Protocol of the Session on July 10, 2025

Wir beantworten Fragen, die sich früher nie gestellt haben. Ich will das an zwei Beispielen erläutern: Vor 20 Jahren stellte sich die Frage nicht, ob die Polizei auch im Internet nach dem Aufenthaltsort von Tatverdächtigen sucht. Es stellte sich überhaupt nicht die Frage, ob Videoüberwachung für die biometrische Identifizierung von Menschen in Echtzeit genutzt werden darf und wir damit alle ein Stück weit in die Überwachung geraten. Erst der technische Fortschritt stellt uns heute diese Fragen, und wir müssen es auch in Gesetzen abbilden. Die Antworten, die wir mit diesem ASOG-Entwurf geben, fallen unterschiedlich aus – immer streng an der Sache orientiert.

Bei der biometrischen Echtzeitidentifizierung von Menschen durch Überwachungskameras setzen wir ein klares und unmissverständliches Nein. Wir wollen nicht, dass alle Menschen registriert werden, die zufällig an einer Kamera vorbeikommen.

[Beifall bei der SPD]

Wir schließen es deshalb wasserdicht aus, obwohl der neue AI Act der Europäischen Union hier durchaus Interpretationsspielraum gelassen hätte. Bei der nachträglichen vergleichenden Suche nach Bildern von zur Fahndung ausgeschriebenen Menschen im Internet sind wir hingegen zu dem Schluss gekommen, dass wir der Polizei eine Rechtsgrundlage dafür geben müssen und sollen. Wenn mit der kommerziellen Software PimEyes auch Journalisten näherungsweise den Aufenthaltsort von Menschen wie im Fall Daniela Klette ermitteln können, dann ist es an der Zeit, dass wir das auch der Polizei erlauben –

[Zuruf von Vasili Franco (GRÜNE)]

mit einem klaren rechtlichen Rahmen nur für bestimmte Sachverhalte und nur mit gerichtlicher Anordnung natürlich. Aber wir machen es.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Bei der Analyse der aktuellen Sicherheitslage war wichtig zu beurteilen, ob die Polizei einen Nachholbedarf bei der Informationserhebung oder bei der Informationsauswertung hat. Die Erkenntnis zum Beispiel aus dem Anschlag von Magdeburg ist hier recht eindeutig: Die Videoüberwachung, die es sogar gegeben hat, konnte den Anschlag nicht verhindern – Informationserhebung. Aber eine Analyse aller Informationen, die in verschiedenen Behörden und in öffentlich zugänglichen Internetprofilen

(Präsidentin Cornelia Seibeld)

bereits vorhanden waren, hätte durchaus das Potenzial gehabt, den Täter an seiner schrecklichen Tat zu hindern. Deswegen gehen wir hier diesen Schritt.

Ja, wir wollen bei der Polizei bereits vorhandene Daten in Zukunft automatisiert auswerten. Nein, dabei wollen wir nicht auf einen Anbieter wie Palantir zurückgreifen, bei dem uns das Vertrauen fehlt, welches wir nur in einen Anbieter aus Europa entwickeln können. Ja, wir lassen an einigen kriminalitätsbelasteten Orten auch Videoüberwachung zu. Aber nein, wir verteilen nicht wahllos Kameras überall in der Stadt, denn wir wissen um den begrenzten Nutzen der Videoüberwachung. Wirkliche Sicherheit wird vor allen Dingen durch Sicherheitspersonal geschaffen. Deswegen haben wir auch mehr Polizistinnen und Polizisten – dank der Innensenatoren, die die SPD seit 2017 gestellt hat. Video hilft vor allen Dingen hier und da bei der Ermittlung von Tatverdächtigen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Sehr wichtig ist uns, dass wir ein Verbot von Racial Profiling auch in das Gesetz heben. Viele von uns können sich das kaum vorstellen. Ich musste mich natürlich auch erst damit beschäftigen, wie das ist, wenn man subjektiv das Gefühl hat,

[Zuruf von der AfD: Subjektiv!]

aufgrund des äußeren Erscheinungsbilds immer wieder kontrolliert zu werden. Deshalb begrenzen wir weiterhin anlasslose Kontrollen auf die kriminalitätsbelasteten Orte und schaffen für diese und für die Einrichtung von Waffenverbotszonen eine Mitwirkungsfunktion des Parlaments. So beantworten wir alle Fragen, die man sich aufgrund moderner Technik und heutiger Sicherheitslage stellen kann, eng an der Sachlage entlang – so, dass die Polizei effizient arbeiten kann, und gleichzeitig so, dass Maßnahmen nicht mit vermeidbaren Grundrechtseingriffen verbunden sind.

Wir gehen mit unserem Gesetzentwurf auch auf unangenehme Fragen ein, um die man sich in der Vergangenheit herumgedrückt hat. Es wäre einfacher, den finalen Rettungsschuss nicht im Polizeigesetz zu regeln. Abgeordnete müssen nämlich sonst Fragen beantworten, die sie vielleicht subjektiv lieber umschiffen würden. Klar ist aber auch: Wir dürfen gerade in solchen schwierigen Fragen die Polizeibeamtinnen und -beamten Berlins nicht alleinlassen – erst recht, wenn wir erkennen, dass die anderen Bundesländer schon eine Antwort auf diese Frage gefunden und in ihren Länderpolizeigesetzen verankert haben. Die Botschaft ist: Unsere Polizei hat oft sehr schwierige Aufgaben. Der Schusswaffengebrauch ist glücklicherweise eine seltene Ausnahmesituation, aber die Politik schlägt sich bei diesen schwierigen Themen nicht in die Büsche, sondern wir stehen hinter unseren Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten und unterstützen sie mit diesem Gesetz.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf von der AfD]

Gegenstand dieses Gesetzentwurfs mit seinen 736 Seiten – Entschuldigung an alle dafür, dass man das alles lesen und beraten muss! – und den vielen Einzelregelungen ist auch die Neufassung des Neutralitätsgesetzes. Ich denke, dass die Koalition hier das Richtige tut. Für den Schuldienst wird nachgezeichnet, was das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat. Gleichzeitig wird für Justiz und Polizei klargestellt, dass es in diesem staatlichen Kernbereich ein Neutralitätsgebot gibt.

Mit dem neuen ASOG schaffen wir in mehrfacher Hinsicht neue Grundlagen, auch bei einem anderen wichtigen Thema, nämlich der Bekämpfung häuslicher Gewalt und dem Opferschutz in diesem Bereich. Extrem wichtig ist hier, dass wir die Wegweisung von Tatverdächtigen von bisher 14 Tagen verlängern und damit 28 Tage Zeit schaffen, in denen beispielsweise ein Schutzplatz gefunden werden kann, etwa in einem Frauenhaus.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Wichtig sind auch die Grundlagen der Datenübermittlung in diesem Bereich. Kontaktdaten nicht nur der potenziellen Opfer, sondern auch der Tatverdächtigen müssen ihren Weg zu den Beratungsstellen und zur Servicestelle Wegweiser finden, damit versucht werden kann, Menschen von ihrem falschen Weg abzubringen. Wir verbessern auch die Möglichkeiten, Fallkonferenzen durchzuführen, in denen relevante Informationen aus verschiedenen Bereichen besprochen werden können. Wir schaffen außerdem die Möglichkeit, mit der elektronischen Fußfessel ein Aufeinandertreffen von Täter und Opfer nach dem sogenannten spanischen Modell zu verhindern.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

An die gerichtliche Anordnung gebunden, wird dieses Instrument nicht alle Lücken schließen, die bedrohte Menschen, überwiegend von Gewalt bedrohte Frauen, fürchten. Es ist aber ein weiterer Baustein des Unterstützungssystems für Opfer häuslicher Gewalt.

So sind wir überzeugt davon, dass wir mit dem ASOG eine zeitgemäße Rechtsgrundlage für die Arbeit unserer Polizei Berlin und für die Sicherheit, aber auch die Freiheit in unserer Stadt schaffen. Nach der Sommerpause werden wir diesen Entwurf in mehreren Anhörungen ausführlich beraten. Ich darf mich jetzt schon für die Beratungen bedanken, die wir bis hierher gemacht haben, denn es war sehr intensiv, und viele von Ihnen haben sich auch gewundert, dass es dann doch durchaus lange dauert. Das ist aber dem Umfang der Regelungen geschuldet, die wir hier vorgenommen haben. Die Innenverwaltung und die Koalitionspartner hatten sehr viel zu tun, um tatsächlich zu diesem Entwurf zu kommen. Ich möchte allen für die Zusammenarbeit dabei danken. Wie gesagt, nach der Sommerpause werden wir dann die öffentliche

Beratung im Parlament und in den Ausschüssen vornehmen, und wir geben dabei natürlich unser Bestes für Berlin!

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zunächst der Kollege Franco das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ein sicheres Berlin war das große Versprechen der schwarz-roten Koalition. Heute werden Sie hier von dieser Koalition Lobeshymnen auf die große Polizeigesetznovelle hören. Doch 736 Seiten machen ein Gesetz noch lange nicht zum großen Wurf. In Ihren 736 Seiten verstecken sich viele neue Befugnisse, aber eben auch viele neue Aufgaben. Erst am Montag hatten wir die Gewerkschaftsvertreter im Innenausschuss. Die Aufgabenlast und Belastung der Polizistinnen und Polizisten auf Berlins Straßen ist so hoch wie nie. Da hilft auch kein Polizeigesetz, wenn der Putz in den Wachen von der Decke fällt, wenn Sie beten müssen, dass die Duschen morgen noch funktionieren, oder mit Autos unterwegs sind, die Sie selbst bei Verkehrskontrollen aus dem Verkehr ziehen würden. 3 Millionen Überstunden, eine Pensionierungswelle in vollem Gange, und auch der Nachwuchs wächst bekanntlich nicht auf Bäumen. Trotzdem wird auch unter dieser Koalition bei jeder Gelegenheit aufgefahren, ohne Rücksicht auf Verluste. Massen an Polizisten werden für Kontrollen in schlicht ineffektiven und unnützen Messerverbotszonen verheizt, und das, obwohl es wirklich genug zu tun gäbe. Ich sage es einmal etwas unverblümt: Bevor man von neuen Befugnissen träumt, sollte man erst einmal die Basics auf die Straße bekommen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Statt sich hier abzufeiern – der Kollege Dregger ist gleich an der Reihe – täten wir alle gut daran, die Alltagsnöte von Polizistinnen und Polizisten in Berlin mehr in den Blick zu nehmen.

Wir werden diesen Gesetzentwurf in den Beratungen natürlich auf Herz und Nieren prüfen. Es stimmt, dass es sicher auch berechtigte Gründe gibt, das Gesetz anzupacken. Deshalb will ich zumindest eine Sache hier auch positiv erwähnen. Sie haben die Ausweitung der Wegweisungsdauer, die Fallkonferenzen und das Kontakt- und Näherungsverbot in Fällen häuslicher Gewalt aufgenommen. Das halte ich nicht nur für richtig, ich halte es für überfällig. Es freut mich dabei übrigens, dass Sie fast wortwörtlich einen Gesetzentwurf von uns kopiert haben, aber auch das kann ja nicht schaden. Der Gewaltschutz, die Sicherheit von Frauen, verdient eine höhere Priorität.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Doch leider liest sich Ihr Gesetzentwurf in großen Teilen wie ein Wunschzettel für einen Überwachungsstaat: Videoüberwachung, Quellen-TKÜ, Onlinedurchsuchung und ganz viel künstliche Intelligenz – all das im Namen der Sicherheit,

[Beifall von Christian Gräff (CDU)]

ohne dass Sie damit mehr Sicherheit schaffen werden.

Nehmen wir die Videoüberwachung an kriminalitätsbelasteten Orten. Da gibt es inzwischen unzählige Studien und alle kommen zu dem gleichen Ergebnis: Videoüberwachung verhindert keine Straftaten. Kameras ersetzen keine Einsatzkräfte. – Was soll das dann für Ihre Kameraträume eigentlich kosten? Am Görli kommen Sie schnell in zweistellige Millionenbereiche, und das alles, damit Sie dann mit der Kamera auf dem Zaun Crackabhängige beim Konsum filmen können. Meine Güte, das hilft doch wirklich niemandem!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Sie sagen zwar ständig: An der Sicherheit wird nicht gespart. – Am Ende sparen Sie aber genau für Ihre aktionistische Symbolpolitik die soziale Infrastruktur in der Stadt kaputt, und damit sparen Sie am Ende an der Sicherheit. Das ist das fatale Sicherheitsverständnis des Wegner-Senats.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Sicherheit durch Technik versprechen Sie sich mit Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung, doch diese Technik ist nichts anderes als das staatliche Einhacken in Handys und Laptops. Damit man das kann, braucht es Sicherheitslücken, und Sicherheitslücken in technischen Systemen stehen eben nicht nur der Polizei zur Verfügung, sondern auch Kriminellen – und kriminellen Staaten. In einer Zeit hybrider Bedrohungen sind Schutzlücken im digitalen Raum nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems. Sie sind ein konkretes Sicherheitsrisiko für alle, die Apple, Android, Microsoft nutzen, also für Sie, für mich, aber auch für Polizei, Feuerwehr und alle Behörden in dieser Stadt.

Darüber hinaus normieren Sie dann auch noch den Einsatz künstlicher Intelligenz und die automatisierte Datenanalyse. Ohne Zweifel wird KI auch bei der Polizei in Zukunft zur Anwendung kommen. Bei Alltagsaufgaben, vom Dolmetschen bis zur Unterstützung bei der Schreibarbeit oder auch der Massendatenauswertung, kann KI Polizeiarbeit erleichtern, effizienter machen. Stattdessen schaffen Sie aber eine Rechtsgrundlage für eine Datenanalyse, die bis zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen reicht. Glauben Sie denn wirklich, alles und jeder wird zur Gefahr, die man nur früh genug erkennen muss?

(Martin Matz)

Für mich klingt das weniger nach Polizeigesetz, sondern mehr nach „Minority Report“, und ich sage Ihnen ehrlich: Ich möchte das nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Was ist also – Herr Matz, Herr Dregger – ein gutes und modernes Polizeigesetz? – Fakt ist: Wir leben in unsicheren Zeiten. Wir sehen eine Zunahme objektiver Bedrohungen. Hybride Gefahren sind längst Realität. Nicht zuletzt: Unsere Demokratie ist in Gefahr. Ein Teil dieses Hauses glaubt, ein gutes Polizeigesetz entsteht durch die Masse an weitgehenden Befugnissen, indem man an die Grenzen von dem geht, was das Bundesverfassungsgericht erlaubt, und ja, auch manchmal darüber hinaus. Die Antwort war in den vergangenen Jahren in vielen Bundesländern die Verschärfung von Polizeigesetzen. Hat das aber wirklich für mehr Sicherheit gesorgt? – Gerade das Erstarken autoritärer Kräfte weltweit führt uns doch vor Augen: Ohne Freiheit gibt es am Ende keine Sicherheit, und wer die Freiheit im Namen der Sicherheit ein ums andere Mal riskiert, wird am Ende beides verlieren.

[Zuruf von Robert Eschricht (AfD)]

Diesen Weg sollten wir als Gesetzgeber nicht einschlagen, damit wir in Berlin, der Stadt der Freiheit, auch in Zukunft sicher, frei und selbstbestimmt leben können. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Als zweite Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Bozkurt jetzt das Wort.

[Sven Heinemann (SPD): Klären Sie erst einmal Ihr Verhältnis zur Polizei! Das zeigt ja, dass hier zwei reden müssen! – Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN]

So, jetzt hat die Kollegin Bozkurt das Wort. – Bitte schön!