Protocol of the Session on May 4, 2017

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

Es werden Taten im Kleinen verfolgt; die Taten im Großen, die, die den Zusammenhalt, das friedliche Zusammenleben in dieser Gesellschaft wirklich und zu Lasten aller stören, werden nicht verfolgt. Da müssen wir mit viel größerem Engagement herangehen. Ich bin davon überzeugt, Herr Kollege Zimmermann, dass wir alle dieser Meinung sind,

[Zuruf von Frank Zimmermann (SPD)]

denn wenn wir uns die Straftaten anschauen, kann ich Ihnen nicht darin zustimmen, dass es tatsächlich eine positive Entwicklung war, wie sich der Linksextremismus in dieser Stadt in den letzten Jahren entwickelt hat. Seit zehn Jahren brennen hier praktisch jede Nacht Autos,

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Sicher?]

und das kann nicht sein. Auch dagegen müssen Sie endlich etwas unternehmen! – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kollege Lux das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! 30 Jahre 1. Mai in Berlin, 30 Jahre Krawalle auf unterschiedlichem Niveau in Kreuzberg, 30 Jahre Debatten darüber hier im Parlament. Ich kann nur eins sagen: Ich frage mich, wo die Kolleginnen und Kollegen von der Opposition in den letzten 30 Jahren waren. In Berlin waren Sie jedenfalls nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP]

Sie sollten sich mal mit den Kreuzbergerinnen und Kreuzbergern unterhalten, denen als Erstes der Dank dafür gebührt, dass sie 30 Jahre aushalten, was da passiert, die trotzdem weltoffen, friedlich und tolerant bleiben, sich in ihrem Kiez engagieren – das ist eigentlich der erste Dank. Genauso sollten Sie sich mit Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten unterhalten, die vor 20 Jahren dort noch in massiveren Auseinandersetzungen waren, in Steinhageln, in Wasserwerfereinsätzen, in straßenschlachtähnlichen Zuständen. Das ist vorbei, und das muss man an der Stelle auch einmal würdigen.

(Marcel Luthe)

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zuruf von Paul Fresdorf (FDP)]

Warum ist das vorbei? – Weil Politik und Party auf dem Myfest gelingen. Übrigens sind das Myfest und die anderen Feste mittlerweile schon halb so alt wie 30 Jahre 1. Mai. Ich hoffe, dass diese Feiern, die auch politisch sind, diese Zeit noch überdauern. Deswegen gilt unser Dank allen Berlinerinnen und Berlinern, die zu einem friedlichen 1. Mai beigetragen haben – allen Berlinerinnen und Berlinern, egal ob es Menschen in oder ohne Uniform sind.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Das wird einem in der Polizei ja fast schon peinlich, wie obsessiv Sie diese loben und dort schleimen wollen. Aber wenn Sie es schon machen, dann machen Sie es richtig. Dann loben Sie auch die Polizeiführung für die mutige Entscheidung, das Versammlungsrecht zuzulassen, zuzulassen, dass die revolutionäre 1.-Mai-Demo bei einer angespannten Atmosphäre ebenfalls durch eine Versammlung geht, nämlich durch das Myfest, die auch unter Versammlungsschutz. Das – eine praktische Konkordanz, die Abwägung, die Lösung in einem Dilemma von widerstreitenden Rechtsgütern – ist gelebte Demokratie,

[Zuruf von Karsten Woldeit (AfD)]

und das ist gute Politik, nicht nur das Eindreschen auf diese eine Versammlung.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Unser Dank gilt nicht nur in Worten, sondern auch in der Tat. Herr Kollege Luthe! Diese Koalition, Rot-Rot-Grün, wird die Beamtenbesoldung mehr erhöhen als die Koalition davor, und sie wird es über den diesjährigen Bundesdurchschnitt tun. Warten Sie die Haushaltsberatungen ab, und unterstützen Sie uns dann bitte an gegebener Stelle!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Zurufe von Marcel Luthe (FDP) und Karsten Woldeit (AfD)]

Ich habe eine Menge Leute vergessen, denen man für einen friedlichen 1. Mai – keinen ausnahmslos friedlichen, aber einen sehr friedlichen 1. Mai – noch danken müsste. Ich möchte mich auch ein bisschen bei der CDU bedanken – erstens –, weil Sie nicht mehr an der Macht sind. Das ist gut für den 1. Mai.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

2001 war der schlimmste 1. Mai überhaupt – schwerste Ausschreitungen. Grund hierfür: Verbot der revolutionären 1.-Mai-Demo durch Innensenator Werthebach.

Berlin hat gelernt und die Deeskalationsstrategie erfunden; die ist auch richtig. Wenn Sie Haltung wollen, Herr Kollege von der CDU, dann erwarte ich von Ihnen

auch, dass Sie den Kontext sehen – das sowieso, dazu habe ich schon etwas gesagt –, dass Sie aber auch den Rechtsstaat, die Gewaltenteilung und die geschriebenen Gesetze, auch die Strafgesetze, achten und nicht verwässern. In Ihrem Antrag ist die Rede davon – das stammt aus dem dritten Absatz der Begründung –, dass sich diese gewaltsuchenden Leute auf eine Stufe mit Terroristen stellten. Herr Kollege Dregger! Jeder, der auf der einen Seite die Bilder vom Spreewaldplatz und den sehr souveränen, professionellen Festnahmen der Berliner Polizei sieht, die gegen einzelne Krawallmacher vorging, wohlbemerkt: keine Steinhagel wie in den letzten Jahren – für diesen Fall wünschte ich mir als Grüner vielleicht einmal einen Videobeweis –, und der auf der anderen Seite vielleicht das Bild im Kopf hat, wie ein Lkw in eine Menschenmenge fährt, wie in der Kölner Keupstraße Nagelbomben explodieren, weil Terroristen sie zünden, wer diese Bilder nebeneinanderhält, der verwechselt im Parlament nicht Terrorismus mit Landfriedensbruch, Herr Kollege Dregger! Deshalb fordere ich Sie auf, diesen schlimmen Vergleich in Ihrem Antrag zurückzunehmen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Der Rest Ihres Antrags ist davon geprägt, dass er die Versammlungsfreiheit insgesamt nicht achtet – Sie sprechen darin von irgendwelchen Feierlichkeiten –, dass Sie schlichtweg nicht einmal betont haben, wie wichtig die Versammlungsfreiheit als öffentliche Form der Meinungskundgabe in einer Demokratie ist, ähnlich wie die Meinungsfreiheit, und wie sie uns unterscheidet von Regimen, die wir gerade überall auf der Welt beobachten können. Dass Sie das nicht einmal loben und sagen, was für eine wichtige Ausprägung der Versammlungsfreiheit das am letzten 1. Mai war, auch wenn sie schwierig war, zeigt, dass Sie da wirklich etwas verkannt haben. Herr Dregger! Sie kennen – als Jurist müssten Sie sie kennen – die Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu Brokdorf aus den späten Achtzigerjahren. Diese Erklärung muss noch sein, für alle, die es nicht interessiert.

Herr Kollege! Sie müssen zum Ende kommen!

Ich bin am Ende, Frau Präsidentin, aber wenn ich ganz kurz noch ausführen darf, was das Bundesverfassungsgericht zum Schutz der Versammlungsfreiheit erklärt hat, –

Eigentlich nicht!

(Benedikt Lux)

dann bin ich in zehn Sekunden fertig. – Erstens: Einzelne Gewalttäter sind zu verurteilen, aber niemals die gesamte Versammlung. Zweitens: Anmeldungen dienen dazu, dass die Polizei sich vorbereiten kann; das konnte sie hier. Drittens sind Verbote von Versammlungen an ganz hohe Auflagen zu knüpfen. Das lag hier nicht vor.

Herr Kollege! Ich habe die Befürchtung, dass die Entscheidung mehr Leitsätze hat, als Ihre Redezeit es zulässt.

Dafür, dass das mit der Einsatztaktik übereingestimmt hat, möchte ich mich noch einmal bei allen Beteiligten bedanken.

[Zuruf von der CDU]

Ich danke auch für Ihre Geduld beim Zuhören. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Dann hat der Kollege Luthe das Wort für eine Zwischenbemerkung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Lux! Ihrer Einschätzung, dass wir den Menschen in Berlin, insbesondere denen in Kreuzberg, dafür Dank schulden, dass sie diese Situation seit vielen Jahren ertragen, stimme ich völlig zu.

[Zuruf von den GRÜNEN: Jawohl!]

Wenn Sie sich Einrichtungen wie beispielsweise die Gewerbehöfe in der Ohlauer Straße anschauen, wo die Bürgerinnen und Bürger ihre Fenster vernageln – in der deutschen Hauptstadt, in Berlin, im Herzen Europas! –, weil sie nicht darauf vertrauen können, dass das Recht so durchgesetzt wird, dass sie vor Angriffen auf ihr Eigentum geschützt werden, weil sie davon ausgehen müssen, dass jedes Jahr bei solchen Veranstaltungen systematisch Fenster eingeschmissen werden,

[Zuruf von Canan Bayram (GRÜNE)]

dann ist das mit Sicherheit kein Erfolg einer Innen-, Rechts- und Sicherheitspolitik. Es ist im Gegenteil das Zeichen für Kapitulation. Da müssen wir ran; das müssen wir auflösen.

Was die Differenzierung bei der Frage, wo wir Terrorismus haben, angeht, kann ich Ihnen nicht folgen. Jeder Angriff auf Menschen, auch auf Sachen, mit dem Ziel,

das friedfertige Zusammenleben der Menschen zu stören, ihre Freiheit, sich zu bewegen und so zu entfalten, wie sie es wollen, zu stören, ist für mich Terrorismus.

[Beifall bei der AfD]

Wer von Gebäuden Steine auf Polizisten wirft, ist ein Terrorist.

[Beifall bei der FDP, der CDU und der AfD]

Wer Autos anzündet, damit Leute keine Autos mehr kaufen, ist ein Terrorist. Und wer dieses unterstützt und relativiert, hilft diesen Terroristen. Das kann niemand in diesem Haus wollen.