Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 64. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste, die Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Medienvertreterinnen und Medienvertreter sehr herzlich.
Dann darf ich bitten, Platz zu nehmen, Ruhe einkehren zu lassen, und wer sich länger unterhalten möchte, möge dies bitte vor der Tür tun.
Sehr geehrte Damen und Herren! Mit großer Sorge über die jüngsten Ereignisse blicken wir derzeit auf die Türkei. Noch vor wenigen Wochen, am 21. November des vergangenen Jahres, war Ekrem İmamoğlu hier in Berlin bei uns im Berliner Abgeordnetenhaus zu Gast. Der Oberbürgermeister von Istanbul leitet neben der Stadtverwaltung auch das Stadtparlament. Während seines Besuchs wurde seine tiefe Besorgnis über den aktuellen politischen Zustand seines Landes deutlich. Im Gespräch betonte er sehr deutlich die große Bedeutung der deutschtürkischen Freundschaft und die Wichtigkeit der Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Istanbul.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ekrem İmamoğlu sitzt seit nunmehr über einer Woche in Haft und wurde als Oberbürgermeister Istanbuls abgesetzt. Das erschüttert mich zutiefst, und für mich ist ganz klar, Ekrem İmamoğlu hat unsere volle Solidarität verdient.
Die Anschuldigungen gegen Ekrem İmamoğlu und seine Anhänger müssen schnell und transparent durch eine unabhängige Justiz geprüft und aufgeklärt werden, und am allerwichtigsten: Er muss sofort aus der Haft entlassen werden.
Berlin ist seit vielen Jahrzehnten Heimat einer sehr diversen türkischen Community. Nach den Gezi-Protesten 2014 haben zahlreiche demokratische Türkinnen und Türken im weltoffenen und freiheitsliebenden Berlin eine neue Heimat gefunden. Sie sind seither wichtige Brückenbauer zwischen den Gesellschaften Deutschlands und der Türkei. Sie gehören zum Bild unserer Stadt und bereichern das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben im Land Berlin. Diese engen Verflechtungen bilden das Fundament der mittlerweile seit 35 Jahren bestehenden Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Istanbul. Diese Verbindung ist nicht nur ein Symbol der Freundschaft, sondern auch Ausdruck unserer gemeinsamen Werte, Werte, die Ekrem İmamoğlu in seiner Funktion als Bürgermeister und als Präsident des Istanbuler Stadtparlaments stets hochgehalten hat. Sein
Einsatz für Transparenz, Bürgerbeteiligung und eine moderne Stadtentwicklung ist unbestreitbar. Der Umstand, dass Ekrem İmamoğlu nur wenige Tage vor seiner geplanten Wahl als Präsidentschaftskandidat seiner Partei zusammen mit weiteren 100 Personen verhaftet worden ist, bedrückt mich.
Demokratie ist nicht nur ein politisches System, sie ist ein Weltbild. Sie basiert auf den Prinzipien der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit. In einer parlamentarischen Demokratie sind freie Wahlen, unabhängige Gerichte, eine pluralistische Gesellschaft und die Wahrung der Menschen- und Grundrechte unverhandelbare Grundpfeiler.
Die Verhaftung von İmamoğlu zeigt, dass diese fundamentalen demokratischen Prinzipien in der Türkei zunehmend in Gefahr sind.
Nach sorgfältiger Abwägung bin auch ich zu dem Ergebnis gekommen, meine Reise nach Istanbul, bei der vor allem auch ein Treffen mit Ekrem İmamoğlu im Vordergrund gestanden hätte sowie mit vielen deutschen und türkischen Politikern geplant war, abzusagen.
Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, die Städtepartnerschaft Berlin-Istanbul zu begehen, während der oberste demokratisch gewählte Repräsentant der Stadt Istanbul wenige Kilometer entfernt in Haft sitzt.
Die aktuellen Entwicklungen sind auch eine Mahnung. Sie führen uns eindrücklich vor Augen, dass auch unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung keine Selbstverständlichkeit ist. Sie mahnen uns, wie fragil rechtsstaatliche Strukturen sein können und wie wichtig es ist, für ihre Bewahrung zu kämpfen und verantwortlich einzustehen, jeden Tag. – Vielen Dank!
Dann kommen wir zum Geschäftlichen. Als Geschäftliches habe ich zunächst folgenden Mandatswechsel mitzuteilen: Bei der AfD-Fraktion hat Herr Ronald Gläser sein Mandat niedergelegt, nachgerückt ist Herr Frank Scheermesser. – Willkommen zurück im Berliner Abgeordnetenhaus!
− Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „A100 – Bund muss in die Infrastruktur vorausschauend investieren und den Verkehrsinfarkt schnellstmöglich beenden“ − Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „A100 – Bund muss in die Infrastruktur vorausschauend investieren und den Verkehrsinfarkt schnellstmöglich beenden“ − Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „‚Krise, welche Krise?‘ – Brückendesaster, endloser BVG-Streik, versemmelte S-BahnAusschreibung: Wo ist die Verkehrssenatorin?“ − Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „‚Krise, welche Krise?‘ – Brückendesaster, endloser BVGStreik, versemmelte S-Bahn-Ausschreibung: Wo ist die Verkehrssenatorin?“ − Antrag der AfD-Fraktion zum Thema: „Hauptstadt ohne Brücken, Berliner ohne Mobilität und Westend ohne Durchkommen – Wann wacht der Regierende Bürgermeister auf?“
Die Fraktionen haben sich auf das Thema der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verständigt. Somit werde ich gleich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufen. Die anderen Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde haben damit Ihre Erledigung gefunden.
Dann darf ich auf die Ihnen zur Verfügung gestellte Dringlichkeitsliste verweisen. Die Fraktionen haben sich darauf verständigt, die dort verzeichneten Vorgänge unter den Tagesordnungspunkten 14 A und 39 A in der heutigen Sitzung zu behandeln. Ich gehe davon aus, dass den zuvor genannten Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. – Widerspruch zur Dringlichkeit höre ich nicht. Damit ist die dringliche Behandlung dieser Vorgänge so beschlossen.
Nach Erstellung der Dringlichkeitsliste ist ein weiterer dringlicher Antrag eingegangen, nämlich der Ihnen als Tischvorlage vorliegende Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke betreffend die Situation in Istanbul auf Drucksache 19/2335. Ich gehe davon aus, dass auch diesem Antrag die dringliche Behandlung zugebilligt wird. – Widerspruch höre ich dazu nicht. Dann wird der Vorgang als Tagesordnungspunkt 39 B behandelt.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und die Fraktion Die Linke haben eine Verbindung mit Tagesordnungspunkt 39 A beantragt. Das ist der dringliche Antrag der Koalitionsfraktionen betreffend die Situation in Istanbul auf Drucksache 19/2334. – Auch dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann verfahren wir so, und unsere heutige Tagesordnung ist damit so beschlossen.
Auf die Ihnen zur Verfügung gestellte Konsensliste darf ich ebenfalls hinweisen und stelle fest, dass dazu kein Widerspruch erfolgt. Die Konsensliste ist damit angenommen.
Dann darf ich Ihnen noch die Entschuldigungen des Senats mitteilen. Frau Senatorin Dr. Badenberg ist aufgrund der Agrarministerkonferenz heute abwesend. Herr Senator Evers wird aufgrund von Vorbesprechungen zur Finanzministerkonferenz erst gegen 13 Uhr eintreffen.
‚Krise, welche Krise?‘ – Brückendesaster, endloser BVG-Streik, versemmelte S-Bahn-Ausschreibung: Wo ist die Verkehrssenatorin?
Für die Besprechung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung. In der Runde der Fraktionen beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und hier der Kollege Graf. – Bitte schön!
Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Berlinerinnen und Berliner! Manchmal wünscht man sich ja, dass man nicht recht behält, dass man nur übertrieben hat. Als ich hier nach der Regierungserklärung von Kai Wegner geantwortet habe, sagte ich – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –: Es ist erstaunlich, lieber Raed Saleh, „dass du schon damals,“ also im Wahlkampf, „wusstest, wie man den schwarzroten Koalitionsvertrag“ dann am besten beschreiben wird – „in 80 Phrasen um die Welt“. Hoffen wir mal, dass wir es nicht am Ende benennen müssen mit: „In 80 Katastrophen vor der Welt blamiert!“ – Tja, lieber Raed, jetzt hatten wir wohl beide recht: du erst mit den Phrasen und ich mit den Katastrophen.
Es bleibt nicht nur bei der Blamage. Nein, diese Katastrophen müssen Sie ausbaden, liebe Berlinerinnen und
Sie, liebe Berlinerinnen und Berliner, warten wegen dieser Politik nun mindestens 20 Minuten auf die U-Bahn.
Wenn diese Rückschrittskoalition mit unserer Stadt fertig ist, dann fahren wir wohl im Ochsenkarren durch die Stadt,
Ihre Luftschlösser, Ihre 80 Phrasen, Ihre „Wegners warme Worte“, das alles muss ein Ende haben. Wir sehen doch, welches Chaos Sie damit anrichten. Statt einer Magnetschwebebahn brauchen wir erst mal neue U-Bahn-Wagen, damit überhaupt irgendetwas fährt. Statt zehn neuer U-Bahn-Linien auf dem Papier brauchen wir wirkliche Investitionen in die marode Infrastruktur und in gute Gehälter, und statt der Achterbahnfahrt beim 29-Euro-Ticket braucht die BVG endlich eine Finanzierung, die auch verlässlich ist.