Protocol of the Session on January 12, 2017

Diesem Senat geht es nicht darum, einzelne ausgesuchte Gruppen und Kieze zu bedienen, sondern es geht um ein Jahrzehnt der Investitionen in die Zukunft der ganzen Stadt, um Lebensqualität, gute Bildung, Arbeit, um eine funktionierende Verwaltung, eben nicht nur im Zentrum, sondern in allen Teilen Berlins. Nur dann ist Politik gut, wenn sie auch überall ankommt, wenn alle Berlinerinnen und Berliner davon profitieren.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Es geht um eine Politik, die dem Auseinanderdriften entgegenwirkt, Chancen für alle schafft und auf einen solidarischen Zusammenhalt setzt. Es geht um Berlin als eine menschliche Metropole.

Dieser Senat hat alle im Blick. Diejenigen, die Tag für Tag hart arbeiten in der Industrie, als kleine Selbstständige, in der Verwaltung, in den Krankenhäusern und Feuerwehren, bei der Polizei, in den Bahnen und Bussen, in den Schulen und Kitas. Sie alle halten Berlin am Laufen. Sie sind die Leistungsträger unserer Stadt. Wir haben aber auch diejenigen im Blick, die Hilfe und Zuwendung brauchen. Eine menschliche, eine solidarische Stadt gibt niemanden verloren. Wer droht, an den Rand gedrängt zu werden, den nehmen wir erst recht in unsere Mitte.

Der Senat steht für ein Berlin, das als Hauptstadt im Herzen Europas offen ist für Menschen aus aller Welt, die nach Berlin kommen, um hier etwas zu bewegen. Dieses solidarische, offene und freie Berlin ist es, was so viele Menschen lieben. Offenheit und Freiheit sind die Bedingungen dafür, dass sich Kreativität entfalten kann und Innovationskraft entsteht, zwei entscheidende Triebkräfte für neue Arbeitsplätze und für die Zukunft Berlins, unsere tollen Kultureinrichtungen und die lebendige freie Kulturszene, unsere exzellenten Hochschulen, die vielen Start-ups, die innovativen Industrieunternehmen, die jährlich Tausende Arbeitsplätze in unserer Stadt schaffen. Sie alle verdanken diesem toleranten und offenen Klima in unserer Stadt die Freiheit, die sie brauchen, wie die Luft zum Atmen. Dafür steht dieser Senat.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Gerade in Zeiten, in denen autoritäre, antidemokratische und nationalistische Kräfte in Europa und anderen Teilen dieser Welt Auftrieb spüren, gerade jetzt ist es wichtig, dass wir uns alle, wir als deutsche Hauptstadt, unserer Geschichte bewusst sind, dass wir die Lehren aus der Katastrophe des Nationalsozialismus ziehen, dass wir die Erinnerung an die Shoa und den Mord an den europäischen Juden wachhalten und Gesicht zeigen, wenn Menschen wegen ihres Glaubens, ihrer Hautfarbe, ihrer Lebensweise oder wegen ihres Engagements für Geflüchtete angegriffen werden. Diskriminierung und Hass dürfen und werden in unserer Stadt keinen Platz haben.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Es ist wichtig, dass wir als ehemals geteilte Stadt die Opfer des SED-Unrechts nicht vergessen.

[Lachen bei der CDU, der AfD und der FDP – Holger Krestel (FDP): Sie dürfen die Täter nicht vergessen! – Sebastian Czaja (FDP): Unglaublich! – Zuruf von der AfD: Realitätsverweigerer!]

Dazu tragen unsere Gedenkstätten in Hohenschönhausen und an der Bernauer Straße sehr viel bei.

Die Überwindung von Diktatur und Unfreiheit als Ergebnis der friedlichen Revolution bleibt eine Sternstunde der Freiheits- und Demokratiegeschichte unserer Stadt. Gerade auch in Anbetracht der aktuellen Debatte sage ich: Die ehrliche Erinnerung daran verpflichtet uns zu einer sensiblen, klaren und eindeutigen Haltung

[Lachen bei der CDU, der AfD und der FDP – Zurufe von der CDU]

im Einsatz für die Freiheit und für eine lebendige Demokratie in unserer Stadt.

[Allgemeiner Beifall]

Auch die Zwischenrufe zeigen es wieder, dass es wirklich die Frage ist, ob Sie an einer ernsthaften Auseinandersetzung zu diesem Thema interessiert sind oder ob es Ihnen um etwas anderes geht – was aus Ihrer Rolle als Opposition heraus auch in Ordnung ist. Ich sage aber schon – jedenfalls ist es für mich der Fall –, dass man sehr bewusst mit diesem Thema umgehen muss und trennen sollte und trennen kann

[Holger Krestel (FDP): Daran werden wir Sie messen!]

zwischen dem, was ein 16- oder 18-Jähriger als Fehler gemacht hat, wie man damit umgeht, und dem, was ein erwachsener Wissenschaftler später daraus gemacht hat und wie er damit umgegangen ist.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN – Unruhe bei der CDU, der AfD und der FDP]

(Regierender Bürgermeister Michael Müller)

Das ernsthaft und seriös aufzuarbeiten, zu diskutieren und dann aufgrund der Faktenlage auch zu entscheiden und sich seiner Verantwortung zu stellen, ist es, worum es hier geht. Auch wenn es für Sie schwer zu ertragen ist, wird es eben auch noch ein paar Tage dauern, bis wir zu dieser Entscheidung kommen.

[Holger Krestel (FDP): Stecken Sie mal das Rohrstöck- chen wieder ein!]

Das müssen Sie aber genauso aushalten, meine Damen und Herren.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf von Stefan Evers (CDU)]

Zu einem politischen Aufbruch gehört auch eine ehrliche Bestandsaufnahme. Viele Menschen machen sich große Sorgen um die Zukunft. Ich sage ganz deutlich, unser Wählerauftrag ist nicht, denen nach dem Mund zu reden, die sagen, sie hätten Sorgen und Ängste, diese in Wahrheit aber nur als Aufhänger nutzen, um gegen Minderheiten zu hetzen. Wer Ängste dafür missbraucht, um das gesellschaftliche Klima zu vergiften oder mit übersteigerten Forderungen zur Befriedigung von Einzelinteressen die Stimmung aufheizt, wird bei diesem Senat auf Granit beißen.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Blödsinn!]

Nebenbei gesagt: Das gilt auch für Debattenbeiträge, mit denen unerfüllbare Erwartungen geweckt werden. Wer den Anspruch hat, verantwortungsbewusst Politik zu machen, sollte zum Beispiel auch beim Thema Flughafen Tegel den Mut haben zu sagen, was geht und was nicht geht. Wer in den letzten Jahren regiert und Verantwortung für die Berliner Flughafenpolitik hatte und nun sein Fähnchen in den Wind hängt, weiß doch eigentlich: Die Zukunft des Berliner Flugverkehrs liegt im Süden der Stadt. Tegel wird als Standort für Hochschulen, Hochtechnologieunternehmen und Tausende Wohnungen für die Berlinerinnen und Berliner gebraucht.

[Zurufe von Sebastian Czaja (FDP) und Frank-Christian Hansel (AfD)]

Und wir entlasten Hunderttausende Menschen in Spandau, Reinickendorf und Pankow von Fluglärm. Darum geht es. Traurig, dass sich die Berliner CDU nicht mehr daran erinnert.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Unser Wählerauftrag ist, die wirklichen Sorgen vieler Berlinerinnen und Berliner aufzugreifen, die uns sagen, sie fühlen sich ungerecht behandelt. Viele, die hart arbeiten und ehrlich Steuern zahlen, fragen sich: Was wird aus meiner Arbeit, wenn Digitalisierung und Globalisierung weiter voranschreiten? Reicht mein Gehalt noch, wenn die Miete weiter steigt? Warum zahle ich eigentlich als

Cafébetreiber ordentlich meine Steuern, und der internationale Konzern mit seinem Café nebenan schafft es, Gewinne und Verluste weltweit so miteinander zu verrechnen,

[Zurufe von der CDU]

dass er am Ende praktisch keine Steuern mehr zu zahlen hat? Kümmert sich der Staat um uns als Bürger? Zählt meine Stimme überhaupt, wenn ich mir Sorgen um die öffentliche Sicherheit mache, um gute Schulen für unsere Kinder und funktionierende Bürgerämter? Oder ist der Politik die Bankenrettung wichtiger?

Viele empfinden die Art, wie in den letzten Monaten Hundertausende Flüchtlinge in kurzer Zeit in unser Land gekommen sind, auch als Kontrollverlust des Staates über seine Grenzen. Und natürlich gibt es auch viel Enttäuschung darüber, dass es zum Beispiel so lange dauert, bis die Turnhallen wieder dem Schulsport oder den Vereinen zur Verfügung gestellt werden können. Es sind mitunter auch plakative Fragen. Aber wir alle wissen: Vielen Berlinerinnen und Berlinern ist es damit sehr ernst, weil ihr Gerechtigkeitsempfinden berührt ist. Und wir alle haben in den letzten Jahren erlebt, wie das Vertrauen vieler Bürgerinnen und Bürger in den Staat geschwunden ist. Dieser Senat möchte im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern – und indem er die Probleme Schritt für Schritt angeht – erreichen, dass wieder Vertrauen wächst.

Was in den letzten Jahren erreicht wurde, wollen wir ausbauen. Die Entspannung in den Bürgerämtern durch die erfolgten Neueinstellungen des letzten Jahres ist ein Beispiel. Vor allem aber sind es die Erfolge in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, die dazu führen, dass wir heute die niedrigste Arbeitslosigkeit seit 1990 haben und die Steuereinnahmen einen neuen Spitzenwert erreicht haben.

[Zurufe von der CDU]

Auf diesen Erfolgen können und wollen wir aufbauen, um Arbeit und Wohlstand für die Berlinerinnen und Berliner zu schaffen.

Aber wir wollen auch korrigieren, wo es Fehlentwicklungen und Ungerechtigkeiten gibt, durch ein neues Programm, um Langzeitarbeitslose in Arbeit zu bringen und indem wir Jugendlichen früh Perspektiven bieten – auch Jugendlichen, die kein Abitur haben –, durch eine soziale Wohnungspolitik, die alle Einkommensgruppen im Blick hat und verstärkt auf öffentlichen Wohnungsbau setzt, durch Initiativen auf Bundesebene, um Mieterinnen und Mieter besser zu schützen vor unangemessenen Mieterhöhungen nach Modernisierung, bei Eigenbedarfskündigung oder Umwandlung, und durch Investitionen insgesamt, die einen Mehrwert für die ganze Stadt bringen.

Die ersten Maßnahmen haben wir am Montag in unserem Programm für die ersten hundert Tage beschlossen. Es ist ein überprüfbarer Fahrplan mit 60 konkreten Punkten, mit

(Regierender Bürgermeister Michael Müller)

deren Umsetzung wir teilweise sogar schon begonnen haben oder die jetzt gestartet werden, um Berlin sozialer und nachhaltiger gestalten zu können.

Unser Wählerauftrag ist, uns konkret um die Probleme der Berlinerinnen und Berliner in allen Teilen der Stadt zu kümmern, nicht von oben herab nach dem Motto „Wir wissen schon, was gut für die Bürger ist“, aber mit einer klaren Stoßrichtung. Im Dialog wollen wir Lösungen erarbeiten, um das Leben in der Stadt zu verbessern. Wir wollen, dass Betroffene zu Beteiligten werden; denn im Engagement der Berlinerinnen und Berliner liegt eine große Kraft für unsere Stadt und ihren inneren Zusammenhalt. Das haben wir doch in den letzten beiden Jahren gespürt, das haben doch so viele gezeigt. Die Aufnahme der vielen Geflüchteten in unserer Stadt konnte nur gelingen, weil es nicht nur viele engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ämtern und sozialen Einrichtungen unserer Stadt gab, die schnell und entschlossen gehandelt haben, sondern auch die vielen Ehrenamtlichen, die spontan geholfen haben und Integration durch Solidarität im Alltag vorleben,

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Ich danke an dieser Stelle besonders auch den Sportvereinen, die Einschränkungen hinnehmen mussten, aber auch anderen Vereinen, deren Sporthallen durch Notunterkünfte belegt waren. In dieser Lage haben viele Berlinerinnen und Berliner wieder einmal gezeigt: Wenn es eine besondere Herausforderung gibt, dann rücken wir zusammen, finden pragmatische und solidarische Lösungen.

Das gilt aber nicht nur für Ausnahmesituationen, sondern zum Glück auch immer mehr für den Alltag. Viele Tausend Ehrenamtliche engagieren sich für ihre Nachbarschaft, in der Jugendarbeit, im Sport, in Kirchengemeinden, Synagogen- oder Moscheegemeinden, als Bildungspaten für Kinder und Jugendliche oder gegen Diskriminierung. Damit machen sie uns allen Mut, denn sie wirken der Spaltung entgegen und stärken das friedliche Miteinander.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für das große Vorhaben der gesellschaftlichen Integration werden wir auch in Zukunft beides brauchen: zum einen eine zielgerichtete Politik, die Chancen schafft, von den Unterkünften über Sprachkurse, über Willkommensklassen bis hin zu Brücken in die Arbeitswelt, damit aus Geflüchteten Berlinerinnen und Berliner werden können, Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, die Arbeit finden, finanziell auf eigenen Beinen stehen, Steuern zahlen und an der Gesellschaft teilhaben. Zum anderen brauchen wir aber auch weiterhin viele engagierte Freiwillige, die sie begleiten, mit ihnen den Alltag teilen, sie in schwierigen Situationen unterstützen. Der neue Senat setzt auf ein

partnerschaftliches Miteinander zwischen Staat und Zivilgesellschaft.

Schritt für Schritt spürbare Verbesserungen im Alltag der Berlinerinnen und Berliner zu erreichen, das ist das wichtigste Ziel dieses Senats für die nächsten fünf Jahre. Das ist der Auftrag, den wir uns stellen. Das ist unser Anspruch an uns selbst und unser Angebot an die Berlinerinnen und Berliner. Es reicht von dem großen Investitionsprogramm über die Verbilligung des Sozialtickets bis hin zu kostenlosem Eintritt in unsere Kultureinrichtungen.

Die Berlinerinnen und Berliner haben aber eben auch einen Anspruch auf eine funktionierende Verwaltung als Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und auf gute öffentliche Einrichtungen. Diesen Anspruch einzulösen, ist daher eins der wichtigsten Vorhaben dieses Senats. Ja, die Haushaltskonsolidierung war notwendig, und wir haben viel erreicht. Und die Konsolidierung muss und wird auch weitergehen. Unsere landeseigenen Unternehmen sind aber nun gut aufgestellt und schaffen einen großen Mehrwert für die Stadt, indem sie ausbilden und sich für den Klimaschutz oder bei Bau- und Sanierungsmaßnahmen stark machen. Aber wir erwarten auch, dass sie sich noch mehr engagieren. Der Senat setzt große Erwartungen in sie beim Ausbau der Daseinsvorsorge und für die wachsende Stadt, aber auch als Vorbilder in Sachen Tarifbindung und guter Arbeit.