Protocol of the Session on September 3, 2020

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) – Bravo! von der AfD]

Dass das keine rechtspopulistische Halluzination ist, haben wir ja im Ausschuss erlebt, als der Chef der „Bild“-Zeitung kommen musste und erklärt hat, wie das war. Ich wiederhole es noch mal für alle, die es nicht verstanden haben: Die „Bild“-Zeitung macht ein interessantes Onlineprogramm. Die Landesmedienanstalt meint: Du brauchst eine Lizenz dafür. – Die Bild Zeitung sagt: Nein, brauche ich nicht. – Das Ganze geht vor Gericht. Die „Bild“-Zeitung unterliegt, und jetzt musste die „Bild“-Zeitung um eine Lizenz betteln. Gnädigerweise hat die lizenzgebende Organisation, die Medienanstalt, diese Lizenz erteilt. – Wie gnädig. Ich muss sagen, genau das wollen wir nicht. Wir wollen nicht, dass Verleger, Publizisten zum Staat hingehen und betteln müssen, um eine solche Lizenz zu bekommen.

Wir haben noch einen weiteren wichtigen Aspekt; der steht in der Begründung. Zunächst einmal tritt nur noch meine Partei für die vollständige Presse- und Meinungsfreiheit ein.

[Lachen bei den GRÜNEN – Zuruf von Regina Kittler (LINKE)]

Alle anderen Parteien hier sind für die Einheitsberichtserstattung. Dafür spricht auch folgender Satz aus der Begründung des Staatsvertrages. Da heißt es – ich zitiere zum letzten Mal mit Ihrer geschätzten Erlaubnis, Frau Präsidentin! –:

Hinzu kommt die Gefahr, dass – auch mit Hilfe von Algorithmen – Inhalte gezielt auf Interessen und Neigungen der Nutzerinnen und Nutzer zugeschnitten werden, was wiederum zur Verstärkung gleichgerichteter Meinungen führt.

Im Klartext: Nicht du, Leser, nicht du, Zuschauer, nicht du, Senderchef, nicht du, Verleger, sondern wir Politbürokraten legen fest, was für euch interessant ist. Wir legen fest, was Vielfalt ist. – Diese Vielfalt können wir jeden Abend in der „Aktuellen Kamera“ – Entschuldigung! –, in der „Tagesschau“ sehen: Greta ist super, Trump ist ein Lügner, und die Eurorettung ist gut für den deutschen Sparer.

[Beifall bei der AfD]

Wirkliche Meinungsvielfalt gibt es nur dann, wenn wir ein dereguliertes Internet haben, ein freies Netz. Dann, und nur dann können wir einen wirklich freien Diskurs haben. Deswegen können wir Ihrem Staatsvertrag leider nicht zustimmen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der AfD]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Schweikhardt das Wort.

Sehr geehrte Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren hier den Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland. Spätestens nach diesem doch eher spröden Titel vermissen die ersten Kollegen im Saal unsere alte Prä-CovidBestuhlung. Da konnte man nämlich noch nett mit dem Nachbarn tuscheln. Was bleibt uns heute? – Der einsame Griff zum Handy, zum Tablet, zum Laptop. Genau darum geht es.

Ohne dass es uns bewusst wird, unterwerfen wir uns dabei permanent der Macht globaler Plattformen, der Macht gigantischer Meinungsmanipulatoren. Breaking News, Fake-News, Hate-News, alternative Fakten, Scripted Reality, Dokufiktion – von den Nachrichten bis zur Unterhaltung bestimmen mittlerweile Algorithmen, Bots und Trollarmeen, was wir sehen.

[Beifall von Melanie Kühnemann-Grunow (SPD)]

Die Technik ist so gut geworden, dass jeder und jede sein bzw. ihr ganz eigenes digitales Programm empfängt. Schlichtere Gemüter merken dabei nicht einmal, dass sie in ihrer ganz persönlichen Blase sitzen, in der ihnen die Bildschirme nur das zeigen, was sie hören und sehen wollen. Im harmlosen Fall verführen diese Bilder zu überflüssigem Konsum. Im schlimmsten Fall werden aus labilen Menschen Attentäterinnen und Attentäter. Die Manipulation von Wahlen liegt irgendwo dazwischen. Genau deshalb bin ich meinen Kolleginnen und Kollegen von der Linken auch sehr dankbar, dass sie das Thema zur Priorität gemacht haben; es hat nämlich höchste Priorität.

Wenn es internationalen Konzernen gelingt, unsere Gehirne zu manipulieren, dann ist es fast schon egal, dass sie sich um unsere Steuer, unser Arbeitsrecht und unsere Sozialgesetzgebung drücken. Es gibt in Deutschland keinen Staatsfunk oder eine gleichgeschaltete Presse. Die eigentliche Bedrohung kommt von außen, und wir holen sie uns freiwillig ins Haus. Vom Smart Speaker über das Smart-TV bis zum Smart Home, sie alle sammeln ständig Informationen. Sie lernen uns dabei so gut kennen, dass sie genau wissen, wann wir nach Hause kommen, welche

Musik wir hören, welche Filme wir mögen, wann wir ins Bett gehen und mit wem. Privatsphäre stört da, genauso wie Vielfalt, unser Pluralismus, unsere Diversität. Das sind Störfaktoren in den Geschäftsmodellen der Techfirmen – Geschäftsmodelle, die zu den profitabelsten der Welt gehören.

Spätestens seit den TTIP-Verhandlungen ist klar, dass große amerikanische Medienkonzerne kein Interesse daran haben, vielfältige, kleinteilige Medienlandschaften in Europa zu schützen. Unabhängige Sender, freie Radios, Tausende inhaberbetriebe Kinos: alles ganz schwer zu dominieren, kaum zu kontrollieren und noch schwerer zu manipulieren. Das ist sowohl den Blockbuster produzierenden Studios als auch den endlos Serien aneinanderreihenden Plattformen ein Dorn im Auge. Aber Europa findet das gut.

Europa ist die Summe vielfältiger, eigenständiger und unterschiedlicher Kulturen. Unsere individuellen kulturellen Identitäten machen uns als Europa stark, und unsere diversen Medien machen uns resilient. Unsere Kreativität lässt sich von Pluralität inspirieren. Rivalität basiert auf Respekt. Weil wir vorurteilsfrei voneinander lernen und mutig miteinander gestalten, haben wir eine europäische Gesellschaft geschaffen. Unsere ausgewogene, kritische Presse hilft,

[Lachen bei der AfD]

Konflikte und Herausforderungen auch ohne Waffen zu meistern. So sichern wir nachhaltig Europas Zukunft als kulturellem Sehnsuchtsort.

[Zuruf von Ronald Gläser (AfD)]

Die Verzweifelten und Verfolgten dieser Welt setzen ihr Leben aufs Spiel, um nach Europa zu kommen. Und solange Kriege toben, Seuchen wüten, Felder verdorren und Journalistinnen und Journalisten vergiftet werden, nehmen wir Menschen mit offenen Armen auf. Das ist es, worum es bei Europa geht.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Dabei lassen wir uns von keiner Macht ausbeuten oder manipulieren. Wir wehren uns gegen Monopole und fordern von Konzernen, die hier Geld verdienen, dass sie sich an Regeln halten – an unsere Regeln. Ja, wir regulieren sie, und genau das macht der Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung. Dafür brauchen wir ihn, und dafür stimmt meine Fraktion im engen Schulterschluss mit allen Kolleginnen und Kollegen, die sich für ein starkes Europa, für Freiheit, Meinungsvielfalt und Selbstbestimmung einsetzen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

(Ronald Gläser)

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Förster das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Medienstaatsvertrag haben wir heute in der Tat einen Meilenstein auf den Weg zu bringen, denn es ist der Umstieg vom klassischen analogen Rundfunk ins digitale Medienzeitalter. Meine Vorrednerinnen und Vorredner sind darauf bereits eingegangen.

Was wir heute anpassen, ist die Transformation des klassischen analogen Radios und Fernsehens, bei denen es in der Regel beschränkte Frequenzen und Kapazitäten gab, die allein schon deshalb reguliert werden mussten. Im digitalen Zeitalter haben wir andere Herausforderungen, die es zulassen, bis zu einer Bagatellgrenze Rundfunk zulassungsfrei zu stellen. Wir in Deutschland sind im Übrigen auch noch sehr großzügig, wer Rundfunk veranstalten darf – das will ich auch in Richtung von Herrn Gläser sagen. Wir können ja bis auf unmittelbar dem Staat zugeordnete Einrichtungen hier in großer Bandbreite Rundfunk machen, auch Lizenzen beantragen, um die man im Übrigen nicht betteln muss. Auch der Chef der „Bild“, Herr Reichelt, sagte, er musste nicht betteln – Kollege Goiny hat mich gerade noch einmal darauf hingewiesen –; er hat gesagt: Es ist eben so in einem Rechtsstaat. Wir haben die eine Auffassung, die mabb die andere. Es ging vor Gericht. Das Gericht hat entschieden. Wir brauchen eine Lizenz und haben diese im guten Miteinander beantragt. Da war nichts von Betteln. Es gab auch keinen Konflikt. Aber Rechtsstaat bedeutet, man ruft Gerichte an, Gerichte entscheiden, und danach halte ich mich an das Urteil. – Das ist, glaube ich, nichts, was man kritisieren müsste; das hat auch Herr Reichelt nicht getan.

An der Stelle will ich ganz klar sagen, dass wir das bei den Bagatellgrenzen – Stichwort: Meinungsmacht – im Blick haben müssen. Ich bin nicht dafür – das ist auch nicht geplant –, dass jeder Youtuber, der ein Video ins Netz stellt, sofort reguliert werden muss und eine Lizenz braucht, aber der – da stimme ich mit dem Kollegen Schweikhardt überein –, der Meinungsmacht ausübt, schon. Es gibt auch im Youtube-Format Meinungsmacht, etwa dort, wo Hunderttausende Follower einen Kanal abonniert haben. Wer dann redaktionelle Inhalte anbietet und entsprechende Hinweise auf ein Programmschema unterlässt oder sich nicht an Voraussetzungen und Ansprüche hält, die man an ein normales Fernsehprogramm stellt, der muss dann eben auch reguliert werden. Dieselben Anforderungen, die ich an n-tv oder „Welt“ stelle, müssen auch für die Angebote im Internet gelten, auch bei Youtube und anderen Anbietern, sonst habe ich ein Beispiel von Wettbewerbsverzerrung. Wer einen fairen Wettbewerb will, muss auch wollen, dass gleich viel bzw. gleich wenig reguliert wird und das für alle gilt. Das will

ich an der Stelle ganz klar sagen: Wettbewerb heißt auch faire Regeln und Chancengleichheit.

Dann will ich darauf hinweisen, dass wir mit diesem Staatsvertrag insbesondere auch das Thema Intermediäre – also Telemedien, die im wesentlichen Teilen bzw. ausschließlich Inhalte Dritter übertragen – erstmals umfassend regeln. Das ist auch notwendig, denn wir haben bei den Huckepack-Übertragungen von Fremdangeboten erhebliche Probleme. Das sind zum Teil Angebote, die eigener Lizenzen bedürfen; das Beispiel Russia Today wurde genannt. Ob das nun russische Propaganda, chinesische ist oder von wem auch immer – direkt vom Staat finanzierte Angebote anderer Länder, die eins zu eins Regierungssicht übertragen und auch den Regierungen gehören, haben in Deutschland nichts verloren und können hier keine Lizenz bekommen; das muss man ganz klar sagen.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Karin Halsch (SPD)]

Es steht jedem frei, die Angebote über das Internet zu nutzen, über die entsprechenden Kanäle sich anzusehen, über die Seiten, die dort angeboten werden; das ist nicht zu verhindern. Aber wir in Deutschland sollten schon aufpassen, was wir senden.

Im Übrigen – das muss man vielleicht auch noch mal in Richtung AfD sagen –: Dass wir in Deutschland Rundfunk als Kulturgut und nicht als wirtschaftliche Ware wie jede andere begreifen, ist die Lehre aus unserer deutschen Geschichte, wo insbesondere in einem Kapitel unserer Geschichte – das Sie weniger kritisch als andere im Hause sehen – gerade Massenmedien dazu missbraucht worden sind, die Bevölkerung aufzuwiegeln, gegen andere Völker zu hetzen, eben nicht das vereinte Europa zu leben, auf das Kollege Schweikhardt gerade hingewiesen hat.

Die Lehren dieser Geschichte sind im Föderalismus im Rundfunk und der Regulierung zu sehen. Es ist, glaube ich, nach den Ereignissen von 1939 und 1945 nicht von der Hand zu weisen, dass das notwendig war; um das an dieser Stelle auch noch mal ganz klar zu sagen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Insofern ist dieser Medienstaatsvertrag nicht am Endpunkt angelangt. Kollege Goiny hat darauf hingewiesen, ebenso Kollegin Halsch, dass noch einige Punkte anzugehen sind. Wir haben vielleicht 70 Prozent dessen, was man regeln kann, erreicht. 70 Prozent sind besser als null, deswegen werden wir auch zustimmen, weil der Staatsvertrag an der Stelle überfällig ist.

Aber das Thema Barrierefreiheit – zum Beispiel Kollegin Halsch und mein Kollege Seerig legen regelmäßig großen Wert darauf, dass das geregelt wird –, Jugendmedienschutz, regionale Vielfalt, Rundfunkzulassung, die prä

zisere Definition von Medienkonzentrationsrecht – all das sind Punkte, die in einer Novelle angegangen werden müssen. Deswegen kann man den Regierenden Bürgermeister in der Tat nur ermuntern, das bald mit seinen Kolleginnen und Kollegen auszuverhandeln und anzugehen.

Wir brauchen bald den Medienstaatsvertrag 2.0. Das ist aber kein Grund, das hier jetzt nicht auf den Weg zu bringen. Insofern: Herzlichen Dank für die, in diesem Falle wirklich, fachliche Debatte. Ich glaube, wir sind ein Stück weiter und können auch ein Stück weit sagen: Wir haben etwas geschaffen, sollten uns darauf aber nicht ausruhen. Es gibt weitere Herausforderungen in diesem Bereich. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Zu der Vorlage auf Drucksache 18/2737 empfiehlt der Fachausschuss mehrheitlich gegen die AfD-Fraktion die Annahme. Wer der Gesetzesvorlage gemäß der Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2928 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen, die CDU-Fraktion, die FDPFraktion. Gegenstimmen? – Bei Gegenstimmen der AfDFraktion und der fraktionslosen Abgeordneten Nerstheimer und Bießmann. Damit ist das Gesetz in dieser Form beschlossen.

Wir machen jetzt die halbstündige Lüftungspause bis 16.32 Uhr.

[Sitzungsunterbrechung von 16.02 bis 16.35 Uhr]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir setzen die Sitzung fort.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4:

Gesetz zur Anpassung der Hinausschiebung des Eintritts von Richtern in den Ruhestand wegen des Erreichens der Altersgrenze auf Antrag und der Gewährung eines Zuschlages