Protocol of the Session on July 6, 2017

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Die Resultate jedes totalitären Bestrebens in der gesamten Weltgeschichte kennen wir alle – gerade hier in Berlin.

Es ist doch pure Heuchelei, wenn, wie in der HumboldtUniversität durch linke Antisemiten geschehen, eine Versammlung gestürmt wird, die Veranstalter – darin eine Shoa-Überlebende, Frau Weinstein – am Sprechen gehindert werden und in primitivster Halbaffenmanier nach einer Diskussion gebrüllt wird. Ich hoffe sehr, dass wir alle dafür sorgen, dass nicht noch mehr junge Menschen durch merkwürdige Debattenbeiträge in die Irre geleitet werden, auf dieses Niveau hinuntersinken und politischen Diskurs darin sehen, den anderen am Vortragen seiner Argumente mit Gewalt zu hindern.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Wer die offene Diskussion erzwingen will, egal über welches Thema, der darf sie nicht vorher abschaffen. Kein vermeintlich noch so hehres Motiv rechtfertigt diese totalitären Methoden. Im Namen der vermeintlich großartigsten Ideen ist überall auf der Welt – gerade auch in dieser Stadt, ich betone es noch einmal – die Meinung der Andersdenkenden bekämpft, sind Versammlungen blutig zerschlagen worden, sind diejenigen, die die jeweils eine aktuelle Wahrheit hinterfragen wollen, ausspioniert, gefoltert und ermordet worden. Wir sehen im Moment eine Verschärfung der politischen Diskursform in dieser Stadt, wobei ich sie schon nicht mehr als „politisch“ bezeichnen würde. Wir müssen uns alle dieser Entwicklung entgegenstellen, denn wenn das Recht für den Einzelnen, seine Meinung zu äußern, bereits nicht mehr gilt, dann fängt es dort nur an. Es wird sich solange fortsetzen, bis Sie wieder ein totalitäres Regime erleben müssen. Das nimmt dort seinen Anfang, und das können wir nicht wollen. Das dürfen wir nicht dulden, unabhängig davon, aus welchen vermeintlich hehren Motiven auch immer.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der AfD]

Wer sich im politischen Kampf auf die moralische Ebene und die Methoden seiner rücksichtslosen Gegner begibt, wird irgendwann aufwachen und merken, dass er sich von ihnen nur noch dem Namen nach unterscheidet. Mir ist herzlich egal, ob es paramilitärische Faschisten, sogenannte Antifaschisten, oder tschetschenische Terroristen sind, es ist die gleiche feige Bande, die den offenen Diskurs scheut, deren ideologische Überzeugung so schwach, so erbärmlich sein muss, das sie keiner Debatte standhält, und die deshalb die Argumente der anderen zum Verstummen bringen will, statt sich mit ihr auseinanderzusetzen. Das kann nicht sein!

(Anne Helm)

[Beifall bei der FDP– Vereinzelter Beifall bei der CDU und der AfD]

Wir haben mit dem vorliegenden Antrag einen meines Erachtens zwar in der Stoßrichtung richtigen, in der Umsetzung aber sehr untauglichen Versuch, diese Ziele zu erreichen. Meines Erachtens brauchen wir keine zusätzliche Dokumentation außerhalb des rechtstaatlich bereits Vorhandenen. Wir haben die Polizei, wir haben die Staatsanwaltschaft und wir haben eine Innenverwaltung, die zumindest theoretisch in der Lage ist, jede inhaltliche Frage zu beantworten. Praktisch ist das immer etwas anderes.

[Beifall bei der FDP– Vereinzelter Beifall bei der CDU und der AfD]

Wir haben all diese Erkenntnisse. Jeder weiß, an welchen Stellen wir nachjustieren müssten, um sicherzustellen, dass wir das Recht nicht für die wenigen, sondern für alle in dieser Stadt – ich erinnere noch einmal an Willy Brandt – durchsetzen können.

Da kommen wir dann zu dem vom Kollegen Dregger kurz angeschnittenen Punkt: etwas mehr als 1 Million Überstunden bei der Berliner Polizei, über 100 000 Überstunden beim Landeskriminalamt, 600 000 Überstunden bei der Berliner Feuerwehr. Die Diskussion darüber, dass man Leuten, die man gebeten hat, Leistungen für die Sicherheit in dieser Stadt zu erbringen, weder ihre Rechnung bezahlt – so beim Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten – noch die geleisteten Überstunden zahlt – so bei der Berliner Feuerwehr –, macht es erforderlich, nachzujustieren. Wir brauchen keine neue gesetzliche Regelung. Wir brauchen keinen verschärften Katalog, lieber Herr Kollege Dregger! Was wir brauchen, ist eine leistungsfähige Sicherheitsarchitektur – Polizei, Staatsanwaltschaft, Feuerwehr, Justizvollzug –, die in der Lage ist, unser bestehendes Recht durchzusetzen und zu garantieren, und zwar für jedermann. Wer sich befleißigt, andere an ihrer freien Meinungsäußerung zu hindern, so wie von linken Antisemiten in der Humboldt-Universität wie auch an vielen anderen Stellen in dieser Stadt geschehen, dem müssen wir entschlossen mit allen Methoden des Rechtsstaats entgegentreten. Dieses Entgegentreten erfordert, dass wir eine Sicherheitsarchitektur haben, die das auch leisten kann.

Ich lasse nicht gelten, wenn jemand sagt: Mensch, wir haben es ja versucht, wir haben uns da aber nicht durchsetzen können. – Es ist grundsätzlich zwar auch im Übrigen eine Frage der Senatsverwaltung für Inneres, was wie an vorhandenen Mitteln der Polizei eingesetzt wird. Es ist aber zunächst einmal eine Gesamtfrage einer Koalition und eine haushälterische und damit finanzpolitische Frage, welche Mittel für die Sicherheit in dieser Stadt zur Verfügung stehen. Da müssen wir ran, und da sind Sie alle in der Verantwortung! Das werden wir in den Haushaltsplanberatungen diskutieren müssen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Insofern noch einmal mein Appell, auch an meine Vorredner: Jede Relativierung – ich hoffe, Herr Kollege Dörstelmann, dass ich Sie da falsch verstanden habe – von politisch motivierter Gewalt nach dem Motto: Na ja, sie haben sich das ja irgendwie selbst zuzuschreiben – ist absolut indiskutabel.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD – Beifall von Anne Helm (LINKE)]

Wir müssen alles dafür tun, die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit, unsere höchsten demokratischen Errungenschaften, hochzuhalten, und gegen jeden entschlossen vorgehen, der die Axt an die Wurzel unseres Zusammenlebens legt, egal, aus welchen vermeintlich hehren und edlen Motiven. Die Freien Demokraten haben Sie dabei stets an Ihrer Seite. In diesem Sinne – herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der AfD]

Für Bündnis 90/Die Grünen jetzt Frau Kollegin Tomiak.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Die AfD fordert in ihrem Antrag die Schaffung einer Melde- und Erfassungsstelle für Angriffe auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Das klingt erst einmal ganz sinnvoll, denn so, wie die AfD Beschimpfungen und Ablehnung an Wahlkampfständen erfährt, so erfahren das alle anderen Parteien des politischen Spektrums genauso. Im Wahlkampf finden die einen Kandidierenden ihre Plakate mit Hitlerbärtchen beschmiert, die anderen mit vielsagenden Slogans wie „Volksverräter“ oder „Lügner“. In all diesen Fällen haben wir es mit Einschränkungen der Freiheit der politischen Meinungsbekundung zu tun, teils sogar mit Sachbeschädigungen. Auch Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit Einzelner sind keine Seltenheit mehr, bis hin zu Attentaten wie beispielsweise das auf Henriette Reker vor zwei Jahren oder sogar Morden wie beispielsweise dem an Jo Cox, einer britischen Labour-Abgeordneten, die vor einem Jahr von einem Rechtsterroristen erschossen und erstochen wurde.

[Zuruf von der AfD]

Die Verrohung der Gesellschaft, der wachsende und sich immer mehr manifestierende Hass auf Parteien und Politikerinnen und Politiker ist eine ernstzunehmende, eine reale Gefahr. Die Verrohung des Diskurses kommt nicht aus dem Nirgendwo. Hetze, Populismus und abstrakte Aufrufe, sich zur Wehr zu setzen, befeuern dieses Klima.

(Marcel Luthe)

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Kollege Luthe hat es gerade gesagt!]

Wozu dieses gesellschaftliche Klima führen kann, sehen wir nicht zuletzt am Tod von Jo Cox. Auch Mitglieder dieses Hauses werden auf Todeslisten geführt; regelmäßig gibt es Bedrohungen im Netz wie auf der Straße. Aber nicht nur Politikerinnen und Politiker sind Opfer, auch zivilgesellschaftliche Initiativen und Träger oder Aktivistinnen und Aktivisten, Journalistinnen und Journalisten sind betroffen.

Ihre Partei, liebe Kolleginnen und Kollegen der AfD, tut genau dies. Sie wiegeln die Gesellschaft auf gegen die da oben, gegen die Blockparteien, die Altparteien,

[Gunnar Lindemann (AfD): Ha!]

die Etablierten, gegen die „Lügenpresse“ und „Volksverräter“. Wer so mit dem politischen Gegner umgeht, darf sich nicht wundern, wenn das gesellschaftliche Klima verroht. Wer Hass sät, wird Gewalt ernten.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Beifall von Danny Freymark (CDU) – Oh! von der AfD – Thorsten Weiß (AfD): Haben wir zu Gewalt aufgerufen?]

Frau Kollegin! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Buchholz?

Ich möchte keine Zwischenfragen, vielen Dank! – Jetzt ist die Situation so, wie sie ist. The damage has been done, und wir müssen damit umgehen. Da leider aber kein Beschluss dieses Hauses allein dazu führen wird, dass Gewalttäter nicht mehr gewalttätig werden, dass Plakatbeschmierer Bilder malen, statt Plakate zu verschönern, oder dass sich Autoreifen von Wahlkampffahrzeugen von alleine flicken, fordern Sie, und das ist ja durchaus berechtigt, dass es allen Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht werden soll, entsprechende Verstöße zu melden, und dass zumindest eine Statistik über derartige Vorkommnisse zu führen ist. Ein wirklich legitimes Anliegen! Ich habe eine gute Neuigkeit. Es ist zwar schon einige Jahre her, aber es wurde im Land Berlin, nein, in ganz Deutschland sogar, extra eine Hotline zum Melden von Angriffen gegen Personen und Dinge eingerichtet. Stifte und Notizblöcke raus, ich lese zum Mitschreiben vor: 110.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Benedikt Lux (GRÜNE): Ja!]

Aber Spaß beiseite – der Notruf der Polizei ist tatsächlich die Nummer, die Sie in solchen Fällen wählen sollten.

Wie geht es dann weiter? – Lassen Sie sich mitreißen auf eine kleine Tour durch die Behörden Berlins!

[Zuruf von der AfD]

Für Ermittlungen in den von Ihnen aufgeführten Themenbereichen zeichnet die Abteilung 5 des Landeskriminalamtes Berlin zuständig, das ist der polizeiliche Staatsschutz. Die Ermittlungsergebnisse von Vorfällen, die in den Tätigkeitsbereich dieser Abteilung fallen, finden Eingang in die polizeiliche Kriminalstatistik, abgekürzt PKS, welche in das Aufgabengebiet des LKA Stab 14, Bereich Kriminalitätsanalyse fällt. Detailliertere Aufschlüsselungen sind über das parlamentarische Instrument der Schriftlichen Anfrage, welches Ihnen durchaus geläufig ist, zu beziehen.

Sie fordern eine Erfassung von Handlungen, Angriffen und Übergriffen jeder Art. Die PKS schlüsselt Vorfälle nach Art und Zahl der erfassten Straftaten, nach Tatort, Tatzeit, Opfern und Schäden, nach Aufklärungsergebnissen, nach Alter, Geschlecht, Nationalität und anderen Merkmalen der Tatverdächtigen auf. Diese detailliertere Aufschlüsslung lässt die Forderung in Ihrem Antrag vermissen, aber die Dinge funktionieren ja glücklicherweise auch ohne die Hilfe der AfD.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von Marcel Luthe (FDP)]

Die Tour geht weiter. Eine andere Institution, die solche Vorfälle aufschlüsselt und die ich Ihnen gerne vorstellen möchte, ist die KPMD-PMK, also der Kriminalpolizeiliche Meldedienst für Geschehnisse im Bereich politisch motivierter Kriminalität. Ein Beispiel für deren Tätigkeit: Im Februar dieses Jahres stellte ich eine Anfrage – für Interessierte: Sie trägt die Drucksachennummer 18/10534 –, in der ich um Aufschlüsselung von Angriffen auf Politikerinnen und Politiker und politische Institutionen im Jahr 2016 bat. Die Senatsverwaltung antwortete tabellarisch auf meine fünf kurzen Fragen auf insgesamt über 20 Seiten, welche Angriffe wann auf welche Politikerinnen und Politiker oder Wahlkreisbüros im letzten Jahr stattfanden und welche Tatmotivation dahinterstand. Das ist solide, vernünftige Arbeit. Wer fragt, bekommt auch Antworten.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Nun schreiben Sie in der Begründung Ihres Antrags, dass der polizeiliche Staatsschutz, ich zitiere,

mit der Bekämpfung der rechts- und linksextremistischen sowie islamistischen Gewalt in der Stadt derzeit voll ausgelastet ist

und deshalb diese Dokumentations- und Analyseaufgaben nicht mehr übernehmen könne. Mit dieser Aussage bes

tehen mehrere Probleme – erstens: Gesetzt den Fall, eine der der Landeswahlleiterin – nicht, wie Sie schreiben, dem Landeswahlleiter – untergeordneten Stellen würde sich um die Erfassung solcher Vorkommnisse kümmern, so würde der Staatsschutz seine Erkenntnisse dennoch klassifizieren und in die entsprechenden polizeilichen Statistiken einarbeiten müssen. Das ist seine Aufgabe. Hier würde also eine Doppelstruktur entstehen.

Zweitens: Wenn der polizeiliche Staatsschutz seinen Aufgaben nicht mehr vollumfänglich nachkommen könnte, müsste zunächst eine Mittelaufstockung zur Einstellung neuer Kräfte forciert werden, bevor wir eine gänzlich neue Stelle schaffen. Das sind wir den Behörden schuldig.

Um im Übrigen noch einmal auf die Kollegin Landeswahlleiterin zurückzukommen: Der Aufgabenbereich der Landeswahlleiterin ist in Artikel 6 Landeswahlordnung geregelt. Sie führt die Geschäfte des Landeswahlausschusses und trägt die Verantwortung für die Vorbereitung und Durchführung der Wahlen in Berlin. Zu diesem Zweck ist gemäß Artikel 2 Satz 1 der LWO beim Amt für Statistik Berlin-Brandenburg eine Geschäftsstelle der Landeswahlleiterin eingerichtet worden. Die Landeswahlleiterin hat bei der Aufgabenwahrnehmung eine unabhängige Stellung und unterliegt nur der Rechtsaufsicht. Weitergehende Aufgaben sieht das geltende Recht nicht vor, insbesondere zählen dazu die im Antrag geforderten Dokumentations- und Analysemaßnahmen. Die haben tatsächlich nichts unmittelbar mit der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen zu tun, sondern beziehen sich auf den Wahlkampf.

So viel zu den Berliner Behörden. Es sieht also so aus, als würden die Aufgaben, die mit der neuen Stelle angesiedelt werden sollen, schon längst erledigt werden. Mir erschließt sich daher immer noch nicht der Mehrwert dieses Antrags.

Schauen wir uns noch einmal die Welt da draußen an. Der Presse war vor einigen Tagen zu entnehmen, dass kürzlich bei einer Informationsveranstaltung der AfD in Lichtenberg mehrere – und in diesem Kontext ist das Wort umso treffender – Parteisoldaten eben jener AfD auf einen Passanten einprügelten und auf ihn eintraten, nachdem er bereits am Boden lag. Zwei der am Vorfall Beteiligten sind Abgeordnete in diesem Hause und haben scheinbar noch nicht verstanden, dass Wahlkampf eher im übertragenen Sinne gemeint war.

[Zurufe von der AfD: Fake-News! – Christian Buchholz (AfD): Lüge!]