Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/1306
In der Beratung beginnt die Fraktion Die Linke, und hier hat das Wort Frau Abgeordnete Schmidt. – Bitte schön!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Unser Land Berlin ist an 56 Unternehmen bzw. Anstalten des öffentlichen Rechts aus verschiedenen Branchen direkt beteiligt, darunter einige der größten unserer Stadt. Dazu kommen rund 140 Tochterunternehmen. Allein in den landeseigenen Unternehmen gibt es jährlich 2 000 Ausbildungsplätze, und davon werden 622 Ausbildungsplätze in technischen Berufen bereitgestellt. Leider entscheiden sich nur ca. 100 Frauen pro Jahr für einen, das entspricht 15 Prozent.
Nach wie vor entscheiden sich Frauen für altbekannte Berufe wie Bürokauffrau, Arzthelferin, Anwaltsgehilfin – Sie kennen sie alle –, und das, obwohl für sie schon seit Jahren eine gesetzliche Reservierungsquote gilt. Für alle die, die es noch nicht nachgelesen haben: Bei der Re
servierungsquote geht es um Ausbildungsplätze bei den landeseigenen Unternehmen und ihren Tochtergesellschaften. Laut Landesgleichstellungsgesetz sollen sie in Bereichen, in denen Frauen unterrepräsentiert sind, mindestens zur Hälfte mit Frauen besetzt werden. Alle naheliegenden Fragen hat der Gesetzgeber schon längst geklärt.
Sind die 50 Prozent gesetzmäßig? – Ja, es ist eine starre Quote. Was ist, wenn sich nicht genug Bewerberinnen finden? – Dann ist die Ausschreibung zu wiederholen. Erst nach der zweiten Runde darf nach Bewerbungslage entschieden werden. Die Qualifikationen sind doch niemals wirklich gleich – wie soll das gehen? Es kommt nicht auf komplett gleiche Qualifikation an, also etwa den Notendurchschnitt. Es geht um die formale Qualifikation, z. B. den Schulabschluss bzw. die Anforderungen an den Ausbildungsberuf.
Im Gegensatz zu privaten Firmen haben die landeseigenen Unternehmen eine besondere öffentliche Verantwortung und eine Vorbildfunktion. Viele haben inzwischen spezielle Förderprogramme und Kooperationen aufgelegt, um die Frauenquoten in den technischen und handwerklichen Berufen zu erhöhen. Doch wir müssen feststellen: In den letzten Jahren bleiben wir in der Umsetzung insgesamt deutlich unter unseren Möglichkeiten. Genau hier setzen wir mit unserem Antrag an, werden einen entscheidenden Schritt gehen, um die Zahl der weiblichen Auszubildenden in den kommenden Jahren deutlich zu steigern.
Dazu brauchen wir eine groß angelegte Strategie des Senats und der landeseigenen Unternehmen. Ihr Kernstück muss die zielgruppengerechte Ansprache sein. Denn aus meiner jahrelangen Erfahrung weiß ich: Junge Frauen und Mädchen haben eine eigene Sicht auf die Berufswelt und wollen auch anders angesprochen werden. Um sie für die technische Ausbildung zu gewinnen, müssen wir sie von zu Hause abholen. Starten wir also eine stadtweite Informations- und Werbeoffensive, die sich gewaschen hat!
Bevor die Opposition die Totschlagkeule herausholt, nur die Besten müssten diesen Job bekommen, sage ich schon einmal jetzt: Wenn Menschen wegen ihres Geschlechts von vorneherein nicht zugetraut wird, eine bestimmte Arbeit gut zu machen, wenn Menschen von vorneherein wegen ihres Geschlechts Chancen vorenthalten werden, dann ist es praktisch keine Bestenauslese – dann ist es nichts weiter als eine Geschlechterauslese. Und genau dagegen müssen wir mit allen gesetzlichen Mitteln vorgehen, um überhaupt erst die Voraussetzungen für eine Bestenauswahl zu schaffen, die diesen Namen auch verdient.
Ja, vielleicht ist es eines Tages so, dass über eine Männerquote nachgedacht werden muss, weil Frauen die technischen Berufe vollständig erobert haben. Aber davon sind wir noch Lichtjahre entfernt, und so lange ist es unsere Pflicht, als Politik entschiedene Maßnahmen zu ergreifen, um Diskriminierung abzuschaffen.
Hier ist auch ein Änderungsantrag von der FDP – finde ich echt klasse. Jetzt wird die nächste Ausschusssitzung vorbereitet, ich freue mich auf die Diskussion. Aber lassen Sie uns Berlin zur Hauptstadt der Gleichstellung machen! Lassen Sie uns zeigen, dass gleiche Anteile von Frauen und Männern in jedem Beruf und gleicher Lohn für gleiche Arbeit die Zukunft sind! Lassen Sie uns mit diesem Antrag hier und heute den Weg zur Teilhabe und wirklicher Chancengleichheit ebnen! – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mehr Frauen in technische Berufe – das ist ein wichtiges Thema, wie ich finde. Ich frage mich allerdings: Was hat dieses Thema als Priorität der Linken auf der heutigen Plenarsitzung zu suchen? – Ist das Ihre Priorität für unsere Stadt? Ich hätte heute an dieser Stelle viel lieber über Wohnungsneubau gesprochen oder über Verkehrskonzepte oder vielleicht auch über die Zukunft der StasiGedenkstätte Hohenschönhausen. – Mal so ganz nebenbei: Das aktuelle Ausbildungsjahr hat bereits begonnen. Ihr Antrag hätte vielleicht vor einem Dreivierteljahr Priorität haben können, aber nicht heute.
Die Reservierungsquote ist im Berliner Landesgleichstellungsgesetz verankert, und es gibt sie seit vielen Jahren. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, warum Sie in der Begründung zu Ihrem Antrag immer darüber reden, dass Sie diese Reservierungsquote erst einführen wollen. Es ist eine bestehende gesetzliche Regelung, und es geht hier nicht um ein Wünsch-dir-was. Landeseigene Unternehmen sind verpflichtet, mindestens 50 Prozent der Ausbildungsplätze in Bereichen, wo Frauen unterrepräsentiert sind, an Frauen zu vergeben und ggf. die Ausschreibung zu wiederholen. Wenn dies, wie Sie feststellen, von einigen landeseigenen Unternehmen nicht oder unzureichend umgesetzt wird, dann braucht es nicht den vorliegenden Antrag, sondern ein ernst gemeintes und durchgreifendes Handeln des Senats, insbesondere der Senatorin, die für Gleichstellung zuständig ist.
Ob die Durchsetzung der Reservierungsquote nun dazu führen wird, dass Mädchen und Frauen in technische Berufe kommen, wage ich zu bezweifeln. Ich weiß ja, dass Sie von der Koalition denken, mit Quoten könne man alles regeln. Aber die Realität sieht nun einmal anders aus. Ich bin fest davon überzeugt, dass es auch künftig keinen 50-prozentigen Frauenanteil z. B. bei der Ausbildung von Gleisbauern, Kfz-Mechatronikern oder Maurern geben wird – im Gegenteil! Ich würde mir wünschen, dass es einen 50-prozentigen Männeranteil in den Ausbildungsberufen Erzieher oder bei der Kranken- und Altenpflege geben würde. Man muss es nun einmal zur Kenntnis nehmen, dass es auch weiterhin Ausbildungsberufe geben wird, die mehr von Frauen bzw. von Männern nachgefragt werden. Ich sehe hier auch ehrlich gesagt keinen akuten Handlungsbedarf.
Den sehe ich ganz woanders: Im aktuellen Ausbildungsjahr konnten über 5 700 vorhandene Ausbildungsplätze nicht besetzt werden – so viele wie nie zuvor. Gleichzeitig sind aber über 6 700 Bewerber ohne Ausbildungsplatz geblieben. Sie wollen Unternehmen Zwangsgelder überhelfen, wenn sie nicht ausbilden. Schaffen Sie doch erst einmal die Voraussetzungen dafür, dass Ausbildungsplätze auch besetzt werden können! Hier müssen doch Lösungen gefunden werden!
Wir brauchen eine deutlich höhere Qualität in der Bildung. Wir brauchen eine ausreichende Anzahl von Kitaplätzen, und wir brauchen ausreichend Wohnungsangebote auch für Auszubildende. Wir brauchen eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Was tun Sie hierfür? – Die von Ihnen aufgezählten Maßnahmen zur Ansprache und zum Aufzeigen von Berufsperspektiven von Mädchen und Frauen sind allesamt nicht neu. Sie werden auch das Problem nicht lösen. Sie können aber auch keinesfalls schaden.
Wir können gern in den Ausschüssen noch darüber reden. Aber ich gehe davon aus, dass sich meine Fraktion bei diesem Antrag enthalten wird. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Vogel! In Ihrer Rede haben Sie gerade gezeigt, dass Sie und Ihre Fraktion nicht sehr viel
für Gleichstellung übrighaben. Das finde ich sehr traurig an dieser Stelle, denn das ist schon ein sehr wichtiges Thema in unserer Stadt, das die Menschen interessiert und berührt.
Für Sie lächerlich! – Die Gleichstellung ist im Grundgesetz verankert und eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Um gesellschaftliche Teilhabe und Chancengerechtigkeit sicherzustellen, müssen Frauen die Zukunft mitgestalten. Dies betrifft neben der Digitalisierung vor allem auch die technischen Berufe als zentralen wirtschaftlichen Innovationssektor.
Berlin ist in Sachen Gleichstellung bundesweit Vorreiter. Viele der geschaffenen gleichstellungspolitischen Instrumente wie z. B. das Gender-Budgeting-Verfahren bei der Haushaltsplanung zeigen Wirkung und sind erfolgreich. In den landeseigenen Unternehmen sind Führungspositionen mit hervorragenden Kolleginnen besetzt, die diese Betriebe erfolgreich führen. Im Ausbildungsbereich gibt es allerdings noch Handlungsbedarf. Die Bewerbungsquote von jungen Frauen für technische Ausbildungsplätze, die bei lediglich 15 Prozent stagniert, ist einfach zu gering.
Im Landesgleichstellungsgesetz ist seit vielen Jahren festgehalten, dass Frauen und Mädchen gleichberechtigten Zugang zu den gut bezahlten technischen Ausbildungsberufen erhalten sollen. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, mithilfe eines Maßnahmenpakets den Frauenanteil in technischen Berufen zu steigern. Viele junge Mädchen denken leider immer noch, dass ihnen nur die klassischen Frauenberufe offenstehen. Warum ist das so?
Werbekampagnen transportieren kaum die komplette Vielfalt der technischen Arbeitsbereiche. Informationen über technische Berufe haben eine eher auf Männer ausgerichtete Ansprache und sehen diese mehr als ihre Zielgruppe. Zum Teil ist es aber einfach die Sorge, das einzige Mädchen in der Klasse zu sein. Sorgen und Berührungsängste dieser Art gilt es abzubauen. Eine offen ausgesprochene Einladung an junge Frauen wird dabei helfen. Viele Maßnahmen, wie z. B. Kooperationen mit Schulen und Social-Media-Kampagnen werden ihren Teil dazu beitragen, dass vor allem junge Mädchen sich willkommener fühlen. Der Grundstein gegen tradierte Geschlechterrollen muss bereits in Schulen und Familien gelegt werden. Frauen sollen sich frei für einen Beruf entscheiden – weg von den Klischees und den damit verbundenen Hemmschwellen und hin zu den eigenen Neigungen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels muss das Potenzial von Frauen in den technischen Berufen besser genutzt werden.
Die damit einhergehende Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit vermeidet Altersarmut, denn technische Berufe sind zukunftssicherer. Zudem dient all das der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Männer wollen immer mehr Zeit mit ihrer Familie verbringen. Dafür müssen auch Frauen in gut bezahlten und sicheren Berufen arbeiten, damit das klassische Rollenbild durchbrochen werden kann und nicht vom Job abhängt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Offensichtlich ist das Interesse an technischen Berufen bei Mädchen weniger ausgeprägt als bei Jungen. Diesen Fakt haben Sie ja schon einmal erkannt. Selbstverständlich halten wir es auch für richtig, junge Menschen mit verschiedenen Berufen vertraut zu machen und sie zu ermutigen, von eventuell traditionellen Gepflogenheiten abzuweichen, um ihr persönliches berufliches Interesse zu entdecken. Dafür gibt es bereits zahlreiche Berufsorientierungsprogramme, Schülerpraktika, Kooperationen mit Unternehmen und vieles mehr. In diesem Rahmen kann übrigens auch bei Mädchen das Interesse für technische Berufe gefördert werden.
Die zahlreichen Kampagnen speziell für Mädchen oder junge Frauen wie z. B. der Girls’ Day, „Komm, mach MINT“ oder andere Frauenförderprogramme haben sich ja offenbar nicht wirklich als erfolgreich erwiesen, denn laut Ihren eigenen Angaben stagniert die Bewerbungsquote von Frauen für technische Berufe bei 15 Prozent. Woran mag das liegen? Vielleicht daran, dass Mädchen und Frauen, Männer und Frauen unterschiedlich sind.
Ja, so ist das, meine Damen und Herren! Das zeigt sich nicht nur im Äußeren, sondern auch in unterschiedlichen Interessen, Verhaltensmustern und Kompetenzen und eben auch darin, dass Frauen oder Mädchen weniger technisches Interesse zeigen.
Interessant und dazu passend ist auch eine Studie der Leeds-Beckett-Universität in Großbritannien, die besagt, dass sich in Ländern mit hohen sozialen Standards wie z. B. Finnland oder Norwegen weniger Frauen für technische Berufe entscheiden als in Ländern mit geringeren sozialen Standards wie z. B. Albanien oder Algerien. Mit anderen Worten: Wenn Frauen unabhängig von ihrem ökonomischen Status ihre Berufswahl treffen können, entscheiden sie sich mehrheitlich für frauentypische Berufe. Das Ganze hat übrigens auch einen Namen. Es nennt sich „norwegisches Gleichstellungsparadox“. Vielleicht hat es der eine oder andere schon einmal gehört. Das ist übrigens auch der Name einer interessanten Dokumentation des Norwegers Harald Eia. Das sollten Sie sich vielleicht mal anschauen.
Beruhend auf den Erkenntnissen dieser Dokumentation und der Leeds-Beckett-Studie stellte das norwegische Parlament bereits im Jahr 2012 die staatliche geförderte Gender-Forschung ein.