Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 76. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Am 31. Januar – seinem Todestag – erreichte uns die Nachricht, dass der langjährige Abgeordnete und ehemalige Vizepräsident des Abgeordnetenhauses Alexander Longolius verstorben ist.
Alexander Longolius wurde am 30. Dezember 1935 in Berlin geboren. Nach dem Abitur 1954 studierte er an der Hochschule für Politik und an der Freien Universität Politologie, Geschichte und Anglistik. 1958 schloss er das Studium ab und arbeitete zunächst als Lehrer, übernahm dann 1967 die Leitung des Besucherdienstes im Berliner Bundeshaus. 1970 ging er als Leiter zur Volkshochschule Charlottenburg, wechselte dann aber 1973 als Referatsleiter zum Bevollmächtigten der Bundesregierung in Berlin. Diese Tätigkeit übte er bis 1988 aus.
Politisch war Alexander Longolius seit 1963 in der Berliner SPD aktiv. Mit der Wahl 1975 wurde er erstmals in das Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt, dem er bis 1989 angehörte.1990 kehrte er für eine Wahlperiode ins Abgeordnetenhaus zurück, schied jedoch 1995 endgültig aus dem Parlament aus. Während seiner Abgeordnetentätigkeit übte er verschiedene Funktionen aus. So war er 1981 kurzfristig Vorsitzender der SPD-Fraktion und anschließend bis 1989 Vizepräsident des Abgeordnetenhauses.
Mit Alexander Longolius verliert Berlin einen Politiker, der sich um das Verhältnis zwischen Berlin und den USA sehr verdient gemacht hat. Dafür steht sein Engagement in der Initiative Berlin-USA e.V. und im Verein „Partnerschaft der Parlamente“, der Kontakte zu amerikanischen Parlamenten pflegt, und seine Arbeit als Vorsitzender der Checkpoint-Charlie-Stiftung. Alexander Longolius war Berlins „Atlantiker“. Ebenso lag ihm daran, über die ehemalige Berliner Mauer zu schauen und den Kontakt zu den Machthabern in Ost-Berlin zu suchen, damit Erleichterungen für die Berlinerinnen und Berliner möglich wurden.
Alexander Longolius hat Großes geleistet für die allseitige Verständigung in Zeiten des Kalten Kriegs – und darüber hinaus. Wir werden sein Andenken in Ehren bewahren. Unser Mitgefühl gilt seiner Ehefrau und den erwachsenen Kindern.
Zunächst habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen. Am Montag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:
− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Totalversagen am BER amtlich bestätigt – wer haftet dafür?“
− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Viel Lyrik, wenig Substanz: Czajas Krankenhausplan verschärft Personalmangel und Finanznot“
− Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Viel Lyrik, wenig Substanz: Czajas Krankenhausplan verschärft Personalmangel und Finanznot“
Die Fraktionen haben sich auf die Behandlung des Antrags der Fraktion Die Linke verständigt, sodass ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufen werde. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.
Dann möchte ich auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht der Fall sein, bitte ich um entsprechende Mitteilungen.
Ich darf dann noch eine Besuchergruppe begrüßen, und zwar ist die Interessengemeinschaft Deutsche Marine heute bei uns zu Gast – herzlich willkommen.
Für die Besprechung der Aktuellen Stunde steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Fraktion Die Linke. – Herr Dr. Albers! Bitte schön, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen! Meine Herren! Was haben wir im Vorfeld der Debatten um den neuen Krankenhausplan nicht alles zu hören bekommen! Da war zunächst die Rede von der Trendwende bei der Krankenhausfinanzierung. Das schenken wir uns hier heute. Gar nichts haben Sie gewendet! Die zweite Legende: Zum ersten Mal würden wieder Krankenhausbetten aufgebaut. Diese Hochstapelei erledigt sich durch einen einfachen Blick in den alten Krankenhausplan. Bereits damals wurde der Bettenabbau gestoppt. Bereits damals wurde in Disziplinen wie in der Altersmedizin und in der Neurologie ein neuer Bettenbedarf definiert. Das Soll des Krankenhausplans von 2006 lag bei 20 282 Betten, das Ist 2010 waren 20 917 Betten, und für 2015 sollten es 21 500 Betten werden. Legende drei: „Ich bin der erste Senator, der Qualitätsvorgaben in den Krankenhausplan schreibt“ – mit großem Brimborium angekündigt, der ganz große Wurf in Sachen Qualität, so eine Art Befreiungsschlag für einen angeschlagenen Senator, und deshalb schauen wir uns das in diesem Krankenhausplan nun mal gemeinsam genauer an und gehen zunächst alle zusammen auf die Seite 25.
Da werden „qualitätssichernde Anforderungen“ an eine medizinische Fachabteilung neu definiert. Bisher hieß es eher unverbindlich, dass die pflegerische und ärztliche Ausstattung „angemessen“ zu sein hat. Zumindest konnte man da noch diskutieren, was denn angemessen ist. Im neuen Krankenhausplan definieren Sie das Wort „angemessen“ auf dem niedrigsten möglichen Niveau. Lesen Sie den betreffenden Abschnitt auf Seite 25 ruhig zwei Mal, ich habe es auch getan! Für eine Fachabteilung soll zukünftig gelten, dass zwei Fachärzte als Vollkräfte ausreichen, um den qualitätssichernden Anforderungen des Plans Genüge zu tun. Und die Leitung der Abteilung schließen Sie bei dieser Berechnung auch noch gleich mit ein. Dass der Chefarzt einer Abteilung gleichzeitig auch Facharzt seiner Fachrichtung ist, ist eigentlich selbstverständlich, und dass sein Vertreter, der Oberarzt, ebenfalls Facharzt sein muss, ist genauso selbstverständlich. Es war Vorgabe des alten Krankenhausplans, dass der Facharztstandard jederzeit sicherzustellen ist. Wie Sie das aber mit diesen beiden Fachkräften in der Abteilung über 365 Tage im Jahr 24 Stunden am Tag gewährleisten wollen, bleibt Ihr Geheimnis.
Sie fallen mit solchen Vorgaben zur Mindestausstattung in Ihrem Krankenhausplan weit hinter das zurück, was die Berliner Kliniken für sich bereits als Standards definiert haben. Ist das niemandem von Ihnen aufgefallen, meine Damen und Herren von der CDU? Oder winken Sie alles aus dem Hause Czaja nur noch resigniert durch? Ich kann Sie gerne mal besuchen, wenn Sie auf einer solchen Station behandelt werden, wo im Hintergrund
Chefarzt und Oberarzt auf dem Zahnfleisch laufen, weil sie jede zweite Nacht im Wechsel den Facharztstandard gewährleisten müssen. Sie sind selber dafür verantwortlich, Sie haben es Ihren Senator so in den Krankenhausplan schreiben lassen.
Mit Qualitätssicherung hat das nicht das Geringste zu tun, mit Dilettantismus allerdings sehr viel, und das ist gar nicht so lustig, wie es jetzt klingt. Das Preissystem der Fallpauschalen zwingt die Krankenhäuser, ihre Leistungen so billig wie möglich anzubieten. Die einzig wirkliche Stellschraube – das haben wir schon etliche Male erklärt – sind dabei nun die Personalkosten, und deshalb sind solche schludrigen Vorgaben so gefährlich, weil sie einer dequalifizierenden Personalpolitik krankenhausplanerisch auch noch die Tür öffnen.
Gehen wir auf die nächste Seite, S. 26! Da geht es dann richtig energisch zur Sache. Zur personellen Mindestausstattung auf den Stationen formulieren Sie da jungfernkühn und wildentschlossen: Auf Intensivstationen möge man sich möglichst an Empfehlungen der Fachgesellschaften halten, eine Pflegekraft für zwei Patienten vorzuhalten. – So steht es da wortwörtlich: „möglichst die Empfehlungen... einzuhalten“. Dafür sind die Beschäftigten der Charité ganz bestimmt nicht aus dem Streik gekommen. Verbindliche Personalvorgaben im Interesse der Patienten sehen anders aus – politischer Handlungswille auch!
Und dann kommt noch eins drauf! Im gleichen Absatz, hinter dem dritten Spiegelstrich schreiben Sie: Der Anteil an qualifizierten Intensivfachpflegekräften im Pflegeteam einer Intensiveinheit soll mindestens 30 Prozent betragen. – Richtig gelesen, beinhaltet der Satz nichts anderes, als dass zukünftig nur noch 30 Prozent der Beschäftigten auf einer Intensivstation Fachkräfte sein müssen; 70 Prozent der Beschäftigten müssen es offenbar nicht. Nimmt man diese Personalvorgabe ernst und rechnet das durch, dann hat man auf einer 10-Betten-Station pro Schicht nicht einmal zwei Vollkräfte Fachpersonal zur Verfügung. Der Anteil der Fachkräfte auf einer Intensivstation in den Berliner Krankenhäusern ist heute schon viel höher. Sollen die nun von diesem Standard runter?
Sie verkünden diesen Unsinn dann auch noch per Pressemitteilung, eitel-selbstgerecht: Das koste die Häuser zwar Geld, aber – wörtlich – „das können wir uns leisten“. – Wer ist da eigentlich „wir“? Sie tragen doch keinen Cent dazu bei, Sie geben den Häusern doch keinen Pfennig dafür, dass sie mehr qualifiziertes Personal einstellen! Im Gegenteil: Wir haben doch gerade nachgewiesen, dass Sie die Dequalifizierung forcieren. Und die Berliner Krankenhausgesellschaft hat es Ihnen doch auch
zu diesem Krankenhausplan immer wieder aufs Neue erklärt: Sie zwingen die Häuser durch die unzureichenden Investitionstätigkeiten des Senats, ihre Baustellen durch den Abbau von Personalstellen zu finanzieren. Und dann stellen Sie sich hin und erklären für die Häuser: „Das können wir uns leisten“?
Der alte Plan hatte auf S. 16 formuliert, man habe für Rahmenbedingungen zu sorgen, in denen sich eine Qualitätskultur entwickeln kann, in der sich ethische Aspekte ärztlichen und pflegerischen Handelns nicht wirtschaftlichen Zwängen unterzuordnen haben. – Sie erreichen das Gegenteil und haben diese Passage wohlweislich aus Ihrem neuen Krankenhausplan rausgeworfen.
Auf S. 69 geht der Zinnober weiter: Lyrik über geriatrische Versorgung! Da fehlt mir die Zeit, hier im Einzelnen darauf einzugehen. Alles unverbindlich! Auch da: Man möge sich an Empfehlungen halten. – Machen wir im Ausschuss! – Aber auch da altern Chef- und Oberarzt, täglich wechselseitig im Hintergrunddienst, aufgrund Ihrer Personalvorgaben vorzeitig.
Dazu kommt noch ein weiterer Ausflug in die Gefilde der Unverbindlichkeit: Der Herr Chefarzt soll als Qualitätsmerkmal über eine Weiterbildungsermächtigung verfügen. Verflixt noch mal! Das ist im Leben einer Klinik Voraussetzung für die Besetzung eines Chefarztpostens, sonst bekommen Sie nämlich keine Assistenzärzte zur Weiterbildung, weil denen die Tätigkeit bei Ihnen nicht anerkannt wird. Außerdem – das nur am Rande – heißt das schon seit vielen Jahren nicht mehr Weiterbildungsermächtigung, sondern Weiterbildungsbefugnis – noch so ein kleiner Beweis dafür, wie sehr Sie als verantwortlicher Senator hier fachpolitisch aus dem Mustopf steigen!
Ebenso im Kapitel Hygiene: „Die Krankenhausleitungen haben sicherzustellen …“! Aber dann nehmen Sie ihnen nicht das Geld weg, das sie dazu brauchen! Ein Hygienebeauftragter im Krankenhaus, schön und gut! Aber der löst doch nicht das Problem, der steht doch nicht zur Pflege am Bett. Da brauchen Sie entsprechend mehr Personal an den Betten, beim Patienten, um die Hygienepläne durchzusetzen. Aber dann müssen Sie es bitte schön auch finanzieren, es bleibt sonst bei Ihrer politischen Zechprellerei: bestellen, aber nicht bezahlen. Um 40 Millionen Euro aus den SIWA-Mitteln zu bekommen, hat Vivantes z. B. 34 Millionen Euro Eigenmittel aufbringen müssen. Aber diese Eigenmittel sind genau die Gelder, die fehlen, wenn es darauf ankommt, ausreichend Personal am Krankenbett zur Verfügung zu stellen.
Kapitel Notfallversorgung: Die großartigen angeblichen Neuerungen Ihres Krankenhausplans finden Sie alle schon auf S. 51 des alten Krankenhausplans. Auch darüber können wir im Ausschuss weiter diskutieren. – Das Einzige, das an diesem Krankenhausplan neu und bemerkenswert ist, ist die Dreistigkeit, mit der Sie hier einem Parteifreund einen Gefälligkeitsdienst leisten und ihm endlich die lang gewünschte geriatrische Solitärklinik vor die Haustüre stellen. Er habe seinen Senator eben gut im Griff, wird der entsprechende Kollege in Ärztekreisen zitiert.
Welcher Teufel hat Sie geritten, gegen die Empfehlungen sämtlicher geriatrischer Fachgesellschaften, gegen das eindeutige Votum der Krankenkassen und gegen die Kriterien Ihres eigenen Krankenhausplans ein noch neu zu errichtendes, sogenanntes Deutsches Geriatriezentrum in Marzahn-Hellersdorf in den Plan aufzunehmen? – Wir brauchen altersmedizinische Betten in den Akutkliniken mit der Infrastruktur, der Logistik und dem Fachwissen multidisziplinärer Betreuung. Ihr eigener Krankenhausplan formuliert, solche solitären Einrichtungen mit nur einer Fachrichtung Altersmedizin sind obsolet. Allenfalls die bestehenden haben noch Bestandsschutz. – Und Sie schaffen jetzt so etwas neu, dabei gibt es in der Umgebung mit Vivantes, mit den Sana-Kliniken, mit dem Krankenhaus Elisabeth Herzberge kompetente Akutkliniken, in denen ohne Probleme und weitaus günstiger entsprechende Betten für die Altersmedizin zusätzlich geschaffen werden können. Angesichts einer solchen Geriatrievorstellung habe ich mir zum 65. Geburtstag auf die Brust tätowieren lassen: „Bitte nicht in die Geriatrie!“
Die Berliner Krankenkassen haben diesem Krankenhausplan ihre Zustimmung verweigert, nicht zuletzt wegen dieses Deals. Darüber wird noch zu reden sein. Sie können jetzt nicht mehr sagen, Sie hätten davon nichts gewusst. – Vielen Dank!