Protocol of the Session on November 29, 2018

[Beifall bei der FDP]

Der absolute Zentralpunkt ist aber, dass der reale Wohnungsverlust vermieden wird, und zwar durch eine bessere Kommunikation, eine Zusammenarbeit aller Beteiligten. Derzeit weiß viel zu oft die Linke nicht, was die Rechte gerade liegenlässt. Die Leidtragenden sind dann oft die betroffenen Menschen. Es braucht klare, transparente Strukturen, eine One-Stop-Agency für Notfälle statt eines Bürokratiedschungels. Es ist mir völlig unverständlich, warum nicht zumindest die städtischen Wohnungsbaugesellschaften Mietmahnungen regelmäßig Informationen zur Vermeidung von Räumungen beilegen. Der

Arbeitskreis Wohnungsnot hat hier eine hervorragende Broschüre entwickelt, sogar in leichter Sprache, was wieder einmal zeigt, dass bürgerschaftliches Engagement die Mängel staatlichen Handelns kompensieren muss.

[Beifall bei der FDP]

Ein Bereich, für den eine besondere Aufgabe der Prävention besteht, ist das Thema der Straßenkinder. Das muss aus unserer Sicht auch Teil des schulischen Bildungsauftrags sein. Wenn hier das Thema Jugend- und Familienhilfe zur Sprache kommt, wird wieder einmal klar: Vermeidung von Obdachlosigkeit ist eine Querschnittsaufgabe aller Verwaltungen. Das zeigt sich spätestens dann, wenn man die Probleme betrachtet, die bei Straßenkindern auftreten, wenn sie von der Jugendhilfe in die Erwachsenenszene kommen. Da fallen sie viel zu oft in ein Betreuungsloch der Unzuständigkeiten. Das zeigt, auch hier ist nicht nur das Haus Breitenbach in der Pflicht. Aber diese Gemeinschaftsverantwortung scheint manchen Senatsressorts nicht bewusst zu sein, leider. Zudem muss ferner endlich eine Statistik zur Quantität und Qualität der Obdachlosigkeit vorgelegt werden, und zwar zügig. Wir denken, dass das vor dem ersten Quartal 2019 hätte passieren sollen und müssen.

[Beifall bei der FDP]

Denn nur dann ist der Zugang zu Hilfssystemen einfacher und individueller und transparenter zu gestalten. Wir brauchen eine Koordinationsstelle auf Landesebene, denn das Thema ist ein gesamtstädtisches und viel zu wichtig für Ressort- und Bezirksbefindlichkeiten.

[Beifall bei der FDP]

Die Notwendigkeit zeigt sich gerade in der auch von meinen Vorrednerinnen und -rednern angesprochenen unterschiedlichen Sensibilität der Bezirke. Zum Beispiel mein Heimatbezirk Steglitz-Zehlendorf hat als einziger keine Angebote im Rahmen der Kältehilfe – weder Unterkünfte noch Tagesstätten. Ich muss sagen, bei dieser sozialen Kälte im Südwesten durch Schwarz-Grün hilft auch keine Kältehilfe mehr.

[Beifall bei der FDP]

Es müssen innovative Wege der Unterbringung gegangen werden, statt bürokratische Barrieren aufzubauen. Der Start von Housing First ist ein sehr guter erster Schritt, dem weitere folgen müssen. Es bleibt z. B. bei der Kältehilfe unverständlich, warum dabei nicht auch leerstehende Tempohomes genutzt werden. Eine Zwischennutzung während des Ausschreibungsverfahrens oder der Betreibersuche wäre naheliegend, und zwar so naheliegend, dass es offensichtlich in Berlin nicht passiert.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Diese neuen Wege brauchen wir auch, weil sich das Klientel verändert hat. Mehr Frauen leben auf der Straße, mehr Familien, und neuerdings spielt auch das Thema Barrierefreiheit bei Obdachlosenunterkünften eine Rolle.

Einen weiteren ersten Schritt ist der Senat wenigstens im Bereich der Gesundheitsversorgung durch die Clearingstelle gegangen. Wir denken aber, dass dies im Bereich Hygiene und Gesundheitsangebote noch längst nicht ausreicht. Hier ist das Angebot aus unserer Sicht lückenhaft und unkoordiniert. Es wäre notwendig, dass hier etwas passiert, um sich auch der Obdachlosigkeit mit ihren Auswirkungen auf das Zusammenleben in der Stadt zu widmen. Das ist zum einen natürlich auch die Geruchsbelästigung in dem einen oder anderen Fall in der U- oder S-Bahn, das ist die Situation in den Parkanlagen, und das ist auf der anderen Seite natürlich, dass jede Art von Gewalt, sei sie verbal oder gar körperlich, gegen Obdachlose konsequent zu verfolgen ist.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Kurt Wansner (CDU)]

Schließlich gilt es zu berücksichtigen, dass längst die Mehrheit der Obdachlosen in Berlin keine Deutschen, sondern größtenteils nicht leistungsberechtigte EUBürger sind. Hier hat sich Berlin für eine Sogwirkung entschieden, denn z. B. das rot-grüne Hamburg ist da sehr viel konsequenter und setzt die Leute in Rückführungsbusse, die aber meistens nicht in den Heimatländern landen, sondern in Berlin. Es braucht aus unserer Sicht eine verlässliche, bundesweit einheitliche Linie, um hier eine Binnenwanderung nach Günstigkeitsprinzip zu vermeiden.

[Beifall bei der FDP]

Gerade bei dieser Gruppe denken wir, dass individuelle Beratung und Betreuung gefragt ist. Die Arbeit von Barka für die polnischsprachige Community ist hier ein guter erster Anfang. Der Senat muss aber endlich auch die anderen Herkunftsländer ins Boot holen und sicherstellen, dass die Arbeit von Barka verstetigt und ausgebaut wird.

[Beifall bei der FDP]

Es gibt also viel zu tun, und zwar mehr, als dass nur weiter geredet wird oder Konzeptionspapiere geschrieben werden. Es gilt, endlich zu handeln, schnell und effektiv. Das ist dann zwar praktische Sozialpolitik, aber eben nicht alleinige Aufgabe von Frau Breitenbach. Hier ist die Gesamtleitung durch den Regierenden Bürgermeister gefordert, denn es ist eine gesamtstädtische und gesamtgesellschaftliche Aufgabe im Interesse der Stadt und ihrer Menschen – mit und ohne eigene Wohnung. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Nun gebe ich Frau Senatorin Breitenbach das Wort. – Bitte schön, Frau Senatorin!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich für die Debatte bedanken, weil ich finde, dass es eine von allen Seiten sehr nachdenklich geführte Debatte war, und zumindest die Vertreterinnen und Vertreter der demokratischen Parteien haben hier einfach noch mal auf die Vielschichtigkeit der Probleme in Zusammenhang mit Wohnungs- und Obdachlosigkeit hingewiesen.

[Zuruf von Marc Vallendar (AfD)]

Offensichtlich sind wir uns auch einig, dass wir alle hier im Abgeordnetenhaus, die bezirklichen Gremien, die Stadtverordneten und auch die Stadtgesellschaft mit all ihren Akteurinnen und Akteuren vor einer großen Herausforderung stehen – in all ihrer Vielschichtigkeit –, die wir auch gemeinsam lösen wollen. Darüber freue ich mich besonders, denn ich bin davon überzeugt, dass wir eine Lösung auch tatsächlich nur gemeinsam hinbekommen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Mit dieser Gemeinsamkeit sind auch immer staatliche und nichtstaatliche Akteurinnen und Akteure gemeint, und die AG Wohnungsnot, Herr Seerig, ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, wie diese Akteurinnen und Akteure gut zusammenarbeiten.

Ich hatte ja befürchtet, dass wir heute einzig und allein eine Debatte über die Kältehilfe führen. Auch darauf werde ich noch mal eingehen. Aber es ist noch mal deutlich geworden: Wohnungslosenhilfe ist nicht allein Kältehilfe, auch wenn wir das jedes Mal im Winter neu diskutieren. Die Zahlen wurden genannt, und ich will sie vervollständigen: Die Bezirke und die Landesebene gemeinsam haben rund 50 000 Menschen untergebracht. 37 000 Menschen ordnungspolitisch, und zählt man die Geflüchteten und andere hinzu, haben wir jetzt schon 50 000 Menschen untergebracht. Wir haben dieses Jahr bis zu 1 200 Plätze in der Kältehilfe, und ich sage auch hier noch mal: Sollten die voll sein und wir brauchen mehr, werden wir aufstocken.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Berlin hat ein sehr großes Angebot in der Wohnungslosenhilfe, und all denjenigen, die sagen: Da kümmert sich jetzt einfach nur die Senatssozialverwaltung drum –, sage ich: Vielen Dank, aber es trifft nicht zu! – Dilek Kolat hat gerade erst die Krankenwohnung eröffnet, und bei den Strategiekonferenzen, die wir hatten, waren eben auch weitere Senatsverwaltungen da. Möglicherweise findet der eine oder die andere, dass der Senator, die Senatorin oder gar der Regierende Bürgermeister selbst da sein soll. Mir persönlich reicht es tatsächlich, wenn von der bezirklichen Ebene und von der Senatsebene die fachlichen Expertinnen und Experten da sind, die tagtäglich an

(Thomas Seerig)

diesem Thema arbeiten und die sich dabei auch vernetzen und austauschen. Das ist mit den Strategiekonferenzen passiert, und deshalb war dieser Weg richtig.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Und nein: Trotz der großen Angebote von Streetworkern, Beratungsstellen, die übrigens auch muttersprachlich beraten, was ich auch richtig finde und was wir auch weiter ausbauen werden – – Die soziale Wohnungshilfe in den Bezirken und so weiter und so weiter, und die vielen Ehrenamtlichen – auch an dieser Stelle all denjenigen ein herzliches Dankeschön!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Trotz dieses großen Engagements leben nach wie vor Menschen auf der Straße. Warum leben diese Menschen auf der Straße? – Ich finde es wichtig, sich damit auseinanderzusetzen, denn ich halte es für fatal – und damit will ich an keiner Stelle sagen, dass uns nicht bezahlbarer Wohnraum fehlt – und für eine unglaubliche und schlichte Vereinfachung, die auf einen völlig falschen Weg führt, wenn wir sagen: Haben wir mehr Wohnungen, dann haben wir auch keine Wohnungslosen mehr. – Das wird so nicht passieren. Wir haben viele Menschen in dieser Stadt, die aufgrund unterschiedlicher Problemlagen nicht in der Lage sind, sich in geschlossenen Räumen mit anderen Menschen zusammen aufzuhalten. Wir haben in dieser Stadt – und das wurde hier schon gesagt – viele Menschen aus anderen europäischen Ländern, die ihr Recht auf Arbeitnehmerfreizügigkeit wahrgenommen haben,

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

die hier in diesem Lande Opfer von Arbeitsausbeutung wurden und hier auf der Straße gelandet sind. Dafür, meine Damen und Herren, tragen wir Verantwortung. Wir sind nicht bereit, das hinzunehmen,

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

und wir werden für diese Menschen auch weiterhin Unterstützung und Beratung organisieren.

Jetzt komme ich zur Kältehilfe. Die Kältehilfe ist ein sehr niedrigschwelliges Angebot. Die Aufgabe der Kältehilfe ist, Menschen vor dem Erfrierungstod zu schützen. Der Leitgedanke ist ein ganz humanistischer, und da wird nicht aufgestrippt zwischen Guten und Schlechten, Deutschen, Ausländern und sonst irgendwas. Dies gilt für alle Menschen, und sie können es kostenfrei und anonym nutzen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD, den GRÜNEN, der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD]

Wir werden uns nicht anschauen, dass Menschen auf der Straße erfrieren. Wir werden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um das zu verhindern. Jeder Kältetote ist einer zu viel. Ich bin froh, dass wir bisher noch keinen Kältetoten hatten.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Trotzdem haben wir Menschen in dieser Stadt, die die Einrichtungen der Kältehilfe nicht aufsuchen, und zwar aus unterschiedlichen Gründen, die bereits genannt wurden. Deshalb wurde im Jahr 2003 – damals war ich Referentin der zuständigen Senatorin Heidi Knake-Werner – das erste Mal bei der BVG angerufen und gefragt, ob sie Bahnhöfe aufschließen würde, weil es wohnungslose Menschen gibt – das war damals eine völlig andere Situation –, die aber nicht in die Einrichtungen der Kältehilfe gehen können oder wollen. Seitdem gibt es die Kältebahnhöfe. Und Herr Seerig hat recht: In all diesen Jahren haben sich sehr wenige Menschen darüber aufgeregt, dass es die Kältebahnhöfe gibt. Möglicherweise, das sage ich hier aber auch, ist es ein großer Fortschritt, dass Menschen jetzt sagen: Das ist aber nicht richtig, Menschen in einem so reichen Land in Kältebahnhöfen unterzubringen! – Damit meine ich in erster Linie diejenigen aus der Bevölkerung, die nicht wissen, dass es weitere Angebote gibt.

Wir brauchen Angebote auch für diese Menschen. Es ist ein sehr kleiner Kreis; es sind vielleicht 80 bis 100 Menschen, die die Kältebahnhöfe nutzen. Wenn wir ihnen diese nicht anbieten, bleibt ihnen nur noch die Straße. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei all denjenigen bedanken, die gemeinsam nach Lösungen gesucht und um Lösungen gerungen haben. Neben dem Senat und der BVG waren es die Stadtmission, Karuna e. V. sowie viele Menschen aus der Stadtgesellschaft. Dafür ein herzliches Dankeschön!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der FDP]

Wir wollen auch die Wärme- und Wartehallen behalten, das sage ich hier ganz deutlich. Sie stellen keine Notlösung dar, vielmehr sind sie für uns ein Modellprojekt. Für die Menschen, die die Einrichtungen der Kältehilfe nicht aufsuchen, brauchen wir Orte, wo sie Zuflucht finden. Wir stellen die Container jetzt an die beiden ausgewählten Bahnhöfe, wo die Menschen sich aufhalten und wärmen können. Die Dixi-Toiletten, Herr Seerig, die stehen da übrigens schon. Sie sind innerhalb von zwei Tagen aufgebaut worden. Sorry, aber so schnell baut auch niemand woanders etwas auf! Wir haben da jetzt auch Sozialarbeiterinnen und -arbeiter, deren Aufgabe darin besteht, die Menschen zu beraten, sie zu unterstützen, sie zu überreden oder zu motivieren – wie auch immer –, dass sie die Einrichtungen der Kältehilfe aufsuchen. Die ersten Tage – und wir verfügen jetzt noch nicht einmal über die Wärme- und Wartehallen; das dauert tatsächlich etwas

(Senatorin Elke Breitenbach)

länger, weil man dafür besondere Baugenehmigungen braucht – haben gezeigt, dass es gelingt, auch diese Menschen, wenn sie nach einigen Tagen Vertrauen gefasst haben, dazu zu bewegen, dass sie in die Einrichtungen der Kältehilfe gehen.

Das ist ein Erfolg, und das ist eine Weiterentwicklung der Kältehilfe. Die BVG gehörte nie zur Kältehilfe, sie war nie Teil davon. Sie hat diese Verantwortung aber übernommen und den Menschen geholfen, die auf der Straße sonst dem großen Risiko des Erfrierungstods ausgesetzt wären. Ich sage hier noch einmal: Wir können uns darüber streiten, aber wir haben Landesbetriebe, und ich finde, Landesbetriebe tragen Verantwortung für die Stadt und damit auch soziale Verantwortung.