Protocol of the Session on September 13, 2018

Redezeit hierfür beträgt bis zu drei Minuten. – Herr Abgeordneter! Sie haben das Wort, bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Rund 30 Milliarden Mark, 7 Prozent des Inlandsproduktes pumpte die SED in die informationstechnische Aufholjagd der letzten fünf DDR-Jahre. Als der zittrige Honecker im Spätsommer 89 den 32-Bit-Prozessor U80701, den größten Mikrochip der Welt, bei Robotron präsentierte, warten schon 200 000 Bürger in Ungarn auf der richtigen Seite auf eine Grenzöffnung. Dieses Szenario wird wieder bildhaft, wenn der Senat eine landeseigene Digitalagentur plant. Zwar werden in diesem Land keine Notebooks, Smartphones oder Drucker mehr entwickelt, aber es gelang immerhin Heiko Maas, zum ersten Mal das anarchische World Wide Web zu reglementieren. Neben der Anmeldung mit Benutzerkonto und Kennwort soll das neue elektronische Servicekonto der Verwaltung auch die Nutzung des sicheren elektronischen Identitätsnachweises E-ID des neuen Personalausweises sowie des elektronischen Aufenthaltstitels ermöglichen.

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

So werden in Zukunft selbst solche Verwaltungsleistungen vom heimischen Wohnzimmer aus erledigt werden können, bei denen bislang noch eine persönliche Vorsprache mit Identitätsprüfung erforderlich war. Die dafür grundlegend notwendigen behördlichen bezirklichen ITSicherheitskonzepte haben aber nur drei von zwölf Bezirksämtern mit aktuellem Stand von 2016 bzw. 2017 an die Datenschutzbeauftragte geschickt. Sie müssen jährlich an den neuesten informationstechnologischen Stand angepasst werden. Weitere Identitätsdiebstähle sind quasi vorprogrammiert.

82 500 IT-Endgeräte werden auf 8 500 Serversystemen, von denen noch 23 Prozent physikalisch bereitgestellt werden mit 21 IT-Diensten in 316 IT-Verfahren der Behörden eingesetzt. Las sich der IT-Bericht des Senats 2015 noch wie das Flicken von alten Hosen, so wurden seitdem immerhin 5,6 Millionen Euro in IT-Infrastruktur investiert. Das Kernproblem bleibt die veraltete Software, für die seit Jahren keine Schutzprogramme mehr nachgeliefert werden können. Neue Betriebssysteme setzen aber meist auch neue Hardware voraus.

Gefahren ergeben sich durch Infektionen mit Schadsoftware zum Spionieren nützlicher Informationen, Unternehmens-Know-how und den Eingriff in Steuerungskomponenten von KRITIS-Bereichen. Während Gewerbetreibende durch das Verbot von Videoüberwachung vor ihren Geschäften schikaniert werden, stehen der Berliner Verwaltung die Tore zum Datenklau vertraulicher Informationen via Internet in unserer veralteten IT-Infrastruktur wahrscheinlich weit offen. Datenschutz habe ich immer als Schutz für den Bürger verstanden, nicht als Schutz für den Verbrecher. – Schönen Dank!

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung der Vorlage an den Ausschuss für Kommunikationstechnologie und Datenschutz empfohlen. – Widerspruch hierzu höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Der Tagesordnungspunkt 4 steht auf der Konsensliste.

Nun kommen wir zu

lfd. Nr. 5:

Prioritäten

gemäß § 59 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Ich rufe auf

lfd. Nr. 5.1:

Priorität der Fraktion Die Linke

Tagesordnungspunkt 36

Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ (IGSV)

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/1220

In der Beratung beginnt die Fraktion Die Linke und hier der Abgeordnete Schatz. – Bitte schön!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich bedanken bei meiner Fraktion, dass dieser Tagesordnungspunkt unsere Priorität werden konnte. Ich finde, das ist ein schöner Anlass, nach der Sommerpause und nach der Debatte, die wir vorhin geführt haben, jetzt in die Konkreta einzusteigen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vor zwei Jahren und fünf Tagen beschloss das Abgeordnetenhaus mit der Mehrheit der damaligen GroKo in der letzten Sitzung vor der Wahl 2016 – ohne Debatte übrigens – noch rasch drei Anträge zur Weiterführung der 2009 unter Rot-Rot gestarteten Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz sexueller Vielfalt“, abgekürzt ISV. Nach fünf Jahren GroKo waren von der ISV also fünf Einzelanträge übriggeblieben, ganze Themenbereiche wie Jugend und Bildung waren parlamentarisch unbearbeitet geblieben.

Zur Erinnerung: Gestartet war die ISV 2009 mit einem einstimmigen Beschluss im Abgeordnetenhaus, der in konkreten Handlungsfeldern Maßnahmen beschrieb und Projekte angeschoben hat, von denen wir bis heute zehren. Gestartet war sie – auch das gilt es zu erinnern – in und mit einem breiten gesellschaftlichen Dialog zwischen

(Vizepräsidentin Cornelia Seibeld)

Abgeordneten und Verwaltung, Vereinen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Trans- und Intermenschen und Aktiven aus den Communities. Was dabei herauskam, war ein Meilenstein für Berlin und die Bundesrepublik insgesamt. Die ISV wurde in fast allen Bundesländern aufgegriffen, mal mehr, mal weniger innovativ, aber Berlin hatte Geschichte geschrieben.

Ausgangspunkt war die Frage: Was können wir gemeinsam tun, um homo- und transfeindliche Taten gemeinsam zu bekämpfen, eine Atmosphäre von Akzeptanz in der Gesellschaft, in Schulen, Betrieben, Sportvereinen, Behörden, der Verwaltung zu fördern und rechtliche Gleichstellung voranzubringen? Das war damals der EU einen Best-Practice-Preis wert. Und das hat Menschen in unserer Stadt ermutigt, ihre sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität nicht mehr zu verstecken, nein, sondern sie sichtbar zu machen und selbstbewusst und selbstbestimmt ihr Leben zu leben.

Da ich gerade beim Thema Sichtbarkeit bin, an dieser Stelle will ich mich bedanken bei zwei aktuellen Initiativen, die Sichtbarkeit von verschiedenen sexuellen Orientierungen und geschlechtlicher Vielfalt in unserer Stadt voranbringen, aktuell nämlich erstens: Am letzten Wochenende hat am Homo-Mahnmal, wie wir liebevoll sagen, dem Denkmal für die lesbischen und schwulen und natürlich auch die trans- und intersexuellen Opfer im Nationalsozialismus eine Veranstaltung stattgefunden, die zum ersten Mal der verfolgten und ermordeten Lesben öffentlich gedacht hat. Das war an der Zeit. Ich glaube, da gilt unser Dank allen Initiatorinnen, unter ihnen die Kollegin Anja Kofbinger.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Zweitens mein Dank an den Präsidenten des Abgeordnetenhauses, der in wenigen Tagen einen Empfang für die Teilnehmenden aus Berlin und Brandenburg an den GayGames machen wird, die kürzlich in Paris stattfanden und wo sie sportliche Erfolge für unsere Stadt und unsere Region errungen haben. Ich finde, auch dieses sportliche Engagement von Lesben und Schwulen wie Trans- und Intersexuellen muss gewürdigt werden. Das muss sichtbar werden. Deshalb danke an die Initiative, die diesen Empfang organisiert hat.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Zurück zur ISV: Erfolgsrezepte der ISV waren neben den Aktivitäten aus den Communitys selbst der fachübergreifende Ansatz, der viele Senatsressorts ansprach und konkrete Aufgaben formulierte, Ziele, an denen wir sicher auch scheitern konnten, aber immerhin hatten wir welche. Das wache Auge der Aktiven in der Stadt hat die Umsetzung immer begleitet.

Jetzt, weniger als zwei Jahre nach der Bildung der rot-rotgrünen Koalition, liegt dem Haus ein Antrag der Koaliti

onsfraktionen vor, an diese Geschichte anzuknüpfen und die Ansätze aus der ISV von 2009 aufzugreifen. Nun darf erwartet werden, dass nach neun Jahren Veränderungen angesagt sind. Und sie sind da. Wir legen Ihnen einen Antrag vor, in dem wir gelernt haben. Drei Dinge möchte ich beispielhaft herausgreifen. Erstens: Der Titel hat sich verändert. Wir sprechen nicht mehr nur von sexueller Vielfalt, sondern auch von geschlechtlicher Vielfalt. Das hat nicht nur mit Worten zu tun, sondern es geht um Anerkennung von Trans- und Intermenschen, ihren Anliegen und Belangen für unsere Initiative, und deshalb schlagen wir Ihnen auch vor, die Abkürzung zu erweitern auf „IGSV“ und nicht nur ISV.

Zweitens: Wir wollen eine Einbindung aller Ressorts in den Maßnahmenplan, den wir den Senat bis zum März kommenden Jahres beauftragen, dem Haus zur Beschlussfassung vorzulegen. Und wir wollen nicht, dass jedes Haus in seinem eigenen Saft schmort. Wir wollen eine Steuerung der Arbeit durch die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung.

Drittens: Wir wollen den Maßnahmenplan rechtzeitig vorliegen haben, nämlich bis Ende März nächsten Jahres, um konkrete Projekte und Umsetzungsschritte in die Haushaltsberatungen des kommenden Doppelhaushalts einbeziehen zu können. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, Respekt vor anderen Lebensweisen zu fördern und eine gesellschaftliche Atmosphäre in unserer Stadt zu schaffen, die das Andere als Bereicherung der eigenen Perspektive begreift und nicht als einen Angriff auf das eigene Lebensmodell, die Mut zum Dialog macht und zusammenführt, anstatt durch Angst Hass zu erzeugen und die Gesellschaft zu spalten. Oder konkret gesagt: Vielleicht wird es uns nicht gelingen, dass auf jedem Schulhof der Stadt der Ruf „Du Schwuchtel!“ verhindert wird. Aber wenn es uns gelingt, dass danach zu hören ist: Was, bitte, ist denn dein Problem? –, und eine verbale Auseinandersetzung beginnt, bei der das Lehrpersonal nicht schamhaft zur Seite schaut, sondern für Vielfalt beherzt Partei ergreift, dann, meine ich, haben wir einiges erreicht. Insofern freue ich mich auf die Beratungen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Evers das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Schatz! Zunächst einmal freue ich mich über dieses Wiedersehen mit der ISV, die mich in Zeiten der großen Koalition über lange Jahre in ihrer Weiterentwicklung beschäftigt hat. In einem Punkt muss

(Carsten Schatz)

ich Ihnen natürlich wiedersprechen: Sicherlich hat manches an den Anträgen, die wir damals auf den Weg bringen wollten, etwas länger gedauert, als es hätte dauern sollen. Das heißt aber nicht, dass die Themen unbearbeitet geblieben wären, weder in der Verwaltung noch parlamentarisch, denn natürlich – das wissen Sie selbst – hat es hier ein intensives und durchaus auch fraktionsübergreifendes gutes Zusammenspiel der demokratischen Fraktionen gegeben. Ich bin sehr dankbar dafür, dass das auch in der Regel zu guten und auf allen Seiten akzeptablen Ergebnissen in der Entwicklung der ISV geführt hat.

Die Buchstabenansammlung hat sich etwas verändert, das ist jetzt die IGSV und nicht die ISV 3.0, die es, glaube ich, bei unserer damaligen Zählart inzwischen sein müsste. Der politisch korrekte Buchstabensalat ist auch etwas umfangreicher geworden. Es ist jetzt entweder

„LSBTTIQ*“ oder ein T weniger, wie im Rest des Antrags. Ich habe jetzt nicht verstanden, ob das ein Druckfehler ist oder ob in den folgenden Seiten des Antrags ein T regelmäßig unter den Tisch gefallen ist. Sei es drum, am Ende geht es um ein Anliegen, das uns allen gleichermaßen am Herzen liegt, nämlich denjenigen, die in unserer Stadt mit Diskriminierungserfahrungen aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Orientierung zu kämpfen haben, eine Hilfestellung zu geben – vonseiten des Senats, vonseiten des Abgeordnetenhauses von Berlin.

Insofern bin ich auch gespannt auf die Beratungen, die uns bevorstehen. Ich freue mich insbesondere deswegen darauf, weil manche der Vorwürfe, die damals an uns gerichtet waren, durchaus erneut erhoben werden könnten, glaube ich. Es ist uns immer wieder eine Unschärfe der Formulierungen vorgeworfen worden, es ist uns vorgeworfen worden, wir seien in vielen Punkten zu wenig konkret. Es wurde gesagt, dass wir uns allzu oft in Prüfaufträgen verlieren würden, und wenn ich all das mal zusammenziehe, würde ich sagen, die Beratungen Ihrer drei Fraktionen untereinander scheinen nicht wesentlich einfacher zu sein, als es damals zwischen CDU und SPD der Fall war. Aber es ist ja jede parlamentarische Mühe wert, einen solchen guten Antrag im Ergebnis auf den Weg zu bringen. Insofern werden Sie unseren sicherlich konstruktiven Anmerkungen und dann vielleicht auch Änderungsvorschlägen in den Ausschussberatungen bestimmt aufgeschlossen gegenüberstehen.

Ich bin mir auch sehr bewusst, dass das, was Sie hier als partizipativen Ansatz beschreiben, sehr zeitaufwendig ist. Insofern rechne ich jetzt nicht damit, dass wir bereits in Wochen zu einem Ergebnis kommen werden. Deshalb lohnt es sich, Ihnen ein paar Fragen mit auf den Weg zu geben.

Ich fange gleich am Anfang an. Nicht zu Unrecht stellen Sie den Handlungskomplex Diskriminierung, Gewalt, vorurteilsmotivierte Kriminalität an den Anfang, drücken

sich dann aber am Ende um die klare Bezeichnung eines Problems, nämlich dass wir es in viel zu vielen Fällen mit kulturell und religiös indizierter vorurteilsmotivierter Diskriminierung, Gewalt und Kriminalität zu tun haben.

[Karsten Woldeit (AfD): Aha!]

Das differenziert anzupacken, das hat in der Vergangenheit schon immer jeder auf der linken Seite des Hauses gescheut klar zu benennen, dass es dieses Erfordernis gibt. Ich sage Ihnen, das geht an der Lebenswirklichkeit vieler queerer Menschen in dieser Stadt vorbei.

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Benedikt Lux (GRÜNE)]

Denn wenn Sie heute durch den Nollendorfkiez spazieren und sich anschauen, von welcher Seite Sie es am häufigsten mit Diskriminierungen, mit Übergriffen, mit Androhung oder womöglich tatsächlicher Gewalt zu tun haben, dann lässt sich das ganz klar verorten. Dann muss man eindeutig das Problem an der Wurzel packen und dorthin gehen, wo es in den Familien, in den Elternhäusern, in den Moscheegemeinden oder auch immer beginnt. Das dürfen wir nicht ausklammern, wenn wir einen solchen Antrag auf den Weg bringen. Das wäre eine undifferenzierte Art, das Problem anzupacken. Ich sage Ihnen, das Problembewusstsein in der Community dafür ist sehr groß. Das wird auch unter Beobachtung stehen.

Sie haben ansonsten, einfach meine Frage an Sie, die Wiedererrichtung des zerstörten Magnus-HirschfeldInstituts auf der einen Seite und des ElberskirchenHirschfeld-Hauses auf der anderen Seite benannt. Noch zu unserer Zeit war das ein und dasselbe, das E2H, als neue Interpretation, als Anschlussinstitution an das seinerzeitige Magnus-Hirschfeld-Institut. Ich bin gespannt auf die Debatte, weil es mir damals ein Herzensanliegen war, das Projekt in die Umsetzung zu bringen. Ich kann Ihnen auch versichern, dass wir sehr leidenschaftlich dabei sein werden, wenn es um die Frage geht, wie organisieren wir eigentlich für die Menschen, die unter die „LSBTTIQ*“-Definition fallen, das Leben im Alter so, dass es auch dort, wenn man in Pflegeeinrichtungen, im betreuten Wohnen in Alteneinrichtungen ist, frei von Diskriminierungserfahrung ist. Eine immense Herausforderung in der täglichen Praxis, für die ich auch noch keine Patentlösung in Ihrem Antrag erkennen kann, wobei es der Mühe wert wäre. Insofern liegt viel Arbeit bei der Beratung des Antrags vor uns. Ich bin mir sicher, es wird eine Menge Zeit brauchen, das lehrt uns die Erfahrung. Seien Sie sich dessen gewiss, dass wir Ihnen dabei auf die Finger schauen werden und dass wir wie immer – wie Sie es von uns kennen – mit konstruktiven Ratschlägen an der Seite stehen. – Vielen Dank!