Protocol of the Session on September 12, 2019

Keine Zwischenfrage!

Die Auftragsbücher vieler Unternehmen sind voll und müssen abgearbeitet werden. Da wird einfach jede Hand gebraucht. Das wird aber ohne Frage langfristig zu einem Problem. Bis 2030 werden zahlreiche Angestellte in Rente gehen, und dann stehen in den Betrieben nicht ausreichend qualifizierte Nachfolger und auch zu wenig Ausbilder zur Verfügung. Deshalb muss Weiterbildung in der gesamten Gesellschaft einen hohen Stellenwert erhalten. Die SPD will auch deswegen bundesweit ein Recht auf Weiterbildung etablieren. Nur so können sich Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gerade auch in den tarifungebundenen Unternehmen in ihrem Wunsch auf Weiterbildung gegenüber ihrem Arbeitgeber emanzipieren.

[Beifall bei der SPD – Beifall von Stefanie Remlinger (GRÜNE)]

Zurück zum vorliegenden Antrag: Neben den eben genannten generellen Einwänden stören mich drei Punkte: Erstens bleibt mir der Antrag zu oberflächlich. Was heißt denn, der Senat soll von den Kosten entlasten? Soll der Senat die Gebühren übernehmen? Oder soll er auf die Handwerkskammer einwirken, die Gebühren nicht mehr zu erheben? Was genau stellen Sie sich hier vor? – Zweitens: Die so entstehenden Kosten werden von der FDP nicht weiter beziffert. Drittens geht es Ihnen hier ausschließlich um die Meisterprüfungen. Offen bleibt jedoch, was mit anderen Fortbildungsprüfungen passieren soll, etwa derjenigen zum Betriebswirt oder zum Gebäudeenergieberater.

[Henner Schmidt (FDP): Dafür schreiben wir dann weitere Anträge!]

Sie sehen also, dass noch viele Fragen offen sind. Diese zu klären, ist eine wichtige und auch lohnende Aufgabe, an der wir uns gerne beteiligen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die CDU-Fraktion hat jetzt der Abgeordnete Schultze-Berndt das Wort – bitte schön!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir beklagen hier in Berlin einen eklatanten Fachkräftemangel. Der hier vorliegende Antrag ist ein sehr richtiges Zeichen zur Stärkung der Ausbildungsberufe im Handwerk – ein ganz exzellenter Antrag.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Liebe Frau Dr. Jasper-Winter! Lieber Herr Swyter! Wir werden sicherlich im Ausschuss das eine oder andere, die eine oder andere Tücke im Detail zu besprechen haben. Aber mit diesem Antrag zeigt die Opposition hier sehr eindrucksvoll, wo die wissenschafts-, wirtschafts- und bildungspolitische Kompetenz im Parlament beheimatet ist – jedenfalls nicht auf der Regierungsbank. Denn weder die Senatorin für Bildung, Jugend und Familie noch der Senator für Wissenschaft und Forschung noch die Senatorin für Wirtschaft, Energie und Beitriebe sind anwesend.

[Zuruf]

Die brauchen es auch nicht, die wissen das ja alles schon, deswegen klappt das auch so gut, deswegen haben wir auch eine so geringe Quereinsteigerquote – weil die Ausbildung so sehr im Fokus der Regierung steht.

Gerade in dieser Woche freuen wir uns über einen großen politischen Erfolg für unser Handwerk. Die Regierungsfraktionen im Bundestag haben eine Entscheidung zur Wiedereinführung des verpflichtenden Meisterbriefs in einzelnen, nach der Handwerksordnung zulassungsfreien Handwerken getroffen. Ich hatte kurz vor der Sommerpause im Rahmen einer Anfrage an den Senat um Auskunft gebeten, in welchem Umfang der Berliner Senat die Abschaffung der Meisterpflicht im Bundesrat unterstützt und wie sich der Senat gegenüber der Bundesregierung positioniert. Die Antwort war ein wortreiches Nichtssagen, Nichtpositionieren und Nichtswissen. Wir als CDU begrüßen die Einigung innerhalb der Bundesregierung auf eine Rückkehr zur Meisterpflicht in zwölf Gewerken. Es war ein großer Fehler, dass die rot-grüne Bundesregierung 2004 die Meisterpflicht für 53 Gewerke abgeschafft hat.

[Beifall von Tim-Christopher Zeelen (CDU)]

Sowohl die Qualität als auch die Ausbildungsleistungen haben abgenommen. Deswegen ist es wichtig, dass dieser Fehler jetzt in den meisten relevanten Gewerken korrigiert wird. Der Meisterbrief ist ein absolutes Quali

tätsmerkmal des Handwerks. Er garantiert höchste Qualität der Arbeit und der beruflichen Ausbildung unserer Betriebe. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass der Meisterbrief jetzt wieder gestärkt wird. Auch die Fachgemeinschaft Bau in Berlin hält diese Rückkehr zur Meisterpflicht in einigen Gewerken für ein großartiges Signal angesichts der enormen baulichen Herausforderungen hier in der Stadt, in der die Qualität der Bauausführung gesichert werden muss.

[Franziska Brychcy (LINKE): Darum geht es gar nicht!]

Im Zuge der EU-Liberalisierung des Arbeitsmarkts ist der Abschluss der Meisterprüfung nicht mehr Voraussetzung gewesen, um sich in bestimmten Gewerken selbstständig zu machen. Wir erleben die Konsequenzen: mangelhafte Ausführung, Schwarzarbeit und oft teure Nachbesserungen, die die Verbraucher zu Recht ärgern und zu einer Rufschädigung des gesamten Handwerks führen. Zusätzlich führte diese scheinbare Liberalisierung zu inakzeptablen Zuständen bei der Soloselbstständigkeit und auch zu einem Rückgang der Ausbildungsplätze im Handwerk, weil eben nicht mehr ein Ausbildereignungsnachweis erbracht wurde, der automatisch bei einer Meisterprüfung dabei ist.

Alle erkennen: Hier in Berlin ist die Regierung deutlich weiterhin dem Abiturwahn verfallen. Für die CDU ist ganz klar: Eine duale Ausbildung in Handwerk, Handel und Industrie ist ein toller Bildungsgang für jeden einzelnen. Sie bietet eine exzellente Grundlage für ein selbstbestimmtes Leben für sich und die ganze Familie in unserer Gemeinschaft. Wir sind stolz auf jeden, der sich für eine solche duale Ausbildung entscheidet, wo eine geteilte Ausbildung sowohl im Unternehmen als auch an der Berufsschule stattfindet. Diese Ausbildung bietet vielfältige Möglichkeiten zur Qualifizierung und zur beruflichen Weiterentwicklung bis hin zur Meisterprüfung. Für die CDU ist klar: Wir brauchen ein ganzes Potpourri an Maßnahmen, um die duale Ausbildung wieder attraktiv zu machen und den Menschen zu zeigen, dass ihnen der Respekt der Gesellschaft sicher ist.

So verfolgt dieser Antrag das Ziel, die weitergehende Ausbildung im Anschluss an eine Berufsausbildung kostenlos zu machen. Wir als CDU sehen weitere notwendige Maßnahmen, um Handwerk und duale Ausbildung zu stärken. Erstens – wir sprechen darüber –: Die Meisterqualifikation darf gegenüber einem Studium finanziell nicht benachteiligt werden. Angehende Meister, aber auch Techniker, Fachwirte und Berufspädagogen sind von Lehrgangs- und Prüfungsgebühren zu befreien, um sie mit Studenten, die gebührenfrei studieren, gleichzusetzen.

Zweitens: Ich unterstütze mit Nachdruck die Forderung meiner Kollegen im Gesundheitsbereich – namentlich Tim-Christopher Zeelen –, sämtliche Ausbildungsgänge der Gesundheitsfachberufe in Berlin kostenfrei zu gestal

ten. Wir brauchen gerade im Bereich Gesundheit und Pflege händeringend zusätzliche Fachkräfte, und die Weigerung der Gesundheitssenatorin zur Finanzierung dieser Ausbildungsgänge ist nicht nachvollziehbar und nicht gerecht.

Zurück zum Handwerk – drittens –: Schon an den Schulen sollen alle Kinder ab Klasse 8 hinsichtlich ihrer Eignung und Talente geprüft und mit potentiellen Berufsfeldern vertraut gemacht werden. Viertens: Die Schulbücher müssen praxisnah den Bezug zu den Ausbildungsberufen aufnehmen, damit die Berufsfelder wahrgenommen werden. Wir müssen – fünftens – das Meister-BAföG erhöhen. Wir brauchen – sechstens – eine systematische Förderung dualer ausbildungsintegrierter Studiengänge, die neben einem akademischen Abschluss auch einen Gesellenabschluss ermöglichen. Wir brauchen – siebentens – die Einrichtung von Masterabschlüssen für duale Studiengänge, und – achtens – müssen wir dringend die Kapazitäten für duale Studiengänge in Berlin ausweiten. – Soweit einige Forderungen der CDU.

Für die CDU ist klar: Dieser Senat lässt nichts unversucht, um den Handwerkern und den kleinen Gewerbetreibenden in der Stadt zu zeigen, wie wenig Anerkennung die Landesregierung ihnen zollt, seien es nicht vorhandene Kitaplätze, nicht vorhandene Schulplätze, kein WLAN an den Berufsschulen, ein Dieselfahrverbot, keine Sicherstellung von innerer Sicherheit, keine Sicherstellung von ordentlichen Sozialsystemen, keine Digitalisierung und Beschleunigung von Verfahrenswegen. Wir als CDU sagen: Es reicht an Schikanen, Desinteresse und Versagen. Wir brauchen Maßnahmen zur Stärkung dieser Berufszweige und der Gewerke. Wir haben dazu unsere Vorschläge unterbreitet. Das Handwerk hat eine andere Landesregierung verdient. Wir stehen bereit. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt Frau Brychcy das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es freut mich sehr, dass die FDP-Fraktion mit dem vorliegenden Antrag die Forderung nach der Kostenfreiheit von Bildungsgängen für sich entdeckt hat. Das finden wir als R2G natürlich gut, denn Bildung für alle ist ein Menschenrecht und darf nicht vom Geldbeutel abhängen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Die Frage ist nur, wie kommen wir zu tatsächlicher Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Wo müssen wir diesbezüglich anfangen, weil sich

(Jürn Jakob Schultze-Berndt)

der Trend zur Akademisierung, den Sie ja zu Recht beklagen, Frau Dr. Jasper-Winter, nicht erst an der Schwelle zur Meisterinnen- und Meisterausbildung entscheidet? – Da müssten wir auch über die Einstellung zu Berufsbildern reden, die in der Familie, in der Kita und an der Grundschule vorgeprägt werden, über die Umsetzung der Berufs- und Studienorientierung an den weiterführenden Schulen, über die Ausweitung des WAT-Unterrichts, über mehr qualifizierte Elterninformationen und vor allem über die Stärkung der Kooperation der weiterführenden Schulen mit unseren Oberstufenzentren, die wirklich ein breites, hochwertiges Bildungsangebot vorhalten, das viel zu wenig bekannt ist.

Jetzt konkret zu Ihrem Antrag: Es gibt das einkommensunabhängige Aufstiegs-BAföG, worin Lehrgangs- und Prüfungsgebühren bis zu 15 000 Euro und Materialkosten für ein Meisterstück bis zu 2 000 Euro enthalten sind. Das Aufstiegs-BAföG wird gerade novelliert. Der Zuschuss von derzeit 40 Prozent soll im Vergleich zum Darlehensanteil deutlich erhöht werden. Dafür soll von Bund und Ländern ab 2020 ein dreistelliger Millionenbetrag pro Jahr zusätzlich zur Verfügung gestellt werden. Übrigens wird das Meisterinnen- und Meister-BAföG von Jahr zu Jahr mehr nachgefragt, nur der Frauenanteil von einem Drittel könnte gerade in den handwerklichen und technischen Gewerken ruhig noch etwas anwachsen.

Die Rednerin wünscht keine Zwischenfragen.

Das Land Berlin vergibt zudem – wie Brandenburg, NRW, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt – eine Meisterinnen- und Meistergründungsprämie für Meisterinnen und Meister, die einen Betrieb gründen, übernehmen oder in einen bestehenden eintreten. Hier hat Berlin mit einer Fördersumme in Höhe von 15 000 Euro den Spitzenplatz inne. In anderen Bundesländern gibt es einen Meisterinnen- und Meisterbonus bei bestandener Prüfung, in NRW sogar bis zu einer Höhe von 4 000 Euro. Allerdings sehen wir dieses Instrument eher als Notbehelf an, denn wie Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg würden wir eine bundeseinheitliche Lösung, nach der die Kosten der Aufstiegsfortbildung möglichst zu 100 Prozent übernommen werden, wirklich begrüßen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Das wäre ein tatsächlicher Beitrag zur Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung, und wir sind da sehr gespannt auf die angekündigte Änderung des AFBG. Aber selbst gesetzt den Fall, es gelänge beim AFBG ein großer Wurf, damit allein werden wir natürlich den akuten Fachkräftemangel nicht beseitigen können, denn für mehr Meisterinnen und Meister brauchen wir erst einmal mehr Gesellinnen und Gesellen, und für mehr

Gesellinnen und Gesellen brauchen wir Auszubildende, und dafür brauchen wir dringend die ausbildenden Betriebe und die Mindestausbildungsvergütung. Ich habe ja schon auf die Komplexität von Berufswahlentscheidungen hingewiesen und darauf, dass wir vielschichtige Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der dualen Berufsausbildung ergreifen müssen, und da sind wir auch dabei.

Fazit: Beim Ziel der kostenfreien Meisterinnen- und Meisterausbildung sind wir uns einig. Nur wollen wir den Bund jetzt nicht aus der Verantwortung lassen, das AFBG entsprechend zu novellieren, und sind bereit, gemeinsam mit Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Hamburg für eine bundeseinheitliche Regelung Druck zu machen, bevor wir in Berlin weitere Insellösungen einführen. Zwischenzeitlich kümmern wir uns um die Basis, die Gewinnung von Auszubildenden, z. B. durch die weitere Stärkung der Jugendberufsagentur, die Einrichtung des Talentechecks und die Ausweitung der integrierten Berufsausbildung IBA, die durch lange Praxisphasen in den Betrieben schneller und verlässlicher in die duale Ausbildung führt. Da haben wir noch einiges gemeinsam zu tun. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für eine Zwischenbemerkung hat jetzt noch einmal Frau Dr. Jasper-Winter das Wort. – Bitte schön, Frau Kollegin!

Liebe Kollegin Brychcy! Sie haben angesprochen, 100 Prozent sollen übernommen werden. Das genau steht ja in unserem Antrag. Wenn man den zu Ende liest, dann steht genau Ihre Forderung nach 100 Prozent Übernahme für die Meisterlehrgänge als perspektivisches Ziel drin.

[Beifall bei der FDP]

Der erste Step, den ich in meiner Rede anhand der 740 Euro noch einmal verdeutlicht habe, betrifft nur die Gebühr für die Meisterprüfung als solche. Insofern besteht das Missverhältnis oder der Kontrast, den Sie aufgemacht haben, nicht, weil genau das, was Sie sagen, in unserem Antrag steht.

Und im Übrigen: Das Aufstiegs-BAföG hier anzuführen, hilft ja auch nur teilweise, weil wie bisher nur 40 Prozent tatsächlich ersetzt werden und der Großteil selber aufgebracht werden muss. Sie werden mir sicherlich zustimmen: Der erste Step, die 740 Euro, das ist auch ganz schön viel Geld, und wenn wir jetzt die Möglichkeit haben, diese erste Hürde abzuschaffen, und perspektivisch unser gemeinsames Ziel, 100 Prozent der Lehrgänge kostenfrei zu machen, auch noch erreichen, dann haben

(Franziska Brychcy)

wir eigentlich 100 Prozent Übereinstimmung mit unserem Antrag, dem Antrag der FDP.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Kurt Wansner (CDU)]

Frau Kollegin Brychcy, Sie können gerne erwidern.