Protocol of the Session on October 20, 2022

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Koalition! Es ist wichtig, den Strafrechtsschutz bei Straftaten gegen die betriebliche Mitbestimmung zu schärfen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Ich muss allerdings nach Lesen des Antrags und insbesondere der Begründung sagen, es ist etwas dürftig dort, sich auf Medienberichte zurückzuziehen, alte Fälle. Sie

(Damiano Valgolio)

haben sogar noch Schlecker drin. Deswegen bin ich Ihnen dankbar, dass Sie eben in Ihrer Rede die aktuelleren Fälle benannt haben. Ich dachte schon: Mensch, mehr haben Sie da nicht? – Es gibt ganz aktuelle Fälle, wie wir alle wissen und wie Sie eben richtig aufgezählt haben. Das finde ich etwas dürftig. Medienberichte sind natürlich sicherlich ein Indikator. Sie haben jetzt eben noch mal ergänzt, dass Sie das auch in Ihrer beruflichen Praxis als Rechtsanwalt so erlebt haben. Auch das ist unbestritten. Ich glaube nur, dass es etwas wenig ist, um daraus schon ganz konkrete Forderungen aufzumachen. Dass wir in der Sache sagen, dass wir an das Thema heran müssen, dass wir etwas eruieren müssen, da sind wir an Ihrer Seite.

Ich glaube, es wäre sinnvoll, dieses Thema im Rechtsausschuss, vielleicht mit einer Anhörung, zu verbinden, vielleicht auch mal mit Zahlen. Ich habe gedacht, dass ich auch mal schaue, wenn Sie sich auf die Presse berufen, was das „ND“ so schreibt. Das „ND“ hat geschrieben, es gab seit 2012 38 Ermittlungsverfahren. Das ist doch relativ dünn, um zu sagen: Ich will hier spezialisierte Staatsanwälte. Im Jahr 2021 waren es wohl drei Fälle, im Jahr 2020 neun und im Jahr 2019 vier. Das hört sich nicht viel an. Dahinter stehen aber natürlich viele Menschen.

Ich möchte aber an der Stelle der Ehrlichkeit und Vollständigkeit halber an unsere Debatte erinnern, wo wir hier gesagt haben, wir brauchen auch entsprechende spezialisierte Staatsanwaltschaften beim Thema Klimakleber. Da haben Sie gesagt, das ist nicht schlimm. Da stehen aber mittlerweile 600 Straftaten, 600 Ermittlungsverfahren im Raum, und es stehen am Ende mehrere 10 000 betroffene Berliner da. Da haben Sie gesagt, es ist nicht notwendig. Das bekommt die Staatsanwaltschaft hin.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Insofern würden wir uns an dieser Stelle nicht in dieses pauschale Schelten der Staatsanwaltschaft einreihen. Sie haben das dann auch, eher als persönliche Meinung, als dass es empirisch belegt wäre, gesagt, die Staatsanwälte haben davon keine Ahnung. Ich glaube schon, dass die Staatsanwaltschaft Berlin davon Ahnung hat. Ob diese Ahnung nicht noch geschärft werden kann durch Weiterbildung, das ist eine spannende Frage. Insofern werden wir dieses Thema gern mit Ihnen im Rechtsausschuss diskutieren. Wir werden das Thema gern noch einmal beraten und uns intensiv anschauen. Ich würde dazu dann eine Anhörung im Rechtsausschuss beantragen und freue mich, da auch Erkenntnisgewinne mitzunehmen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dörstelmann das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist es ein wichtiges Thema, das wir hier heute besprechen. Es geht um die betriebliche Mitbestimmung und auch um ihre Durchsetzung. Die Durchsetzung ist erforderlich. Insofern ist der Antrag, der sich hier auf die Staatsanwaltschaft und § 119 Betriebsverfassungsgesetz bezieht, natürlich nicht nur ein Detail, sondern er erfasst das Große und Ganze. Herr Kollege Valgolio hat es eben schon gesagt. Er hat es eine Säule der Demokratie in diesem Land genannt. Ich sage jetzt einmal: Es ist auch ein Eckpfeiler des Aufstiegs dieser Republik gewesen. Es ist ein Eckpfeiler der Erfolgsgeschichte Deutschlands, dass es die betriebliche Mitbestimmung nach dem Krieg in ausgeprägter Form gegeben hat.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP]

Sie hat zusammen mit der Arbeit der Gewerkschaften natürlich dafür gesorgt, dass wir hier einen Wohlstand in der Breite haben, dass wir einen guten Arbeitsschutz haben, dass wir gute Arbeitsbedingungen und hohe Standards haben. Ich glaube, man darf gar nicht unterschätzen, was das auch für die Wirtschaft und ihre Wettbewerbsfähigkeit selbst bedeutet. In der Zeit des Fachkräftemangels sind attraktive Arbeitsbedingungen und hohe Standards ein hohes Gut und ein Standortvorteil.

[Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Betriebliche Mitbestimmung, das ist auch ein Stück Demokratie in der Wirtschaft. Sie schützt natürlich auch vor einem unfairen Wettbewerb, wenn sie durchgesetzt wird. Sie schützt vor Dumping, und sie schützt vor anderen Nachteilen auch zulasten der Wirtschaft. Sie ist aber natürlich auch gefährdet. Betriebliche Mitbestimmung ist nicht immer bequem, aber sie ist vor allem aus einer anderen Richtung aktuell gefährdet. Wir erleben Zeiten, in denen große Geldmengen anonym verwaltet und wahnsinnig schnell bewegt werden können. Glasfasertechnik ermöglicht die Verschiebung von Milliarden als Transaktion in Millisekunden.

Das bedeutet, dass sich anonym eingesammeltes Geld auch immer weiter vom Unternehmen selbst, in das investiert wird, entfernt. Das bleibt nicht ohne Folgen für die Unternehmen, die mehr und mehr zum Spielball dieser Geldmengen werden, die zur Handelsware werden. Es bleibt auch nicht ohne Folgen für die Belegschaften in den Unternehmen und ihre Möglichkeiten, aus diesen Unternehmen etwas mit heraus zu gestalten.

(Alexander Herrmann)

Dann haben wir eine zweite Entwicklung. Wir haben die Entwicklung, dass viel Geld, viel Vermögen in der Hand weniger liegt. Diese Entwicklung explodiert natürlich gerade. Beispiele wie Zuckerberg, Bezos oder, hier natürlich sehr gut bekannt auch aus unserer Umgebung, Elon Musk, zeigen, wie schnell Vermögen angesammelt werden und in der Hand einiger weniger verbleiben kann. Die Gestaltungsmacht, da liegt an der Stelle dann auch die Gefahr auf dem Wort „Macht“, die damit verbunden ist, dürfen wir nicht unterschätzen. Wenn Menschen in der Lage sind, als Einzelne ohne demokratische Kontrolle über ganze Schicksalsgemeinschaften zu entscheiden vor Ort, Tausende von Menschen, die davon betroffen sind, dann brauchen wir demokratische Kontrolle für solche Vorgänge.

[Beifall bei der LINKEN und der FDP – Beifall von Alexander Herrmann (CDU)]

Das ist in unserer Rechtsordnung schon lange verankert für den Begriff des Eigentums. Eigentum verpflichtet. Das stellt hier niemand infrage, und es ist gut. Das wird auch gelebt in unserer Gesellschaft. Aber was ist mit der Situation „Vermögen verpflichtet“. Die haben wir gesetzlich nicht so implementiert. Daraus erwachsen die Risiken und ein Konfliktfeld, in dem es heißt „Vermögen versus Demokratie“. An der Stelle sage ich ganz klar, diese Koalition steht in diesem Konfliktfeld an der Seite der Demokratie. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die AfD-Fraktion hat der Abgeordnete Vallendar jetzt das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir beraten heute einen Antrag, der den Senat auffordern soll, eine spezialisierte Zuweisung bei der Staatsanwaltschaft für Straftaten gegen das Betriebsverfassungsgesetz vorzunehmen. Hintergrund des Antrags der Koalition dürften Pläne des Arbeitsminister Hubertus Heil sein, das Betriebsverfassungsgesetz so zu ändern, dass die Justiz bei Verdacht auf Störung oder Behinderung einer Betriebsratswahl von Amts wegen ermitteln kann, ohne dass eine Anzeige vorliegen muss. Aus dem Antragsdelikt soll ein Offizialdelikt werden. Die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes steht aber noch aus.

Nun will man auf Landesebene schon Handlungen einleiten, um diesen Vorgang zu begleiten. Lassen Sie mich vorab festhalten, dass wir dem Antrag gegenüber neutral eingestellt sind. Im Ergebnis ist der Schutzzweck des § 119 Betriebsverfassungsgesetz begrüßenswert. Arbeitgeber, die die Gründung eines Betriebsrats unterbinden,

riskieren zu Recht, bestraft zu werden. Das Strafrecht ist in diesem Falle aber die absolute Ausnahme. Die Koalition vermag es nicht, in ihrer Antragsbegründung zu schildern, warum es erforderlich ist, eine eigene Zuweisung innerhalb der Staatsanwaltschaften einzurichten. Der pauschale Verweis, dass es sich um starke Überschneidungen zum Arbeitsrecht handele und daher Fachwissen der Staatsanwälte benötigt wird, überzeugt allein nicht.

[Beifall bei der AfD]

Ich hätte mir beispielsweise gewünscht, dass Sie vorab den Senat fragen, wie hoch das Fallaufkommen bei der Berliner Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit § 119 des Betriebsverfassungsgesetzes ist und von wie vielen Fällen wir hier eigentlich jährlich reden.

[Zurufe von Alexander Herrmann (CDU) und Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

In Ihrer Antragsbegründung gehen Sie, wie gesagt, tatsächlich noch auf Schlecker ein; das fand ich äußerst unterhaltsam.

Dennoch: Es gibt vermehrt Stimmen aus der Anwaltschaft, aber auch aus den Gewerkschaften, die die Zuweisung zu einer spezialisierten Staatsanwaltschaft für sinnvoll erachten. Es wäre gut, zu erfahren, wie das die Staatsanwaltschaften selbst sehen, auch innerhalb des Ausschusses im Wege einer Anhörung. Insgesamt trägt die aktuelle Rechtslage zu einer unguten Entwicklung bei, denn in nur noch 9 Prozent aller vom Gesetz erfassten Betriebe existiert heute ein Betriebsrat. Vor 20 Jahren war das noch in 12 Prozent der Fall. Da in größeren Betrieben häufiger als in kleinen eine Wahl zustande kommt, werden gut 40 Prozent aller vom Gesetz erfassten Arbeitnehmer durch einen Betriebsrat vertreten. Der Betriebsrat ist damit ein Minderheitsphänomen. Vor 20 Jahren waren noch über 50 Prozent der Arbeitnehmer vertreten.

Wie ich aber schon angesprochen habe: Das Strafrecht allein ist nicht das passende Mittel, um gegen Arbeitgeber vorzugehen, die Betriebsratsgründungen behindern. Meist sind einstweilige Verfügungen vor dem Arbeitsgericht sinnvoller, denn wenn zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern das Tischtuch nicht komplett zerschnitten ist, ist das besser, denn man will sich danach ja noch in die Augen schauen können. Spätestens wenn Strafverfahren eingeleitet werden und strafrechtliche Verurteilungen folgen, ist der Zug jedenfalls abgefahren.

[Beifall bei der AfD]

Deswegen bietet sich der zivilrechtliche Prozessweg eher an. Strafrechtliche Verfahren sollten die Ausnahme bilden.

Eines gilt es auch zu bedenken: Sollte es tatsächlich ein Offizialdelikt, nicht nur ein Antragsdelikt werden, dann besteht auch noch die Gefahr, dass wir eine Art Arbeitspolizei durch Dritte erleben, dass sich also Dritte berufen

(Florian Dörstelmann)

fühlen, Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft einzureichen und sich in das Verfahren einzumischen. Wie gesagt, eine geringe Gefahr.

Wir sind dem Antrag gegenüber offen eingestellt. Wir würden aber doch gerne hören, was die Berliner Staatsanwaltschaften dazu zu sagen haben, ob sie das für sinnvoll erachten. Eine spezialisierte Staatsanwaltschaft bei nur drei Fällen im Jahr halte ich für völlig übertrieben. Da sollten Sie sich lieber bei den Klima-Klebern mit mehr als 600 Verfahren Gedanken machen, ob wir dafür nicht eine spezialisierte Staatsanwaltschaft brauchen.

[Beifall bei der AfD]

Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der AfD]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Vandrey das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich beginne meine Rede mit einem Beispiel. Es wurde von meinem Kollegen Valgolio eben auch schon erwähnt, jetzt aber noch einmal in aller Deutlichkeit: Ein bekannter Lieferdienst in Berlin, jeder kennt ihn – Essen bestellen und zehn Minuten später soll es da sein –,

[Holger Krestel (FDP): Ha, ha!]

der Lieferdienst Gorillas war schon mehrfach in den Schlagzeilen,

[Stefan Förster (FDP): Ich kenne nur Orang-Utan!]

meist unrühmlich wegen schlechter Arbeitsbedingungen. Das Unternehmen steht aber nicht nur wegen seiner schlechten Arbeitsbedingungen in der Kritik. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden aktiv daran gehindert, einen Betriebsrat zu gründen. Nach mehreren Versuchen sollte der Betriebsrat jetzt ganz aktuell endlich gewählt werden. Das Unternehmen versuchte erst, die Wahl abzubrechen. Das Berliner Arbeitsgericht entschied dann: Die Wahl muss stattfinden. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von Gorillas hatten sich aber zu früh gefreut. Es wurde nichts mit der demokratischen Mitbestimmung im Betrieb. Das Unternehmen hatte sich zuvor in viele einzelne Unternehmensbestandteile aufgeteilt und argumentierte, ein Betriebsrat dürfe nicht für mehrere Unternehmen zuständig sein. Ergo: Das Landesarbeitsgericht musste die Entscheidung aufheben. Der Betriebsrat war außer Gefecht gesetzt. Sehr bedauerlich!

Mit solchen und anderen Winkelzügen macht sich in Deutschland ein Phänomen breit, das man früher hauptsächlich aus den USA kannte, das sogenannte Union Busting, auch Betriebsrat-Bashing genannt. Unternehmen

versuchen gezielt, betriebliche Mitbestimmung zu verhindern. Die Mittel sind mal mehr, mal weniger subtil. Mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sich unangepasst – in Anführungszeichen – verhalten, wird schlecht umgegangen. Es werden bewusst Vorwände aufgebaut, um unliebsame Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu schikanieren. Es werden teils sogar Kündigungsgründe inszeniert. Manchmal wird einfach fristlos gekündigt, in der vollen Absicht, sich dann vor dem Arbeitsgericht zu streiten. Der Arbeitnehmer, die Arbeitnehmerin bekommt dann zwar eine Abfindung, aber das Unternehmen ist den unliebsamen Menschen los. So etwas muss verhindert werden.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]