie in einem durchgängig pädagogisch ausgestalteten Unterrichtsvormittag hätten.

Zweitens: Wir brauchen in Baden-Württemberg flächendeckend Ganztagsgrundschulen. Wir haben 2 500 Grundschulen in Baden-Württemberg. Davon sind nur vier Ganztagsgrundschulen. Meine Damen und Herren von der CDU, ich empfehle Ihnen, die Ganztagsgrundschule in Karlsruhe-Durlach zu besuchen. Dort können Sie erfahren, wie begeistert die Eltern, wie begeistert die Kinder und wie begeistert die Lehrkräfte von einer Ganztagsschule sind. Beispielsweise ist dort eine Lehrerin eines ehemaligen FDP/DVP-Landesvorsitzenden, die sagt: „An der bisherigen Grundschule hatte ich immer ein schlechtes Gewissen, weil ich in einer Klasse mit 31 Grundschulkindern nie genug Zeit hatte. Jetzt geht es mir als Lehrerin gut.

(Abg. Deuschle REP: Klasse! Eine Lehrerin, der es gut geht!)

Ich habe endlich einmal genügend Zeit für die Kinder.“ Auch die Mütter sind begeistert, weil sie sagen: „Wenn mein Kind von der Schule nach Hause kommt, braucht es keine Hausaufgaben mehr zu machen. Dann ist Zeit in der Familie, und uns in der Familie geht es gut.“ Das ist doch

eine Herausforderung, entsprechend dem großen Bedarf im Grundschulbereich in Baden-Württemberg endlich ein familienfreundlich und pädagogisch ausgestaltetes Ganztagsangebot zu schaffen.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen und der SPD)

Ich füge noch hinzu: Sie haben sich in der Vergangenheit auch in dem Sinn geäußert, als wären die Ganztagsgrundschulen Verwahreinrichtungen oder als würden sie den Kindern sogar ihre Freiheit rauben. Das Gegenteil ist der Fall. Es handelt sich um Lern- und Lebensräume für Kinder, in denen sie sich wohl fühlen wie in einer Großfamilie. Gerade für Einzelkinder ist das doch ein Idealzustand.

(Abg. König REP: Wie bei der FDJ! – Abg. Wil- helm REP: In der FDJ haben sie sich auch wohl gefühlt!)

Dritter Punkt. Herr Zeller hat es schon angesprochen. Ich möchte es wiederholen.

Herr Rau, Sie haben von den wunderbaren offenen Lernformen, von den modernen Unterrichtsformen an der Grundschule gesprochen.

(Abg. Rau CDU: Ja!)

Der Bildungsplan sieht diese vor. Die Lehrerinnen sind bereit, diese umzusetzen.

(Abg. Rau CDU: Na bitte! – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Wo ist das Problem?)

Aber reden Sie mit Grundschullehrerinnen, die in einer Klasse mit 31 Schülerinnen und Schülern unterrichten.

(Abg. Rau CDU: Ich habe Ihnen doch die Durch- schnittszahlen gesagt!)

Die Durchschnittszahl ist doch völlig irrelevant.

(Abg. Rau CDU: Die ist nicht irrelevant! Was soll denn das?)

Sie ist insofern irrelevant, als wir auf dem Land eine Reihe von Grundschulen mit kleinsten Klassen haben. In den Städten aber haben wir inzwischen Grundschulklassen mit 25 bis 31 Schülerinnen und Schülern. Dort einen offenen Unterricht zu halten, eine bewegte Schule durchzuführen, einen Sitzkreis zu bilden, einen Lernzirkel zu machen: Das können Sie vergessen. Deshalb brauchen wir Klassengrößen an der Grundschule, die nicht mehr als 25 Schülerinnen und Schüler umfassen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen)

Viertens: Es wurde schon die Krankheitsreserve angesprochen.

(Große Unruhe)

Meine Damen und Herren, ich darf Sie bitten, die Unterhaltungen nach außen zu verlegen.

(Abg. Zeller SPD: Sehr gut, Herr Präsident!)

Ich muss sagen: Meine Ausführungen versetzen die CDU-Fraktion offensichtlich in große Unruhe, weil Sie endlich einmal wieder hören, welch großer Handlungsbedarf besteht, die Grundschulen in Baden-Württemberg weiterzuentwickeln.

(Abg. Scheuermann CDU: Wenn man Sie hört, meint man, die eigenen Enkel seien nur Deppen! – Glocke des Präsidenten – Abg. Scheuermann CDU: Das ist doch wahr! Sie zeichnen doch ein Bild, das mit diesem Land nichts zu tun hat!)

Gehen Sie bitte an die Schulen, und erkundigen Sie sich dort.

(Anhaltende Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Meine Damen und Herren, ich darf um etwas mehr Ruhe bitten.

Herr Rau, ich höre, dass Sie inzwischen vorhaben, die dringend notwendige Krankheitsreserve auch im nächsten Schuljahr wieder mit 660 Lehrerinnen und Lehrern zu realisieren. Meine Damen und Herren, diese Zahl ist aber nicht ausreichend. Sie bleibt sogar hinter dem zurück, was die Kultusministerin als notwendig erachtet, nämlich 1,5 % Krankheitsreserve in Baden-Württemberg. Deshalb fordern wir, dass die Krankheitsreserve im nächsten Schuljahr verdoppelt wird.

Frau Abgeordnete, ich darf Sie auf das Ende Ihrer Redezeit hinweisen.

Vielen Dank für diesen Hinweis. Ich möchte Sie nur bitten, dass ich noch meinen Satz beenden darf.

Den dürfen Sie noch beenden. Aber Sie haben bereits um zwei Minuten überzogen.

Ich muss Ihnen allerdings sagen, Herr Präsident: Es ist hier kein Signal erschienen. Normalerweise signalisieren Sie mir das deutlich.

(Abg. Keitel CDU: Es langt! Jede Minute zu viel!)

Ja, ich signalisiere es Ihnen jetzt.