Protocol of the Session on April 30, 2020

Das geht bis zu Herzinfarkt- und Schlaganfallpatienten, was auch tödlich enden kann.

[Beifall bei der AfD]

Frau Senatorin, Sie wissen, wovon ich rede. Es kann nicht sein, dass Krankenhäuser mittlerweile Kurzarbeit anmelden müssen. Weil das so ist,

[Sven Heinemann (SPD): Wie Ihre Prognose zum Flughafen, alles falsch!]

Herr Heinemann! –, ist die Logik des Shutdown, nämlich undifferenziert die gesamte Bevölkerung zur Inaktivität zu zwingen, ein Fehler und verfassungsrechtlich problematisch.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Zuruf von der AfD: Bravo!]

Darum kann es stets bei Beibehaltung der Abstandsgebote, Maskentragen und Einhaltung der Hygiene- und Desinfizierungsvorgaben, das ist das, worum es geht, nur noch darum gehen, die massiven tödlichen Kollateralschäden zu erkennen und Maßnahmen zu ergreifen, sie abzuwehren. Geben Sie den Berlinern ihre Normalität zurück, keine neue Normalität – ich glaube, die will wirklich niemand –, sondern einfach das Stück Leben und Arbeiten zurück, das sie zum Überleben brauchen. Wer das als Öffnungsdiskussionsorgie diffamiert, der hat den Schuss nicht gehört.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Zuruf von der AfD: So ist es!]

Mit derartigen Sprüchen, Herr Dregger, das geht an Ihre Kanzlerin, gefährden Sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt unseres Landes.

An den rot-grünen Senat: Sie müssen aufpassen, Herr Müller und Herr Geisel, dass Sie unsere Demokratie nicht nachhaltig gefährden, denn Menschen machen sich in dieser Stadt Gedanken um die Demokratie, sie gehen nämlich demonstrieren.

[Sven Heinemann (SPD): Genau! Gegen Sie!]

Herr Heinemann! Sie machen sich doch gerade wieder lächerlich. – Da tummeln sich neben besorgten Bürgern, Bürgerrechtlern, aufrichtigen Citoyens, wie zum Beispiel Frau Babeck, parlamentarischen Beobachtern verschiedenster Couleur, eben auch Leute aus dem links- und rechtsextremistischen Spektrum, um Kapital daraus zu schlagen. Das kann keiner wollen. Sie wollen das nicht, wir wollen das auch nicht.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Stärken Sie – das ist mein Schlusssatz – überwinden Sie den Lockdown für die noch arbeitende, die leistende Mitte der Gesellschaft.

[Zuruf von Tobias Schulze (LINKE)]

Schützen Sie sie vor dem wirtschaftlichen Exitus, das fordern wir, nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Zurufe von der AfD: Bravo! – Torsten Schneider (SPD): Und die politische Logik ist jetzt definiert!]

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort der Abgeordnete Schatz. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Ich hatte gestern eigentlich vor, eine Flasche Desinfektionsmittel für Sie mitzubringen, Herr Hansel, nach den Äußerungen Ihres Fraktionsvorsitzenden bei der vorletzten Plenardebatte zu Corona, dass wir in die USA schauen sollen, da würde alles richtig gemacht. Ich will aber noch hinzufügen: Ich habe mich gegen die Flasche Desinfektionsmittel entschieden, falls Sie sich dann selbst welche besorgen, bitte wenden Sie das richtig an. Herr Trump hat dazu komische Bemerkungen gemacht, falls Sie dem Glauben schenken sollten.

[Beifall bei der LINKEN – Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Die Zahlen des Robert-Koch-Instituts für heute, 0.00 Uhr, sprechen in Berlin von 5 827 Erkrankten, von denen etwa 4 800 bereits wieder genesen sind. 147 mit Corona infizierte Berliner und Berlinerinnen sind verstorben. Die Stadt hat mithin 880 aktiv Erkrankte, von denen, Stand gestern, 604 in einem Krankenhaus behandelt werden, davon 157 intensivmedizinisch. Der Rest befindet sich in häuslicher Quarantäne. Das Robert-Koch-Institut gab in seinem gestrigen Lagebericht die Reproduktionsrate, rt, für Deutschland mit 0,75 an, das heißt, ein Erkrankter steckte weniger als einen Menschen mit Corona an und das auf einem Niveau von täglich im Schnitt 63 Neumeldungen von Erkrankungen in Berlin in der letzten Woche und in dieser Woche bislang 57. Zum Vergleich: Diese Zahlen lagen noch vor wenigen Wochen, in der 13. Kalenderwoche, bei 191 Neumeldungen und bei 179 in der 14. Kalenderwoche. Ich finde, die Zahlen sprechen dafür, dass einiges richtig gemacht wurde in Berlin.

[Beifall bei der LINKEN und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Im Gegensatz zu mancher Wahrnehmung haben wir in Berlin sehr früh Maßnahmen ergriffen. Es wurden große Säle der staatlichen Theater geschlossen, als erstes, da hatte Berlin eine Fallzahl von 48 an Covid-19-Erkrankten, allerdings eine Verdopplungsrate von zwei bis drei Tagen. Momentan liegen wir bei fast 30 Tagen. Es wurden schnell Cafés, Bars und Clubs geschlossen. Eine Woche später, nach Verständigung zwischen Bund und Ländern, wurde eine Ausgangsbeschränkung verfügt, die inzwischen durch eine Entscheidung des Senats, Kollege

Fresdorf, in eine Kontaktbeschränkung umgewandelt wurde, zu Recht, wie ich finde.

[Zuruf von Sebastian Czaja (FDP)]

Es spricht für den Senat, dass er in der Lage ist, sich zu korrigieren und Grundrechtseingriffe der Lage anzupassen, bevor es, wie im Saarland geschehen, ein Verfassungsgericht tun muss.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN– Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Schon jetzt sehen wir die Folge der Einschränkungen deutlich. Die Frisuren mögen für manche hier im Saal wichtig sein, für mich nicht so. Ich meine die Fälle häuslicher Gewalt, die wir an steigenden Einsatzzahlen der Berliner Polizei sehen, die Zunahmen von Depressionen und Alkoholmissbrauch. Da rede ich nicht über das Eierlikörchen, damit das Leben schon weitergeht, sondern über Menschen, die sich keinen anderen Ausweg aus der Isolation wissen, als zur Flasche zu greifen, wo oft ein beruhigendes Wort fehlt, weil die Menschen jetzt allein konsumieren. Wir sind eben auch die Stadt des Singles und der Alleinlebenden, die momentan maximal eine weitere Person treffen können. Einsamkeit, das wissen vielleicht einige hier, hat dramatische Folgen, Folgen, die wir in den Blick nehmen müssen, wenn wir über Existenzängste und Gesundheitsschutz in Berlin reden.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Dennoch muss klar sein: Unsere Ziele sind, die Gesundheit der Berliner und Berlinerinnen so weit als möglich zu schützen und eine Überlastung unseres neoliberal effizient getrimmten Gesundheitssystems zu verhindern, noch immer. Deshalb müssen wir, bis es eine effektive medizinische Intervention in Form eines Medikaments oder einer Impfung gibt, lernen, mit diesem Virus zu leben und es gleichzeitig in Schach zu halten. Das gelingt aber nur mit den Berlinerinnen und Berlinern. Jede Regelung, die sich die Bundesregierung, der Senat oder wir als Parlament ausdenken, wird nur umsetzbar sein, wenn die Menschen diese für nachvollziehbar halten. Nur mit Überzeugung und nicht mit Verboten oder Verpflichtungen lassen sich Regeln über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten.

[Beifall bei der LINKEN]

Die einfachen Hygieneregeln, die einfachen Regeln, Abstand halten, die Zahl der Kontakte klein und überschaubar halten, Hygieneregeln einhalten, auch regelmäßiges Händewaschen gehört dazu, damit haben wir einen Kanon an Regeln, die wir als Bürger und Bürgerinnen und als Staat in unser Leben integrieren können und müssen, egal in welchem Setting. Besonderes Augenmerk muss dabei den Risikogruppen gelten, bei denen eine Erkrankung schwer oder gar tödlich verläuft. Auch die müssen wir nicht paternalistisch bevormunden, sondern einbeziehen, wenn wir über Schutzkonzepte reden. Ich

finde, es kann nicht sein, dass Menschen, die über 80 sind und die dieses Land unter großen Entbehrungen aufgebaut haben, heute Angst haben müssen, faktisch vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu werden.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Wenn ich einen Artikel lese, dass in einer Senioreneinrichtung kein Besuch mehr möglich ist und Bewohner und Bewohnerinnen darunter leiden und deshalb sogar über Sterben nachdenken, müssen wir fragen, was wir tun können, um ihnen diese Angst zu nehmen.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Das heißt, es geht nicht nur um das individuelle Verhalten von uns allen und um Agieren als staatliche Betreiber von Einrichtungen, sondern es geht auch darum, was Menschen brauchen, um ihre Gesundheit zu schützen, um richtige Entscheidungen für sich treffen zu können. Da kommt wieder der Staat ins Spiel, mit genau dem, was dieser Senat sehr schnell gemacht hat, als er die Soforthilfepakete I bis V auf den Weg gebracht hat. Es liegt doch auf der Hand: Wer kann sich über seine Gesundheit und die Veränderungen im täglichen Handeln Gedanken machen, wenn sie nicht weiß, wie die Miete im nächsten Monat bezahlt werden soll oder was für die Kids zu Essen auf den Tisch kommt. Deshalb war die schnelle und unbürokratische Hilfe des Senats an dieser Stelle richtig. Deshalb ist es auch richtig, dass die Koalition gemeinsam mit der FDP – hört, hört! – über eine Bundesratsinitiative nachdenkt, das Kurzarbeitergeld, das gerade bei Geringverdienenden nicht hinten und vorne reicht, deutlich zu erhöhen.

[Beifall bei der LINKEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Die Leute wollen wieder arbeiten! Das ist es, was sie wollen!]

Das ist der zweite wesentliche Aspekt neben den individuellen Verhaltensänderungen, die wir erreichen müssen: die Frage nach der Sicherung von Strukturen, die Menschen in die Lage versetzt, ihr Leben und ihr Verhalten tatsächlich zu ändern. Man kann das auch Solidarität nennen. Und ja, da geht es auch um Perspektiven für Menschen, die zum Beispiel in der Gastronomie arbeiten, oder kleine Dienstleister, die sich selber um ihren Lebensunterhalt bemühen wollen und es können sollen, soweit es mit den Regeln zu vereinbaren ist.

Lassen Sie mich auch das anmerken: Was für die Strukturen im Kleinen gilt, gilt erst recht im Großen. Es ist richtig, dass sich die Senatoren Lederer und Kollatz für Corona-Bonds ausgesprochen haben, denn wenn das Haus brennt, ist es Unsinn, den Brand in der Wohnung zu löschen, aber Treppenhaus und andere Wohnungen zu ignorieren. Ein Virus kennt keine Grenzen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Das gilt auch für das Leid der Geflüchteten in den überfüllten griechischen Lagern. Moria sei hier erwähnt. Das

darf uns nicht kaltlassen. Ein Lager, ausgerichtet auf ein paar Tausend Menschen, jetzt belegt mit 25 000 Menschen, ist eine Katastrophe in den Zeiten von Corona.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Das Beispiel Singapur mit einem dramatischen Ausbruch in den überfüllten Wohnheimen der Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter sei uns Mahnung. Es ist gut, dass das Land Berlin sich dafür einsetzt, wenigstens unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus diesem Elend in Griechenland zu holen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Letzter Punkt: Wir müssen alles tun, was einem Track and Trace von Erkrankten dient. Wir müssen sie finden und ihre Kontaktketten zurückverfolgen können. Containment nennt sich das. Dafür brauchen wir das Personal in den Gesundheitsämtern. Das haben wir sogar in Berlin über das geforderte Maß von fünf Menschen pro 20 000 Einwohner und Einwohnerinnen hinaus. Aber wir müssen dieses Niveau halten, auch wenn jetzt andere Bereiche der öffentlichen Verwaltung wieder langsam hochgefahren werden. Dafür brauchen wir Personal und Ressourcen, über die wir hier reden und entscheiden werden müssen.

Dazu kommt eine ausgefeiltere Teststrategie und das Hochfahren der Testzahlen. Wenn im gestrigen RKIBericht steht, dass Deutschland eine Testkapazität von 861 000 Tests pro Woche hat, aber nur 470 000 in der Kalenderwoche gemacht hat, dann frage ich, warum. Ich finde, hier ist Ihr Gesundheitsminister gefragt, diese Kapazitäten auszunutzen und das hochzufahren, denn es ist doch Unsinn, jetzt in der Öffentlichkeit über einen Immunitätspass zu reden und damit Anreize zu setzen, dass Menschen in unserer Gesellschaft eventuell ihre Quarantäne sozusagen dafür nutzen, um noch mit Ansteckung anderer Geld zu verdienen, weil es ja dann sinnvoll ist, einen solchen Pass in der Hand zu haben. Ich habe das ja durchgemacht. Das ist der größte präventionistische Schwachsinn, den sich der Bundesgesundheitsminister da ausgedacht hat.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Auch hier in Berlin müssen wir die Ressourcen in die vorhandenen Kapazitäten bei Testangeboten lenken – für Pflegeeinrichtungen, in den Krankenhäusern, in Seniorenresidenzen. Ein täglicher Test des Personals, auch gepoolt, hätte vielleicht einen Ausbruch wie in der Lichtenberger Seniorenresidenz verhindern können. Zu diesem dritten Punkt zählt auch, dass wir alles unternehmen müssen, um einem weiterhin möglichen stärkeren Ausbruch gewappnet gegenüberzustehen. Deshalb war die Entscheidung für das Behandlungszentrum in der Jafféstraße, von dem wir alle hoffen, dass wir es nie brauchen, richtig.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN der SPD und den GRÜNEN]