Protocol of the Session on July 6, 2017

[Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos)]

Die AfD-Fraktion ergreift deshalb mit dem Ihnen vorliegenden Antrag die Initiative. Der Kern lautet: Niemand kann besser darüber wachen, dass der Wahlkampf fair wird, als die Bürger unserer Stadt. Nur wenige Bürger, die Zeugen der Zerstörung eines Plakats werden, begeben sich anschließend auf den Weg zu einer Behörde, einmal

ganz abgesehen von dem Risiko, möglicherweise anschließend auch noch den Angriffen der Vandalen und Gewalttäter ausgesetzt zu sein. Unser Antrag schlägt deshalb die Einrichtung einer Berliner Erfassungsstelle für Angriffe auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit vor, bei der Bürger unbürokratisch negative Zwischenfälle im bevorstehenden Wahlkampf melden und dokumentieren können – persönlich, telefonisch oder elektronisch.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos)]

Zu solchen Angriffen gehören auf Krawall abzielende Provokationen an Informationsständen ebenso wie Angriffe auf Kandidaten und ihr Eigentum, die Nötigung von Wirten, die Parteien Versammlungsräume zur Verfügung stellen, Attacken auf Parteibüros und die Vandalisierung von Plakaten.

Wir wollen die Bedrohung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit zum Anliegen aller Berliner Bürger machen. Der bisherige Weg über den Staatsschutz oder über Eingaben bei der Wahlleiterin und bei den Bezirken ist in einer Normalsituation hilfreich, angesichts der sich abzeichnenden neuen Dimension der am linken Rand entstandenen Gewaltbereitschaft aber nicht mehr ausreichend.

[Beifall bei der AfD]

Bisher, so unsere Beobachtung, wird nur ein kleiner und nicht notwendigerweise repräsentativer Teil der Attacken erfasst. Die Polizei berichtete zum Beispiel anlässlich der Wahl zum Abgeordnetenhaus im letzten Jahr, dass einige Plakate der AfD vandalisiert worden sind. Ich kann Ihnen versichern: Nach unseren eigenen Untersuchungen gab es praktisch in ganz Berlin kein einziges Großflächenplakat der AfD, das nicht beschmiert, umgeworfen, gestohlen oder zerschlagen worden war. Das hat nichts mehr mit Wahlkämpfen der Vergangenheit gemein. Die ohnehin überlastete Berliner Polizei kommt hier an die Grenzen dessen, was sie zu leisten imstande ist.

Wir schlagen weiterhin vor, dass diese Erfassungsstelle beim Amt der Landeswahlleiterin angesiedelt wird, weil uns das am sinnvollsten erscheint. Wir möchten, dass die Erfassungsstelle am Ende des Wahlkampfes einen Bericht über die Zahl und die Verteilung der Angriffe auf die einzelnen Parteien vorlegt und mitteilt, ob und welche juristischen Schritte gegen die Angreifer ergriffen worden sind und welche Maßnahmen künftig zu ergreifen sind, um Wahlkämpfe besser vor Extremisten zu schützen. Noch ist es Zeit, zu verhindern, dass eine gewaltbereite linke Szene nach den Demonstrationen zum 1. Mai, nach den Auseinandersetzungen um die Rigaer Straße und um Friedel54 und nach dem G-20-Gipfel nahtlos dazu übergeht, auch den Bundestagswahlkampf zum Betätigungsfeld ihrer Willkür zu machen.

Der bewusst gegen die AfD gerichtete Konsens gegen rechts im Vorjahr war nicht nur politisch wirkungslos,

sondern hat sich, wie von uns vorhergesagt, als falsches Signal erwiesen. Er hat denjenigen, die aufseiten der extremen Linken Lust auf Randale haben, den Eindruck vermittelt, dass gegen rechts alles erlaubt ist,

[Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos)]

und „Rechts“ wird von den Linksextremisten definiert. Diesen Blankocheck nutzen sie eifrig. Wohin das führt, sehen wir seit Monaten.

Es ist Zeit zur Umkehr und zu nüchterner Selbstkritik. Wer einen Keil zwischen die demokratisch legitimierten Parteien treibt, wer Parteien ausgrenzt und damit zu Freiwild erklärt, der besorgt, ob er es will oder nicht, das Geschäft der Feinde der Demokratie;

[Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos)]

der mag zwar ein Biedermann sein, aber er öffnet den Brandstiftern Tür und Tor. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos)]

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Dörstelmann das Wort. – Bitte schön, Herr Kollege!

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Eigentlich, zumindest auf den ersten Blick, liest sich der vorliegende Antrag gar nicht mal so schlecht, vor allem in der Überschrift: Fairen Wahlkampf ermöglichen.

[Beifall bei der AfD]

Dagegen werden Demokratinnen und Demokraten nichts einwenden.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Leider doch! Kommt ja gleich!]

Auch die Beschreibung der aktuellen Situation, auch aus dem letzten Wahlkampf heraus, mit zunehmenden Übergriffen von unterschiedlichen Seiten, einer zunehmenden Gewaltbereitschaft gegenüber politisch Handelnden, ist nicht von der Hand zu weisen. Der Wahlkampf im vergangenen Jahr war gekennzeichnet durch viele Übergriffe: ein abgebrannter Bus der CDU in Spandau, Angriffe auf das Anton-Schmaus-Haus in Neukölln und viele weitere, aber die beiden stehen wirklich beispielhaft dafür; sie sind keineswegs abschließend, alle waren betroffen. Das muss uns bedenklich stimmen, denn die politische Auseinandersetzung vor Wahlen, durchaus mit allen inhaltlichen Zuspitzungen in dieser Phase, soll ja gerade – das ist gewollt in einer Demokratie – Unterschiede auch erkennbar machen für die Bürgerinnen und Bürger, die

danach auch ihre Wahlentscheidung ausrichten möchten. Das ist eine echte Wahl, und nur das ist dann auch eine echte Demokratie.

Wie wichtig das ist, das zeigt schon die Tatsache, dass sich die demokratischen Länder weltweit deutlich besser entwickeln als die nichtdemokratischen, dass aus den nichtdemokratischen Ländern viele Menschen, denen die Möglichkeit der Versammlungs- und Meinungsfreiheit genommen wird, hoffnungsvoll hierher schauen. Und da ist wichtig, welches Bild auch der Wahlkampf in den westlichen Demokratien abgibt. Nehmen Sie das Beispiel des letzten US-Wahlkampfs um die Präsidentschaft. Jede auch nur denkbare Möglichkeit einer Einflussnahme von außen schafft ein so verheerendes Bild in der Welt, dass man es gar nicht negativ genug einschätzen kann. Das dekliniert sich aber auch nach unten durch. Natürlich sind wir alle gehalten, dafür zu sorgen, dass auf keinen Fall irgendein Schatten auf den Wahlkampf als fairen Wahlkampf fällt.

Allerdings sehe ich bei Ihrem Antrag zwei grundsätzliche Defizite, das will ich klar sagen. Zum einen scheint mir die vorgeschlagene Lösung nicht besonders praktikabel zu sein. Da soll die Landeswahlleiterin nach dem Willen der AfD-Fraktion jetzt alle ihr bekannt werdenden Angriffe, Übergriffe – den Begriff benutzen Sie nicht, aber es soll wohl so sein, auch Kollege Pazderski hat es eben so umschrieben –, Störungen und vielleicht auch Konflikte, gleich welcher Art, als Meldungen entgegennehmen und dann bearbeiten. Ich frage mich schon, wie das von der Kapazität her gehen soll, aber vor allem, ob das die Aufgabe der Landeswahlleiterin ist. Welche Übergriffe soll sie denn erfassen? Straftaten? – Die werden polizeilich erfasst, und die Polizei kann das besser. Streitereien zwischen den Wahlkämpfenden oder mit Dritten? Ab wann sollen die relevant sein, sodass sie von der Landeswahlleiterin erfasst werden müssten? – Da hat jeder und jede wahrscheinlich am Infostand auch ein unterschiedliches Bild, ab wann man sich wirklich angegriffen fühlt und ab wann vielleicht noch nicht. Und nach welcher Definition soll ein Übergriff oder eine Einschüchterung überhaupt erfasst werden? – Darauf gibt Ihr Antrag überhaupt keine Antwort. Und, ich sage es gleich, die Auswertung, die Sie anschließen wollen, wird an der Stelle auch Probleme machen. Die Landeswahlleiterin kann realistisch betrachtet schon die mitgeteilten Sachverhalte nicht ohne Weiteres verifizieren. Sie müsste ja jedem einzelnen nachgehen, es sei denn, Sie setzen darauf, dass eine Erfassung auf Zuruf durchzuführen ist. Welchen Wert hat das? – Das wird inflationär ausgenutzt werden, das kann ich Ihnen gleich sagen.

Auch die Frage, wem sie denn berichten soll, wird in dem Antrag nicht wirklich beantwortet. Soll das das Parlament sein, die Öffentlichkeit? Wer soll denn dann die Schlussfolgerungen ziehen und die Änderungen durchsetzen? Wer soll das machen? – Ich nehme an, es ist hier an das

(Georg Pazderski)

Parlament gerichtet. Aber es steht so nicht drin. Also, das wird so nicht funktionieren. Woran man aber denken könnte, ist, dass eine verdichtete Dokumentation bei den Strafverfolgungsbehörden eingerichtet wird. Das wäre denkbar. Und dann ist es nicht die Aufgabe der Landeswahlleiterin, sondern eben der Strafverfolgungsbehörden selbst.

Egal, wer diese Aufgabe nachher ausführt, die betreffende Stelle bräuchte dafür auf jeden Fall zusätzliche Mittel. Insoweit geht Ihr an sich zutreffender Hinweis, dass der Staatsschutz weitgehend ausgelastet ist, fehl. Wir müssten immer aufstocken, und wenn wir aus den notwendigen Analysen dann auch die richtigen Maßnahmen ableiten wollen, dann brauchen wir auch Leute, die sich mit Prävention auskennen und das umsetzen. Als Zwischenergebnis muss ich aber zunächst festhalten, dass Ihre Überlegung für eine solche Erfassungsstelle nicht wirklich ausgereift ist.

Unabhängig von der Frage der Durchführbarkeit gibt es aber ein ganz anderes gravierendes Defizit. Denn bei mir ist beim Lesen des Antrags zunehmend der Eindruck entstanden, dass hier unterschwellig ein ganz anderer Zweck verfolgt wird; ein scheinbar gemeinsames Ziel, das Ziel eines hehren Wahlkampfs, wird vorgeschoben, um dahinter eine eigene Opferrolle zu inszenieren.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Steffen Zillich (LINKE): Das war bei der Rede gar nicht so unterschwellig!]

Dem will ich an dieser Stelle eine klare Absage erteilen, verehrte Kolleginnen und Kollegen. Ja, es sind auch nach meinem Eindruck mehr Übergriffe im Wahlkampf zu verzeichnen gewesen, und es waren tatsächlich alle Parteien, die hier im Haus vertreten sind, davon betroffen – vielleicht in unterschiedlicher Intensität, das spielt aber an der Stelle überhaupt keine Rolle. Ich verurteile jeden gewaltsamen Übergriff im Wahlkampf, völlig gleich, von wem er ausgeführt wird, und völlig gleich, wem er gilt.

[Beifall bei der SPD und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU und den GRÜNEN]

Aber gewaltsame Übergriffe dieser Art entstehen natürlich in den seltensten Fällen zufällig oder spontan.

[Georg Pazderski (AfD): Auch das Anzünden eines Busses nicht? Was hat denn dieser Kollege getan?]

Die sind nämlich ganz überwiegend geplant und sind vor allem Ausdruck einer bestimmten Geisteshaltung. – Herr Kollege Pazderski, ich werde Ihnen gleich noch mehr dazu erzählen!

[Georg Pazderski (AfD): Ich freue mich drauf!]

Diese Haltung ist intolerant und gewalttätig. Das sind die Kennzeichen, die diese Haltung ausdrückt. Sie ist intolerant gegenüber Andersdenkenden, und sie fühlt sich legitimiert, Gewalt auszuüben, weil sie die Meinung anderer

als nicht gleichwertig ansieht. Und am Ende sieht sie dann auch den Andersdenkenden selbst nicht mehr als gleichwertig an. Diese Art von Gewalt beginnt im Kopf. Sie beginnt dort aber nicht einfach so, und damit bin ich bei der Antragstellerin. Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der AfD-Fraktion! Sie müssen sich schon damit konfrontieren lassen, dass die Haltung Ihrer Partei eben nicht durchgängig vom Respekt gegenüber Andersdenkenden geprägt ist.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Das beginnt bei einem zweifelhaften Jargon, zu dem in den Kreisen der AfD der ständig wiederholte Begriff der sogenannten Altparteien gehört.

[Zurufe von der AfD: Oh!]

Die Verwendung dieses Begriffs ist – da können Sie aufjammern, so viel Sie wollen – historisch eindeutig negativ konnotiert. Der Begriff ist aber mehr als das, er ist nämlich infam.

[Georg Pazderski (AfD): Jetzt begeben Sie sich in die Opferrolle!]

Diese Parteien, die Sie damit diffamieren wollen, stehen bei allen inhaltlichen Unterschieden, die wir untereinander haben, seit Jahrzehnten für die Demokratie in unserem Land ein.

Aber alarmierend war für mich vor allem etwas anderes. Das habe ich vor einigen Wochen über Ihre Parteifreunde in Sachsen-Anhalt gelesen. Die haben sich in einer WhatsApp-Gruppe um Herr Poggenburg herum ausgetauscht, immerhin 200.

[Gunnar Lindemann (AfD): Und was ist mit Edathy und der SPD?]

Sie erinnern sich an 200 Leute in Ihrer Partei – na ja. Dort war dann unter anderem die Rede von „Deutschland den Deutschen“, da war die Rede von „volksfeindlichen Medien“, von „Machtübernahme“. Das ist nicht unbedingt ein Synonym für demokratisch errungenen Wahlerfolg.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Da war die Rede von „mit Waffen oder ohne“ und entsprechenden Trainingskursen. Klar haben sie sich geärgert, als sie da erwischt wurden. Aber die Gruppe ist schlicht zu groß, als dass man jetzt von Einzelfällen sprechen könnte. Und innerhalb der Gruppe gab es bei dieser Diktion überhaupt keinen Widerspruch.