Protocol of the Session on October 20, 2022

Es sind also nicht mehr nur die Langzeitarbeitslosen, Alleinerziehenden und Rentner, die sich Lebensmittel nicht mehr leisten können, inzwischen sind es auch Menschen, die einer geregelten Arbeit nachgehen und sich den Lebensunterhalt trotzdem nicht mehr leisten können, die sogenannten Working Poor, auf Deutsch, die Menschen, die arm trotz Arbeit sind. Darunter sind Kraftfahrer, Verkäufer, Friseure, Soloselbstständige. Sie müssen teilweise mit noch weniger Geld auskommen als HartzIV-Empfänger. So viel nur mal zum Lohnabstandsgebot! Das kennen Sie wahrscheinlich schon gar nicht mehr.

Traurig, aber wahr, die Existenz der Tafeln ist für viele Menschen eine wichtige Stütze. Die Existenz der Tafeln führt uns aber auch das Versagen der Politik, also Ihr Versagen, liebe Kollegen der Koalition, bei der Überwindung von Armut deutlich vor Augen.

[Beifall bei der AfD – Zuruf von der AfD: Richtig!]

Die Inanspruchnahme von Tafeln sollte nur die Ausnahme und kein Dauerzustand sein, denn die Daseinsvorsorge ist nicht die Aufgabe der Tafeln, es ist eine staatliche, also eine Aufgabe der Regierung. Sie werden sich daher nicht auf dem Rücken der Ehrenamtlichen aus Ihrer politischen und sozialen Verantwortung stehlen können.

Deshalb fordern wir in diesem Antrag den Berliner Senat auf, analog zu dem sächsischen Modell Maßnahmen zu ergreifen, um die Berliner Tafeln bei kleinen investiven Maßnahmen, zum Beispiel in der Logistik, zu unterstützen. Um die Tafeln von den hohen Energiekosten zu entlasten, muss man einen Notfallfonds einrichten. Aus dem muss dann unbürokratisch, unkompliziert und schnell ausgezahlt werden können. Ähnliche Unterstützungsvorhaben sind aus anderen Bundesländern bekannt, also kein Hexenwerk, was wir hier machen, beispielsweise aus Hannover, wo gerade der Aufbau eines Tafellogistikzentrums unterstützt wird.

Meine Damen und Herren im Senat! Lassen Sie die Menschen, denen Sie diese katastrophale soziale Suppe eingebrockt haben, diese nicht alleine auslöffeln, helfen Sie den Berliner Tafeln, und stimmen Sie unserem Antrag zu! Ich und die Menschen in dieser Stadt danken Ihnen dafür. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD]

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Düsterhöft das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Also wenn wir über die eine Berliner Tafel sprechen wollen – das ist übrigens gleich der erste Fehler in Ihrem Antrag, Frau Auricht, es gibt nicht 47 Tafeln, es gibt eine Berliner Tafel mit 47 Ausgabestellen –, dann müssen wir selbstverständlich über die Menschen sprechen, die auf die Unterstützung der Berliner Tafel angewiesen sind. Warum nutzen immer mehr Berlinerinnen und Berliner die Berliner Tafel? – Wegen der steigenden Lebensmittelpreise! Stimmt’s? – Ja! Der ALG-II-Regelsatz liegt aktuell bei 449 Euro. Von diesen 449 Euro stehen ganze 155,82 Euro für Lebensmittel zur Verfügung. Seitdem dieser Wert festgelegt wurde, haben sich die Lebensmittelpreise um 18,7 Prozent erhöht.

[Ronald Gläser (AfD): Wegen eurer Politik!]

Was man vor zwölf Monaten mit 155,82 Euro im Supermarkt bezahlen konnte, kostet heute 29 Euro mehr. Haben die Menschen das Geld? – Nein!

(Jeannette Auricht)

Und was sagt die AfD zu dem Bürgergeld, das gerade durch die SPD-geführte Bundesregierung eingeführt wird? – Ich zitiere, Frau Präsidentin, mit Ihrer Erlaubnis:

Warum sollen die Bürger überhaupt noch arbeiten gehen? Gerade für Familien mit Kindern oder Erwerbstätige mit niedrigen monatlichen Einkommen kommt mit Erwerbstätigkeit nunmehr dasselbe oder weniger heraus als ohne. Das neue Bürgergeld ist ein … Anreiz zum Müßiggang.

So Ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender der AfD im Bundestag! Also Ihre Partei bezeichnet das Bürgergeld als unsozial, nicht weil es zu niedrig ist, nein, es ist viel zu hoch aus Sicht der AfD. Es stellt sich also tatsächlich hier die Frage: Wer ist jetzt unsozial? – Ich finde, nicht das Bürgergeld, sondern Sie sind es.

[Beifall bei der SPD – Beifall von Damiano Valgolio (LINKE)]

Ich bin ausgesprochen froh, dass die SPD das Bürgergeld durchsetzen konnte und der Regelsatz um immerhin 53 Euro steigen wird. Diese sorgen wenigstens dafür, dass die Inflation im Bereich der Nahrungsmittel sowie in den anderen Bereichen unserer Wirtschaft ausgeglichen wird.

Ihr Antrag zur Berliner Tafel ist deshalb absolute Heuchelei, nichts anderes als Heuchelei. Sie wollen nicht den Menschen helfen, Sie wollen die Menschen nicht befähigen. Sie stehen für unzureichende Sozialleistungen, die die Menschen in die unmittelbare Armut schicken würden. Sie wollen der Berliner Tafel helfen und ihr gleichzeitig noch mehr Kundinnen und Kunden schicken. Top, wirklich schlau gemacht! Liebe Berlinerinnen und Berliner, fallen Sie auf diese AfD nicht herein!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Sie steht für eine zutiefst unsoziale Politik. Die AfD will, dass die Menschen noch mehr von Lebensmittelspenden abhängig sind. Wenn Sie solch einen Antrag formulieren, liebe Frau Auricht, sollten Sie vorher Kontakt mit der Berliner Tafel aufnehmen. Nur mal so als Empfehlung; die findet man im Internet, das kann man googeln, es gibt Telefonnummern. Hätten Sie das vorher mal getan, dann wüssten Sie, dass das oberste Ziel der Berliner Tafel die Unabhängigkeit ist.

[Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Herr Hansel! Menschenskinder, Sie sind schon wieder so aufgebracht. Passen Sie auf Ihren Blutdruck auf! – Die Berliner Tafel kann und will nicht von politischen Mehrheiten abhängig sein. Sie will Ihr Geld nicht haben, sie will es nicht; explizit nicht. Ganz besonders auch nicht von der AfD.

[Thorsten Weiß (AfD): Das Geld des Steuerzahlers! – Jeannette Auricht (AfD): Das Geld des Steuerzahlers, nicht meins!]

Schon bei der Gründung der Berliner Tafel 1993 hat Frau Werth, die Gründerin, sich ganz klar gegen jede staatliche Unterstützung ausgesprochen. Das macht sie heute übrigens immer noch; ich habe vorgestern noch mal mit ihr telefoniert, aufgrund Ihres hervorragenden Antrags.

Aber wissen Sie, liebe AfD, Sie können sich ja gern für die auskömmliche Finanzierung der sozialen Einrichtungen in Berlin einsetzen. Aber nein, das machen Sie auch nicht. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Sie sich zum Beispiel in der aktuellen Situation für die Sicherung der sozialen Einrichtungen einsetzen. Nein, das machen wir. Wir legen derzeit einen Fonds auf, um die Mehrkosten in den sozialen Einrichtungen abzufedern, und wir haben deutliche Mittelerhöhungen im laufenden Haushalt umgesetzt.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Torsten Schneider (SPD): Jawohl!]

Und wenn Sie sich fragen, was das jetzt wiederum mit der Berliner Tafel zu tun hat: Die Berliner Tafel beliefert über 400 soziale Einrichtungen in Berlin mit Essen, darunter Wohnheime, Frauenhäuser, Obdachlosenunterkünfte, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Drogennotdienste und viele mehr. Würde man die noch mal stärker finanzieren, dann wäre vielleicht auch die Berliner Tafel in der Lage, sich stärker darauf zu konzentrieren, was sie machen möchte, nämlich den Menschen vor Ort zu helfen.

Und übrigens: Was auch noch eine weitere, wirklich gute Hilfe wäre, wäre ein Gesetz, das es den Supermärkten verbieten würde, Lebensmittel wegzuschmeißen, und es vielmehr eine Auflage gäbe, diese Lebensmittel an karitative Einrichtungen zu spenden. Solch ein Gesetz gibt es in Frankreich, dort gibt es deutlich mehr Lebensmittelspenden als hier in Deutschland. Aber bleiben Sie mal bei Ihrem Antrag.

Liebe AfD! Es ist ein bisschen so wie immer: Sie kümmern sich nicht wirklich um die Probleme. Sie tun so, als ob Sie die Kümmerer wären, und wie immer kann man Ihnen belegen, dass Sie es ganz genau nicht sind. Mehr noch: Wenn ich an das Bürgergeld denke, dann komme ich zu dem Schluss: Sie sind Teil des Problems. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Wohlert das Wort.

(Lars Düsterhöft)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen im Berliner Abgeordnetenhaus! Sehr geehrte Damen und Herren! Durch die Berliner Tafel werden an den Laibund-Seele-Ausgabestellen und in sozialen Einrichtungen monatlich schon über 170 000 Menschen unterstützt. Mit überwiegend ehrenamtlichen Kräften werden nicht nur 660 Tonnen Lebensmittel im Jahr vor dem Wegwerfen gerettet, sondern auch Menschen mit geringem Einkommen zusätzlich versorgt. Von Sabine Werth als erste ihrer Art gegründet, engagiert sich die Berliner Tafel seit bald 30 Jahren in unserer Stadt. An dieser Stelle möchte ich sagen: Danke für das starke Engagement für den sozialen Zusammenhalt!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall von Werner Graf (GRÜNE) und Tobias Schulze (LINKE)]

Der Antrag der AfD sieht diverse finanzielle Hilfen für die Berliner Tafel vor. Mit Genehmigung der Präsidentin zitiere ich gerne ihr Leitbild:

Die Berliner Tafel finanziert sich ausschließlich über Spenden und lebt von der aktiven Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger. Staatliche Gelder werden bewusst nicht in Anspruch genommen. … Die Berliner Tafel

und das, liebe AfD, ist auch ein sehr wichtiger Hinweis –

lässt sich nicht für die Interessen anderer vereinnahmen. Sie entlässt … den Staat

nicht

aus der Pflicht, die Grundversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten.

Sehr geehrte Damen und Herren der AfD! Wenn es Ihnen wirklich um die Sache, um die Unterstützung der Berliner Tafel und ihres Engagements, gehen würde, dann hätten Sie das Leitbild gelesen – das unterstelle ich mal, weil Sie es zumindest in Teilen zitiert haben –, aber es auch mit Respekt zur Kenntnis genommen und einen solchen überflüssigen Antrag nicht ins Parlament eingebracht.

[Beifall bei der CDU]

Es gibt aber etwas, was wir für die Berliner Tafel tun können. In den kommenden Wochen muss die Tafel mit ihrer Lager- und Verteilhalle auf dem Berliner Großmarkt umziehen. Für die Kosten für die Umbauarbeiten in Höhe von 800 000 Euro wurden erst – und ich betone: einmalig – Mittel aus der Lottostiftung Berlin beantragt. Eine Entscheidung des Stiftungsrats wird bald getroffen. Ich denke, ohne dem Ergebnis vorwegzugreifen auch im Namen anderer Fraktionen des Hauses sprechen zu können: Die Berliner Tafel kann stets auf unsere Unterstützung zählen.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Lars Düsterhöft (SPD)]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Kurt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wer heute Morgen in der Aktuellen Stunde der Rede der AfD-Fraktion zugehört hat, der hat sich entweder wie in einer Comedyshow gefühlt oder wie in einem schlechten Propagandafilm. Angesichts der multiplen Krisen, in denen wir uns befinden – die Coronapandemie, die grassierende Wohnungsnot oder die explodierenden Lebensmittel- und Energiepreise, die eben auch schon angesprochen wurden –, erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns zu Recht, dass wir mit dieser Situation verantwortungsvoll umgehen und hier echte Lösungen diskutieren statt Schaufensteranträge.

Wir leben heute in schweren Zeiten. Diese Krisen treffen nicht alle Menschen in Berlin gleich. Sie treffen die von Armut betroffenen Berlinerinnen und Berliner besonders hart. – Ich habe eben schon einige Zahlen genannt. – Sie treffen die 100 000 Alleinerziehenden, von denen 40 000 armutsgefährdet sind, sie treffen die über 156 000 armen Kinder und Jugendlichen, sie treffen die Seniorinnen und Senioren, deren Armutsgefährdung auf 17 Prozent explodiert ist, und sie treffen zunehmend auch die Berlinerinnen und Berliner mit Migrationsgeschichte, deren Armutsgefährdung dreimal so hoch ist wie bei Menschen ohne Migrationsgeschichte. Das bildet sich auch bei den Tafeln ab. Kamen Anfang des Jahres noch etwa 40 000 Menschen je Monat zu den Tafeln und früher vornehmlich Erwerbslose und Erwerbsminderungsrentnerinnen, sind es heute mit 70 000 fast doppelt so viele. So ist nach einer Studie des DIW Berlin mittlerweile jeder vierte Tafelbesucher erwerbstätig; 11 Prozent arbeiten sogar Vollzeit.

Die Armut in Berlin verändert ihr Gesicht. Sie betrifft viele aus allen Altersschichten und zunehmend auch aus mehr Einkommensschichten. Diese Entwicklung ist zutiefst beunruhigend und muss ein Weckruf für uns sein, alles zu tun, um Armutsbetroffene besser zu unterstützen. Am Helene-Weigel-Platz in Marzahn zeigt sich diese Entwicklung bereits in aller Deutlichkeit. Einmal monatlich stehen hier Hunderte Menschen aus der Nachbarschaft für eine Tüte Lebensmittel an. Diese Bilder armer Menschen, die für eine Tüte Lebensmittel anstehen müssen, sind für mich unerträglich, weil ein Sozialstaat solche Zustände nicht zulassen darf. Gleichwohl bin ich sehr froh über das Engagement der vielen Ehrenamtlichen und des Deutschen Roten Kreuzes, um von Armut betroffenen

Menschen ganz konkret zu helfen und Lebensmittel auch der Tafel zu verteilen.

Umso verwunderter frage ich Sie als antragstellende Fraktion: Warum bringen Sie in das Plenum einen Antrag zu den Berliner Tafeln ein, während zeitgleich Herr Lindemann in einer Schriftlichen Anfrage an den Senat aus meiner Sicht sehr deutlich macht, dass für ihn nicht die Verteilung von Lebensmitteln in Marzahn im Vordergrund steht, sondern Brandschutzfragen, um diese Verteilung zu verhindern. Das finde ich heuchlerisch.

[Beifall von Tobias Bauschke (FDP), Lars Düsterhöft (SPD), Stefan Förster (FDP) und Stephan Machulik (SPD)]