Protocol of the Session on March 21, 2024

Bitte schön!

Herr Kollege! Sie haben das gerade sehr gut geschildert. Dann stimmen Sie mir wahrscheinlich auch zu, dass wir uns dafür einsetzen sollten, dass es bundesweit keine Abschiebungen von Jesiden gibt. Das ist auch Gegenstand dieses Antrages, denn bundesweit gibt es Abschiebungen von Jesidinnen.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Ich sehe unsere Zuständigkeit für das Land Berlin. Dafür haben wir Verantwortung, und dieser Verantwortung werden wir uneingeschränkt gerecht, und deswegen bedarf es Ihres Antrages nicht.

[Zuruf von Niklas Schrader (LINKE)]

Aus dem, was ich gerade von Düzen Tekkal zitiert habe, folgt, dass auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bei der Prüfung der Asylanträge einen bestehenden individuellen Verfolgungsdruck berücksichtigt. Und für jesidische Opfer des Islamischen Staats werden regelmäßig humanitäre Lösungen gefunden, jedenfalls hier in Berlin, und das ist auch richtig so. Somit ist der vorliegende Antrag der Linksfraktion ohne Relevanz. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Omar das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ist nicht nur der Internationale Tag gegen Rassismus, sondern auch das kurdische Neujahr Newroz. Newroz markiert in der kurdischen Geschichte sowie in der Geschichte der Völker der Region Mesopotamiens eine historische Zeitenwende. Es erinnert daran, dass sich diese Völker des Irans, Kurdistans, Afghanistans und andere Länder unbeugsam gegen ihre Herrscher gestellt haben, die sie unterdrückten und sie ihrer Menschenrechte beraubten.

Newroz symbolisiert damit den Widerstand dieser Völker gegen die Tyrannei und ihren tapferen Einsatz für Freiheit und Menschenrechte. In diesem Sinne wünsche ich allen Menschen, die heute Newroz feiern ein friedliches und schönes Neujahresfest. Newroz pîroz be!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Beifall von Sebahat Atli (SPD) und Burkard Dregger (CDU)]

Viele Menschen, die heute feiern, erinnern sich heute leider auch dabei an das Jahr 2014 zurück, wie mein Kollege Koçak auch erwähnt hat, als der Islamische Staat die schlimmsten Gräueltaten an der kurdischen Bevölkerung und insbesondere an der jesidischen Minderheit in Nordsyrien und im Nordirak, in irakisch Kurdistan und in Rojava verübt hat.

Was den Jesidinnen und Jesiden widerfahren ist, lässt sich mit Menschenverstand wirklich nicht begreifen und kaum in Worten beschreiben. Die Terrormiliz Islamischer Staat hat sie abgeschlachtet, Frauen und Mädchen gekidnappt, gefangen gehalten wie die Tiere, missbraucht,

(Burkard Dregger)

vergewaltigt, versklavt und weiterverkauft. Jesidische Siedlungsgebiete wurden skrupellos überfallen, Familien gewaltsam auseinandergerissen. Jesidinnen wurden verschleppt, zu Tausenden, und getötet.

Bei den Verbrechen des Islamischen Staats am jesidischen Volk handelt es sich um nichts Geringeres als einen Genozid. Das hat auch ähnlich der Deutsche Bundestag im letzten Jahr in einem überfraktionellen Beschluss einstimmig anerkannt. Ja, der Islamische Staat scheint aktuell im Nordirak und in Nordsyrien militärisch besiegt zu sein, aber seine faschistische Ideologie lebt im Untergrund in der Region leider weiter.

Deshalb können Jesidinnen und Jesiden bis heute nicht sicher in ihr Herkunftsland zurückkehren, denn was sie dort erwarten würde, sind strukturelle Diskriminierung, Rassismus, Verfolgung und eine massive Retraumatisierung.

Wir wissen, dass der Irak ein destabiler Staat ist. Das bestätigt die aktuell gültige Lageeinschätzung von „Monitor“. Auch die Bundesregierung erklärte noch vor einem Jahr auf eine Kleine Anfrage, ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

„für jesidische Religionszugehörige aus dem Irak … ist es – ungeachtet veränderter Verhältnisse – nicht zumutbar, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren.“

Zitat Ende. – Trotzdem schiebt leider Deutschland Jesidinnen inzwischen wieder ab und das teilweise mit rabiaten Mitteln, wie zum Beispiel in Bayern. Leider!

Wieder werden Familien auseinandergerissen, Schutzsuchende in Deutschland auf diese Weise retraumatisiert. Schätzungsweise sind circa bis zu 10 000 Jesidinnen und Jesiden von Abschiebungen bedroht und haben leider keinen sicheren Aufenthalt hier in Deutschland. Dabei haben Abgeordnete aller Fraktionen im Bundestag im letzten Jahr, auch die der CDU und SPD, versprochen, alles zu tun, um Jesidinnen und Jesiden zu schützen, ihnen eine neue Heimat in Deutschland zu geben, ihre Traumata zu verarbeiten hier in Deutschland. Leider muss man sagen, dass genau dieses Versprechen gerade gebrochen wird und die Jesidinnen und Jesiden genau wie unsere humanitären Grundsätze damit hemmungslos verraten werden. Die Abschiebepraxis von Jesidinnen und Jesiden muss sofort gestoppt werden, für Berlin, aber auch bundesweit.

[Beifall von Sebastian Walter (GRÜNE) – Beifall bei der LINKEN]

Darum unterstützen wir den Antrag der Linksfraktion und fordern auch als Grünenfraktion, dass sich der Berliner Senat auf Bundesebene dafür einsetzt, dass auch Jesidinnen und Jesiden aus anderen Bundesländern nicht abgeschoben werden. Das wäre für unser Land und für unser Versprechen notwendig. – Vielen Dank!

[Beifall von Sebastian Walter (GRÜNE) – Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Özdemir das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Allen Fernen auch von unserer Fraktion: Newroz pîroz be!

Was wichtig ist – vieles wurde gesagt; ich werde vieles nicht wiederholen wollen –, ist aber: Warum werden eigentlich Jesidinnen und Jesiden verfolgt? Das Jesidentum kennt keine verbindliche religiöse Schrift, wie etwa die Bibel, Thora oder der Koran. Die Vermittlung religiöser Traditionen und Glaubensvorstellungen beruht seit Jahrhunderten ausschließlich auf mündlicher Übertragung. Aufgrund der ausschließlich oralen religiösen Praxis hatten und haben die Jesidinnen und Jesiden bei den Muslimen und Christen in der Region nicht den Status von Leuten der Schrift, also Anhängern einer Offenbarungsreligion wie beispielsweise Muslime, Christen oder Juden. Sie galten und gelten bei diesen Gruppen oft als, und das ist das Schlimme, Ungläubige, Götzen oder sogar Teufelsanbeter.

Genau diese falschen Darstellungen und Vorurteile waren immer und immer und immer wieder der Grund und die Grundlage für die lange Verfolgungs- und Leidensgeschichte der Jesidinnen und Jesiden, die bis in die Gegenwart andauert und dazu führt, dass der IS beispielsweise einen Genozid an diesen Menschen verübt.

Wichtig ist jedoch, die Leidensgeschichte der Jesidinnen und Jesiden nicht nur auf den IS zu verengen, sondern anzuerkennen, dass diese Gruppe in dieser Region seit vielen Jahrzehnten, wenn nicht Jahrhunderten verfolgt und diskriminiert wird. Im Januar 2023 hat der Bundestag, wie schon heute angesprochen, die Verbrechen des IS an den Jesiden als Völkermord anerkannt – ein Meilenstein und zugleich ein Signal für die Betroffenen, dass die erlittenen Grausamkeiten und die Schutzbedürfnisse in Deutschland anerkannt werden.

Alle Mitglieder und Parteien stimmten dem Beschluss auch einvernehmlich zu. Im März 2023 erklärte die Bundesregierung zudem in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage, ich zitiere:

„Für jesidische Religionszugehörige aus dem Irak … ist es – ungeachtet veränderter Verhältnisse – nicht zumutbar, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren.“

(Jian Omar)

Im Mai 2023 gab es eine Migrationsvereinbarung mit dem Irak. Das Problem hier ist, dass in den Bundesländern bei Abschiebungen offenbar keine Aufmerksamkeit auf die kulturelle Herkunft und Religion gelegt wird und hier der vom Bundestag anerkannte Schutzbedarf ins Leere läuft. Es liegt jedoch in den Ländern, ihre Handlungsspielräume zu nutzen. In Berlin werden Jesidinnen und Jesiden nicht abgeschoben. Berlin ist in der Sache ein Best-practice-Akteur, wenn man das so sagen möchte. Dafür möchte ich mich auch bei der Innensenatorin aufrichtig bedanken.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Beifall von Anne Helm (LINKE)]

Berlin fungiert als Vorbild. Dass jedoch eine Bundesratsinitiative hier irgendeine Erfolgschance haben würde, das glauben wir nicht, und deshalb werden wir dem Antrag auch nicht zustimmen. – Danke!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Beifall von Anne Helm (LINKE) – Anne Helm (LINKE): Vielleicht kann man es doch mal versuchen!]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der AfD spricht der Abgeordnete Woldeit.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen Abgeordnete! Ich glaube, wir sind uns alle einig, in allen Fraktionen,

[Anne Helm (LINKE): Glaub ich nicht! – Torsten Schneider (SPD): Ich stimme dir zu!]

dass die Jesiden unfassbares Leid erfahren mussten, insbesondere unter dem IS in den Jahren 2014 und folgende.

Wenn ich mir überlege, dass Tausende Menschen getötet werden, dass über 7 000 Frauen vergewaltigt, versklavt wurden, ist das ein Leid, das man sich gar nicht vorstellen kann. Ich kann auch nachvollziehen, dass hier die Forderung kommt, Abschiebungen auszusetzen beziehungsweise nicht durchzuführen. Meines Wissens, und das haben Vorredner gesagt, gibt es in Berlin keine Abschiebungen in den Irak von Jesiden. Das halte ich in Anbetracht der Umstände auch für vollkommen richtig.

Vor allem, wo sollen sie denn hin? Wenn ich mir überlege, lebten in der Region Sindschar einst 600 000 Jesiden. Nach den Vertreibungsaktionen, die auch vollkommen zu Recht als Genozid anerkannt wurden durch den Deutschen Bundestag, auch durch meine Fraktion, waren es am Ende nur noch knapp 60 000. Über 500 000 Menschen wurden vertrieben. Wenn ich wiederum überlege – das hatte ich vor einiger Zeit schon mal gelesen –, dass eine Jesidin, die Opfer dieses unfassbaren Verbrechens

wurde, die vergewaltigt, versklavt wurde, auf einem Marktplatz ihren ehemaligen Peiniger traf, der übrigens auch Asyl und Fluchtgründe in Anspruch genommen hat, dann mag ich mir nicht ausmalen, was diese junge Frau dort in diesem Moment gefühlt und erlitten hat. Das ist wirklich schlimm.

Herr Koçak! Sie haben den Antrag mit viel Leidenschaft vorgetragen. Ich muss Ihnen allerdings sagen, wir können den heute gar nicht abstimmen und beschließen. Er geht erst noch in die Ausschüsse, und da werden wir auch darüber sprechen. Auch wenn ich Ihrem Nachsinnen folgen kann, wie gesagt, finden im Land Berlin keine Abschiebungen statt. Somit hat er quasi Erledigung gefunden. Eine Bundesratsinitiative auf Bundesebene fordern Sie nicht. Sie fordern auf, dass sich der Senat auf Bundesebene dafür einsetzt, das Ganze bundesweit durchzusetzen. Ich glaube, dafür fehlt uns einfach im Land Berlin die Kompetenz.

Dementsprechend mag es durchaus sein, dass es in anderen Bundesländern auch Menschen gibt, die dieser Volksgruppe angehören, die mitunter aber auch Straftaten begehen, wo der Staat Recht und Gesetz einhält. Ich sage es nochmal: Das Leid, das die Jesiden erlitten haben, ist unfassbar. Es ist zu Recht ein Genozid. Diese Menschen in Deutschland zu schützen, ist unsere Aufgabe. Das passiert im Land Berlin. Aber Form und Umfang ihres Antrags wird aufgrund zum einen des Erledigungsumstands und zum anderen des Nicht-Zuständigkeitsbereichs wahrscheinlich nicht unsere Zustimmung finden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Vorgeschlagen wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Tagesordnungspunkt 37 wurde bereits in Verbindung mit der Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unter der Nummer 4.3 behandelt. Tagesordnungspunkt 38 war Priorität der Fraktion der SPD unter der Nummer 4.2. Tagesordnungspunkt 39 steht auf der Konsensliste.

Ich rufe nun auf

lfd. Nr. 40:

Kreativwirtschaftsberichterstattung fortschreiben – Bilanz ziehen, Schwerpunkte setzen und Zukunft gestalten