Protocol of the Session on October 31, 2019

Das klingt vielleicht trivial, ist es aber nicht. Austauschen, vernetzen, konsequent vorgehen sind die Voraussetzungen, die unabdingbaren Voraussetzungen, für eine erfolgreiche Bekämpfung von Kriminalität, von organisierter Kriminalität. Diese Strukturen bauen wir auf, haben wir aufgebaut. Gerade in der vergangenen Woche bei dieser Konferenz in der Innenbehörde, an der internationale Experten, nationale Experten, der Präsident des Bundeskriminalamts beispielsweise, die Chefs von vier Landeskriminalämtern teilgenommen haben, hat es auch

aus jedem Berliner Bezirksamt einen Vertreter gegeben, der Ansprechpartner in die Berliner Bezirksämter sein wird und ist, weil wir das Netz auch in der Stadt zusammenziehen.

Deshalb sage ich Ihnen: Wir haben unseren Kampf gegen kriminelle Mitglieder bestimmter Familienclans begonnen, und wir werden nicht nachlassen. Niemand soll an unserer Entschlossenheit zweifeln.

[Beifall bei der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Seit Anfang dieses Jahres haben wir 250 Einsätze gegen Clans in unserer Stadt gefahren, also praktisch jeden Tag einen. Davon waren 62 Verbundeinsätze mit anderen Behörden. Die Idee, die wir gemeinsam im November 2018 auf den Weg gebracht haben mit unserem damaligen 5-Punkte-Plan ist bisher voll aufgegangen: Gemeinsames Vorgehen auf allen Ebenen, von Polizei über den Zoll bis hin zum Ordnungsamt, auf die Füße steigen, wo es nur geht, Nadelstiche setzen, dass es weh tut, illegales Geld wegnehmen, Vermögen einziehen und, ganz wichtig, Regeln durchsetzen und das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger erhöhen. Wir tun das, weil wir Kriminalität in all ihren Erscheinungsformen konsequent bekämpfen. Wir machen das, weil wir Verantwortung für unser friedliches und zivilisiertes Zusammenleben tragen und wahrnehmen. In einer Stadt wie Berlin mit 3,7 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, Menschen aus 180 Ländern dieser Erde, muss es für das Zusammenleben Regeln geben, damit wir eine bunte, offene, tolerante, vielfältige Stadt bleiben. Diese Regeln müssen durchgesetzt werden.

[Kurt Wansner (CDU): Fangen Sie doch mal an!]

Es ist umso wichtiger in einer Zeit, in der unsere Demokratie unter Druck steht, in der Menschen an der Wehrhaftigkeit des Rechtsstaates zweifeln, in der Populisten Zweifel am Rechtsstaat säen, Angst schüren möchten. Gerade in dieser Zeit ist es wichtig, das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit staatlicher Institutionen nicht zu erschüttern. An den Stellen, an denen diese Zweifel bereits bestehen, muss das Vertrauen zurückgewonnen werden.

Jeder, der sich an die Regeln eines geordneten Zusammenlebens hält, darf zu Recht von Polizei und Justiz erwarten, dass gegen Menschen vorgegangen wird, die illegale Drogen handeln, die in der zweiten Reihe protzparken, die illegales Glücksspiel veranstalten, die Menschenhandel betreiben, die Geld waschen, um hier nur einiges zu nennen.

Es gilt in unserem Land nicht das Recht des Stärkeren, sondern der Geist der Gesetze. Die gelten ausnahmslos für alle. Ich weiß, unsere Gesetze tragen manchmal zweifellos sperrige Namen, aber sie zeigen neben der Strafprozessordnung unsere Handlungsmöglichkeiten auf, Tabakerzeugnisverordnung, Betäubungsmittelgesetz,

(Marcel Luthe)

Jugendschutzgesetz, Gaststättenverordnung, Spielgeräteverordnung, Handwerksverordnung, Preisangabeverordnung, Nichtraucherschutzgesetz, Straßenreinigungsgesetz, Bauordnung von Berlin, die gesamte Palette des Rechtsstaats.

Herr Senator! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Luthe?

Nein! Im Anschluss gibt es die Fragerunde, in der können Fragen gestellt werden.

[Marcel Luthe (FDP): Seien Sie doch ein bisschen tapfer, Geisel! – Beifall und Lachen bei der FDP und der AfD]

Wenn man Ihnen hier so zuhört, wenn man dieser Diskussion hier so zuhört, ich habe das jetzt hier gefühlte eineinhalb Stunden getan,

[Georg Pazderski (AfD): Also wir messen die Zeit, wir fühlen sie nicht!]

dann kann man den Eindruck gewinnen, dass hier aus politisch durchsichtigen Motiven versucht wird, uns selbst zu verzwergen. Ich glaube, das ist ein Fehler. Es ist ein Fehler, weil damit die freiheitlich demokratische Grundordnung mit Zweifeln überzogen wird.

[Marcel Luthe (FDP): Lassen Sie doch mal Herrn Lux in Ruhe! – Beifall und Lachen bei der FDP und der AfD]

Es ist ein Fehler; Sie wissen, wen ich meine. Sie reagieren auch entsprechend getroffen. Ich glaube, dass wir es nicht zulassen dürfen, dass hier an den Grundfesten unseres Rechtsstaates gerüttelt wird, dass diese Zweifel gesät werden dürfen. Gerade deshalb ist es in unserer Stadt wichtig, Regeln durchzusetzen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Kriminelle, die am helllichten Tag Kaufhäuser überfallen, Pokerturniere überfallen, wer das tut, der will ganz bewusst gegen unsere Gesetze und Regeln verstoßen; er will es öffentlich tun. Die Botschaft, die da gesetzt werden soll, lautet stets: Seht her, was ich drauf habe. Ihr könnt mir nichts. Ich nehme mir, was ich will. – Hier wird auf offener Bühne unsere Rechtsordnung angegriffen. Dazu sage ich ganz klar: So nicht! – egal, um wen es sich handelt und woher er kommt.

Wir reden heute über organisierte Kriminalität. Die Clankriminalität, wie ich sie gerade beschrieben habe, ist nicht automatisch organisierte Kriminalität, aber es gibt Schnittmengen. Während kriminelle Clanmitglieder fast demonstrativ das Licht der Öffentlichkeit suchen, will

OK im Regelfall eben nicht zu sehen sein, weil zu viel Licht die Geschäfte stört. Im Augenblick reden alle über Clans. Das ist einerseits gut so, weil dabei unsere Entschlossenheit deutlich wird. Es überdeckt aber in der öffentlichen Wahrnehmung womöglich die anderen Arbeitsbereiche und die erzielten Erfolge von Polizei, Staatsanwaltschaft, Finanzbehörden und Zoll. Wir tun das eine, ohne das andere zu lassen. Wir suchen öffentlich nach unversteuertem Shisha-Tabak und ermitteln im Stillen, von der Öffentlichkeit unbemerkt, in Sachen OK.

In Berlin hatten wir 2018 59 OK-Komplexe mit insgesamt 462 Tatverdächtigen. Im Vergleich zu den 535 bundesweit geführten OK-Verfahren, liegt Berlin damit an dritter Stelle hinter den Flächenstaaten NordrheinWestfalen und Bayern. Die Eigentumskriminalität liegt bei uns mit 17 OK-Komplexen vor dem Rauschgifthandel mit 16 OK-Komplexen. Bundesweit konnten durch OKGruppierungen erwirtschaftete kriminelle Erträge in Höhe von 675 Millionen Euro nachvollzogen werden. Bundesweit wurden durch den Staat Vermögenswerte in Höhe von 72 Millionen Euro vorläufig gesichert. Wir sind also durchaus nicht ohne Erfolge.

Mit welchen Bereichen der OK haben wir es in Berlin hauptsächlich zu tun? Hauptbetätigungsfeld der OK in Berlin ist die Eigentumskriminalität, an erster Stelle KfzKriminalität. Rauschgifthandel und Rauschgiftschmuggel stehen in Berlin an zweiter Stelle, hauptsächlich handelt es sich dabei um Kokain. Wer sticht besonders hervor? – Es ist erstens die russisch-eurasische Kriminalität, deren Hauptaktivitäten im Bereich der Eigentumskriminalität liegen. Gewalt, Rauschgifthandel, Schmuggel machen etwa 20 Prozent der OK-Verfahren in Berlin aus.

An zweiter Stelle steht die Rockerkriminalität. Da hatten wir 2018 6 OK-Komplexe mit insgesamt 35 Tatverdächtigen. Es sind etwa zehn Prozent der OK-Verfahren. Da geht es um Rauschgift, Gewalt, illegales Glücksspiel und Menschenhandel. Wie wichtig hartnäckiges Ermitteln und kontinuierliche Strafverfolgung sind, konnten wir am 1. Oktober dieses Jahres erleben, als im Prozess um den sogenannten Wettbüromord nach fast fünf Jahren die Urteile gesprochen wurden. Acht von zehn Angeklagten wurden zu lebenslangen Haftstrafen wegen Mordes bzw. Anstiftung zum Mord verurteilt, einer zu zwölf Jahren Haft wegen Mordes und einer zu einem Jahr und zehn Monaten wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz. Ich habe nach dem Urteil gesagt: Das ist ein guter Tag für den Rechtsstaat. Berlin ist das falsche Pflaster für Bandenkriege und andere Formen brutaler Gewalt. – Und das wiederhole ich heute gerne noch mal: Das war ein guter Tag für die Wehrhaftigkeit des Rechtsstaates.

Fünf OK-Komplexe mit insgesamt 38 Tatverdächtigen konnten wir im vergangenen Jahr der arabischstämmigen Clankriminalität zuordnen, also etwa 8,5 Prozent der OKVerfahren.

(Senator Andreas Geisel)

Bei der Innenministerkonferenz in Kiel im Juni 2019 – das hat ja hier in der Diskussion eine Rolle gespielt – haben sich auf Initiative von Berlin alle 16 Bundesländer und der Bund darauf verständigt, gemeinsam vorzugehen, diese Aufgabe also nicht allein den hauptbetroffenen Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Bremen, Niedersachsen und Berlin zu überlassen, sondern alle Bundesländer sind betroffen und erstellen OK-Lagebilder auch mit einer spezifischen Ausprägung auf Clankriminalität, und das Bundeskriminalamt koordiniert diese Aktivitäten. Im Bundeslagebild OK 2018 des BKA wurde der Phänomenbereich der Clankriminalität erstmals gesondert betrachtet. Berlin, das ist hier richtig gesagt worden, hat bisher wie alle anderen Länder auch an das Bundeskriminalamt die entsprechenden Daten geliefert. Wir wollen aber auch wissen, was genau in Berlin los ist, und haben deshalb ein eigenes OK-Lagebild erarbeitet. Das werden wir in wenigen Wochen, noch in diesem Jahr, vorstellen.

Die organisierte Kriminalität ist daran interessiert, unsere Gesellschaft, Politik, Polizei und Justiz zu unterwandern, aber am Ende sind es ganz gewöhnliche Kriminelle, die ein Ziel verfolgen, nämlich Geld und Vermögen anzuhäufen. Die Antwort darauf ist gleichermaßen so leicht wie schwer: Wir müssen den Kriminellen den Geldhahn zudrehen. Bei einem Drittel der OK-Verfahren in Berlin gab es Hinweise auf Geldwäscheaktivitäten. Wenn wir illegales Vermögen einziehen können, führt dies zu einer nachhaltigen Schwächung krimineller Strukturen. Die Erlöse aus der organisierten Clankriminalität werden in Wohnimmobilien im In- und Ausland investiert, in geringerem Umfang auch in Gewerbeobjekte. 2017 hat in der Tat der Bund neue Regelungen zum Einziehen von illegalen Vermögen geschaffen, unter der Kritik der FDP, die also hier am Mikrofon ordentlich tönt, aber unsere Gesetze entsprechend angreift.

[Torsten Schneider (SPD): Aha! Unerhört!]

Diese Gesetze wenden wir an. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat im April 2019 diese Regelung umgesetzt und 77 Immobilien einer bekannten Familie beschlagnahmt. Damit konnten Vermögenswerte in Höhe von 9,3 Millionen Euro vorläufig gesichert werden, und auch die Mieteinnahmen fließen inzwischen nicht mehr auf das Konto von Kriminellen. Das ist ein großer Erfolg.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zurufe von der FDP]

Ich möchte mich an dieser Stelle noch einmal ganz ausdrücklich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Justiz und Polizei bedanken, die das mit ihrer täglichen harten Arbeit möglich gemacht haben.

[Zuruf von Georg Pazderski (AfD)]

Wir sind gut aufgestellt in Berlin, aber wir werden nicht allein erfolgreich sein. Austauschen, vernetzen, konsequent vorgehen – das sind auch hier die Schlagwörter für

eine erfolgreiche Strafverfolgung. Das erfordert neben der sowieso schon engen Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt auf Bundesebene eine enge Kooperation mit Polizeibehörden im europäischen Ausland, insbesondere mit Europol.

Aber was können wir in Deutschland tun? – Wir brauchen eine weiter veränderte Bundesgesetzgebung z. B. bei der Geldwäsche. Das Geldwäschebekämpfungsgesetz wurde vorletzte Woche in erster Lesung im Deutschen Bundestag behandelt, mit guten Ansätzen. Auf das bereits bestehende Transparenzregister soll jetzt die Öffentlichkeit Zugriff haben. Mit dem Register werden also die tatsächlich wirtschaftlich Berechtigten aufgeführt. Das soll verhindern, dass sich zukünftig weiterhin die wirklichen Eigentümer von Unternehmen hinter Strohmännern verstecken können. Darüber hinaus wird die Vernetzung der nationalen Register in Europa vorbereitet. Es soll die Geldwäschebekämpfung im Immobilienbereich mit einer verschärften Meldepflicht für Makler und Notare verbessert werden, und auch Edelmetallhändler und Auktionäre sind im Visier. Hier galt bislang eine Anzeigepflicht, die bei einem Wert von 10 000 Euro einsetzt. Der Bundestag wird den Schwellenwert auf 2 000 Euro absenken.

Aber was kann Berlin noch tun? – Oberstaatsanwalt Kamstra hat bei der Konferenz in der letzten Woche einen wichtigen Gedanken aus Sicht der Justiz geäußert. Er sprach von der Aussagebereitschaft von Zeugen bei Straftaten von kriminellen Clanmitgliedern. Oftmals werden da Zeugen massiv eingeschüchtert, sodass sie ihre ursprünglichen Aussagen wieder zurückziehen. Kamstra hat deshalb gefordert, dass bei der ersten polizeilichen Vernehmung über die erste polizeiliche Vernehmung hinaus eine schnelle richterliche Vernehmung erfolgen müsse. Dann stünde der vernehmende Ermittlungsrichter nämlich als sogenannter Zeuge vom Hörensagen zur Verfügung, wenn der eigentliche Tatzeuge sich plötzlich nicht mehr erinnert. Das halte ich für einen sehr guten Vorschlag.

Und wir arbeiten an unserer Polizeistrukturreform. Die ist notwendig, um straffe Organisationsstrukturen in der Stadt zu schaffen, und die ist notwendig, um die personellen Verstärkungen, die wir inzwischen mit dem Haushalt 2018/2019 vorgenommen haben und die wir mit dem Haushalt 2020/2021 weiter fortsetzen werden, also dieses zusätzliche Personal dann auch an den richtigen Stellen einzusetzen und den entfachten Druck dann auch dauerhaft aufrechterhalten zu können.

Um da mal Zahlen zu nennen, denn die können in der Öffentlichkeit gar nicht oft genug wiederholt werden: Mit dem Haushalt 2018/2019 haben wir bei der Polizei 850 neue Stellen geschaffen. 850 neue Stellen! Und im neuen Haushalt 2020/2021 sind es 857 Stellen, die hinzukommen. Das heißt, am Ende der Legislaturperiode haben wir über 1 700 Stellen mehr geschaffen bei der Polizei.

(Senator Andreas Geisel)

[Burkard Dregger (CDU): Das haben wir auch getan, Herr Senator! 1 400 Stellen haben wir geschaffen, und die waren besetzt!]

Ich sage das mal in Richtung derjenigen, die sich hier verbal am Mikrofon auf die Seite der Polizei stellen, aber in der Praxis relativ wenig geleistet haben.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Burkard Dregger (CDU): Das sind Fake-News!]

Deshalb haben die auch zu Recht eine gewisse Enttäuschung bei der Polizei ausgelöst, um das auch mal zu sagen.

Es gibt auf allen Ebenen viel zu tun, und wir tun auf allen Ebenen viel. Jetzt gilt es, den eingeschlagenen Weg konsequent weiterzugehen. Ja, es wird auch einmal Rückschläge geben. Wichtig aber ist, durchzuhalten. Der politische Wille zur Tat ist endlich vorhanden. Die Diskussion hat ja hier gezeigt, dass es auf Seiten der Opposition so ein bisschen Enttäuschung über Rot-Rot-Grün gibt, dass wir diesen Weg gehen.

[Lachen bei der CDU, der AfD und der FDP – Georg Pazderski (AfD): Ein bisschen? – Heiko Melzer (CDU): In der ganzen Stadt, Herr Geisel!]

Und dann versuchen Sie, es möglichst kleinzureden und Zweifel am Rechtsstaat zu säen.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Das muss man nicht kleinreden!]

Das mag Ihr politischer Wille sein. Ich glaube, dass es unserer demokratischen Grundordnung insgesamt aber schadet, was Sie da an Kritik vorbringen, was den Zweifel bei den Menschen sät. Ich sage Ihnen aber: Ich stehe hier voller Selbstbewusstsein vor Ihnen und sage: