Doch ungenutzte Brachen in der Innenstadt, verwaiste Hinterhöfe, echte Freiräume sind rar geworden oder eben teuer. Geld zerstört Kreativität – das ist keine neue Erkenntnis, und so müssen wir jetzt höllisch aufpassen, dass wir nicht das, was unsere Stadt ausmacht und was maßgeblich zum wirtschaftlichen Aufschwung beigetragen hat, verlieren. Dringender denn je gilt es, die Alleinstellungsmerkmale Berlins zu erhalten: die Freiheiten und Freiräume, die das spezifische Flair unserer Stadt ausmachen.
Wirtschaftspolitik ist eben auch Stadtentwicklungspolitik, und dass Sie, Herr Müller, als bis vor Kurzem ja noch verantwortlicher Senator für Stadtentwicklung nun vor drei Tagen ein Kataster für Gewerbeflächen ankündigen, ist vielleicht sinnvoll, greift aber zu kurz und kommt viele, viele Jahre zu spät.
Denn erst vergangene Woche saßen wir mit den Wirtschaftsförderern der Bezirke zusammen. – Lichtenberg: Von den Potenzialflächen, die im Stadtentwicklungsplan Gewerbe von 2011 benannt sind, stehen heute gerade mal noch 50 Prozent zur Verfügung. – Pankow: Das noch vorhandene Gewerbe wird massiv bedrängt, und Potenzialflächen gibt es gar nicht mehr. – FriedrichshainKreuzberg hat ein Gewerbeflächenentwicklungskonzept beauftragt und verlangt eine Änderung des Planungsrechts für die Erdgeschosse, um Gewerbe sichern zu können. – Und in Treptow-Köpenick hat sich gar eine Bürgerinitiative gegründet, die den an das Gewerbe heranrückenden Luxuswohnungsbau verhindern möchte. – Und so weiter, und so fort. Da gibt es bald gar nichts mehr zu katastern, Herr Müller! Es besteht längst dringender Handlungsbedarf, wenn Sie für die 40 000 Leute, die jedes Jahr nach Berlin ziehen, nicht nur Freiraum, sondern auch Arbeitsplätze anbieten wollen.
Oder stehen Sie etwa auf dem gleichen Standpunkt wie Staatssekretär Reckers, der bei dem eben genannten Treffen vor den Vertretern der Bezirke nicht nur gesagt hat, Berlin habe gar kein Flächenproblem, sondern auch noch angeregt hat, die Unternehmen, die bei uns keinen Platz finden, könnten ja ins Umland gehen, Arbeitsplatz sei schließlich Arbeitsplatz? – Schlimm genug, solche Vorschläge aus der Wirtschaftsverwaltung zu hören, aber wenn das wirklich Konsens im Senat sein sollte – also ich hoffe nicht, dass es die Wirtschaftspolitik dieser Stadt ausmacht, die Unternehmen und die Arbeitsplätze wegzuschicken.
Ja, Konsens – was ist überhaupt noch Konsens in diesem Senat? Schauen wir auf ein anderes bedeutendes Thema, die Digitalisierung. Der einzige Konsens, auf den Sie sich hier einigen konnten, lautet bisher: Super Thema; das kann man sich prima ans Revers heften! – Und das Schöne: Man braucht nicht mal etwas dafür zu tun. Die Digitalwirtschaft brummt. Nirgends gibt es mehr Gründungen; es fließt mehr Venture-Capital nach Berlin als nach London, und ein Mekka der Digital-Games-Industrie sind wir auch. Viel besser noch: Berlin hat jetzt die einzigartige Chance, die Erfolge der Digitalwirtschaft für die Entwicklung der klassischen Wirtschaftszweige zu nutzen. Ob Anwendungen für Industrie 4.0, Digital Health, innovative Handelskonzepte, die digitale Revolution der Finanzwelt oder kluge Verkehrs- und Energiewirtschaft – die Möglichkeiten sind schier grenzenlos.
Doch ist die Digitalisierung auch über die Startup-Szene und hoch innovative Unternehmen hinaus Grundlage für die Zukunft. Viele mittelständische Firmen aus traditionellen Branchen verfügen jedoch längst nicht über genügend digitale Kompetenz, geschweige denn über Strategien für Industrie 4.0. Ihre Aufgabe ist es, niedrigschwellige Angebote zu schaffen, um auch diese vielen Tausend kleinen, mittelständischen Unternehmen aus Handwerk, Produktion und Handel, die in der Stadt etabliert sind und die bunte Mischung Berlins ausmachen, mitzunehmen und sich nicht nur mit Start-ups und Zukunftsorten zu schmücken.
Um langfristig gute Arbeitsplätze zu sichern, ist es notwendig, die ganze Wertschöpfungskette abzudecken. Digitale Ideen für Produktion und Handwerk sollen nicht nur exportiert werden, sondern müssen auch ausprobiert werden. Die Chance ist heute größer denn je, als Regierung hierfür die Weichen zu stellen. Nutzen Sie die Investitionen, über die wir gestern wieder im Hauptausschuss gesprochen haben, die die Stadt derzeit tätigt – ob im Wohnungsbau, in die verkehrliche Infrastruktur oder den vielen SIWA-Maßnahmen –, und knüpfen Sie die Vergabe von Aufträgen verbindlich an innovative Kriterien, und fordern Sie damit die Berliner Wirtschaft! Berlin verplant derzeit mehrere Hundert Millionen Euro. Statt diese Ausschreibungen für die Entwicklung Berlins zu einer Smart City zu nutzen, betreiben Sie business as usual – mir ist dabei egal, ob die Ausschreibung selbst auf Papier oder online durchgeführt wird, ich kenne den technischen Standard bzw. die technischen Standards der Verwaltung –, aber inhaltlich könnten Sie hier innovative Kriterien verankern, von der schlüssellosen Schließanlage über dezentral digital gesteuerte Ver- und Entsorgung bis hin zur intelligenten Laterne. Aber all das tun Sie nicht, und damit verpassen wir die große Chance, Berlin zur führenden Smart City Europas zu machen. Das ist fahrlässig für die wirtschaftliche und ökologische Entwicklung dieser Stadt.
Berlin muss sich fit machen für die ökologischen Herausforderungen im urbanen Raum. Dazu zählen die Anpassungen an die Folgen des Klimawandels ebenso wie Strategien zur Energieeinsparung und nachhaltigen Energieversorgung. Daneben muss Berlin eine ökologische Abfallwirtschaft mit einer hohen Recyclingquote aufbauen sowie ressourcen- und umweltschonendes Wirtschaften fördern. Wenn sich Berlin in diesen Bereichen zu einer führenden Metropole entwickelt, stärkt das auch die Rahmenbedingungen für eine Green Economy. Bereits heute ist Berlin wichtiger Standort für zahlreiche Unternehmen im Bereich der Grünen Wirtschaft.
Der weltweite Trend jedoch, die Notwendigkeit umzusteuern, hat die Green Economy längst zu einer Wachstumsbranche gemacht, von der Berlin in Zukunft mehr profitieren muss und auch könnte. Diese gute Position
Berlins müssen wir ausbauen und unsere Stadt durch smarte, nachhaltige Lösungen zum Innovationsführer machen. Dafür brauchen wir erstens die Sicherung der Freiräume und Gewerbeflächen, zweitens eine ressortübergreifende, abgestimmte und effektive Digitalstrategie und drittens eine Bindung der Investitionen der Stadt an Kriterien, die an Innovation und Nachhaltigkeit ausgerichtet sind.
Berlin hat jetzt eine sehr gute Ausgangsposition, um echte wirtschaftliche Dynamik zu entwickeln. Es ist fahrlässig, wie Sie mit dieser Chance umgehen und intern Streitigkeiten um Zuständigkeiten und Kompetenzen über das Wohl der Stadt stellen. Diese Stadt hat Besseres verdient. – Danke schön!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Unser heutiges Thema ist das starke Wachstum der Berliner Wirtschaft, und dieses Wachstum beeindruckt in der Tat. Es liegt in Berlin seit mehreren Jahren deutlich über dem Bundesdurchschnitt,
rund 300 000 Menschen fanden im gleichen Zeitraum eine neue sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Heute haben rund 1,3 Millionen Berlinerinnen und Berliner eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, und auch die Lohnentwicklung ist positiv. Insgesamt gab es 2015 rund 1,8 Millionen Erwerbstätige. Damit erreichte die Zahl der Erwerbstätigen den höchsten Stand im wiedervereinten Berlin.
Das ist ein großer Erfolg und zeigt eindrucksvoll, dass wir in der Vergangenheit zahlreiche richtige wirtschaftspolitische Entscheidungen getroffen haben. Wenn das Wachstum der Wirtschaft nachhaltig sein soll, muss es ähnlich dem Wachstum in der Forstwirtschaft langfristig angelegt sein. In zwei oder drei Jahren ist dies in der Regel nicht zu erreichen, vielmehr ernten wir heute die Früchte einer langfristig angelegten Wirtschaftspolitik
Auf Initiative der SPD-Fraktion haben wir schon 2003 die Weichen neu gestellt und die Neuordnung der Berliner Wirtschaftsförderung beschlossen und umgesetzt.
In dieser Legislaturperiode konnten wir nun mit der Eingliederung der Technologiestiftung bei Berlin Partner den letzten Schritt erfolgreich vollziehen. Ich erinnere daran, dass wir schon 2004 die Investitionsbank als eigenständige Förderbank neu aufgestellt haben. Die IBB steht seither mit ihren vielfältigen Angeboten Gründerinnen, Gründern und Unternehmen auch in den schwierigen Zeiten der Finanzmarktkrise als verlässliche Partnerin zur Seite. In dieser Legislaturperiode haben wir die IBB dafür gewinnen können, ihr Engagement auf die Sicherung der Daseinsvorsorge auszudehnen und unseren neuen politischen Weg der Rekommunalisierung der Berliner Wasserbetriebe mitzutragen.
Die SPD-Fraktion hat schon früh erkannt, dass die Tourismuswirtschaft ein neuer Wachstumsmarkt für Berlin werden kann. Wir haben im Jahr 2003 ein Tourismuskonzept für die Hauptstadtregion Berlin erstellt und den Runden Tisch Tourismus beim Regierenden Bürgermeister zur Vernetzung der touristischen Akteure eingerichtet. Auf Initiative der SPD-Fraktion wurde das touristische Wegeleitsystem ausgebaut und das Hauptstadtmarketing neu aufgestellt. Im gerade beschlossenen Haushalt haben wir darauf aufbauend die Mittel für das Berlin-Marketing noch einmal gestärkt. Last but not least: Berlin ist auch ein wichtiger Messe- und Kongressstandort. Auch diesen gilt es weiterhin auszubauen. Berlin ist heute als Destination weltweit bekannt und beliebt. Die aktuellen Besucherzahlen übertreffen meine damaligen kühnsten Erwartungen. Im letzten Jahr zählten wir mehr als 30 Millionen Übernachtungen. Gemessen am Ausgangspunkt 2003 ist das fast eine Verdreifachung der Übernachtungszahlen. Mit rund 12 Millionen Gästen haben wir eine neue Rekordmarke erreicht.
In dieser Legislaturperiode konnten wir sogar mit der Einführung der City-Tax neuen finanziellen Handlungsspielraum zur Finanzierung anderer Aufgaben hinzugewinnen.
Aber auch viele Unternehmen und die Berlinerinnen und Berliner profitieren von dieser Entwicklung direkt. Viele neue Jobs sind entstanden.
Auch im Berliner Einzelhandel gab es im Jahr 2015 ein Umsatzplus und mehr Beschäftigung. Die Umsatzbilanz des Berliner Einzelhandels fiel günstiger aus als im Bundesdurchschnitt. Wir haben mit dem Gesetz zur Einführung von Immobilien- und Standortgemeinschaften dem Berliner Einzelhandel ein weiteres Instrument an die Hand gegeben, mit dem er sich in wohnortnahen Kiezen neu organisieren kann. Dies wird auch zur Absicherung der Versorgung der Bevölkerung mit Waren und Dienstleistungen beitragen.
Nicht zuletzt möchte ich betonen, dass sich heute auch die Berliner Industrie wieder gut entwickelt. 730 Industriebetriebe mit rund 105 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erwirtschafteten in Berlin im Jahr 2014 einen Umsatz von 24 Milliarden Euro mit einem Exportanteil von über 70 Prozent. Die Berliner Industrie ist kleinteiliger strukturiert als andernorts, aber 337 Berliner Industriebetriebe haben immerhin 50 und mehr Beschäftigte. Die SPD-Fraktion hat sich für eine Revitalisierung der Berliner Industrie eingesetzt, als viele sie schon abgeschrieben hatten. Im Jahr 2010 wurde der Steuerungskreis Industriepolitik beim Regierenden Bürgermeister ins Leben gerufen und der Masterplan Industrie 2010 bis 2020 verabschiedet. Die Exporte der Berliner Industrie stiegen 2015 um 6,3 Prozent, die Zahl der Beschäftigten lag 2015 über dem Vorjahresniveau. Dies gilt auch für das Bauhauptgewerbe, dem der aktuelle Wohnungsbau sehr zugutekommt.
Diese Woche lud der Regierende Bürgermeister bereits zum zwölften Mal die industriellen Akteure der Berliner Wirtschaft, der Gewerkschaften und Verbände zum Steuerungskreis Industriepolitik ein, damit unbürokratisch – sozusagen auf dem kurzen Dienstweg – die Anliegen der Industrieakteure Gehör finden und mit dazu beitragen, dass wir gemeinsam die Rahmenbedingungen der Berliner Wirtschaft verbessern, die vorhandenen Arbeitsplätze absichern und neue ansiedeln. Hierzu gehört auch die Schaffung eines Industriekatasters zur Sicherung von Flächen für das verarbeitende Gewerbe. Natürlich ist Adlershof ein Erfolgsmodell. Viele Unternehmen sind dort schon angesiedelt, über 15 000 Arbeitsplätze sind dort entstanden. Auch dies ist ein langfristiges Erfolgsmodell, das man nicht von heute auf morgen umsetzen kann.
Herr Kollege Melzer! Ich bin überzeugt davon, dass es uns am Zukunftsort Tegel gelingen wird – das ist kein Widerspruch –, 5 000 Wohnungen in unmittelbarer Umgebung zu schaffen. Wir werden beides hinbekommen, Wohnen und Arbeiten – auch an diesem Zukunftsort.
Der Termin des Steuerungskreises Industriepolitik in dieser Woche fand beim Pharmaunternehmen Bayer statt, ein Traditionsbetrieb mit mehreren Tausend Beschäf
tigten in Berlin. Aus gutem Grund gibt es dort auf dem Firmengelände – und nicht nur dort – auch ein eigenes Start-up-Center, weil nämlich ein großes Industrieunternehmen oft weniger innovativ und beweglich ist als ein Start-up. Beide gehören zur Industrielandschaft von morgen, wie übrigens Berlin Partner gerade auf der Hannover Messe mit der Initiative „Start-up meets Grown-up“ zeigt.
Die Digitalisierung wird unser Leben, wird die Berliner Wirtschaft in den nächsten Jahren radikal verändern. Dieser Zukunftsaufgabe der Berliner Wirtschaft wollen wir uns aktiv stellen, damit auch die klassischen Berliner Unternehmen, die Industrie, das Handwerk, der Mittelstand und Dienstleister sich mit der Digitalisierung modernisieren. Wenn wir es schaffen, dass sich unsere Berliner Traditionsunternehmen den neuen Technologien frühzeitig öffnen, dann werden sie diese Herausforderungen auch gestärkt meistern. Technologisch moderne Firmen sind heute schon gut aufgestellt und haben sich in den letzten Jahren in Berlin angesiedelt. Berlin stellt die richtigen Rahmenbedingungen für junge Unternehmen zur Verfügung und hat sich in kurzer Zeit zur neuen Start-up-Metropole Deutschlands entwickelt. Berlin ist die Gründer- und Gründerinnenhauptstadt. Rund 60 000 Menschen arbeiten in Berliner Start-up-Unternehmen.
Und dies funktioniert natürlich nur, wenn die Stadt offen und tolerant für Menschen aus aller Welt ist, die zu uns kommen, um hier zu leben und zu arbeiten. Auch dies hat der Steuerungskreis unter Leitung des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller in seiner Berliner Erklärung festgestellt. Es heißt dort:
Toleranz, Weltoffenheit und Integration sind unabdingbare Voraussetzungen für den weiteren Erfolg des Wirtschaftsstandorts Berlin.