Weil aber Wirtschaft und Steuern zusammenhängen, müssen wir auch den Umstand ins Kalkül ziehen, dass sich die Steuereinnahmen in der Zukunft verringern. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber eventuelle Kürzungen werden vermutlich auch vor dem Kulturhaushalt nicht Stopp machen. Daher frage ich: Welche Ideen gibt es für diesen Zeitpunkt? Lassen Sie uns gemeinsam nachdenken, wie auch wir bei eventuell sinkenden Ausgaben mit unserer Förderpolitik die kulturelle Strahlkraft der Stadt erhalten können, damit nicht vorwiegend die in den Genuss von Zuschüssen kommen, die die ideologischen Spielwiesen des Senators am besten bedienen!
Ich bleibe kurz noch beim Thema Ideologie. Bei Linksaußen herrscht aktuell Hochkonjunktur für den Ruf nach dem dauerhaften bedingungslosen Grundeinkommen. Das bedingungslose Grundeinkommen ist weder eine Lösung, noch ist es bezahlbar, noch ist es gerecht, noch stammt es aus der realen Welt. Von besagtem John Maynard – nicht dem von Fontane, sondern John Maynard Keynes – stammt ein berühmter Spruch, den er mit Bezug auf die langfristige Wirkung seiner Theorien einmal geprägt hat: „In the long run we are all dead.“ – Das ist genau der Zeitpunkt, wann das sozialistische Utopia des bedingungslosen Grundeinkommens realisiert werden kann, nämlich „in the long run“. Das ist also der Tag, an dem der von der ganzen Berliner SPD unterstützte Michael Müller zum Bundestagsabgeordneten gewählt wird und der mit dem DFB-Pokalsieg von Hertha BSC zusammenfällt.
Wir wissen dann, dass wir „all dead“ sein werden. Bezogen auf das sozialistische Utopia ist das sogar eine erwägenswerte Option.
Aber anstatt Utopien zu pflegen, Herr Kultursenator, kümmern Sie sich doch lieber um die wahren Aufgaben im Hier und Jetzt, z. B. um die Schaffung von Atelier
räumen. Der aktuelle Bericht macht nicht allzu optimistisch im Hinblick auf die proklamierte Zielrichtung von 2 000 Arbeitsräumen im Jahr 2021. – Ich wünsche keine Zwischenfragen.
Nun zum absolut wichtigsten Thema, nämlich der Ermöglichung von Kulturveranstaltungen in Coronazeiten. Ein Wort vorweg: Ich bin wirklich niemand, der die Risiken auf die leichte Schulter nimmt. Ich habe auch die Eröffnungskonzerte bei den Philharmonikern und im Konzerthaus mit Maske erlebt – als Selbstversuch, den ich überlebt habe. Ich trage auch hier bisweilen Maske, wo es andere nicht tun. Ich rede hier wirklich nicht als Hasardeur. Aber es ist das alarmierende Ergebnis von vielen Gesprächen mit Experten und Vertretern aus der Kulturszene: Herr Lederer! Sie sind viel zu passiv bei der Frage: Wie lassen wir mehr Kultur zu, mehr an Veranstaltungen und Besuchern?
Allein schon, dass Ihre eigene Koalition Sie erst per Protokollerklärung – etwas, das wir sonst von den Brexitverträgen kennen – im Ausschuss dazu bringen musste, endlich ein Rahmenkonzept vorzulegen, ist schon ein Beispiel für diese wunderbare Welt der Schwerkraft – mit Betonung auf schwer.
Es war auch mit unterschiedlicher Deutlichkeit das Ergebnis unserer Ausschussanhörung, dass in Berlin nämlich noch mehr geht. Ich verweise dabei auf die Festspiele in Salzburg, die als erfolgreicher Testlauf auch für Berlin von Relevanz sind. Dort waren weit mehr als 25 Prozent im Saal zugelassen – weit mehr, als in Berlin bisher so ging. Woanders finden auch Konzerte statt, in wilderen Genres als der Klassik, mit klugen Maßnahmen und Ideen. Es gibt ständig neue wissenschaftliche Studien über die Verbreitungswege und die Eindämmung der Pandemie, die sehr aufschlussreich sind. Ich erinnere auch an das Papier von Prof. Willich et alii.
Nun kann man sich hier hinstellen und sagen: Dass die Betroffenen klagen, uns geht alles nicht schnell genug, ist normal, muss aber deswegen nicht richtig sein. – Wenn sich aber die Kulturveranstalter insgesamt ungerecht behandelt fühlen, weil sie den Eindruck haben, sie dürfen in Berlin nicht das, was andere außerhalb der Kultur dürfen, dann ist doch aber etwas faul. Ich glaube, dass man viel flexibler auf örtliche Gegebenheiten und den jeweiligen Charakter von Veranstaltungen eingehen muss. Allgemeine Obergrenzen und undifferenzierte Vorgaben helfen uns da nicht weiter.
Es gäbe noch viele weitere Punkte, z. B. die Suche nach Ideen für die Vernetzung der Kulturszene auch und gerade in Coronazeiten, die Ausgestaltung von Stipendien, coronaresilientere Förderkriterien, den Ausbau von
Ankaufsetats oder – wie letztens in der Anhörung vorgeschlagen – eine gemeinsame Anlaufstelle von Wirtschaft- und Kulturverwaltung. Das wäre besonders interessant für diejenigen, die sonst zwischen den Stühlen sitzen, wie es früher die Klubszene getan hat.
Mit Blick auf die Uhr fasse ich zusammen: Erstens: Jeder kehre vor seiner Tür. Fördermittel waren gut und richtig, sind aber bald erschöpft. Wir brauchen neue Wege und/oder neues Geld. Zweitens: Wir müssen uns darauf einstellen, dass perspektivisch auch die Kulturmittel real weniger werden könnten. Wir sollten uns also rechtzeitig Gedanken machen. Drittens, an den Senator: Machen Sie Ihre Hausaufgaben, z. B. beim Thema Ateliers, und hören Sie auf mit linkspopulistischen Quatsch wie bedingungsloses Grundeinkommen! Viertens: Wir brauchen mehr Flexibilität in der Frage der Ermöglichung von Kulturveranstaltungen. Berlin muss ja gar nicht überall der Vorreiter sein, aber es ist höchst unerfreulich, dass in der Kulturszene der Eindruck entstanden ist, dass man den Senator zum Jagen tragen muss. Fünftens: Wir wissen alle noch nicht, wie die Zukunft genau aussieht. Ergehen wir uns also nicht zu früh in Selbstzufriedenheit! Um das Bild des Zebrastreifens wieder aufzunehmen, über welchen R2G meint, die Kultur sicher an der Hand über die Straße zu bringen: Rechnen Sie bei der Berliner Verkehrspolitik immer damit, dass der Zebrastreifen plötzlich aufhört, obwohl der Bordstein noch in weiter Ferne ist! Es könnte ja jemand über Nacht einen Pop-up-Radweg errichtet haben.
An die Koalition: Klopfen Sie sich nicht schon heute auf die Schulter, klopfen Sie lieber auf Ihren Gehirnkasten, um Ideen zu generieren, wie wir die Vielfalt der Kultur in der Stadt erhalten können! Das können wir nämlich alle nur gemeinsam schaffen, und wir sind noch lange nicht am Ziel. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Dr. Kristin Brinker (AfD) und Dr. Hugh Bronson (AfD) – Steffen Zillich (LINKE): Die Kritik wird nicht stärker, wenn sie komplett ohne Vorschläge vorgetragen wird! – Heiko Melzer (CDU): Dann haben Sie nicht zugehört! – Paul Fresdorf (FDP): Jetzt haben Sie Erwartungen geweckt, Herr Zillich!]
Vielen Dank, Herr Präsident! – Dass Herr Juhnke hier Obergrenzen solch eine pauschale vehemente Absage erteilt, streiche ich mir auf jeden Fall im Kalender an.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sie haben zu Recht erwartet, dass jetzt meine liebe Kollegin Regina Kittler gewohnt engagiert über Kulturpolitik redet, und das hätte sie natürlich auch sehr gern getan.
Ich auch, mir geht es auch so. – Damit wir aber gemeinsam sicher durch die Krise kommen, müssen wir eben auch persönliche Einschränkungen in Kauf nehmen, um Risiken zu minimieren. Deswegen gehe ich davon aus, dass Sie Verständnis dafür haben, dass ich kurzfristig einspringen musste.
Wie wir haben viele Berlinerinnen und Berliner über Monate schmerzhaft erlebt, wie Kultur fehlt, wenn sie plötzlich nicht mehr erlebbar ist: durch den Verlust von Theatern, Ausstellungen, Konzerten, weil sie nicht mehr ins Museum, ins Kino, in den Jazzkeller um die Ecke oder eben in den Club gehen und keine Lesungen mehr zu neuen Büchern erleben konnten. Keine Bücher konnten sie ausleihen, Lesesäle nicht mehr für Studien nutzen. Die Musikschulen und Jugendkunstschulen standen für niemanden mehr offen, und niemand konnte mehr im Chor singen. Das hat gefehlt. – Ich danke allen, die in dieser Zeit trotzdem Verständnis für die Einschränkungen hatten und sie solidarisch mitgetragen haben.
Wem es noch nicht klar war, dem wurde es spätestens jetzt in der Coronakrise klar: Kultur ist gesellschaftsrelevant und essenziell für die demokratische Selbstverständigung unserer Gesellschaft.
Die Coronapandemie verstärkt aber auch im Kulturbereich Probleme, die es schon vorher seit Langem gab: Kultur ist häufig nicht ausreichend finanziert, trotz immenser Verbesserung auf Berliner Landesebene in der laufenden Legislaturperiode mit rot-rot-grüner Regierung. Das Fördersystem wie auch ein Großteil der kulturellen Infrastruktur sind nicht auf Ausfallszenarien wie die aktuelle Pandemie vorbereitet. Die Folgen, insbesondere für freie Künstlerinnen, Künstler und Kulturschaffende, können nicht aufgefangen werden. Kunst und Kultur finden häufig unter so prekären Bedingungen statt, dass jede Krise direkt zur Existenzbedrohung wird. Das ist aber kein Berliner Problem, sondern ein bundesweites.
Die Ursachen sind klar zu benennen: In Reaktion auf die Haushaltsnotlage der Zweitausenderjahre und die Finanzkrise vor zwölf Jahren gab es harte Sparrunden, gerade auch auf Landesebene und in unseren Bezirken. Das rächt sich jetzt. Diese Fehler der Vergangenheit dürfen wir nicht wiederholen. Mit Einsparungen im Kulturetat saniert man keinen Haushalt, man beschädigt so einen
Unsere Aufgabe ist es, Kultur zu erhalten und gleichzeitig alles nur Mögliche zu tun, um sie in Zukunft krisenfest zu machen. Zoë Claire Miller, Sprecherin des BBK, drückte es in einer Anhörung im Kulturausschuss so aus – ich zitiere:
Die Kultur, ihre Fragilität, ihre Systemrelevanz ist dieser Tage in aller Munde, aber ohne entsprechendes Handeln kommt das kollektive Lob für die Kultur dem Klatschen für Krankenpfleger und -pflegerinnen ohne Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen gleich.
Das gilt für den gesamten Kulturbereich. Es gilt für die großen institutionell geförderten Kultureinrichtungen und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Ensembles und Orchester ebenso wie für die vielen selbstständig arbeitenden Kulturschaffenden der freien Szene. Letztere trifft die Krise aber wohl am härtesten.
Bundesweit sind freie Kulturschaffende mangelhaft sozial abgesichert. Befristete niedrig vergütete Arbeitsverhältnisse und der hohe Anteil von Projektförderungen lassen keine Rücklagenbildung zu und stellen sich als extrem krisenanfällig heraus. Die pandemiebedingten Eindämmungsmaßnahmen haben im Frühjahr vielen freischaffenden Künstlerinnen, Künstlern und Kulturschaffenden von einem Tag auf den anderen ihre Arbeitsgrundlage entzogen. Viele sind so innerhalb weniger Wochen in eine existenzielle Notlage geraten. Der Bund hat es zwar in kurzer Zeit geschafft, umfassende Kurzarbeitsregelungen für Angestellte von Betrieben – also auch von Kulturinstitutionen – umzusetzen, für die Soloselbstständigen, und zwar spartenübergreifend und in allen Branchen, gibt es aber bis heute keine entsprechenden Auffanglösungen. Dies ist vor allem ein Versagen – und eine klaffende Lücke – der Bundesregierung.
Aber hier ist das Land Berlin eingesprungen. Die Soforthilfe II aus Landesmitteln hat schnell und unbürokratisch sehr vielen Kulturschaffenden einen Zuschuss gewährt. Dieser Zuschuss ist zwar zeitlich auf einige Monate beschränkt und kann die noch lange andauernden Arbeitsbeschränkungen nicht vollständig überbrücken, aber erstmalig hat eine solche Hilfe auch die Lebenshaltungskosten der Menschen miteingeschlossen. Denn finanzielle Hilfen, die allein auf die Abrechnung von Betriebskosten abzielen, gehen an der Lebensrealität eines großen Teils der selbstständigen Kulturschaffenden völlig vorbei. Ein Großteil der Kulturschaffenden arbeitet frei mit Werk- und Honorarverträgen, selbstständig in Projekten oder hin- und herwechselnd zwischen Selbstständigkeit und Anstellungen. Die meisten erhalten dabei unterdurch
schnittlich wenig Lohn. Die Jahreseinkommen liegen zwischen 8 000 und 17 000 Euro, wobei noch dazu Frauen meist deutlich weniger als Männer bekommen. Deshalb reicht es auch nicht, Kredite zu gewähren. Sie ziehen nur eine später eintretende Überschuldung nach sich. – Ich möchte bitte keine Zwischenfragen.
Die Zahlung von Zuschüssen hingegen ermöglicht ein Weiterarbeiten unter Coronabedingungen und sichert so Kulturorte. Deshalb ist es nur folgerichtig, genau das auch von den Bundesprogrammen einzufordern. Die Linksfraktion fordert entsprechend der am 5. Juni 2020 auf Initiative der Länder Berlin und Bremen beschlossenen Entschließung des Bundesrats, dass die Kriterien der sogenannten Überbrückungshilfen des Bundes an den spezifischen Bedarf der Kultur- und Kreativbranche angepasst werden und dass es möglich wird, einen Pauschalbetrag als Einkommen zu beantragen.
Das wäre doch wirklich einmal ein Paukenschlag oder eine Fanfare des Bundestags und der Bundesregierung, die sie hiermit für die Kulturbranche ertönen lassen könnten.
Darüber hinaus müssen wir die Orte, an denen Künstlerinnen, Künstler und Kulturschaffende arbeiten, erhalten. Die Krise wird sonst unwiederbringliche Verluste von kultureller Infrastruktur bedeuten. Mit dem Programm Soforthilfe IV, finanziert aus Landesmitteln und in mehreren Stufen aufgesetzt, steuern wir hier gegen. – Für die Soforthilfen danke ich im Namen all derjenigen, denen damit geholfen werden kann, dem Senat und natürlich Klaus Lederer, die sehr stark dafür gekämpft haben, und allen anderen, die daran beteiligt waren.
In einer Krise ist es notwendig, schnell und zielgerichtet zu helfen. Parallel müssen wir uns aber auch Gedanken darüber machen, wie es danach weitergehen soll. Wir können nicht ein Hilfsprogramm nach dem anderen aufsetzen, sondern müssen auch Ideen entwickeln, wie wir im kommenden Jahr und in Zukunft Kulturschaffende und Kulturorte wieder ans Arbeiten bringen, wie wir sie langfristig stärken können. Nach den Liquiditätshilfen muss ein kulturelles Konjunkturprogramm kommen. Ein großartiger Schritt in diese Richtung ist die Initiative „Draußenstadt“, zu der Klaus Lederer im Juni gemeinsam mit der Bürgermeisterin und den Bürgermeistern von Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Pankow aufgerufen hat.
Eine krisenfestere Kulturförderung muss außerdem insgesamt langfristiger, autonomer und weniger projektorientiert gedacht werden, mit dem Ziel, kontinuierliches künstlerisches Arbeiten zu ermöglichen. Hierfür sind jetzt
2 000 in Auslosung stehende Stipendien ein Signal – worüber die freie Szene schon lang mit uns diskutiert hat –, das unbedingt über die Coronazeit hinaus andauern sollte. Um die explosionsartig steigenden Gewerbemieten und die daraus folgende Verdrängung, auch von Kultureinrichtungen, zu stoppen, muss sich Berlin auf Bundesebene für einen Gewerbemietendeckel einsetzen.