Protocol of the Session on May 14, 2020

Aber selbst wenn auf Kosten der Steuerzahler entschuldet wird – Politik kann das ja so einfach, man entschuldet einfach, es wird keiner zur Rechenschaft gezogen –, geht das Drama weiter, weil die bisherigen Kennzahlen nur Verluste ergeben, die durch den Schuldendienst, also Tilgung und Zinsen, anfallen werden. Die geplanten Umsätze – wir haben uns den Businessplan angesehen – liegen gerade einmal etwas über 400 Millionen Euro, also unter dem Betrag von Schuldendienst und Verlusten. Damit leckt das Schiff, ist schon unter Wasser. Der finanzielle Untergang dieser Titanic wird nicht unmittelbar mit der Eröffnung eintreten, aber das Schiff wird immer schneller sinken.

Ich spreche, man merke, an dieser Stelle immer noch nicht von Corona –, was Sie rettet, Herr Stroedter, mit Ihrem einen Prozent, dadurch, dass es derzeit kaum Flugbetrieb gibt –, sondern von der Zeit nach Corona, wenn wieder Flugverkehr stattfinden wird, und darauf muss sich Berlin in der Zukunft konzentrieren. Der BER wird

aber ein Dauerverlustbringer, da seine Erträge die laufenden Zahlungsverpflichtungen nicht übersteigen. Die Einnahmequellen eines Flughafens sind klar: Aviation, also Flug- und Passagiergebühren – Herr Wolf! Sie können zuhören, da lernen Sie etwas –, Non-Aviation, Miet- und Pachteinnahmen, Umsatzbeteiligung. Sie kennen das: Der Flughafen Frankfurt ist eigentlich eine Shopping-Mall mit anhängigen Flugbetrieb. – Nur an diesen Stellschrauben kann die Flughafengesellschaft drehen, sofern die Passagierzahlen steigen und die Fluggesellschaften bereit sind, höhere Gebühren zu zahlen. Wenn aber der Flughafenchef – Herr Senator! – nun verlautbart, dass er die Flughafengebühren um 70 Prozent erhöhen will, dann geht das zulasten der ohnehin schon gebeutelten Hauptkunden des BER, der Low-cost-carrier, durch die das Berliner Passagierwachstum bisher getrieben wurde und wird – Easyjet und Ryanair.

Das Problem dabei ist – Sie wollen auf denen ja immer herumhacken, dabei bringen die bisher noch die Kohle – , dass die Billigflieger für den BER nur, und das ist das Problem, Miniumsätze einfliegen, ca. 12 Euro pro Passagier. Der Durchschnitt an den großen deutschen Verkehrsflughäfen liegt bei 25 Euro, und bei Frankfurt wo, Herr Stroedter, wissen Sie es? – Bei 55 Euro. Hier bei uns in Berlin gibt es sie aber gar nicht, die Cashbringer und Leistungsträger eines rentablen und auskömmlichen Flughafens wie in Frankfurt und München, also die Langstreckenflüge, die Umsteiger oder die Fracht. Das haben wir alles nicht, denn die Berliner Politik hat es über die letzten 30 Jahre – und daran waren Sie alle beteiligt – versäumt, den BER zu dem Großflughafen zu machen, der den Menschen versprochen worden ist und für den sie vielleicht auch bereit gewesen wären, Tegel eines Tages zu schließen.

[Beifall bei der AfD]

Kein guter Tag, der BER-Eröffnungstermin am 31. Oktober, auch wenn es der Geburtstag von Herrn Lütke Daldrup ist, der damit gleichzeitig Totengräber von Tegel wird, denn Tegel ausgerechnet in dieser Situation vorzeitig zu schließen, ist einer der vielen politischen Dummheiten der Berliner Politik. Bisher hat der Flughafen Tegel nämlich, und darauf wurde von den Kollegen der Opposition schon hingewiesen, aufgrund des Volllastbetriebes und der damit verbundenen Einnahmen erheblich dazu beigetragen, Erträge für die Flughafengesellschaft zu generieren.

[Zuruf von Jörg Stroedter (SPD)]

Gewinne von um die 100 Millionen Euro jährlich, Herr Stroedter! Die fallen jetzt weg. Und was soll passieren, um Kosten zu senken, wenn die Cashcow geschlachtet wird und an der Einnahmeschraube nicht mehr weiter gedreht werden kann? – Jetzt wird es lustig, denn man könnte ja auf die Idee kommen, wie der nette Kollege Otto von den Grünen sie im Hauptausschuss schon einmal vorgelegt hat, die Erweiterungsinvestitionen beim BER Richtung Masterplan weiter nach hinten zu

schieben, um den Cashflow zu unterstützen. Ist ja eine ganz tolle Idee! Obwohl man weiß, dass der BER mittel- und langfristig zu klein ist, stoppt man die Zukunftsinvestitionen in unsere Hauptstadt. Das ist nun wirklich der Gipfel.

Was wir jetzt brauchen, ist ein ehrlicher Kassensturz, eine Sonderprüfung externer Prüfer, die das hier skizzierte Drama voll transparent macht, denn für den Steuerzahler ist der BER bereits ein Milliardenfiasko geworden. Jetzt geht es darum, alternative Wege zu finden, damit die Flughafengesellschaft kein dauerhafter öffentlicher Zuschussbetrieb wird. Wenn es so weitergeht, wird es so sein. Ich fordere den Senat auf, ernsthaft zu prüfen, welche Erlöse sich durch eine Offenhaltung und anschließende Privatisierung des Flughafens Tegel erzielen ließen, um die dramatische Verlustsituation der Flughafengesellschaft zu entlasten. Die Frage muss man sich stellen.

Jetzt komme ich noch einmal zu unserem von Ihnen aus lauter Ignoranz in den letzten zwei Jahren abgelehnten Vorschlag eines parlamentarischen Sonderausschusses. Der hätte schon zwei Jahre lang echte Lösungen genau für diese katastrophal verfahrene Situation des Berliner Flughafendramas, vor dem wir jetzt stehen, erarbeiten können. Wenn ich den Kollegen Gräff richtig verstanden habe, und anders kann man das nicht auffassen, geht es genau um einen parlamentarischen Sonderausschuss, den wir früher oder später haben werden, denn ein brauchbares, zukunftsorientiertes und bezahlbares Flughafensystem für die Metropolenregion Berlin-Brandenburg unter Einschluss von Tegel ist und bleibt das, was wir brauchen, und ich sage mal: Es ist nie zu spät.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Moritz das Wort.

[Tim-Christopher Zeelen (CDU): Ist Herr Kössler nicht rechtzeitig zurückgekommen?]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Projekt des neuen Berlin-Brandenburger Flughafens hat eine fast 30-jährige Geschichte mit vielen Aufs und noch viel mehr Abs. Es gab viele wichtige Daten in dieser Zeit, das aktuellste ist, glaube ich, der 28. April 2020: Flughafenchef Lütke Daldrup und die Chefin der Baugenehmigungsbehörde aus Dahme-Spreewald Frau Zettwitz verkünden die Nutzungsfreigabe für das Hauptterminal des BER. Der Eröffnung am 31. Oktober 2020 steht bauordnungsrechtlich nichts mehr im Wege, heißt es in der ge

meinsamen Pressemitteilung. Endlich, könnte man sagen, Gratulation.

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE)]

Damit kann der BER nun fast auf den Tag genau neun Jahre nach der ursprünglich am 30. Oktober 2011 geplanten Eröffnung an den Start gehen. Wenige Tage zuvor hatte ein übergeordneter Sachverständiger des TÜV die letzte Anlagengruppe freigegeben. Diese Freigabe wunderte einige BER-Beobachter, hieß es doch bis dahin, dass noch 2 000 Mängel zu beseitigen seien, und nach Brandenburger Bauordnung gebe es nur Freigaben für mängelfreie Objekte. Mit dieser strengen Bauordnung hat in den vergangenen Jahren schon so manch ein Flughafenchef gehadert.

In der genannten Pressemitteilung ist von Mängeln nicht mehr die Rede, nur noch von verbliebenen Restarbeiten, die angeblich kein Problem sind und bis Ende Juni behoben werden. Parallel dazu erfolgt der Testbetrieb ORAT zur Erprobung der Abläufe am Flughafen wegen der Coronaeinschränkungen nur in abgespeckter Form. Der Flughafenchef weist darauf hin, dass ORAT rechtlich nicht vorgeschrieben sei und simuliert werde oder notfalls auch nach der Eröffnung durchgeführt werden könne. Somit scheint also endlich alles gut zu sein. Damit können sich die Anliegerinnen und Anlieger des Flughafens Tegel nun nicht nur über eine zeitweilige Schließung, sondern spätestens ab November über dauerhafte Ruhe vor Fluglärm freuen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Es sei ihnen von Herzen gegönnt.

Die zweite Meldung zum BER am 28. April gab aber wenig Grund zur Freude. Eine Studie von drei Wirtschaftsexperten zur wirtschaftlichen Lage der Flughafengesellschaft legt eine dramatische wirtschaftliche Lage der FBB dar. Ihre Analyse basiert auf öffentlich zugänglichen Geschäftsberichten und Prognosedaten. Aus der Studie geht hervor, dass die FBB in den Jahren 2005 bis 2018 kumuliert einen operativen Verlust von 1,6 Milliarden Euro erwirtschaftet hat. Für die Jahren 2019 bis 2023 prognostizieren sie einen weiteren Verlust von 1,5 Milliarden, unter Berücksichtigung von Corona von 1,8 Milliarden Euro. Das sind keine guten Aussichten.

Der BER sollte ursprünglich 2 Milliarden Euro kosten; 2012 war diese Summe bereits weit überschritten. In den folgenden acht Jahren Reparatur des Terminals sind die Kosten weiter dramatisch gestiegen. Mittlerweile schlagen über 6 Milliarden Euro für den BER zu Buche. Mit dieser Summe könnte man wahrscheinlich zwei Flughäfen bauen.

[Paul Fresdorf (FDP): Oder alle Schulen sanieren!]

Da die Finanzierung maßgeblich über Kredite stattfand, befindet sich die FBB nun in einer dramatischen Schief

(Frank-Christian Hansel)

lage. Damit ist die FBB laut Studie wirtschaftlich gescheitert. Nur mit einer massiven Unterstützung der Gesellschafter kann die Flughafengesellschaft vor der Insolvenz gerettet werden – so bringen es die Experten auf den Punkt.

Diese Erkenntnis ist nicht ganz neu. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam Prof. Dr. Thießen von der TU Chemnitz im Jahr 2014. Er schlussfolgerte damals, dass die FBB ihre Einnahmen um mindestens 50 Prozent steigern müsste, um das normale Geschäft und laufende Investitionen bewältigen zu können. Die Rückzahlung der Kredite wäre nach der damaligen Analyse schon nicht mehr möglich gewesen.

Nun sagen Sie, der Professor hat sich wohl geirrt, die FBB gibt es noch, und der BER eröffnet sogar. Ja, aber inzwischen hat die FBB weitere gut 2 Milliarden Euro erhalten und meldet den nächsten Finanzbedarf an. Wurde der Finanzbedarf ab 2021 zuerst auf 508 Millionen Euro geschätzt, liegt er nun schon bei 792 Millionen Euro, unabhängig von Corona. Dazu kommen außerbilanzielle Geschäfte, im Geschäftsbericht mit über 660 Millionen Euro ausgewiesen, davon über die Hälfte für noch zu leistenden Schallschutz. Der wird nicht erst in 25 Jahren, sondern in den nächsten fünf Jahren fällig. Aus welchem Topf kommt also dieses Geld?

Wie reagiert aber nun die Geschäftsführung auf diese Vorwürfe? – Das Thießen-Gutachten wurde damals von der Finanzgeschäftsführerin als obskur abgetan. Lütke Daldrup sagt in einem RBB-Interview über die aktuelle Studie, da sei man dilettantisch vorgegangen. Über die Autoren sagt er abfällig: Na, was deutsche Professoren so aufschreiben! – Prof. Dr.-Ing. Lütke Daldrup hat auch etwas aufgeschrieben:

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der FDP – Lachen von Paul Fresdorf (FDP)]

seinen Businessplan, der bis 2037 reichen soll. Die Gültigkeit der Vorgängerbusinesspläne war von sehr kurzer Dauer. Nach diesem Plan, so der Flughafenchef, wird die FBB ab Beginn der 2020er-Jahre ein positives Geschäftsergebnis erzielen. Die Terminumschreibung – typisch Lütke Daldrup!

[Vereinzelter Beifall bei der FDP – Beifall von Daniel Wesener (GRÜNE)]

Das heißt aber auch, es gibt noch Verlustjahre, und das Eigenkapital schrumpft. Darin sind sich alle Professoren einig. Auch die Einnahmeseite soll verbessert werden, so sollen zum Beispiel Entgelte am BER um 70 Prozent erhöht werden. Richtig so, sage ich. Diese Aussage steht allerdings im Widerspruch zu einer Antwort der FBB auf eine Schriftliche Anfrage zu den Entgelten von mir. In der Antwort heißt es – ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:

Laut Auskunft der FBB sind gegenüber dem Stand der im Jahr 2011 genehmigten Entgeltordnung für den BER keine Änderungen der Höhe der Entgeltsätze vorgesehen. Die FBB sieht hierfür keine Notwendigkeit.

Ja, was nun?

Herr Kollege! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Friederici zulassen.

Nein, danke! Ich möchte im Zusammenhang ausführen. – Gestatten Sie mir, noch kurz darauf einzugehen, dass natürlich die FBB auch in der Coronakrise leidet, selbstverständlich! Sie beziffert ihre Ausfälle kurzerhand auf 300 Millionen Euro, drei Viertel ihres Jahresumsatzes von 2018, und bekommt prompt die Hilfszusage der Eigentümer, und Sie wissen es, der Berliner Anteil – 111 Millionen – steht im Nachtragshaushalt. Nebenbei bemerkt: Die BVG, die auch unter der Coronakrise leidet, muss da ganz anders kämpfen. – Es gibt also schon einige Widersprüche bei der wirtschaftlichen Lage der FBB, die es aufzuklären gilt.

Das erinnert mich auch an eine Aussage von Klaus Wowereit im Untersuchungsausschuss BER I. Er sagte damals selbstkritisch:

Ich hätte an der einen oder anderen Stelle deutlich bösgläubiger sein müssen, als ich es getan habe.

Ja, genau! Ein Mehr an Bösgläubigkeit wünsche ich mir vom Aufsichtsrat und von der Gesellschafterversammlung, wenn die FBB dauerhaft Bestand haben soll.

[Beifall bei den GRÜNEN, der CDU und der FDP – Beifall von Dr. Kristin Brinker (AfD) – Heiterkeit bei der FDP]

Die Gesellschafter sollten die aktuelle Studie ernst nehmen und die Finanzsituation und den tatsächlichen Wert des BER von einer unabhängigen Stelle prüfen lassen. Bestätigt sich die dramatische Situation, muss man ein Sanierungskonzept machen; wenn nicht, ist eben nichts weiter notwendig. Die Ausbaupläne des Masterplans 2040 müssen sofort gestoppt werden.

[Beifall bei den GRÜNEN und der FDP]

Lütke Daldrup hat auch gesagt, dass T 3 erst irgendwann nach 2030 notwendig ist. Bevor über weiteres Steuergeld verhandelt wird, erinnere ich an unseren Koalitionsvertrag.

[Zuruf von Paul Fresdorf (FDP)]

Neben der Fertigstellung des BER steht da, dass der weitere Ausbau nur aus eigener Finanzkraft der FBB erfolgen darf.

[Paul Fresdorf (FDP): Hört, hört!]

Wir wollen siebenstündige Lärmpausen für die Anwohner schaffen.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Dann müssen Sie Tegel offen lassen!]

Dafür könnten wir zum Beispiel die Nachtruhe von 5 auf 6 Uhr verlängern, was keine wirtschaftlichen Nachteile hätte. Wenn die FBB weiteres Steuergeld haben will, muss sie auch Zugeständnisse an anderer Stelle machen. Nach mir wird der Herr Finanzsenator reden. Deshalb noch einmal zum Schluss: Nehmen Sie die Studie ernst, und veranlassen Sie eine unabhängige Prüfung der wirtschaftlichen Lage des Flughafens!