Protocol of the Session on March 5, 2020

[Beifall bei der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Beifall von Cornelia Seibeld (CDU)]

Frau Senatorin! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kapek – –

Das Thema „Gewalt an Frauen“ ist universell, und es ist richtig, dass das Thema hier aufgerufen wird, weil das Thema auch für Deutschland gültig ist.

[Unruhe]

Nein! –

[Heiterkeit]

Das Thema ist universell und auch hier in Deutschland hochaktuell. Die Redebeiträge heute haben die Wichtigkeit und die Aktualität hier noch mal sehr unterstrichen. Die Zahlen haben wir gehört – die Zahl der Todesfälle in Deutschland ist sehr bedrückend, aber auch die Zahl der Akte häuslicher Gewalt ist sehr bedrückend, und zwar auch in Berlin. Wenn einer denkt, das Thema Gewalt an Frauen sei weit weg – nein. Es ist mitten in unserer Gesellschaft, das zeigen alle Zahlen, die uns zur Verfügung stehen.

Natürlich ist es eine staatliche Aufgabe, ein entsprechendes Hilfesystem bereitzustellen. Aber es ist auch ein Thema für die gesamte Gesellschaft, denn jeder von uns, der hier im Saal ist, kann etwas dagegen tun.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Berlin hat ein Hilfesystem, und dieses Hilfesystem kann sich wirklich sehen lassen. Wo ist deutschlandweit das erste Frauenhaus entstanden? – In Berlin, 1976. Und seit diesem ersten Frauenhaus haben wir ein Hilfesystem aufgebaut, das nicht nur aus Frauenhausplätzen besteht. Es ist ausdifferenziert: Wir haben Frauenhausplätze, wir haben Zufluchtswohnungen, wir haben Zweite-StufeWohnungen. – Ja, wir haben jetzt auch die Clearingstelle auf den Weg gebracht, wir haben vor allem fünf Beratungsstellen, und wir haben die BIG-Hotline.

Es ist genau richtig, das Thema international aufzurufen, denn das Thema Gewalt an Frauen ist universell. Deswegen ist der Ansatz der Istanbul-Konvention genau richtig, hier international in einem Bündnis, in einem Netzwerk an dem Thema zu arbeiten. Aber wenn man Berlin vergleicht – international, aber auch mit anderen Bundesländern – muss ich sagen: Wo andere erst anfangen, sind wir schon sehr weit. Aber es ist trotzdem gut, mit der Istanbul-Konvention zu gucken: Wo haben wir noch Lücken? Wo können wir auch noch besser werden?

(Dr. Maren Jasper-Winter)

Genau da befinden wir uns gerade. Das Hilfesystem in Berlin mit den Frauenhäusern, Zufluchtswohnungen, Zweite-Stufe-Wohnungen, der Clearingstelle und den Beratungsstellen ist auch im Vergleich zu anderen Bundesländern sehr vorbildlich, denn das Besondere an unserem Hilfesystem in Berlin ist, dass die Frauen, die Gewalt erfahren und Hilfe in unserem Hilfesystem brauchen, keine finanziellen Möglichkeiten mitbringen müssen. An unserem Hilfesystem partizipieren alle Frauen, egal, wie sie wirtschaftlich drauf sind und egal, in welchem sozialen Zustand sie sind. In anderen Bundesländern sieht es anders aus – da müssen die Frauen Geld mitbringen. Das Land Berlin finanziert dieses Hilfesystem aus dem eigenen Haushalt – das ist etwas ganz Besonderes, und darauf können wir alle wirklich stolz sein.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir haben ein Gutachten erstellt: Wo können wir besser werden? – Wir haben zum Beispiel festgestellt, dass wir Frauen mit Behinderung nicht gut mit unserem Hilfesystem erreichen. Frauen mit Behinderung sind stärker von Gewalt betroffen, sie können sich weniger wehren. Deswegen haben wir gesagt, wir müssen unser Hilfesystem weiterentwickeln. Die gute Nachricht ist: Wir werden noch im April 34 Frauenhausplätze zusätzlich neu einrichten, genau mit dem Schwerpunkt, barrierefreie Angebote zu machen – das ist die Weiterentwicklung.

Es ist aber auch eine Weiterentwicklung zu sagen, wir brauchen eine Clearingstelle. Ich bleibe dabei: Nicht jede Frau in dieser Stadt, die Gewalt erfahren hat, braucht auch einen Frauenhausplatz, denn es gibt auch andere Hilfesysteme. Wer von Ihnen war schon mal in einem Frauenhaus? – Ich sehr häufig. Und ich kann Ihnen sagen: Es ist keine schöne Sache, mit Kindern über längere Zeit in einem Frauenhaus zu sein. Frauenhäuser schützen die Frauen im ersten Moment, aber im zweiten Schritt müssen wir die Frauen doch befähigen, wieder auf eigenen Füßen zu stehen, eigene Wohnungen, einen eigenen Job zu finden, die Sprache zu lernen, eine Ausbildung zu machen. Genau das machen wir mit unserem Hilfesystem. Wir wollen doch nicht Paläste von Frauenhäusern bauen, in die wir die Frauen nur reinbringen und sie nie wieder rauskommen. Die Lebensbedingungen in Frauenhäusern sind kein Dauerzustand. Sie dienen nur dem Schutz, um sich zu erholen und dann weiter auf eigenen Füßen zu stehen.

Deswegen haben wir ein ausdifferenziertes System. Wo ist die Idee der Zweite-Stufe-Wohnung entstanden? – Vielleicht erinnern sich einige: Wir waren als Ausschuss in Italien, ich habe Sie bei einer Ausschussreise begleitet. Dort haben wir uns Zweite-Stufe-Wohnungen angeschaut und haben gesagt: Super! Das ist eine Möglichkeit für Frauen, aus Frauenhäusern wieder herauszukommen und ein eigenständiges Leben in einer eigenen Wohnung zu führen. – Und ich finde es richtig, dass wir die Kapazitäten, die wir jetzt ausbauen, auch in die Zweite-Stufe

Wohnungen geben, damit wir es Frauen, wenn sie in Gewaltsituationen kommen, ermöglichen, sich nach dem ersten Schutzmoment auch wieder in die Selbstständigkeit zu begeben.

Es macht mich wirklich stolz, wenn ich ein Frauenhaus besuche, dort Frauen kennenzulernen, die kein Deutsch konnten, keinen Berufs-, keinen Schulabschluss hatten, die dann sagen: Durch die Unterstützung des Frauenhauses, aber auch des gesamten Netzwerkes des Hilfesystems haben sie Deutsch gelernt, einen Schulabschluss gemacht und sind in einer Berufsausbildung. – Das ist das Beste, was wir für diese Frauen tun können. An dieser Stelle möchte ich mich – ich denke, im Namen des gesamten Hauses – bei den vielen Frauen bedanken, die sich tagtäglich bei der BIG-Hotline, in Frauenhäusern, in Beratungsstellen um diese Frauen kümmern, Schutz geben, ihnen aber auch wieder eine Perspektive geben. – Vielen Dank an die vielen Beschäftigten des Hilfesystems!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP]

Aber selbstverständlich geht es nicht nur darum, ein Hilfesystem zu haben. Das ist das, was der Staat macht und wofür er verantwortlich ist. Und es ist nicht nur ein Thema der Frauen- und Gleichstellungssenatorin – selbstverständlich betrifft das Thema Gewalt an Frauen viele Bereiche, und dazu will ich einige Beispiele nennen: Selbstverständlich arbeite ich mit meinem Kollegen Justizsenator zusammen, was die Gewaltschutzambulanz angeht. Frauen, die Gewalt erfahren, brauchen diese professionelle Unterstützung in dem Moment.

Aber auch mein Gesundheitsbereich, das will ich an dieser Stelle sagen, ist sehr aktiv, wenn es darum geht zu gucken: Wie muss das Gesundheitssystem aufgestellt sein, wenn Frauen Gewalt erfahren, damit in der Notaufnahme erkannt wird, dass es eine Gewaltsituation ist? – Und ich will ein Beispiel nennen, das wirklich ein Leuchtturm ist: Unser Traumanetzwerk ist einmalig. Frauen, die Gewalt erfahren haben, die traumatisiert sind und Kinder haben, kann man für die Behandlung nicht einfach in die Psychiatrie schicken. Sie brauchen ein spezifisches Angebot, und das haben wir in Berlin aufgebaut. Ein Traumanetzwerk, das ist Ausdifferenzierung: dass wir für jede Frau in ihrer individuellen Situation auch ein Hilfeangebot haben.

Auch die anderen Bereiche will ich nennen: Meine Kollegin Frau Scheeres macht zum Thema Zwangsverheiratung eine große Kampagne und Aufklärung. Das läuft, da arbeiten wir Hand in Hand. Da will ich auch meinen Kollegen Innensenator mit der Landeskommission gegen Gewalt ansprechen – große Kampagne zum Thema Cybergewalt. Hier arbeitet tatsächlich der gesamte Senat an dem Thema Gewalt gegen Frauen.

Aber ich gebe Ihnen natürlich recht, dass wir auch die Zivilgesellschaft brauchen, nicht nur die Frauenvereine

(Senatorin Dilek Kalayci)

und die Einrichtungen, die sich um Frauen kümmern, sondern wir brauchen auch andere Bereiche der Zivilgesellschaft, die mit uns an einem Strang ziehen. Wenn wir das Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz aufrufen, ist das auch eine Form von Gewalt. Wenn Sie nämlich über die psychischen Folgen von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz nachdenken, dann ist es gut und wichtig, dass Frau Pop für die Landesbeteiligungen aktiv geworden ist; es ist gut und wichtig, dass ich für meine Verwaltung dazu eine Dienstvereinbarung auf den Weg gebracht habe. Aber alle Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sind aufgerufen, hier mitzuziehen und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zum Thema zu machen und in ihren eigenen Unternehmen und Zuständigkeiten keinen Raum dafür zu geben.

Deswegen werden wir auf jeden Fall die Koordinierungsstelle, die jetzt mit diesem Doppelhaushalt finanziert ist, nutzen, um genau diese Gremienarbeit zu machen; um diese Vernetzung nicht nur senatsintern noch weiter zu intensivieren, sondern rauszugehen; die Vereine, Projekte, auch die vielen Ehrenamtlichen, die in dem Projekt arbeiten, alle an einen Tisch holen, aber auch die gesamte Gesellschaft ansprechen, denn hier haben wir eine Verantwortung, die sehr viele Bereiche angeht.

Mit diesem Antrag wird unser Hilfesystem noch besser. Und die letzte gute Nachricht: Wir werden noch in diesem Jahr das siebte Frauenhaus eröffnen, und wir werden einen Rahmen finden, in dem wir das feiern. Das ist eine gute Nachricht für unser Hilfesystem in Berlin. In diesem Sinne freue ich mich darauf, die Umsetzung dieses Antrages gemeinsam voranzubringen. Ich habe erfahren, dass seit ich in diesem Parlament bin zu diesem Thema – Weiterentwicklung des Hilfesystems, Gewalt an Frauen – immer Konsens bestanden hat, und ich wünsche mir, dass dieser Konsens auch weiterhin aufrecht bleibt. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.

Zu dem Antrag der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 18/2534 – „Istanbul-Konvention umsetzen: Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt verhüten und bekämpfen“ – wird die Überweisung an den Ausschuss für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht; dann verfahren wir so.

Ich komme zu

lfd. Nr. 2:

Fragestunde

gemäß § 51 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Nun können mündliche Anfragen an den Senat gerichtet werden.

Aus gegebenem Anlass weise ich erneut ausdrücklich darauf hin, dass die Fragen ohne Begründung, kurz gefasst und von allgemeinem Interesse sein müssen sowie eine kurze Beantwortung ermöglichen; sie dürfen nicht in Unterfragen gegliedert sein. Ansonsten werde ich sitzungsleitend eingreifen.

Zuerst erfolgen die Wortmeldungen in einer Runde nach der Stärke der Fraktionen mit je einer Fragestellung. Nach der Beantwortung steht mindestens eine Zusatzfrage dem anfragenden Mitglied zu. Eine weitere Zusatzfrage kann auch von einem anderen Mitglied des Hauses gestellt werden. Für die erste Frage rufe ich ein Mitglied der Fraktion der SPD auf und bitte, an das Redepult zu treten; Nachfragen werden von den Sitzplätzen aus gestellt. – Herr Kollege Isenberg, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung rund um das sogenannte neue Coronavirus frage ich den Senat, wie er die aktuelle Lage einschätzt und welche kurz- und mittelfristigen Handlungsoptionen bestehen.

Frau Senatorin Kalayci – bitte schön!

[Stefan Evers (CDU): Kurze Antwort!]

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Abgeordneter Isenberg! Meine Damen und Herren! Ich kann ganz kurz etwas zur allgemeinen aktuellen Lage sagen und dann etwas zu dem, was Berlin macht, gerne auch kurz zu den Einzelfällen, die wir in Berlin haben. Eingangs will ich aber sagen, dass wir am Montag eine Sitzung des Fachausschusses haben werden. Dort werde ich ausführlicher berichten können. Im Anschluss an die Ausschusssitzung werde ich allen Abgeordneten die Gelegenheit zu einem gesonderten Gespräch geben, damit ich zu den Hintergründen, aber auch zur Entwicklung – gestern gab es ein Bund-Länder-Treffen mit dem Bundesgesundheitsminister – etwas detaillierter berichten kann.

Nun aber zur allgemeinen Lage: Das Coronavirus hat Berlin erreicht. Als ich auf dem Weg hierher war, gab es

(Senatorin Dilek Kalayci)

neun Einzelfälle; inzwischen habe ich die Nachricht erhalten, dass wir 13 bestätigte Coronafälle in Berlin haben. Sie sehen, dass die Zahl der bestätigten Fälle in Berlin steigt. Wir müssen uns darauf einstellen, dass es so weitergeht und wir noch mehr bestätigte Fälle in Berlin haben werden. Das heißt, die international, in Europa, Deutschland und Berlin vorhandene Ausbreitung ist von keinem von uns aufzuhalten. Interessant bzw. wichtig wird es sein, zu beobachten, in welchem Ausmaß und in welchem Tempo die Ausbreitung voranschreitet. Das kann keiner vorhersagen. Aber auf eines sollten wir uns, auch laut Angaben von Experten, einstellen: dass das Coronavirus uns vielleicht – wir wissen es nicht genau – einige Jahre beschäftigen wird.

Deswegen appelliere ich an dieser Stelle, mit dem Thema besonnen umzugehen. Wir müssen uns auf diese Situation einstellen. Natürlich müssen wir entsprechende Reaktionen zeigen, keine Frage. Aber wir müssen uns einfach darauf einstellen, dass uns das Thema etwas länger beschäftigen wird.

Zu den Fällen in Berlin kann ich Ihnen sagen: Die einzelnen Fälle sind da. Die Strategie, die bundesweit empfohlen wird durch das Robert-Koch-Institut, umfasst eine Identifizierung der Einzelfälle, die Identifizierung der Kontaktpersonen und die häusliche Isolation sowie, falls erforderlich, eine Testung, um so die Kette der Infektionen zu durchbrechen. Die Hoffnung ist, dass wir dem Ausbruch dadurch etwas an Tempo nehmen, ihn etwas dämpfen und entschleunigen können. Richtig aufhalten kann man das Virus nicht, aber man kann etwas Zeit gewinnen.

Die Gesundheitsämter leisten aktuell eine solche Arbeit. Sie arbeiten unter Hochdruck. Die Amtsärztinnen und Amtsärzte haben Teams, die unterwegs sind. Sie müssen sich das so vorstellen: Wenn die Kontaktpersonen identifiziert sind, muss man Kontakt mit ihnen aufnehmen. Das gelingt nicht immer, weil nicht alle erreichbar sind. Das heißt, es ist eine sehr, sehr mühevolle Arbeit, die die Amtsärztinnen und Amtsärzte sowie die Teams in den Gesundheitsämtern machen. Das bekommt man vielleicht nicht jeden Tag mit, wenn man die Medien verfolgt. Ich kann Ihnen nur sagen, dass sie zurzeit eine hervorragende Arbeit machen. Ich möchte mich hier einmal bei allen Amtsärztinnen und Amtsärzten für ihre Arbeit bedanken, die sie in einer so schwierigen Zeit wie der jetzigen leisten.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD und der FDP]

Es gibt die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, aber natürlich ist jeder Amtsarzt individuell in der Situation, zu entscheiden, wie man da vorgeht. Im Ausschuss werde ich, wie erwähnt, etwas zu den Einzelfällen sagen. Es gibt kein Schema, das für alle gilt – dass man sagt, das ist ein Schema, und das machen wir für alle –, sondern es sind

immer Einzelfallentscheidungen der Amtsärztinnen und Amtsärzte. Da habe ich ein großes Vertrauen, dass sie mit viel Expertise und auf Grundlage der Richtlinien des Robert-Koch-Instituts eigenverantwortlich handeln.