Die Menschen, die sich hier in der Stadt engagieren, werden unsere heutigen Rituale vermutlichen nicht erreichen. Es hat etwas von einem politischen Sommerschlussverkauf. Ich räume ein, lieber Regierender Bürgermeister, es war keine schlechte Ankündigungsrede. Ich habe mir doch die Frage gestellt, für welche Regierung Sie diese Regierungserklärung eigentlich gehalten haben und ob sie eine Bilanz dessen ersetzt, was in den vergangenen fünf Jahren passiert ist. Ich habe auch den Eindruck, lieber Raed Saleh, dass zwischen Vision und Pathos einerseits und der Realität andererseits bei Ihnen doch noch eine ziemlich große Lücke klafft.
[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Torsten Schneider (SPD): Das sagt jetzt aber der Richtige!]
Dass die scheidende Koalition dieser Debatte seit Monaten ausweicht, ist das eine. Das andere ist aber, dass ein Wahltag vor der Tür steht – für den Fall, dass das klappt. Ich bin ziemlich sicher, dass die Berlinerinnen und Berliner diese Debatte führen werden, egal, ob sie ihr ausweichen oder nicht. Ich bin auch ziemlich sicher, dass nach dem 18. September eine Regierung die Chance hat, einzusteigen, um diese Probleme endlich beherzt anzugehen. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der 20. Juni 1990 ist für die Entwicklung Berlins ein Ereignis herausragender Bedeutung gewesen. Gerade in dieser Zeit 1991 war es ein Bekenntnis zur Einheit. Es war auch für viele eine Hoffnung auf gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West. Es war ein ganz wesentlicher Beitrag für die Entwicklung von Europa. Diese Entscheidung – es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden; wenn man an fünfter Stelle spricht, muss man nicht alle Ereignisse wiederholen – war umstritten, sehr sogar.
Aber, Herr Kollege Dr. Lederer, Sie haben heute als Motto Ihrer Rede angekündigt: Anspruch und Wirklichkeit – Hauptstadt Berlin. Mein Eindruck war, dass es ein großer Realitätsverlust war, der übrig geblieben ist.
Wenn Sie ernsthaft sagen, dass eine Hauptstadtdebatte keine Hauptstadt macht, müssen wir zumindest Einvernehmen im Haus haben, dass Berlin es sehr schnell geschafft hat, die Kritiker, die damals nicht für Berlin gestimmt haben, als Hauptstadt für sich einzunehmen und zu überzeugen. Wer heute auf Berlin schaut, sieht eine anziehende, eine attraktive, eine internationale Metropole, die Anschluss zu Paris, London und New York hat. Darauf können wir stolz sein.
Nun hat Ihre Fraktion heute den Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl ins Rennen geschickt. Aber eigentlich reden wir im September darüber, dass Berlin vor Wahl steht, wollte ich Ihnen noch einmal sagen. In
Parteigrenzen waren nicht das Entscheidende in der Debatte um die Hauptstadt, sondern es war der Kampf um das beste Argument in der Debatte im Deutschen Bundestag.
Diese Debatte ist mehrfach hervorgehoben worden. Es war eine rhetorische Sternstunde des Deutschen Bundestags. Unweigerlich bleibt sie mit der Rede des damaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble verbunden. Seine Rede, da hat der Regierende Bürgermeister völlig recht, hat einen ganz entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass die Stimmung positiv gekippt ist, wie übrigens schon viele andere bestehende Ehrenbürger auch wie Willy Brandt, Helmut Kohl.
Es war ganz entscheidend, dass sich Helmut Kohl als damals amtierender Bundeskanzler dafür aussprach. Es waren aber auch Leute wie Edzard Reuter. Ich finde es richtig, dass der Regierende Bürgermeister Wolfgang Schäuble die Hand ausstreckt und deutlich macht, dass er einen ganz entscheidenden Beitrag mit dessen Rede für diese Entscheidung zur Hauptstadtfrage gehalten hat. Das ist übrigens auch ein wichtiges Element, warum sich Berlin heute so positiv entwickeln konnte.
Auch ich möchte ihn zitieren. Ich habe mir aber ein Zitat ausgesucht, welches noch nicht vorgetragen wurde:
Ob wir wirklich ohne Berlin heute wiedervereinigt wären? Ich glaube es nicht. Deutsche Einheit und europäische Einheit bedingen sich gegenseitig.... Deutschland, die Deutschen, wir haben unsere Einheit gewonnen, weil Europa seine Teilung überwinden wollte. Deshalb ist die Entscheidung für Berlin auch eine Entscheidung für die Überwindung der Teilung Europas.
Lieber Kollege Dr. Lederer! Was Sie hier über Wolfgang Schäuble mit Blick auf die aktuelle Europapolitik gesagt haben, weise ich ganz entschieden zurück.
Wenn es jemanden gibt, der in dieser Bundesregierung mit der Bundeskanzlerin und vielen anderen leidenschaftlich für den Erfolg der europäischen Gemeinschaft, der Europäischen Union, arbeitet, dann ist es Wolfgang Schäuble.
Und bitte seien Sie dann doch auch so freundlich und kehren Sie vor der Tür Ihrer eigenen Partei, was die europakritischen Bemerkungen aus Ihrer Bundespartei betrifft! Ich sage das nur.
[Beifall bei der CDU – Dr. Klaus Lederer (LINKE): Ich will ihn aber nicht zum Ehrenbürger machen, das ist der Unterschied!]
Mir ist sehr wichtig, dass auch wir heute hier trotz der schwierigen Situation – es wurde schon darauf hingewiesen: die Brexit-Entscheidung heute Abend, die Situation, in der sich Europa seit Monaten befindet – sagen: Wir sind überzeugte Europäer, wir wollen ein starkes und handlungsfähiges Europa, gerade übrigens in der Sicherheits- und Außenpolitik. Wer ernsthaft wie die AfD meint, dass europäische Staaten dem im globalen Wettbewerb mit China, Russland oder Nordamerika allein besser gewachsen wären, der handelt ganz entschieden auch gegen die Interessen des eigenen Landes, auch gegen die Interessen von Deutschland. Deswegen grenzen wir uns hier deutlich von ihnen ab.
Ich finde es übrigens interessant, wenn man sich einmal die Debatte durchliest, die hier im Abgeordnetenhaus am 27. Juni 1991 stattgefunden hat, also eine Woche nach der Entscheidung. Einige Kollegen haben auch an der Debatte teilgenommen. Wer das liest, der spürt förmlich, welche Hoffnungen, welche Zukunftschancen, welche Gestaltungsmöglichkeiten diese Hauptstadtentscheidung dem Parlament gegeben hat, aber man spürt auch, dass sich Berlin vor einer Bewährungsprobe sah. Heute können wir festhalten: Berlin ist dieser Aufgabe gewachsen. Die Entscheidung hat einen gewaltigen Entwicklungsschub gebracht. Der „Tagesspiegel“ sagt, es sei der Meilenstein gewesen, als Berlin wieder Weltstadt wurde. Und heute ist Berlin eine Stadt, in der Aufbruchsstimmung herrscht, heute ist Berlin eine Stadt, die für viele ein Sehnsuchtsort ist, die attraktiv zum Leben und Wohnen ist, die ein begehrtes Ziel für Touristen und für Gäste ist. Und es ist die Stadt in Deutschland, die so rasant wächst wie keine andere. Jährlich kommen 40 000 neue Bürger zu uns nach Berlin, und die Prognosen des Senats sehen uns bald bei einer 4-Millionen-Stadt.
Berlin ist attraktiv für Wissenschaft und Forschung. Mit seinen Universitäten und Forschungseinrichtungen herrscht ein gründerfreundliches Klima von internationalem Renommee, und auch in den Bereichen Kunst und Kultur hat Berlin sich weltweit einen Namen gemacht. Die Museumsinsel, das Kulturforum, das Naturkundemuseum mit einzigartigen Exponaten, die vielen Bühnen, die einzigartige Clubszene – all das sind kulturelle Kleinode, die einen Mehrwert für unsere Stadt bedeuten.
Ja, Berlin wächst, und damit einhergehend kommen viele Herausforderungen schneller und größer auf uns zu, für die es Antworten braucht. Ich will zwei, drei Beispiele nennen, etwa die Frage der Festigung der inneren Sicherheit. Wie bereiten wir die Sicherheitsbehörden darauf vor, auch in der wachsenden Metropole und Hauptstadt die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten?
Wir wissen, die Berlinerinnen und Berliner haben einen Anspruch auf ein Höchstmaß an Sicherheit und auf eine effektive Bekämpfung der Kriminalität in unserer Stadt. Und die Berliner Polizei leistet enorm viel, allein gestern und heute Nacht wieder, um auch dafür zu sorgen, dass nirgendwo rechtsfreie Räume in dieser Stadt entstehen.
Das subjektive Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger ist Voraussetzung für eine hohe Lebensqualität. Deshalb wollen und werden wir als Union auch alles tun, um dieses Gut zu schützen. Die Union war, ist und bleibt mit ihrem Innensenator die entscheidende politische Kraft für mehr Sicherheit in dieser Stadt.
[Beifall bei der CDU – Lachen bei den GRÜNEN und der LINKEN – Udo Wolf (LINKE): Da muss er selbst lachen!]
Da schauen die Leute genau hin, da bin ich mir ganz sicher. Die Leute schauen darauf, ob man etwas postuliert, oder ob man eine klare Haltung in Fragen der Sicherheit hat, nicht wackelt und dann auch so entscheidet, wie man es angekündigt hat.
Oder nehmen wir die Frage der Wohnraumversorgung, bemerkenswert, schon 1991 Thema in dem Protokoll! Herr Lederer! Da ist Ihre Bilanz wirklich kläglich! Wenn Sie sich anschauen, was zwischen 2006 und 2011 an Wohnungsbau genehmigt und wie viele Wohnungen gebaut wurden – das zeigt uns, warum wir heute vor dem Problem stehen, dass wir so rasant bauen müssen.
Wir haben die Anzahl der Genehmigungen pro Jahr inzwischen vervierfacht, wir liegen bei 18 000 Genehmigungen, und wir müssen noch schneller und tüchtiger bauen. Da hilft es überhaupt nichts, hier zu beklagen, dass es an Wohnungen fehlt, aber selbst immer den Wortführer bei jeder Bürgerinitiative und bezirklichen Volksbegehren zu spielen.
Diese Debatte ist auch ein guter Anlass, über das Selbstverständnis als Hauptstadt zu debattieren. Ja, Berlin ist
die Hauptstadt aller Deutschen und trägt in diesem Sinne auch Verantwortung für unser ganzes Land. Und so sollten wir uns der Hauptstadtaufgabe auch annehmen, die Berlin als Ort deutscher Geschichte und Teil der föderalen Vielfalt besonders auszufüllen hat. Ja, mehr noch, die deutsche Hauptstadt Berlin bedeutet auch in ganz hervorgehobener Weise europäische Verantwortung und Weltmetropole. – Herr Regierender Bürgermeister! Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie das Thema Hauptstadtgesetz aufgegriffen haben. Es entspricht einer Beschlusslage meiner Fraktion aus dem Mai 2015, dass wir ein solches Hauptstadtgesetz auf den Weg bringen sollen; denn es ist richtig, dass wir die Aufgaben regeln, die Berlin im Auftrag des Bundes wahrzunehmen hat. Und es ist auch richtig, dass die Vorarbeiten der Stiftung Zukunft mit der Stadtgesellschaft eine hervorragende Grundlage für die Debatte ist, an der die Fraktionen, meistens durch die Vorsitzenden, auch mitgewirkt haben; denn wir brauchen hier eine Debatte über das Hauptstadtbild mit der Stadtgesellschaft. Berlin ist die Hauptstadt aller Deutschen, aber die größte Verantwortung für das Gelingen der Hauptstadt tragen die Berlinerinnen und Berliner.