Dass trotz aller bisheriger Bemühungen weiterhin ein Handlungsbedarf vorliegt, zeigen uns die verfügbaren Zahlen. Laut Statistik des Bundeskriminalamtes stiegen die Opferzahlen von Partnerschaftsgewalt seit Beginn der Erhebung jährlich auf bis zuletzt knapp 140 000 Fälle. Mehr als 80 Prozent der Opfer bei Gewalt in Partnerschaften sind Frauen. Jeden dritten Tag stirbt eine Frau in Deutschland durch den eigenen Partner. Und das sind nur die bekannten Fälle, Schätzungen zufolge ist jede dritte Frau in Deutschland einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen.
Gewalt gegen Frauen kommt in allen Altersgruppen und allen Sozialschichten vor. Neben der häuslichen Gewalt gibt es aber auch abstraktere Gewaltformen, auf die ich an dieser Stelle gerne eingehen möchte: Cybermobbing, Cybersexismus, Cybergewalt sind Gefahren, die tief in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen und sich in der Regel gegen Minderheiten und Schwächere richten. Anonyme Drohungen, Verletzungen der Privatsphäre und Angst, hierdurch Job, Freunde oder gesellschaftliche Anerkennung zu verlieren, führen nicht selten in einen psychologischen Beratungsbedarf, bis hin zu dokumentierten Suiziden. Täglich wird das Leben von Menschen anonym vom PC aus zerstört: auf dem Schulhof, im Job oder im Alltag. Betroffene werden in Berlin bereits durch gezielte Angebote darauf aufmerksam gemacht, dass sie nicht alleine sind, dass es Hilfe gibt und dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Die Angebote für Hilfe bei Gewalt im digitalen Raum müssen aber weiterhin verstärkt werden, zudem muss Gewalt im Internet durch Polizei und Justiz konsequent verfolgt werden können. Digitale Gewalt ist nicht nur ein Problem im Internet – es ist ein reales Problem mit realen Opfern.
Rot-Rot-Grün hat in den vergangenen Jahren durch Schwerpunktsetzung im Haushalt das Hilfe- und Antigewaltsystem in Berlin konstant ausgebaut. Durch eine Vielzahl von Maßnahmen wird Gewalt gegen Frauen bekämpft, Präventionsmaßnahmen wurden gestärkt und Hilfe wird konsequent angeboten. Von vorbeugenden Interventionsprogrammen über Aus- und Fortbildung bestimmter Berufsgruppen, bis hin zu Aufklärungskampagnen wurde bereits vieles getan, um Gewalt gegen Frauen zu vermeiden, bevor sie überhaupt erst auftritt.
Um Opfern Unterstützung anzubieten, wurde ein niedrigschwelliges und umfassendes Beratungsangebot geschaffen. Für Akutfälle wurden Schutzunterkünfte sowie Wohnraumversorgung stetig ausgebaut. Darüber hinaus stehen Mittel für den Ausbau weiterer Schutzplätze bereit. Es gibt übergreifende Maßnahmen, die die Zusammenarbeit und den Austausch mit Nichtregierungsorganisationen und der Zivilgesellschaft gewährleisten.
Das differenzierte Berliner Hilfesystem ist somit in der Lage, für spezielle Problemlagen zielgerichtet Hilfe anzubieten. Durch die konsequente gleichstellungspolitische
Arbeit der Koalition ist Berlin daher auf einem guten Weg, viele Verpflichtungen der Istanbul-Konvention bereits jetzt umzusetzen.
Der vorliegende Antrag ist nun ein weiterer Schritt. Durch ihn werden wir auf Senatsebene ein ressortübergreifendes Gremium einberufen, welches einen Aktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention erarbeiten wird. Das Gremium wird überprüfen, welche weiteren Schritte und Maßnahmen notwendig sind, um die Handlungsverpflichtungen zu erfüllen, die sich aus der Istanbul-Konvention ergeben haben. Den Grundstein dafür haben wir bereits im Haushalt 2021 gelegt. Es stehen Mittel bereit, um in der federführenden Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege, Gleichstellung eine Koordinierungsstelle einzurichten. Der beantragte Aktionsplan wird das Berliner Hilfesystem quantitativ und qualitativ weiterentwickeln und im Ergebnis zu einer abgestimmten Gesamtstrategie des Senats führen. Durch einen berlinweiten Handlungsrahmen wird somit häusliche und sexualisierte Gewalt zukünftig durch einen ganzheitlichen Ansatz bekämpft werden. Viele bereits bestehende Maßnahmen werden so sinnvoll zusammengeführt, ergänzt und in der Summe massiv gestärkt. Es gilt, allen Formen von Gewalt entschlossen entgegenzutreten.
Der vorliegende Antrag macht unsere Stadt gerechter und sicherer. Das Berliner Hilfesystem wird durch ihn weiterhin bedarfsgerecht ausgebaut, um allen von Gewalt betroffenen Frauen zielgerichtet und effektiv Unterstützung zukommen zu lassen. Er zeigt, dass Berlin sich weiterhin kümmert, er schützt Menschen vor Unterdrückung und Gewalt. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da meine Fraktionskollegin Frau Vogel erkrankt ist, werde ich stellvertretend für sie den Debattenbeitrag für die Aktuelle Stunde vortragen.
Wir sprechen heute über ein Thema, das vor Jahren für viele, ob in Politik oder Gesellschaft, weitestgehend mit einem Tabu belegt und mit Scham behaftet war. Das hat sich zum Glück geändert, weil es nämlich den Frauen selbst zu verdanken ist, dass dieses Thema aus der Ecke
geholt wurde. Sie waren es nämlich, die mit ihren Geschichten furchtlos an die Öffentlichkeit gingen, um diese wachzurütteln. Sei es durch die Me-too-Bewegung oder durch die Vorkommnisse in der Kölner Silvesternacht. Dabei ist eins klar geworden: Gewalt gegen Frauen ist durch nichts zu entschuldigen und durch nichts zu rechtfertigen.
Diese Haltung muss uns alle einen, wenn es darum geht, die Gewaltspiralen gegen Frauen zu brechen und ihnen die notwendigen Hilfen zuteilwerden zu lassen. Das gilt auch für die häusliche Gewalt, die nach wie vor den größten Raum einnimmt. Das zeigen auch die Zahlen der bundesweiten kriminalistischen Auswertungen zu Partnerschaftsgewalt aus dem Jahr 2018.
Doch das sind nur die offiziellen Zahlen, es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer weitaus höher liegt. Aus diesem Grund muss das Thema Gewalt gegen Frauen stärker in den Fokus von Politik und Öffentlichkeit und vor allem mit entsprechenden Antigewaltmaßnahmen unterlegt werden.
Ein Meilenstein auf diesem Weg war und ist auch die Istanbul-Konvention von 2014, wie auch meine Kollegin vorhin bemerkte. Sie definiert einen europaweit einheitlichen Rahmen für Prävention, Opferschutz und Strafverfolgung. Vier Jahre später trat sie auch in Deutschland in Kraft und ist seitdem geltendes Recht. Die Bundesregierung hat auf Bundesebene die daraus resultierenden Maßnahmen relativ schnell umgesetzt. Von der Einrichtung eines niedrigschwelligen, bundesweiten Hilfstelefons bis hin zur Konkretisierung des Sexualstrafrechts. Doch für die CDU-Fraktion ist der Ausbau der Fraueninfrastruktur gegen Gewalt vor Ort eines der wichtigsten Anliegen, allen voran die Stärkung der ehrenamtlichen Vereine und der Frauenhäuser.
Aber im Rahmen der vergangenen Haushaltsberatungen blieb die Bilanz des Senats in den Themenfeldern: Frauen, Gleichstellung und Antigewaltprävention deutlich hinter unseren Erwartungen zurück. Insbesondere die Umsetzung der Istanbul-Konvention auf Landesebene hätte in diesem Haushalt entsprechend widergespiegelt werden müssen, doch das war leider nicht der Fall, sodass das Ergebnis eher mager anmutet. So stand beispielsweise die wichtige Anlaufstelle Papatya e. V. vor dem Aus – eine Situation, die es so noch nie gegeben hat, selbst in Zeiten knapper Kassen nicht. Getrickst wurde auch bei der Anzahl der vorzuhaltenden Frauenhausplätze; momentan fehlen noch immer 60 Plätze. Berücksichtigung der wachsenden Stadt? – Fehlanzeige! Doch es liegt auf der Hand: Diese Ignoranz wird sich auf Dauer als ein größer werdendes Problem erweisen, wenn der Senat die
Deshalb appellieren wir an den Senat, die benötigten Plätze unter Hinzuziehung neuer Bevölkerungsprognosen schnellstmöglich einzurichten und sich von der Einrichtung einer Clearingstelle endgültig zu verabschieden.
Die bedeutet nämlich eine falsche Prioritätensetzung, auch aus Sicht der Träger. Stecken Sie daher, verehrte Koalitionäre, die zur Verfügung stehenden Mittel lieber in die Stärkung des Frauenhauspersonals. Da fehlt es auch an allen Ecken und Enden.
Zu guter Letzt: Warum muss die Koalition per Dringlichkeitsantrag ein ressortübergreifendes Gremium zu dem Ergebnis der Istanbul-Konvention einberufen, wenn es sich um die Umsetzung geltenden Rechts handelt?
Oder hakt es womöglich doch bei der Zusammenarbeit zwischen den Verwaltungen beim Aktionsprogramm gegen Gewalt an Frauen?
Alles in allem wäre es gut gewesen, wenn der Senat diese anstehenden Fragen und Probleme vor der heutigen Diskussion abgeklärt hätte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Abgeordnete! Liebe Gäste! Die Zahlen sind erschreckend und für mich nicht mehr nachvollziehbar. Schläge statt Geborgenheit, Mord statt Familienglück. Fast jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau ermordet. Jede vierte Frau wird mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von körperlicher oder sexualisierter Gewalt. Jährlich gibt es etwa 600 versuchte Tötungen an Frauen und Mädchen. 2018 wurden insgesamt 140 755 Menschen Opfer von Partnerschaftsgewalt, davon waren 114 393 Opfer weiblich und 26 240 Opfer männlich. 122 Frauen haben es nicht überlebt.
Seit Beginn dieses Jahres wurden bereits 24 Frauen in Deutschland von ihren Ex-Partnern oder von Familien
angehörigen getötet. Erst in der letzten Woche wurde eine Frau mit ihrer neunjährigen Tochter in Marzahn getötet. Ist es eine Beziehungstat, oder ist es Frauenmord? – Frauen werden ermordet oder misshandelt, weil sie Frauen sind. Sie werden ermordet oder misshandelt, weil Männer glauben, dass sie das Recht dazu haben. Sie werden ermordet oder misshandelt, weil sie ihr Recht auf ein eigenes Leben umsetzen wollen. Frauen werden ermordet oder misshandelt, weil sie sich trennen wollen oder weil Männer ihren Frust, ihren Hass und ihre Wut an Frauen und Mädchen auslassen oder weil sie einfach nur Macht demonstrieren wollen. Es betrifft Männer, egal ob deutscher oder ausländischer Herkunft, es zieht sich wie ein roter Faden durch alle Gesellschaftsschichten.
Wer die Ermordung von Frauen als Beziehungstat, als Familientragödie, als Eifersuchtsdrama oder Ehrenmord bezeichnet, verharmlost die Morde
[Beifall bei der LINKEN, der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der FDP – Beifall von Dr. Kristin Brinker (AfD)]
und trägt dazu bei, den Grund für die Ermordung der Beziehung, der Familie oder der Herkunft zuzuschreiben und damit quasi zu entschuldigen.
Unser Strafrechtssystem unterscheidet zwischen Mord und Totschlag. Ein Mörder ist nach dieser Definition, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder aus sonstigen niederen Beweggründen heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln einen Menschen tötet. Morde an Frauen werden aber häufig als Totschlag eingestuft. Das heißt, der Täter ist kein Mörder. Wir alle sollten dafür eintreten, dass die Ermordung von Frauen als Frauenmord bezeichnet wird, denn mit dem Wort Frauenmord wird deutlich: Frauen werden aufgrund ihres Geschlechts ermordet.
Der Schaden und das Leid für Frauen und deren Kinder und Familien sind unermesslich. Aber auch der ökonomische Schaden durch die Gewalt an Frauen ist riesig. Er wird in Deutschland auf 3,8 Milliarden Euro jährlich beziffert. Das Ausmaß geschlechtsspezifischer Gewalt an Frauen wird trotz der erschreckend hohen Zahl von Politik und Gesellschaft immer noch zu wenig ernst genommen oder gar verharmlost. Dabei ist es ein Phänomen, für das es Gründe gibt – tradierte Rollenmuster mit immer noch vorherrschenden männlichen Dominanz- und Besitzansprüchen.
Unsere Forderungen sind daher – erstens – ein angemessenes strafrechtliches Vorgehen gegen Frauenmorde und die Ausschöpfung des vollen Strafmaßes. Zweitens: die Umsetzung und Anwendung der Istanbul-Konvention. Drittens müssen mehr finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. Viertens: Es müssen mehr Bereiche beleuchtet werden. Dazu gehören die digitale Gewalt an Frauen, Gewalt an behinderten Frauen, Gewalt an LGBTQ und geflüchteten Frauen.
Fünftens: Wie von vielen schon gefordert, braucht es eine verbesserte bundesweite Erhebung von Daten zu Gewalt an Frauen, um das Ausmaß und die Folgen von häuslicher Gewalt deutlich zu machen. Sechstens: Es braucht eine gründliche Erforschung von Gewaltpotenzialen in Familien und Partnerschaften, um gezielt gegen Männergewalt vorgehen zu können. Siebtens: eine angemessene Förderung der Hilfsangebote für Opfer häuslicher Gewalt. Achtens: Nötig ist die bundesweite Finanzierung von Täterarbeit. Neuntens: Es braucht die richtige Benennung in der medialen Berichterstattung durch die Verwendung des Begriffs Frauenmord.
Mit Inkrafttreten der Istanbul-Konvention gibt es jetzt ein rechtlich bindendes Instrument zur umfassenden Bekämpfung von Gewalt an Frauen. Das Neue an der Istanbul-Konvention ist: Sie legt einen noch viel weitreichenderen Begriff der Gewalt zugrunde, dem ich mich zu gerne anschließe. Auch subtile psychische Gewalt, die geistige Unterwerfung, Beleidigung und das systematische Zerstören von Selbstbewusstsein gehören dazu. Aber auch relativ neue Phänomene wie digitale Gewalt werden ausdrücklich in der Konvention mit bedacht. Außerdem werden komplette besonders verletzliche Personengruppen wie Frauen mit Behinderung, Kinder, Jugendliche, Transmenschen, Intersexuelle, Frauen mit Migrations- und Fluchthintergrund, Wohnungslose sowie Suchtkranke thematisiert, und das zu Recht,
weil gerade diese Gruppen besonders häufig von Gewalt betroffen sind, weil gerade diese Menschen besonders schutzlos in unserer und jeder anderen Gesellschaft auf dieser Welt sind. Deshalb müssen auch wir in Berlin die Konvention schnellstmöglich umsetzen, denn sie ist keine Kann-Bestimmung, sondern ein Gesetz, eine MussRegelung.