Protocol of the Session on March 23, 2017

Lange, fast zu lange wurde auf Zeit gespielt. Das gilt insbesondere für die CDU/CSU. Die Rehabilitierung und Entschädigung der Verurteilten ist ein wichtiges Signal für über 50 000 Opfer.

Liebe FDP! Die Schaffung eines Härtefonds, der Fälle auffängt, bei denen die gesetzlich vorgesehene Pauschale nicht greift, und auch eine Rente wären wünschenswert. Wichtig ist mir jetzt aber, dass die Betroffenen schnell zu ihrem Recht kommen und nicht wieder warten müssen. Sie haben schlichtweg keine Zeit mehr. Das bedeutet, dass die Verfahren der Entschädigung sowie die Verabschiedung des Gesetzes noch vor der Sommerpause erfolgen müssen. Ich wünsche mir außerdem eine pauschalisierte Form der Entschädigung, keine Einzelfallregelungen. Hier würden wieder die Opfer nur unnötig belastet, sie müssten sich wieder und wieder erklären – Akten sind inzwischen zum Teil vernichtet – und es würde wieder dauern.

Ganz generell muss das Gesetz jetzt schnell vorangebracht werden, damit das Gesetzgebungsverfahren noch vor der Sommerpause, noch vor der Bundestagswahl abgeschlossen wird. Es taugt nicht zum Wahlkampf!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Zum Abschluss: Eine Bemerkung sei mir bitte noch erlaubt: Häufig werden dem Senat und der Koalition besonders von der rechten Seite dieses Plenarsaals vorgeworfen, wir würden uns nicht um die wirklich wichtigen Dinge kümmern, sondern nur unser Klientel bedienen. Das habe ich heute bereits des Öfteren gehört. Es ist genau diese Sichtweise, die ganze Gruppen der Gesellschaft ausgrenzt und Gleichstellung verhindert. Die Koalition setzt hier ein Zeichen für Gleichstellung und Akzeptanz. Berlin ist vielfältig, Berlin ist bunt, Berlin ist Regenbogenhauptstadt!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir treten für ein Klima in der Stadt ein, das niemanden ausgrenzt, unabhängig davon, wen er liebt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Evers das Wort. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen, insbesondere liebe Kollegen der FDP-Fraktion! Lieber Sebastian Czaja! Ich bin Ihnen sehr dankbar für die gute Gelegenheit, an dieser Stelle einen späten, aber doch wichtigen Erfolg der großen Koalition, der Vorgängerkoalition, würdigen zu können. Einige von Ihnen werden sich daran erinnern, dass ich bereits in früheren Debatten hier in diesem Haus, aber nicht nur an dieser Stelle, immer wieder und mit persönlicher Leidenschaft dafür geworben habe, die nach § 175 des BRD- oder nach § 151 des DDR-Strafgesetzbuchs verurteilten Homosexuellen umfassend zu rehabilitieren und auch über eine angemessene Entschädigung nachzudenken. Beide Paragrafen stehen nach meiner festen Überzeugung nicht nur für ein dunkles Kapitel deutscher Rechtgeschichte, vielmehr sind auch die auf ihrer Grundlage gefällten Urteile aus moralischen, gesellschaftlichen und politischen Gründen zwingend aufzuheben und die Opfer zu entschädigen. Über 50 000 Menschen wurden in Deutschland auf der Grundlage des § 175 StGB seit 1945 strafrechtlich verfolgt – ich hebe jetzt nicht nur auf die Urteile ab –, aber mindestens die Urteile haben Existenzen zerstört und ihre Opfer oft für Jahrzehnte stigmatisiert und ins gesellschaftliche Abseits gedrängt. Wer sich mit Zeitzeugen, mit Betroffenen unterhält, der weiß, dass das bis heute nachwirkt. Sie leiden bis heute darunter, kein ausdrückliches und ernsthaftes Zeichen der Anerkennung dieses Unrechts von Bundesregierung und Bundestag – über eine Entschuldigung hinaus – erhalten zu haben.

Wir waren uns in unserer großen Koalition, liebe Kollegen von der SPD, absolut einig, dem ein klares Signal aus Berlin entgegenzusetzen.

[Ülker Radziwill (SPD): So ist es!]

Ich bin insbesondere unserem früheren Justizsenator, Thomas Heilmann, sehr dankbar, dass auch er sich diesem Anliegen ganz persönlich verpflichtet und im Bundesrat mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern darauf hingewirkt hat, dass nunmehr mit dem gestrigen Tag ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegt, der sich dieses Berliner Anliegen zu eigen macht. Engagement, auch aus diesem Haus heraus, bleibt also nicht ohne Wirkung. Das ist eine gute Nachricht, insbesondere für die Opfer der §§ 175 und 151.

[Zuruf von Ülker Radziwill (SPD)]

Ich weiß sehr wohl – das kann man kritikwürdig finden, aber ich habe dem Grunde nach dafür Verständnis – um die sehr schwierige und grundsätzliche rechtspolitische Debatte, die dieser Entscheidung voranging. Es handelt sich nämlich um eine historische Entscheidung, die gestern getroffen wurde; es ist keine x-beliebige. Urteile aufzuheben, die nach Inkrafttreten des Grundgesetzes ausgesprochen wurden, ist keine rechtspolitische Selbstverständlichkeit. Umso klarer und deutlicher ist das Zeichen, das das Bundeskabinett gestern gesetzt hat. Es ist

(Melanie Kühnemann)

ein notwendiges politisches Zeichen, und es hat etwas mit ernsthafter Wiedergutmachung zu tun.

Dabei darf man nicht vergessen: Es ging den Opfern vielfach nicht um Geld. Aber gerade weil es ihnen nicht nur um Geld ging, sondern um die Ernsthaftigkeit der Wiedergutmachung, finde ich es umso wichtiger, dass die Bundesregierung dennoch ihre Verpflichtung zur Entschädigung für erlittenes Unrecht anerkennt und eine, wie ich finde, gute Lösung für die Umsetzung gefunden hat.

Man kann nun gerne darüber streiten, ob der alternative Weg, den Sie mit Ihrem Antrag vorschlagen – eine Opferrente – auch eröffnet werden sollte. Das wird in den zuständigen Ausschüssen bei der Beratung dieses Antrags geschehen. Ich finde aber, noch viel mehr gehört es in die Ausschüsse des Deutschen Bundestages, denn dort wird mit diesem Gesetz der Bundesregierung nun umzugehen sein. Die Entscheidung treffen nicht wir im Abgeordnetenhaus von Berlin.

Für heute stelle ich aber fest, dass die Bundesregierung mit dem Rückenwind der großen Koalition aus Berlin eine richtige, historische Entscheidung getroffen hat. Diese Gerechtigkeit haben die Betroffenen verdient. Ich hoffe, dass der Bundestag dieses Gesetz nun auch rasch auf den Weg bringt. Wir tun gut daran, uns zu diesem Zeitpunkt auch noch einmal vor denen zu verneigen, die viel zu lange auf dieses wichtige Zeichen gewartet haben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat der Kollege Schatz das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! „Endlich“ ist das Wort des Tages.

[Beifall von Melanie Kühnemann (SPD)]

Dem Dank des Kollegen Evers an die FDP für die Gelegenheit, hier heute zu sprechen, möchte ich mich anschließen. Ich hatte gesehen, dass Sie einen solchen Antrag eingebracht haben, war dann zuerst etwas traurig, als das erst einmal ohne Beratung durch die heutige Sitzung gehen sollte, und jetzt ist es sogar Priorität geworden. Nun ja, wenigstens etwas!

Wir sprechen hier von über 50 000 Verurteilten in der alten Bundesrepublik nach § 175 und von 1 000 bis 4 000 in der DDR nach § 151 des dortigen Strafgesetzbuches. Das sind abstrakte Zahlen. Ich möchte Ihnen Klaus Born vorstellen. Klaus Born ist Berliner. Er ist im Sommer 1965 als Zwanzigjähriger nach Berlin in ein Hotel in

Neukölln gezogen. Er hatte vorher Geld bei der Bundeswehr gespart. Er lernte im September einen Mann kennen und hatte mit ihm auf einem Parkplatz an der Kantstraße – heute befindet sich dort eine Tankstelle – Sex. Auf einmal blinkten Taschenlampen auf. Die Polizei war da. Klaus Born und sein Partner wurden festgenommen. „Schwule Sau“ war noch die netteste Bezeichnung, die die Polizei gebrauchte. Klaus Born kam vor Gericht und wurde im Oktober 1965 – einen Tag vor seinem 21. Geburtstag – verurteilt. Klaus Born ist bis heute vorbestraft. Er ist heute 72 Jahre alt, und ich möchte, dass Klaus Born seien 73. Geburtstag feiern kann und die Vorstrafe durch den § 175 endlich los ist.

[Allgemeiner Beifall]

Wer sich nicht nur für das Schicksal von Klaus Born interessiert, dem sei die Internetseite des „Archivs der anderen Erinnerungen“ bei der Magnus-HirschfeldStiftung empfohlen, wo Zeitzeugeninterviews mit Männern zu finden sind, die eine Verfolgungsgeschichte durch den § 175 haben. Es handelt sich übrigens um ein Projekt, das durch den Berliner Senat, angestoßen durch die ISV, von 2009 bis 2011 gefördert wurde. Das wurde fortgeführt von der großen Koalition, und das will ich anerkennen. Wir brauchen mehr dieser Zeitzeugeninterviews, denn diese Erinnerungen bringen uns zu dem, was hier heute gemacht wird.

Ich will auch an das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte von 1981 – Dudgeon gegen das Vereinigte Königreich – erinnern. Den Kernsatz dieses Urteils will ich Ihnen – mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin – vortragen:

Obgleich Teile der Öffentlichkeit die Homosexualität als unmoralisch ansehen und durch die Vornahme privater homosexueller Handlungen anderer vielleicht schockiert, beleidigt oder belästigt sein werden, kann dies für sich allein nicht die Anwendung der Strafvorschriften rechtfertigen, solange lediglich Erwachsene in gegenseitigem Einverständnis involviert sind.

Das war der Kernsatz dieses Urteils. Es heißt: Seit 1981 wissen wir, dass die Strafbarkeit einvernehmlicher Homosexualität zwischen Erwachsenen gegen die Europäische Konvention für Menschenrechte verstößt, mithin menschenrechtwidrig ist. Trotzdem hat es in Deutschland bis 1994 gedauert, bis der § 175 aufgehoben wurde. Es waren 1980 immerhin Aktivisten wie Corny Littmann, die in Hamburg durch das Einschlagen von halbdurchlässigen Spiegeln in öffentlichen Toiletten auf die weiterhin andauernde Verfolgung homosexueller Männer durch die Polizei hingewiesen haben.

Übrigens hatte die FDP 1980 zum ersten Mal in ihrem Wahlprogramm die Forderung nach der Aufhebung des § 175. Ich will aber auch daran erinnern: Seit 1980 – und auch davor – war die FDP 18 Jahre und dann noch einmal 4 Jahre in der Bundesregierung und hat immer den

(Stefan Evers)

Justizminister bzw. die Justizministerin gestellt. Jetzt mit der solchen Erkenntnis, dass es notwendig ist, zu kommen, finde ich ein bisschen zweifelhaft. Vor allen Dingen habe ich selbstkritische Töne an der Stelle nicht gehört.

[Beifall von Anne Helm (LINKE)]

Ich will an der Stelle an eine Debatte von 2013 im Bundestag erinnern – wer nachlesen will: 275. Sitzung, 17. Wahlperiode, 27. Juni. Es ging um Anträge der Grünen und der Linken zu genau demselben Thema. Von der FDP hörten wir damals eher Gründe, weshalb das alles nicht geht.

Letzter Punkt: Für mich kommt es darauf an, jetzt den Gesetzentwurf der Bundesregierung durch das Parlament zu bringen. Ich habe mit Freude zur Kenntnis genommen, dass sich alle Fraktionen im Bundestag darauf verständigt haben, keine weitere Anhörung zu machen, sondern das parlamentarische Verfahren schnell abzuschließen. Wenn die FDP vielleicht ab September wieder im Bundestag ist, hat sie immer noch die Möglichkeit, Gesetzesänderungen zu machen. Auch wir haben weitere Vorschläge, was zum Beispiel eine Kollektiventschädigung für die Homosexuellen angeht, aber jetzt kommt es darauf an, den Gesetzentwurf schnell durch die Parlamente zu bringen. Ich erwarte vom Berliner Senat dazu im Bundesrat eine Zustimmung.

Eine abschließende Bemerkung sei mir gestattet: Wenn jetzt alle Parteien – also auch die CDU – der Meinung sind, dass die Verurteilung einvernehmlicher homosexueller Handlungen gegen die Menschenrechte verstößt, verstehe ich nicht, weshalb wir über die sicheren Herkunftsstaaten Marokko, Tunesien und Algerien reden müssen, wo einvernehmliche Homosexualität immer noch strafbar ist.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die AfD-Fraktion hat Herr Hansel das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete! Liebe Gäste! Der Antrag entspricht dem, was wir als Berliner AfD programmatisch in den Wahlprüfsteinen des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin niedergelegt haben.

[Anne Helm (LINKE): Heuchler!]

Da heißt es unter Punkt 6: Die AfD Berlin erkennt an, dass die Betroffenen rehabilitiert und entschädigt werden sollen. Bundesrechtliche Regelungen sind zu diskutieren. – Die AfD steht voll umfänglich zur eingetragenen Lebenspartnerschaft mit all ihren Rechten und Pflichten.

Die AfD erkennt schwul-lesbische Lebensformen als Ausdruck einer freien Gesellschaft an und steht auch für den Schutz dieser Minderheiten.

[Beifall bei der AfD]

Die AfD ist gegen jedes ergangene Unrecht. Deshalb stimmen wir auch einer Entschädigungslösung voll umfänglich zu. Wir werden in den Ausschüssen sehen, wie das hier passiert. Die bundesgesetzliche Regelung scheint ein wegweisender Weg zu sein.

Natürlich wissen wir auch, dass das erduldete Leid – wie bei all diesen Wiedergutmachungen – nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist – von dem viel zu oft nicht gelebten individuellen Liebesglück vieler Tausender, das nicht mehr rückholbar ist – Herr Schatz hat auf das Schicksal von Herrn Born dankenswerterweise hingewiesen –, nicht zu reden. Aber durch die Rehabilitierung wird zunächst das Hier und Heute der Betroffenen und dann auch der Angehörigen ertragbarer, und es ist ein klarer Akzent für die Zukunft. Dennoch teilen wir auch die Problematisierung des bayerischen Justizministers an dem zu diskutierenden Gesetzentwurf. Er weist darauf hin, dass es sich hierbei um einen absoluten Ausnahmefall handeln muss. Kollege Evers hat auch darauf hingewiesen, dass es diese rechtspolitische Debatte gibt.

Die grundgesetzlich gebotene Privilegierung von Familien, insbesondere mit Kindern, die wir in der familienpolitischen Debatte betonen, bedeutet keine Diskriminierung von anderen Lebensgemeinschaften, die gegebenenfalls kinderlos bleiben.

[Beifall bei der AfD – Joschka Langenbrinck (SPD): Was denn sonst? – Anne Helm (LINKE): Doch!]