Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die AfD-Fraktion legt uns hier heute einen längeren Entschließungstext vor, und wenn man nach dem Sinn sucht, dann könnte man meinen, es geht vielleicht wieder um die Neigung von Herrn Trefzer zu kleineren historischen Abhandlungen. So werden zunächst erst mal die Begleitumstände der Kapitulation dargestellt, die damit einhergehenden Folgen für die Kriegsverlierer, insbesondere die Menschenrechtsverletzungen durch die kommunistische Gewaltherrschaft. Und Sie versuchen, die Ambivalenz des 8. Mai herauszuarbeiten.
Das bleibt aber alles ohne großen Neuigkeitswert, denn selbst in Ihrem Antrag schreiben Sie ja von der Formel von Theodor Heuss, Erlösung und Vernichtung, die er
bereits 1949 verwendet hat. Nichts anderes hat Richard von Weizsäcker 35 Jahre später getan, als er zum 40. Jahrestag sagte, und ich darf das noch mal zitieren:
„Wir haben wahrlich keinen Grund, uns am heutigen Tag an Siegesfesten zu beteiligen. Aber wir haben allen Grund, den 8. Mai 1945 als das Ende eines Irrweges deutscher Geschichte zu erkennen, das den Keim der Hoffnung auf eine bessere Zukunft barg.“
So weit das Zitat. – Deswegen schlägt es auch fehl, wenn im AfD-Antrag scheinbar versucht wird, den Befreiungscharakter des 8. Mai zu relativieren.
[Beifall von Daniela Billig (GRÜNE) – Anne Helm (LINKE): Richtig! Weizsäcker ist weit weg von denen!]
Niemand spricht übrigens vom 8. Mai als einem allgemeinen Symbol der Befreiung. Aber die Situation 1945 war nun einmal die, dass Deutschland in großen Teilen der totalitären Verführung durch das Hitlerregime erlegen war und sich in seiner Schuld und Not nicht mehr selbst von dieser verbrecherischen Führung befreien konnte. Und in diesem Sinne hat der 8. Mai alle Deutschen befreit, nämlich von dem menschenverachtenden System des Nationalsozialismus.
Genau das war die Schlussfolgerung, die Richard von Weizsäcker mit dem Bezug auf diesen Begriff der Befreiung gezogen hat.
Dieser Wunsch ist leider überholt, wie wir alle wissen, seit dem verbrecherischen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Und da verwundert es mich schon, wenn ein solcher Appell ausgerechnet von einer Partei ausgeht, die in weiten Teilen dem Narrativ des Aggressors folgt und die berechtigten Interessen der Ukraine nach Selbstbestimmung missachtet
und der in jedem Fall das Verständnis des Zusammenhangs fehlt, dass der Krieg in der Ukraine mit der Friedensordnung in Europa etwas zu tun hat, denn Alexander Gauland sagt: „dieser Krieg geht uns nichts an“.
„Dabei ist es uns eine bleibende Verpflichtung, die Erinnerung an die Verbrechen jener Jahre wachzuhalten und zukünftige Generationen vor totalitären Verlockungen zu bewahren.“
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob Ihnen zumindest auffällt, dass es eine kognitive Dissonanz gibt zwischen dem, was Sie hier verlangen, und andererseits gewissen Aussagen von wichtigen Mandatsträgern, die sich als „freundliches Gesicht des NS“ begreifen.
[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall von Daniela Billig (GRÜNE) – Zuruf von den GRÜNEN: Pfui!]
Von daher kann man als Fazit feststellen, dass wir dieser Entschließung hier tatsächlich nicht bedürfen. Das Haus hat sich mit dem Thema bereits beschäftigt. In den historisch-beschreibenden Teilen haben Sie keinen Neuigkeitswert, in den historisch-bewertenden Teilen gibt es zumindest fragwürdige Interpretationsspielräume.
Die antragstellende Partei ist in jedem Fall nicht geeignet, stilbildende Erklärungen mit Entschlusskraft für dieses Haus zu formulieren. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich persönlich fühle mich befreit vom 8. Mai 1945. Als Nachgeborene und als Nachfahrin von Vertriebenen fühle ich mich befreit vom abgrundtief Bösen, von menschenverachtender Ideologie, von Angst, Hunger, Krieg und Schrecken. Alles Schlimme, was meinen Vorfahrinnen und Vorfahren passiert ist, davor und danach, hat seinen Ursprung im nationalsozialistischen Regime und nirgendwo anders.
Nach dem 8. Mai 1945 war natürlich nicht plötzlich alles wieder gut. Wie sollte es auch? Es gab aber ein Licht am Ende des Tunnels. Das ist der Gedanke, den ich mitbekommen habe von meinen Familienangehörigen, die dabei gewesen sind. Deutschland hat viel Zeit gebraucht, um wieder etwas aufzubauen. Auch heute ringen wir noch um die Demokratie, und das ist auch gut so, und das will hier auch niemand abstreiten. Niemand will irgendetwas kleinreden, was um den 8. Mai 1945 geschehen ist. Darum geht es aber überhaupt nicht an diesem Gedenktag 8. Mai. Dafür gibt es andere Gelegenheiten.
Eigentlich könnten wir es also kurz machen und sagen, Thema verfehlt. Allerdings ist es viel schlimmer, denn die AfD demaskiert sich mal wieder selbst und offenbart die Abgründe, in denen sie sich ideologisch befindet.
In der Entschließung wird alles, was nach dem 8. Mai geschah, in Ostdeutschland, in Westdeutschland und darüber hinaus, gleichgesetzt mit dem Nationalsozialismus, mit der Unmenschlichkeit und der Menschenverachtung dieses Regimes. Damit verharmlosen Sie den Naziterror. Sie versuchen damit, ihn salonfähig zu machen. Unter dem Deckmantel des Gedenkens verteidigen Sie die menschenverachtende Ideologie der Nationalsozialisten.
[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Mirjam Golm (SPD) – Robert Eschricht (AfD): Im Gegenteil! – Weitere Zurufe von der AfD]
Lassen Sie sich gesagt sein, auf diese üblen und perfiden Tricks fällt hier im Parlament wirklich niemand herein. Da können Sie noch so bürgerlich-rechtsstaatlich tun, wir lassen uns von Ihnen nicht einlullen.
Der Gedenktag am 8. Mai ist wichtig für uns Bündnisgrüne, denn wir alle sind dankbar für die Befreiung und das Ende des Krieges. Wir wollen dabei allen Menschen und Nationen danken, die daran mitgewirkt haben. Die ehemals sowjetischen Gedenkorte im Tiergarten, in Treptow und Schönholz müssen Gedenkorte aller Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion werden. Gerade angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine denken wir daran, dass besonders viele Befreierinnen und Befreier – in dem Fall wahrscheinlich hauptsächlich Befreier – Berlins aus der Ukraine kamen.
Wir wenden uns dagegen, dass die Russische Föderation einen Alleinvertretungsanspruch an die Gedenkorte stellt. Alles das können Sie in unserem Antrag zu dem Thema nachlesen, aber so sieht es jedenfalls ein zukunftsgerichtetes Gedenken aus, wie wir es im 21. Jahrhundert brauchen. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach einem langen Plenartag beraten wir nun noch einen Antrag der AfD, auf den wir eigentlich hätten verzichten können.
Ich gebe die Hoffnung ja nicht auf, dass solche revisionistischen Papiere wie dieses bald gründlich vergessen sind. Die Überschrift – ich glaube, Robbin Juhnke hat das schon gesagt – lautet „Erlöst und vernichtet“. Da fragt man sich, wen meint die AfD? Wer ist erlöst und vernichtet? Den Hinweis auf das gleichnamige Buch vom Verband deutscher Soldaten brauchen wir eigentlich nicht, denn wir erkennen es im Text: Es geht um die Wehrmacht, es geht um den Zweiten Weltkrieg. Das eigentliche Zentrum der AfD-Überlegungen dreht sich genau darum. Und da möchte ich als Demokratin, als Berlinerin, als Europäerin schon mal einhaken: Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft hat eben nicht erst mit dem Krieg begonnen. Entmenschlichung, Verfolgung, Ermordung sind Kennzeichen der nationalsozialistischen Bewegung, deren Machtübernahme eine nie vorher dagewesene Gewaltherrschaft mit sich brachte. Von der Ausgrenzung und Verdrängung von Jüdinnen und Juden, Sintize, Romnja, religiösen Minderheiten, Homosexuellen und auch Antifaschistinnen
vor 1939 will ich auch nicht schweigen, im Gegensatz zu Ihnen, Herr Trefzer. Das alles ist allein schon furchtbar, aber es wird noch schlimmer, denn Sie versuchen uns mit Ihrem Antrag einzureden, dass es Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik nur während des Krieges gegeben hätte. Das ist eine geschichtsrevisionistische Relativierung und eine beschämende Infragestellung der deutschen Schuld.
Und selbst das reicht Ihnen nicht. Ihr Antrag geht von dieser Relativierung direkt zu den Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen der Alliierten über, ohne ein Wort von den Verbrechen der SS, der Wehrmacht und so weiter zu sagen.