Ich bin in Absprache mit meinem Fraktionsvorsitzenden noch mal hochgegangen und habe mir Ihren CDU-Antrag vorlegen lassen und gelesen.
[Oh! von der CDU, der AfD und der FDP – Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP – Zurufe von der CDU]
Das hat mich ein wenig erschreckt, meine Damen und Herren! Also bei den Juristen nennt man das „exceptio mandantis“, in der Presse würde ich das reißerisch nennen. Da steht schon im Antragstext: 1 000 Lehrer zu wenig bedeutet 20 Schulen werden geschlossen. – Da steht: 26 000 Unterrichtsstunden fallen aus, 12 000 Schüler werden gar nicht beschult. – Das wird alles nicht passieren, das wissen Sie, aber um mediale Aufmerksamkeit zu erreichen, schreiben Sie so etwas auf. Der Kernvorwurf, den ich da gelesen habe, ist nur einer: Die Senatorin hat erklärt, es fehlen 1 000 Lehrer. – Sie sagen nicht mal selbst, dass sie dafür Verantwortung hat und dass sie das herbeigeführt hat. Ihr Vorwurf ist – schwarz auf weiß –, dass sie das gesagt hat, dass sie einen analytischen Satz geprägt hat, und dazu will ich heute reden, und zwar will ich Ihnen zustimmen. Ich will Ihnen ausdrücklich zustimmen.
Ich bin gerade auf der deskriptiven Ebene und stelle mir hinterher die Frage, warum die Senatorin diesen Satz gesagt hat. Gucken Sie mal im Internet und googeln Sie mal die Schulstatistik. Das habe ich übrigens auch gemacht, es dauert vielleicht eine Minute. Da werden Sie folgende Befundung erleben: Im System der Berliner Schulen gibt es 15 500 Klassen. – Das habe ich gar nicht gewusst, jetzt weiß ich das.
Du hättest das wahrscheinlich gewusst, Paul. Du kannst ja hinterher über 40 Jahre SPD-Politik reden.
Ich habe das Gefühl, dass die FDP zu dem Antrag in der Sache und in seiner Aufmachung eine ähnliche Position wie ich hat, sie kann es nur nicht so scharf formulieren.
Diese 15 500 Klassen – und das nenne ich statistische Signifikanz – fahren wir in Berlin mit einer Klassenfrequenz von unter 25 – das ist der Durchschnitt –, im Grundschulsystem mit 22. Das ist kilometerweit weg von den Qualitätsvorgaben des Gesetzes. Jetzt will ich mal etwas Ketzerisches sagen und ein bisschen Ärger auf mich ziehen – auch von unseren Bildungspolitikern: Der Satz „Die Ukrainekrise bewältigen wir, indem wir einen Stuhl dazustellen“ ist falsch. Nach der Statistik, die ich gerade gesehen habe, müssten wir 2,7 Stühle aus den Klassen rausnehmen. Das ist die Wahrheit.
Und nun gibt es ganz sicher da eine Teilungsstunde und dort ein Bedürfnis, irgendwas zu klären, und Inklusionsklassen und dergleichen mehr. Das ändert aber nichts am Befund. Jawohl, in Marzahn habe ich etwas von Klassen mit 36 Schülern gehört. Ich kenne auch welche, und nicht jeder findet seinen Schulplatz der Wahl, weil er nur drei ankreuzen kann. Das habe ich gelesen. In meinem Wahlkreis musste ein elfjähriges Mädchen auf einmal einen Notendurchschnitt von 1,0 haben. Das hat mich sehr nachdenklich gemacht. Aber das ändert nichts daran, dass wir in über 15 000 Klassen deutlich unterhalb – unterhalb! – der gesetzlichen Vorgaben liegen, teilweise sogar – und das ist reine Mathematik – muss es also in Berlin Schulklassen geben, die hierbei sogar gesetzeswidrig tief liegen. Tief! Ich verstehe noch nicht ganz – werde mich aber bemühen, das zu verstehen –, wie man daraus einen Lehrermangel von 1 000 Personen ableiten kann.
Das habe ich nicht gesagt, Herr Kollege Melzer. Ich weiß, dass Sie mir das gerne in den Mund legen wollen. Es ist jedenfalls erst mal unwahrscheinlich, dass es das gibt.
Jetzt kommt die Frage: Warum sagt dann die Senatorin so etwas? Warum formuliert die Senatorin den von Ihnen inkriminierten Satz, der dann zu Ihrer Conclusio führt: Wir müssen 20 Schulen schließen – und dergleichen, also zu Ihrer reißerischen Aufmachung?
Da gibt es erst mal nur eine Antwort: Die Senatorin wirft sich für ihren Sektor ins Zeug, so wie das unsere Fachpolitiker tun. Die wollen nicht, dass wir umverteilen. Die wollen nicht, dass wir Klassen verkürzen. Objektiv ist das jedenfalls noch nicht, und es gibt einen Vergleichsmaßstab. Das ist die Statistik der KMK. Dort wird nicht
gefragt, wie viele Inklusionsklassen es gibt, und dergleichen mehr, dort wird nach der Relation von Schülern und Lehrern gefragt, und das können Sie sich mal ansehen. Im Grundschulbereich sind wir auf Platz fünf, in den weiterführenden Schulen sind wir auf Platz drei und im Gymnasium unangefochten auf Platz eins. Wir geben jedes Jahr über 1 Milliarde Euro für die Schulbauoffensive aus. Wir haben pro rata die meisten Lehrer im System. Wir haben kein Inputproblem, sondern möglicherweise ein Outputproblem.
Und jetzt noch etwas Emotionales: Das ist ja wahrscheinlich der eigentliche Grund, Charakterdebatten und was hier alles so durch die Flure führt. Ich stelle jetzt mal eine Frage: Ist die erfahrene Berufspraktikerin Busse nach unseren Maßstäben, nach meinen fatzkenhaften Maßstäben gewöhnungsbedürftig? – Ja, ohne jeden Zweifel!
Aber über wen sagt das eigentlich etwas aus? – Über unseren Habitus und unser Sendungsbewusstsein oder über die Frau, die sich hier reinhängt in diesen Moloch und das Beste für unsere Kinder erreichen will?
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Schneider, vielleicht wäre ein Fachpolitiker doch ganz gut gewesen.
Sie haben gerade den Berliner Schulen attestiert, dass sie unterfrequent belegt sind und dass alleine im praktischen System anscheinend ganz viele Plätze frei sind. Dann haben Sie mit Sicherheit eine Antwort darauf, dass Ihre Senatorin letzte Woche Freitag 200 Schulbescheide ohne Schulplatzzuweisung rausgeschickt hat.
Ich stelle Ihnen die Frage: Ist Ihr Angebot, Klassen zusammenzulegen und damit Lehrer freizumachen? Ist Ihr Angebot, die Brennpunktzulage zurückzunehmen? Denn Sie haben gerade dem Berliner Bildungssystem attestiert, dass es unterfrequent läuft und dass wir ganz viele qualifizierte Pädagogen zur Verfügung haben, und vielleicht können Sie an der Stelle noch einmal sagen, was Sie mit „Moloch“ im Berliner Bildungssystem meinen. Das, was
wir Frau Senatorin Busse vorwerfen, ist das, was Sie gerade als parlamentarischer Geschäftsführer bestätigt haben, nämlich dass es für diese Bildungsmisere keine Lösungsansätze aus der SPD-Fraktion und aus dem Bildungssenat heraus gibt.
Ich wiederhole gerne noch einmal: Wie viele abgeordnete und freigestellte Lehrer haben Sie? Was ist Ihr Angebot an Lehrer, Schüler und Eltern, die uns gerade alle zusehen und die eine Antwort haben möchten, für 1 000 fehlende Lehrer und für 200 fehlende Schulplätze? – Vielen Dank!
Frau Präsidentin! Frau Kollegin! Ich bedanke mich für Ihre Zwischenbemerkung, wie ich freilich den Eindruck hatte, dass das schon vorbereitet war. Ich habe mitnichten gesagt, dass wir Klassen zusammenlegen. Ich habe auch nicht gesagt, dass wir ein Luxusproblem haben.
Ich habe nicht gesagt, dass wir zu viele Lehrer in der Stadt hätten oder dass es keine Probleme mit überfrequentierten Klassen gäbe. Ich habe ein Erkenntnisbedürfnis.
Ich will Ihnen mal einen konkreten Vorschlag machen: In der Schule machen wir die Probe, das lernen wir doch alle. Ich mache jetzt mal Ihre Probe. Ich habe mir auch Ihre Verbesserungsvorschläge durchgelesen. Die decken sich zufälligerweise – das stand sogar in der Zeitung – mit dem, was die Bildungssenatorin selbst gesagt hat. Wie leiten Sie daraus jetzt eine Missbilligung ab? – Wenn ich das mal dialektisch betrachte, missbilligen Sie sich inhaltlich gerade selbst.
Nein, wir haben vielleicht auch miteinander etwas zu klären. Wir haben heute noch einen Gesetzesantrag; ich meine, mein Fachbereich weiß – das habe ich schon angekündigt –, dass ich da ein bisschen frotzeln werde. Logischerweise beabsichtige ich, auch ein bisschen Ärger
Das ist so ein Antrag, wo wir von Gesetzes wegen Befindlichkeitsstörungen regeln. Welche Gruppe hat wie viele Stimmen? Ich habe schon wieder vergessen, wer da gerade benachteiligt wird oder nicht.
Ich will Ihnen einmal ein Bild skizzieren, in welchem Umfeld Sie hier mit so einer Polemik versuchen zu verfangen; deswegen wird Ihnen da niemand in der Sache substanziell beitreten. Nach den Maßstäben – und ich bin mir sehr sicher, dass meine Schätzung präziser ist, als das, was Sie mit Ihren 20 000 Schulstunden würden ausfallen usw. polemisieren –, wie wir Schule gerade demokratisieren – ich war ein bisschen erschrocken über unseren Zehnjährigen, der als Klassensprecher beschlossen hat, Hausaufgaben abzuschaffen; da wusste ich, da habe ich als Politiker Klärungsbedarf –,
nach den Maßstäben der schulräumlichen Öffnung, müsste dieses Abgeordnetenhaus zwei Volkshochschulfilialen und drei Jugendclubs implementieren, 21 Gremien bilden und von Gesetzes wegen festlegen, dass die Vizepräsidentinnen und der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses und die acht Fraktionsvorsitzenden an den wöchentlichen Sitzungen persönlich teilnehmen.
Das ist das Umfeld, in dem wir uns bewegen. Da haben Sie es natürlich einfach, so einen Punkt zu verschießen. Ich glaube, ich habe hinreichend begründet, warum wir Ihren Antrag weder ernst nehmen noch unterstützen werden.