Protocol of the Session on October 19, 2017

wir merken wieder einmal: Es wird ein Arbeitskreis gegründet, der vor sich hin arbeitet, aber nichts damit zu tun hat, die Probleme zu lösen. Denn dann wären alle Beteiligten an dem Tisch, und das sind sie nicht. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos)]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Ziller das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das mit der FDP eben war recht skurril.

[Holger Krestel (FDP): Das war richtig gut! Sie haben es nur nicht verstanden! – Heiterkeit bei der FDP]

Lassen Sie mich ausreden, ich habe jetzt das Wort! – Als Grüne treibt uns natürlich auch die Grünpflege um. Aber wenn ich mir den Tiergarten angucke und die Probleme, die dort sind, treiben mich andere Sachen um.

Für zivilisatorische Grundvoraussetzungen kann man mal in unsere Berliner Verfassung schauen. Da steht zum Beispiel drin, dass jeder Mensch das Recht auf angemessenen Wohnraum hat. Wenn Sie das nicht so sehen, können Sie gern den Antrag stellen, die Berliner Verfassung zu ändern. Dann können wir das diskutieren. Ansonsten, finde ich, ist unsere Berliner Verfassung Grundlage dessen, wie wir politisch handeln.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Ich möchte in dieser Debatte zuerst die Menschen in den Mittelpunkt stellen, um die es bisher zu wenig geht. Das sind Menschen wie Sie und ich, Menschen, denen einfach ein Dach über dem Kopf fehlt und die ein wenig Unterstützung brauchen, mal mehr, mal weniger. Und dabei ist es mir egal, ob die Menschen aus den europäischen Nachbarländern kommen oder aus Berlin oder aus anderen Orten in Deutschland. Insofern: Gut, dass wir heute über Obdachlosigkeit sprechen, denn die wachsende Zahl an wohnungslosen und obdachlosen Menschen in Berlin empfinde ich als besorgniserregend.

[Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

Leider bieten die beiden vorliegenden Anträge keine Antwort. Sie enthalten keine Vorschläge, den Menschen ohne Obdach zu helfen, und sie enthalten auch keine Vorschläge, dem Bezirksamt in Mitte in irgendeiner Weise weiterzuhelfen.

(Stefan Förster)

[Holger Krestel (FDP): Wir sind ja nicht die Regierung!]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Herrn Woldeit?

Gerne!

Bitte schön!

Vielen lieben Dank, Herr Kollege Ziller! Ich möchte eine kurze Frage stellen in Bezug auf die Vergleichbarkeit von Zuständen. Können Sie sich denken, dass eine ähnliche Situation, wie wir sie jetzt im Tiergarten haben, im Englischen Garten in München überhaupt nur vorstellbar wäre?

[Zuruf von Katrin Schmidberger (GRÜNE)]

Meine Fantasie reicht sehr weit. Die Frage ist aber, wie wir die Situation im Tiergarten bewältigen, statt uns vorzustellen, dass sie anderswo auch so ist. Insofern möchte ich Ihnen an der Stelle auch ganz ehrlich sagen, dass ich vom ersten Jahr unserer rot-rot-grünen Regierung in dieser Frage enttäuscht bin.

[Zuruf von Stefan Franz Kerker (AfD)]

Wir haben uns viel vorgenommen und viel begonnen. Aber ganz ehrlich: Für die Menschen auf der Straße, und um die geht es mir, sind wir noch nicht weit genug. Die zentrale Aufgabe ist es, für die Menschen Wohnraum und Unterkünfte zu schaffen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Den meisten Menschen auf der Straße fehlt es nicht an Polizei oder Beratung, sondern an einem Dach über dem Kopf. Wenn wir den Berliner Wohnungsmarkt ehrlich bewerten, dann heißt das, dass wir darüber reden müssen, was wir in den nächsten Jahren machen. Wir müssen darüber reden, dass wir ganzjährig Angebote wie die Kältehilfe brauchen, ganzjährig Gemeinschafts- und Notunterkünfte, um den Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben. Dieser Senat und diese Koalition werden dazu einen Beitrag leisten,

[Zuruf von Oliver Friederici (CDU)]

und wir werden unsere Anstrengungen weiter erhöhen, das kann ich Ihnen versprechen.

Die 1 000 Plätze für die Kältehilfe sind ein erster Baustein, aber wir werden darüber sprechen, sie auszuweiten. Wir werden auch darüber sprechen müssen, im Winter Angebote zu schaffen, wo sich Menschen tagsüber aufhalten können und sie ggf. Beratung erhalten. Wir werden darüber sprechen, menschenwürdige Gesundheitsversorgung zu schaffen, denn auch da hapert es aktuell in Berlin.

Warum sage ich, wir werden darüber sprechen? – Wie mein Kollege bereits ausgeführt hat,

[Stefan Förster (FDP): Welcher?]

haben wir begonnen, die Leitlinien zur Wohnungslosenpolitik weiterzuentwickeln. Das geschieht in Zusammenarbeit mit Trägern, Betroffenen und den Verwaltungen. Das werden wir zügig umsetzen. Der Haushalt, den wir im Dezember beschließen werden, wird die Grundlage dafür schaffen, das auch zu tun. Wir werden die Mittel für Wohnungslosenunterstützung erhöhen, und wir werden das nach der Debatte sicherlich auch unter dem Gesichtspunkt bewerten.

Ein zweiter Punkt, der mir wichtig ist: Wir werden mit diesem Haushalt auch die Grundlage für eine integrierte Armuts- und Sozialberichterstattung schaffen. Dann werden wir noch viel genauer herausfinden, aus welchen Gründen Menschen auf der Straße leben, um neben den Unterkünften passgenauer helfen zu können.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Krestel?

Herr Kollege! Sie sagten eben, Sie werden die Mittel für den betroffenen Personenkreis erhöhen. Kann ich davon ausgehen, dass es sich dabei um Mittel für sogenannte Sachleistungen handelt, weil viele der Betroffenen, die dort leben, für finanzielle Mittel im Sinne des Gebers nicht so richtig empfänglich sind?

Nein, mir geht es in erster Linie nicht um Sachmittel für die einzelnen Personen, aber vielleicht können wir das im zuständigen Fachausschuss ausführlicher diskutieren.

Ich möchte noch zu einem grundsätzlichen Punkt kommen, der Menschen ohne Obdach aus unseren europäischen Nachbarländern betrifft. Wir haben im Grundgesetz stehen, dass Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Unser

Eigentum und unseren Reichtum in Berlin und Deutschland haben wir auch auf Basis der Europäischen Union und der Freizügigkeit von Personen, Waren und Dienstleistungen aufgebaut. Dieser verpflichtet uns, wenn ich unserem Grundgesetz folge, dem Wohle auch dieser europäischen Allgemeinheit zu dienen. Ich finde es daher egoistisch, die vielen Vorzüge der Freizügigkeit in Anspruch zu nehmen, mit den Folgen hier bei uns dann aber nichts zu tun haben zu wollen. Die Briten versuchen das gerade, wie man am Brexit sieht. Sie werden damit jedoch scheitern, denn klar ist: Die Situation im Tiergarten und in Berlin wird sich für die vielen Menschen ohne Obdach nicht verbessern, wenn wir für einige Menschen in ihren Heimatländern anrufen und um Abholung bitten.

Ein zweiter Punkt, der mir wichtig ist, der aber getrennt davon betrachtet werden muss – darauf ist auch schon hingewiesen worden –: Straftaten dürfen nicht geduldet werden. Dabei spielt aber die Herkunft und die Wohnsituation überhaupt keine Rolle.

[Beifall von Lars Düsterhöft (SPD)]

Da kann man klatschen, muss man aber auch nicht. –

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Zurufe von der AfD]

Ich bin der Überzeugung, dass wir rechtswidrigen Handlungen am besten dadurch vorbeugen, die Verbesserung der beruflichen und gesellschaftlichen Perspektiven dieser Menschen anzupacken. Ziel von Berlin als einer weltoffenen Stadt muss es sein, auch Unionsbürgern Wege zur Teilhabe zu bauen, denn sie brauchen Unterstützung, wenn sie auf dem Arbeitsmarkt ausgebeutet oder benachteiligt werden. Ich bin davon überzeugt: Jeder Versuch, sie von Sozialleistungen auszuschließen, ist unsolidarisch und hat langfristig keinen Erfolg; die Kollegen haben darauf bereits hingewiesen.

[Zuruf von Stefan Franz Kerker (AfD)]

Immer wieder entscheiden auch Gerichte, dass den Menschen gewisse Rechte zustehen, wenn sie ihr Recht auf persönliche Freizügigkeit in Anspruch nehmen.

[Stefan Franz Kerker (AfD): Unsinn!]

Am Ende wird man das eh machen müssen.

Ich komme zum Schluss. Ich hoffe, Sie überzeugt zu haben, unsere Ressourcen dafür einzusetzen, der großen Mehrheit der obdachlosen Menschen in Berlin zu helfen – mit Wohnraum, Gesundheitsversorgung und Perspektiven für eine Teilhabe am Arbeitsmarkt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Es wird die Überweisung der Anträge an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung und an den Hauptausschuss empfohlen. – Widerspruch hierzu höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.2:

Priorität der Fraktion Die Linke