Protocol of the Session on September 27, 2018

(Marc Vallendar)

Abschließend noch mal – Herr Dr. Taschner hatte das auch erwähnt –: Was uns wirklich wichtig ist, wir wollen hier nicht den moralischen Zeigefinger erheben. Es geht nicht darum, Institutionen oder Forscher, die Tierversuche durchführen, anzuklagen. Es geht darum, das Staatsziel Tierschutz mit Leben zu erfüllen und in der Brain City Berlin Spitzenforschung durch Alternativmethoden zu Tierversuchen zu betreiben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für die FDP-Fraktion hat jetzt der Kollege Förster das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat, im Jahr 2018 darf man beim Tierschutz andere Fragen stellen, als man sie vielleicht vor 10, 20 oder 30 Jahren debattiert hat, genauso, wie wir auch eine lebhafte Debatte darüber haben, ob Elefanten, Tiger und Giraffen unbedingt noch in Zirkusunternehmen vorhanden sein müssen oder ob Kutschpferde in der Berliner Innenstadt wirklich auch tiergerecht fahren können. Das sind auch Themen, die heute in unserer Stadt diskutiert werden. Das sind alles Themen, die man aufgreifen darf und die man auch diskutieren darf. Gar keine Frage!

Wir hatten vor einiger Zeit einen ziemlich umstrittenen Versuch – die Nachtigallen mit den Elektroden im Hirn –, der entsprechend kontrovers diskutiert wurde und der abgelehnt wurde. Solche Debatten darf man führen, und da sind wir vielleicht im Jahr 2018 weiter als vor 30 Jahren. Das sage ich ganz klar. Auch die FDP hat einen Landesfachausschuss Tierschutz – den habe ich mal mitbegründet. Das macht heute der Kollege Henner Schmidt ganz fabelhaft für uns.

[Beifall bei der FDP]

Sowohl aus dem Blickwinkel der Wissenschaft als auch des Tierschutzes kann man diese Frage beleuchten und draufschauen. Wichtig ist – was Kollegin Czyborra, aber auch Herr Efler gesagt haben –: Es darf bei diesem Thema niemand, der für die Wissenschaft forscht, an den Pranger gestellt werden. Die Forscher, die das tun, tun das in bester Absicht, und dass diese Verfahren transparent sein müssen, ist gar keine Frage.

Ich darf den Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft Prof. Stratmann zitieren, der auf die Frage: Was würde passieren, wenn wir künftig auf Tierversuche ganz verzichten würden – zum jetzigen Stand, wo wir noch nicht 100 Prozent Alternativen haben? – antwortet – ich zitiere:

Neue Behandlungen könnten dann nicht mehr entwickelt werden. Auf manchen Gebieten würden wir sogar hinter den gegenwärtigen Status zurück

fallen. Beispielsweise bei den Antibiotika: Da immer mehr Bakterien gegen die heute verwendeten Substanzen resistent werden, müssen wir neue entwickeln. Ohne Versuche an Tieren ist das unmöglich.

Das ist ein Fakt, den man im Augenblick zur Kenntnis nehmen muss. Das Gleiche gilt auch bei Krebsbehandlungen, Chemotherapien und Ähnlichem. Wenn die nicht an Tieren ausprobiert würden, könnte man sie zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht beim Menschen einsetzen. Das ist die Wahrheit. Der medizinische Fortschritt möge rasant sein, aber zum jetzigen Zeitpunkt werden wir unter den Bedingungen noch nicht komplett auf Tierversuche verzichten können. Das ist auch eine Wahrheit, die wir aussprechen müssen.

[Beifall bei der FDP]

Wir haben natürlich auch die Pflicht, verstärkt über Alternativen nachzudenken. Das ist gar keine Frage! Wir sind zum Beispiel beim Thema Computersimulation noch nicht so weit, dass die unzählig miteinander verwobenen Abläufe einer Zelle oder eines Organismus so genau nachgestellt werden können, dass wir auf diesem Bereich schon 100-prozentige Genauigkeit erreichen können. Aber daran arbeiten Forscherinnen und Forscher dieser Stadt. Das ist sicherlich ein Thema, wo es sich lohnt, Alternativen weiterzuentwickeln. Auch die sogenannten Organoide, diese Miniversionen von Organen, die ihren natürlichen Vorbildern ähneln und mehr als die klassischen Zellkulturen auch im Labor gezüchtet werden können, sind geeignet, zelluläre Prozesse abzubilden und die Wirkung von Medikamenten unter realitätssicheren Bedingungen zu untersuchen. Das ist auch etwas, was man aufgreifen kann und aufgreifen sollte. Kurzum: Der Antrag der Koalition ist gut gemeint – das darf man gar nicht verkennen –, allerdings werden wir zum momentanen Zeitpunkt mit den dort angesprochenen Punkten nicht auf Tierversuche verzichten können, sondern wir werden noch eine ganze Reihe an Jahren mit Tierversuchen leben müssen.

Wir haben alles in allem die gemeinsame Verpflichtung, so korrekt wie möglich und so schonend wie möglich mit Tieren, die eingesetzt werden, umzugehen. Im Übrigen werden auch nicht alle Tiere bei diesen Versuchen getötet. Es gibt auch manche, die nur – in Anführungsstrichen – zu Experimenten genutzt werden, und auch nicht jedes Experiment tut den Tieren gleich weh. Aber es sind ganz unterschiedliche Fragen, an denen geforscht wird. Es ist ein Unterschied, ob man Medikamente testet oder Verhaltensforschung durchführt.

Wir werden das Thema im Ausschuss vertiefen, aber ich denke, insgesamt kann man sagen: Verantwortlicher Tierschutz und verantwortliche Wissenschaft, die am Ende auch Menschenleben durch Medikamente rettet, schließen sich nicht aus. Beides muss möglich sein, und

(Dr. Michael Efler)

man kann es miteinander in Einklang bringen. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung der Anträge federführend an den Ausschuss für Wissenschaft und Forschung und mitberatend an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz, Antidiskriminierung empfohlen. – Widerspruch hierzu höre ich nicht; dann verfahren wir so.

Ich komme zu

lfd. Nr. 31:

Es reicht! – Abrechnungsbetrug in der ambulanten Pflege

Antrag der Fraktion der FDP Drucksache 18/1318

In der Beratung beginnt die Fraktion der FDP und hier der Kollege Seerig. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Unser Antrag kümmert sich um einen Punkt aus dem Bereich Pflege, einen Bereich, der aus unserer Sicht besonders kritik- und fragwürdig ist; daher lautet auch die Überschrift „Es reicht!“.

Es geht hier aber nicht, wie die meisten jetzt vielleicht erwarten würden, um die gerade tagesaktuellen Ideen des Bundesministers Spahn zum Thema Pflege, sondern es geht um Abrechnungsbetrug. Berlin ist bundesweit ein absoluter Hotspot in diesem Bereich. Natürlich wollen wir mit diesem Antrag nicht einen Generalverdacht aussprechen; die meisten ambulanten Pflegedienste sind natürlich seriös, und sie arbeiten engagiert. Dafür kann man an der Stelle auch einmal danken.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Hildegard Bentele (CDU) und Heiko Melzer (CDU)]

Das ist völlig unabhängig davon, ob es sich um Private oder Gemeinnützige handelt. Ebenso ist natürlich klar: Es gibt auch Schwarze Schafe, bei den Privaten wie auch bei den Trägern, wo man sagt, sie sind eher gemein als „nützig“.

Es gibt in diesem Bereich schon einiges, was vom Senat initiiert wurde. Wir denken aber, dass zu den bereits getroffenen Maßnahmen mehr möglich ist und vor allen Dingen auch mehr nötig ist. Erstens sehen wir da eine zu 100 Prozent elektronisch erfolgende Abrechnung. Das geht nicht nur schneller und effektiver und schafft damit

mehr Zeit für die eigentliche Pflege, sondern es bringt auch ein Plus im Bereich Fälschungssicherheit.

Zweitens gilt es, bei den oft bestehenden Kooperationen zwischen Ärzten, Pflegediensten und Patienten, Whistleblowern die Arbeit zu erleichtern und damit das System vielleicht sprengen zu können.

Drittens, meinen wir, sollten ambulante Pflegedienste bei der Aufsichtsbehörde bekannt sein, damit auch sie einer Kontrolle unterliegen können – da man das leider dazu sagen muss: natürlich gerade unangekündigte Kontrollen.

Und viertens rechtfertigt aus unserer Sicht der ökonomische Schaden, den der Abrechnungsbetrug verursacht, den Aufbau spezialisierter Strukturen bei der Polizei und bei der Staatsanwaltschaft. Das ist zwar schon ein relativ breiter Strauß an Maßnahmen, aber bestimmt nicht allumfassend.

Wenn die Senatorin vielleicht als fünften Schritt auch hier einen Runden Tisch einrichten möchte – was Sie ja gerne tut, siehe Geburtshilfe, Prostitution, Pflege, Krankenhäuser –, werden wir gegen eine solche weitere Zusatzmaßnahme nichts haben.

Aber wir denken, dass gerade in diesem Bereich ein Mehr auf jeden Fall notwendig ist. Wir freuen uns daher auf die Diskussion im Ausschuss, auch wenn ich eher illusionslos bin, denn meistens pflegt Rot-Rot-Grün Anträge der Opposition abzulehnen – auch eine Art von Pflegepolitik!

[Beifall bei der FDP – Beifall von Hildegard Bentele (CDU) und Tim-Christopher Zeelen (CDU)]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Radziwill das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Seerig! Pflege ist ein wichtiges Thema, und Abrechnungsbetrug in der ambulanten Pflege, aber auch insgesamt in der Pflege, dulden wir nicht. Deshalb ist es gut, dass wir heute auch über dieses Thema reden.

Wir als Koalition haben es uns zur Aufgabe gemacht, konsequent gegen Leistungsmissbrauch und Abrechnungsmissbrauch in der Pflege vorzugehen. Das haben wir im Koalitionsvertrag verabredet, und daran arbeiten Senat und Koalition gemeinsam.

Ihr Antrag stellt Forderungen, auf die ich eingehen möchte. Eins möchte ich aber voranstellen: Bis zu 120 000 Pflegebedürftige leben in Berlin und werden hier versorgt. Rund 60 000 werden von ihren Angehörigen

(Stefan Förster)

gepflegt, rund 30 000 in Pflegeheimen, und noch einmal rund 30 000 werden von ambulanten Pflegediensten versorgt. Diese letztgenannten werden von etwa 600 ambulanten Pflegediensten versorgt. Als Sprecherin meiner Fraktion und als eine, die regelmäßig mit Pflegedienstleistern spricht, möchte ich hier festhalten, dass die Pflegedienste in jedem Fall einen großartigen Job in Berlin machen. Einen Generalverdacht gegenüber ambulanten Pflegediensten darf es aus meiner Sicht nicht geben und wird es auch unter dieser Koalition nicht geben. Wenn Sie das auch unterstützen, sind wir uns schon einmal in einem Punkt einig.

Aber wir müssen trotzdem genau hinschauen. Abrechnungsbetrug ist ein Straftatbestand, den wir nicht dulden. Straftäter, die unsere Systeme mit krimineller Energie ausnutzen, bekommen die Härte des Gesetzes hier in jedem Fall zu spüren. In Berlin wurde dazu viel auf den Weg gebracht, und es ist gut, dass Herr Seerig das in seiner Rede mitgeteilt hat.

Ich komme zu den Forderungen im Einzelnen: Abrechnungen ambulanter Pflegedienste sollen künftig ausschließlich elektronisch erfolgen, fordern Sie. Wir haben 2016 das E-Government-Gesetz verabschiedet. Daraufhin wurde auch eine Digitalisierungsoffensive gestartet. Darin verfolgen wir genau das Ziel, die Abrechnungsverfahren in der ambulanten Pflege elektronisch abzuwickeln. In der Begründung Ihres Antrags schreiben Sie, dass damit nicht nur Betrug verhindert wird, sondern dass damit das System auch effektiver sein kann. Ja, in die Richtung geht das, und deshalb verfolgen wir diese Ziele, auch in der Sozialpolitik eine Digitalisierungsstrategie zu haben. Die elektronische Abrechnung zwischen Bezirken und Land ist auf den Weg gebracht, und dazu können wir uns gerne noch im Ausschuss beraten. Dazu hat unter anderem auch meine Kollegin von den Grünen, Frau Topaç, eine interessante Anfrage gestellt.

Zum zweiten Punkt: Bei mehreren Kassen bei der Senatsverwaltung und den Bezirksämtern können Verdachtsfälle anonym online, auch telefonisch gemeldet werden. Das zeigt: Es gibt Stellen, an die sich die Betroffenen wenden können. Noch zusätzlich eine Anlaufstelle zu organisieren halte ich momentan nicht für sinnvoll.

Bei der dritten Forderung möchte ich anmerken, dass das Wohnteilhabegesetz eine Meldepflicht für ambulante Dienste vorsieht, die in betreuten Wohngemeinschaften Pflege- und Betreuungsleistungen erbringen, damit auch die Heimaufsicht die Möglichkeit hat, hier anlassbezogen die Leistungserbringung überprüfen zu können. Darüber hinaus gibt es ja auch eine Liste aller zugelassenen Pflegedienste und -kassen. Damit ist Transparenz vorhanden, und die Leistungskontrolle wird grundsätzlich überwacht.

Die Heimaufsicht ist aber aus meiner Sicht nicht dazu da, Abrechnungsbetrug bei ambulanten Pflegediensten generell zu überwachen, und es stellt sich auch hier gegenüber den bisherigen Instrumenten der Überwachung kein erkennbarer Mehrwert aus meiner Sicht dar.

Um zum Schluss zu kommen: In Berlin gibt es bereits seit mehreren Jahren beim LKA und bei der Staatsanwaltschaft einen Ermittlungsbereich Abrechnungsbetrug und Leistungsmissbrauch. Das gibt es sonst nur in drei weiteren Bundesländern.

Was wollen wir jetzt noch zusätzlich beschließen? – Ich glaube, Berlin ist bereits auf einem guten Weg. Das brauchen wir nicht zusätzlich noch einmal zu beschließen. Im Namen meiner Fraktion lehne ich diese Forderungen eigentlich ab. Aber wir können gerne konstruktiv im Ausschuss noch einmal über das eine oder andere Thema beraten. Wichtig ist, dass wir die Themen Pflege und Leistungsmissbrauch nicht vom Tisch wischen. Nein, wir wollen uns das genau gemeinsam anschauen und sind auch gerne bereit, uns konstruktive Vorschläge anzuschauen.

Ich will noch am Ende meiner Rede eine persönliche Anmerkung machen: Heute unter TOP 4.3, Biotopverbund, habe ich eine Rede gehalten, und mein Kollege von der AfD, Herr Scholtysek, hat in seiner Rede behauptet, dass ich in der Zeit, in der er seine Rede hielt, nicht im Raum war. – Das stimmt nicht. Ich saß hier vorne in der ersten Reihe. Ich bitte Herrn Scholtysek, solche FakeNews hier nicht zu verbreiten, sondern einfach einmal über den Tellerrand oder die Lesebrille hinwegzugucken und festzustellen, dass Kollegen hier im Raum waren. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!