Protocol of the Session on June 23, 2016

Mein Vorschlag für künftige Berichte: Diese sollten grundsätzlich aus zwei Teilen bestehen, dem Bericht der oder des Vorsitzenden und – b – den Voten der einzelnen Fraktionen, und zwar aller Fraktionen, wohlgemerkt keine Sondervoten, sondern Voten der Fraktionen. Das sichert einerseits die Gleichbehandlung der Fraktionen, andererseits untersuchen Untersuchungsausschüsse in der Regel Regierungshandeln, und es hat schon einen nicht sehr schönen Beigeschmack, wenn – egal in welcher Zusammensetzung – eine Koalitionsmehrheit die Bewertung ihres eigenen Handelns per Mehrheitsbeschluss in einen Untersuchungsbericht reindrückt. Solches sollte man in einem gut funktionierenden parlamentarischen System möglichst zu vermeiden versuchen.

[Beifall bei der LINKEN]

Jetzt freue ich mich auf die Sachdebatte zum Bericht. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege Brauer! – Ich denke, dass ich Ihnen und Ihren Mitarbeitern für die geleistete Arbeit im Namen des ganzen Hauses herzlichen Dank aussprechen darf.

[Allgemeiner Beifall]

Meine Damen und Herren! Jetzt folgt die Besprechung der Fraktionen. Den Fraktionen steht jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung. Es beginnt die sozialdemokratische Fraktion. Frau Kollegin Radziwill erhält das Wort. – Bitte schön!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Liebe Zuschauer und Zuschauerinnen! Die Staatsoper ist ein Baudenkmal von nationalem Rang, über 250 Jahre alt und mehrfach zerstört und wiederaufgebaut. Sie war extrem sanierungsbedürftig, daran hat niemand gezweifelt. Deshalb ist die Sanierung der Staatsoper Unter den Linden eines der anspruchsvollsten und komplexesten Bauvorhaben Deutschlands.

Wir haben einen guten Abschlussbericht vorgelegt. Ja, mit der Mehrheit der Koalition haben wir den Entwurf vertieft, erweitert, ergänzt, ausführlicher gestaltet. Der Abschlussbericht benennt klar die Ursachen für Kosten- und Terminüberschreitungen. Gründe dafür waren u. a. erstens mangelnde Bedarfsabstimmung, zweitens das seinerzeit starre Festhalten am Eröffnungstermin der Staatsoper, drittens massive unvorhersehbare Probleme mit der Bausubstanz und viertens ebenfalls massive und unvorhersehbare Unwägbarkeiten im Baugrund.

Das Untersuchungsverfahren im Ausschuss war fraktionsübergreifend konstruktiv. Auch ich danke an dieser Stelle allen Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss, dem Ausschussbüro und Herrn Brauer für seine charmante Sitzungsleitung. – Da kann man auch gern klatschen.

[Allgemeiner Beifall]

Danke schön! – Die Zeugenterminierung und auch der Abschluss der Beweisaufnahme im Ausschuss sind einvernehmlich erfolgt. Aus unserer Sicht waren aber noch Änderungen am Abschlussbericht erforderlich, am Ende etwa 100. Auch die Pfingstferien berücksichtigend, wurde der Termin für die Beratung des Abschlussberichts einvernehmlich auf heute gelegt. Ich wiederhole: einvernehmlich.

Nach einjähriger Untersuchung empfehlen wir, bei künftigen Bauprojekten sollten bereits vor Planungs- und Baubeginn die Bedarfe klar und abschließend definiert werden. Vor Baubeginn im Bestand sollten umfassende Voruntersuchungen durchgeführt werden, und der Baubeginn sollte erst nach dem Abschluss der Projektplanung bzw. Ausführungsplanung erfolgen. Natürlich sollten für komplexe Bauprojekte auch angemessene Terminpläne aufgestellt werden. Bereits in dieser Legislaturperiode wurde die Kommunikation von Baurisiken verbessert, Haushaltsunterlagen zu Bauvorhaben erhalten nun Abschätzungen in punkto Baurisiken, ihre Eintrittswahrscheinlichkeit und ihre möglichen finanziellen Konsequenzen. Dies ermöglicht dem Parlament, Bauprojekte bereits jetzt besser begleiten zu können. In dieser Wahlperiode wurde der Risikopuffer für Bestandssanierungen angehoben, um unvorhersehbare Baurisiken finanziell besser abfangen zu können. Das ist schon jetzt ein Lernerfolg.

Da wir auf 25 Jahre Hauptstadt zurückblicken, erlaube ich mir, Sie nun gedanklich auf eine Zeitreise mitzunehmen. Wir schreiben das Jahr 2001. Das Land Berlin befindet sich in einer sehr schwierigen Haushaltslage. Viele fordern, gerade im Kulturbereich massive Einsparungen vorzunehmen. Es wird über die Schließung eines der drei Opernhäuser diskutiert. In dieser schwierigen Situation ist ein neuer Regierender Bürgermeister, Klaus Wowereit, gewählt worden, der das Thema Kultur trotz aller finanziellen Herausforderungen der Stadt ausbaut und fördert. Kultur- und Kreativwirtschaft werden als besondere

(Wolfgang Brauer)

Stärken Berlins erkannt. Die Schließung eines Opernhauses ist kein Thema mehr, die drei Häuser werden in der neu gegründeten Stiftung Oper unter einem Dach zusammengeführt.

Im Jahr 2005 warb Peter Dussmann, Vorsitzender des Vereins Freunde und Förderer der Staatsoper, massiv für die Sanierung der Staatsoper und stellte 30 Millionen Euro dafür in Aussicht. Letztlich flossen nur 3,5 Millionen Euro an Spenden. Deshalb entstanden für das Land Berlin zusätzliche Kosten. Grundsätzlich ist bürgerschaftliches Engagement zu begrüßen, muss aber auch realistisch bewertet werden.

Mit der Kostenübernahme in Höhe von 200 Millionen Euro konnte der Bund für das Sanierungsprojekt gewonnen werden. Auch das war ein Erfolg des damaligen Regierenden Bürgermeisters. Eine der wichtigsten Feststellungen des Untersuchungsausschusses ist: Bei der Staatsoper gibt es keinen Pfusch am Bau. Was am Ende bestellt wurde, wird auch baulich umgesetzt. Heute werden keine Wünsche mehr an die Beteiligten herangetragen, wie fälschlicherweise von einigen aus der Opposition mitgeteilt worden ist.

[Zuruf von Sabine Bangert (GRÜNE)]

Wir sind in unserer Zeitreise im Jahr 2008 angekommen. Es muss für oder wider eine denkmalgerechte Sanierung des Zuschauersaals entschieden werden. Das Ergebnis des Architektenwettbewerbs überraschte viele in unserer Stadt. Eine starke Debatte für den Erhalt des historischen Saals entbrannte. Die einstimmige Entscheidung im Senat für eine denkmalgerechte Sanierung des Zuschauersaals führte im Juli 2008 zu der Entscheidung, den Architektenwettbewerb aufzuheben. Diese Aufhebung wiederum verschärfte den bereits vorhandenen Zeitdruck. Der gut gemeinte Ansatz, durch Termindruck schnellere Bauerfolge zu erzielen, erwies sich als unrealistisch und in der Folge auch teuer. So wurde die Planungszeit verkürzt und mit Teilbauplanungsunterlagen als Beschleunigungsmaßnahme gearbeitet. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich parteiübergreifend die politischen Akteure sowie viele aus der Stadtgesellschaft für den Erhalt des historischen Saals positionierten. Aus vielen Lagern kam Druck. Die Debatte um den Zuschauersaal der Staatsoper wurde nicht nur hier im Abgeordnetenhaus emotional geführt, sondern erregte auch die Gemüter in der Stadt heftig. Gleichwohl wäre wohl aufgrund der eindeutigen Hinweise aus der Bauverwaltung die frühzeitige Verschiebung des Eröffnungstermins um ein Jahr sinnvoll gewesen.

Kommen wir zu Bausubstanz und Baugrund: Unvorhergesehene Probleme mit der Bausubstanz gab es. Dies bestätigten uns auch die befragten Fachleute. Dies muss auch von der Opposition einmal zur Kenntnis genommen werden. Die Substanz war sehr viel schlechter als von außen vermutet. Ein Zeuge drückte es so aus:

Das war von keinem vorhersehbar, was dieses Gebäude dort uns geliefert hat, definitiv nicht.

Zum Beispiel mussten mehr als 4 000 unbekannte Kleineisenteile aus den Wänden herausgestemmt, zusätzlich 5 000 m² Decken und Tausende Quadratmeter Wände mehr ausgetauscht werden als ursprünglich geplant und absehbar. Auch der Fund von Holzpfählen und weiterer Hindernisse im Baugrund war nicht vorhersehbar und führte zu zeitlichen Verzögerungen von rund einem halben Jahr.

Angesichts der schwierigen Umstände und Rahmenbedingungen hat die Bauverwaltung hervorragende Arbeit geleistet. Der gerade erfolgreich durchgeführte Einbau der Nachhallgalerie und die Fertigstellung der Außenfassade – die Medien haben in dieser Woche darüber berichtet – zeigen, dass es auf der Baustelle nun gut vorangeht. Dies ist anzuerkennen.

Vor einigen Wochen haben wir hier den aktuellen Bericht des Landesrechnungshofs beraten. Aus dem Bericht ergibt sich, dass die Mehrkosten nicht allein auf das Planungsverfahren zurückzuführen sind. Ich zitiere aus dem Bericht:

Unter Berücksichtigung der Mehrkosten aufgrund des gescheiterten VOF-Verfahrens, rund 0,3 Millionen Euro, und für Projektsteuerungsleistungen bis Oktober 2012, rund 1,9 Millionen Euro, ergibt sich wegen des unzureichenden Planungsverfahrens eine Kostensteigerung von mehr als 21 Millionen Euro.

Das ist sicherlich viel Geld. – Von den rund 160 Millionen Euro Mehrkosten sind das rund 13 Prozent. Im Umkehrschluss heißt das für mich, dass die große restliche Summe an Mehrkosten auf die marode Bausubstanz und die Überraschungen im Baugrund zurückzuführen ist. Das bitte ich zu berücksichtigen.

Angemerkt sei, dass sich die Fraktion der Grünen und die Linksfraktion den vorgelegten Berichtsentwurf in ihren Sondervoten zu eigen gemacht haben. Das hat der Herr Vorsitzende soeben dargestellt. Die Linksfraktion hat den Ausschussvorsitzenden gestellt, die Fraktion der Grünen die stellvertretende Ausschussvorsitzende. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt.

[Katrin Lompscher (LINKE): Was ist denn das? Das ist die Geschäftsordnung! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN]

Die Zuschauer werden von der Sanierung der Staatsoper profitieren. Es wird ein hoher Publikumskomfort geschaffen und eine vollständige Barrierefreiheit hergestellt.

Falls meine Aussage zu den Vorsitzenden Sie irritiert hat, kann ich es gern wiederholen: Weil Sie in Ihren Sondervoten den ursprünglichen Berichtsentwurf angehängt

haben, habe ich dies noch einmal so formuliert – auch für das Protokoll.

Ich bin überzeugt: Die Staatsoper Unter den Linden wird nach ihrer Wiedereröffnung ein Aushängeschild für die hervorragende Kulturlandschaft in Berlin sein. Sie wird nach der Sanierung in der Spitzenliga der Opernhäuser spielen. Die Sanierung wird trotz der aufgetretenen Schwierigkeiten am Ende erfolgreich umgesetzt sein, und Berlin wird ein hervorragendes Opernhaus von Weltrang erhalten. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zuruf von Thomas Birk (GRÜNE)]

Vielen Dank, Frau Kollegin Radziwill! – Frau Kollegin Bangert für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Sie haben das Wort. – Bitte sehr!

Frau Radziwill! Da haben Sie uns gerade indirekt eine Beeinflussung des Ausschussbüros unterstellt, die diesen Bericht erarbeitet haben, aber jetzt erst mal der Reihe nach. Ich möchte mich erst einmal beim Ausschussbüro bedanken, bei Frau Vollbrecht, Herrn Ninnemann und Herrn Hellriegel. Sie haben uns die Arbeit großartig erleichtert. Vielen herzlichen Dank dafür!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Und mein zweiter Dank gilt Wolfgang Brauer, der als Vorsitzender den Ausschuss ebenso umsichtig wie fair geleitet hat. Auch da noch mal herzlichen Dank, lieber Wolfgang Brauer!

[Allgemeiner Beifall]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Lüscher! Wie fühlt man sich eigentlich, wenn man in regelmäßigen Abständen auf der Baustelle steht und ein Baudesaster als Erfolgsgeschichte verkaufen muss? Sie alle kennen das Spiel. Man baut aus Bierdeckeln ein Kartenhaus in dem Wissen, dass es irgendwann schiefgeht. Man spielt bewusst mit dem Risiko. Wenn aber dieses Spiel zur Maxime des politischen Handelns wird, dann wird es gefährlich und teuer. So geschehen bei der Sanierung der Staatsoper.

Wissentlich wurde hier ein hochriskantes Bauvorhaben von politisch Verantwortlichen vorangetrieben. Nun versucht uns die Regierungskoalition von SPD und CDU weiszumachen, das alles wäre nicht vorhersehbar gewesen, die schlechte Bausubstanz, der Baugrund. Wie ignorant ist das denn, Frau Radziwill? Die Staatsoper stand bereits Anfang 2000 wegen des katastrophalen baulichen Zustands kurz vor dem Entzug der Betriebsgenehmigung.

Alle wussten das! Insofern ist das Ansinnen von SPD und CDU regelrecht unverschämt.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Nein, meine Damen und Herren von SPD und CDU, nicht die Umstände und auch nicht das Wetter sind schuld. Beim Sanierungsdesaster Staatsoper offenbart sich eine kollektive Verantwortungslosigkeit als Regierungsprinzip. Die Zeugen Michael Müller, heute Regierender Bürgermeister, von 2011 bis 2014 Stadtentwicklungssenator, und seine Vorgängerin im Amt, Ingeborg Junge-Reyer, präsentierten sich vor dem Untersuchungsausschuss als uninformiert und nicht zuständig. Das gleiche Bild bei den Vernehmungen des ehemaligen Regierender Bürgermeisters und Kultursenators Klaus Wowereit und des Kulturstaatssekretärs André Schmitz. Niemand übernimmt die Verantwortung für das Bau- und Planungsdesaster. Schlimmer noch, selbst Entscheidungen, die der politischen Spitze vorbehalten waren, wie zum Beispiel Ausschreibungen auf Basis einer Entwurfsplanung, sollen auf der Arbeitsebene entschieden worden sein. Die politisch Verantwortlichen machen sich einen schlanken Fuß und schieben ihre Verantwortung für Bauverzögerungen sowie Kostenexplosion der Arbeitsebene zu. Das ist schlicht und ergreifend skrupellos!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Hinzu kommen die akut auftretenden Erinnerungslücken, die auftauchen, wenn eine politische Entscheidung gefällt wurde. Ingeborg Junge-Reyer konnte sich nicht erinnern, wer die Senatsvorlage zur Aufhebung des Wettbewerbsergebnisses eingebracht hatte. Diese Masche hat System. Die politische Ebene formuliert Fragen für Diskussionen, erteilt aber weder Weisungen noch fällt sie förmliche Entscheidungen. Die Mitarbeiter der Verwaltung betrachten diese Hinweise als Entscheidungen und handeln danach. So funktioniert Berlin, und es ist höchste Zeit, dass sich da etwas ändert!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Hinzu kommt, dass die Bauverwaltung die Finanzverwaltung im laufenden Planungs- und Bauverfahren der Sanierung der Staatsoper mehrfach falsch oder unzureichend informiert hat. Diesen Schluss legen die Aussagen des Finanzstaatssekretärs Klaus Feiler nahe. Demnach wurde die interne Risikobewertung, wenn es überhaupt eine gab, der Finanzverwaltung nicht mitgeteilt bzw. falsch dargestellt, und absehbare Kostensteigerungen wurden nicht weitergegeben. Eine Vollständigkeit der Unterlagen wurde vorgetäuscht. Ein effektives Controlling von Bauvorhaben dieser Größenordnung findet nicht statt. Stattdessen ist die Finanzverwaltung darauf angewiesen, dass die Fachverwaltungen von sich aus alle Risiken und Probleme mitteilen. Hier zeigen sich die Abgründe des Berliner Verwaltungshandelns.

(Ülker Radziwill)

Über den vorliegenden Endbericht konnte mit der Regierungskoalition SPD und CDU kein Einvernehmen hergestellt werden. Dies ist bedauerlich, weil die Arbeit im Untersuchungsausschuss und die Zeugenvernehmungen fraktionsübergreifend einvernehmlich verliefen. Dieses Einvernehmen endete mit Vorlage des Entwurfs des Abschlussberichts durch das Ausschussbüro. Wir hätten diesen Entwurf in seiner Gesamtheit mitgetragen, deshalb haben wir ihn auch vollständig unserem Sondervotum beigefügt. Die Koalition verändert aber den Abschlussbericht massiv in seiner Kernaussage. Sie verschleiert die Ursachen für das Baudesaster und lenkt von der kollektiven Verantwortungslosigkeit der gesamten politischen Spitze ab. Die Koalition zeigt damit deutlich, dass sie weder die Arbeit des Untersuchungsausschusses respektiert noch bereit ist, daraus Lehren für zukünftige Bauvorhaben zu ziehen.

[Beifall von Dr. Turgut Altug (GRÜNE)]