Protocol of the Session on January 28, 2016

[Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Nikolaus Karsten (SPD)]

Vielen Dank, Herr Mayer! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags federführend an den Hauptausschuss und mitberatend an den Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt empfohlen. Gibt es hierzu Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.2:

Priorität der Fraktion Die Linke

Das Probejahr an Gymnasien abschaffen! – Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes für das Land Berlin

Dringliche Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, Jugend und Familie vom 21. Januar 2016 Drucksache 17/2682

zum Antrag der Fraktion Die Linke Drucksache 17/2564

Zweite Lesung

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die zweite Lesung zum Gesetzesantrag und schlage vor, die Einzelberatungen der zwei Artikel miteinander zu verbinden. – Auch hierzu höre ich keinen Widerspruch.

Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Artikel I und II in der Vorlage. In der Beratung beginnt die Fraktion Die Linke. Das Wort hat Frau Abgeordnete Kittler. – Bitte!

Vielen Dank! – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es ist an der Zeit, das Probejahr abzuschaffen, denn wir wollen, dass kein Kind in seiner Entwicklung geschädigt oder gehemmt wird. Jedes Kind muss so gefördert werden, wie es das braucht. Die Gleichwertigkeit beider in Berlin existenter Schularten, der ISS und des Gymnasiums, darf sich nicht mehr länger ausschließlich in gleichen Bildungsstandards und gleichen Schulabschlussmöglichkeiten verwirklichen.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Die Heterogenität der Schülerschaft muss sich auch in der Willkommenskultur und der individuellen Förderung an allen Schulen wiederfinden, eben auch an Gymnasien.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Nach Aussage des Senats haben 2014/2015 über 7 Prozent der Siebtklässler an Gymnasien das Probejahr nicht geschafft. Sie wurden an die integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen abgeschoben. Wenn wir dann noch wissen, dass der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, der das Probejahr nicht schafft, mit 14 Prozent doppelt so hoch war, dann kann doch hier niemand allen Ernstes behaupten wollen, dass das keine soziale Benachteiligung ist.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Mit Sicherheit gilt dies auch für andere Kinder aus sozial benachteiligten Gruppen. Unser Ziel, den Bildungserfolg

(Pavel Mayer)

für alle Kinder möglich zu machen und vom sozialen Status abzukoppeln, muss endlich auch für die Gymnasien gelten und darf nicht länger auf die ISSen und Gemeinschaftsschulen delegiert werden.

Dass die CDU-Fraktion das nicht will, zumindest nicht am Gymnasium, entspricht ihrem konservativen Denken. SPD-Fraktion und Senat wollen die Kinder vor ihren sie überfordernden Eltern schützen, sagen sie. Das sieht die Arbeitsgemeinschaft für Bildungsfragen der Berliner SPD offensichtlich ganz anders. Deren Vorsitzende Monika Buttgereit hat nämlich in meinem Beisein auf der Tagung des Verbands für Schulen des gemeinsamen Lernens am 4. November 2015, also vor drei Monaten, öffentlich erklärt, dass sie natürlich für die Abschaffung des Probejahres sind.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Aber was interessiert die SPD-Fraktion die Meinung ihrer Bildungsfachleute? Leider konnte der von der SPDFraktion für die Anhörung zum Antrag benannte Bildungsexperte Prof. Preuss-Lausitz letzte Woche nicht an der Sitzung teilnehmen. Schade, denn schon in der Anhörung 2009 zur Schulstrukturreform sagte Preuss-Lausitz, dass der Arbeitskreis gemeinsame Erziehung auch aufgrund der empirischen Erfahrungen der Meinung ist, dass die Frage, wie Integration am besten erfolgen kann, nicht aussondernde Klassen und Schulen voraussetzt.

[Beifall von Steffen Zillich (LINKE)]

In der gleichen Sitzung des Bildungsausschusses sagte Frau Dr. Felicitas Tesch für die SPD:

Ich sitze oft, so wie Sie, auf Podien, und dann wird mir von Eltern oder auch Lehrer/-innen/-seite gesagt: Wie wird denn dann sichergestellt, dass das Kind X nicht auf der falschen Schule landet? Das ist für mich schon eine Denke, die völlig quer ist,

[Beifall von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

denn die Schule ist im Grunde für die Kinder da und nicht anders herum.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Ajibola Olalowo (GRÜNE) und Martin Delius (PIRATEN)]

Die SPD-Fraktion fällt nun weit hinter diese Position von 2009 zurück.

[Lars Oberg (SPD): Was haben wir denn damals gemacht?]

Was für eine Aufregung! Geht das schon wieder los! So war das letzte Woche bei der Anhörung im Bildungsausschuss, wo die Furcht transportiert wurde, Die Linke wolle die heilige Kuh Gymnasium schlachten.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Für alle vielleicht zur Beruhigung: Auch in Bremen, Niedersachsen und im Saarland ist das Abendland nicht untergegangen,

[Heidi Kosche (GRÜNE): Hört, hört!]

obwohl auch dort der Eltern- und Schüler- und Schülerinnenwille entscheidet und es kein Probejahr an den Gymnasien gibt.

[Oliver Höfinghoff (PIRATEN): Warum eigentlich nicht?]

Auf der Bremer Senatsseite für Bildung – der Bildungssenat in Bremen ist SPD-geführt – kann man dazu lesen:

Oberschule und Gymnasium bieten ein möglichst langes gemeinsames Lernen von Kindern mit unterschiedlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten. Die Schulen tragen die Verantwortung für ihre aufgenommenen Schülerinnen und Schüler und verhelfen ihnen durch entsprechende Förderangebote zu dem individuell höchstmöglichen Bildungsabschluss. Das „Abschulen“ oder „Sitzenbleiben“ ist heute nicht mehr vereinbar mit der Vorstellung, über Bildung Chancen zu ermöglichen und jeden Menschen auf die bestmögliche Weise zu unterstützen.

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN) und Alexander Morlang (PIRATEN)]

Vielen Dank, Frau Kittler! – Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Herr Abgeordnete Oberg.

[Lars Oberg (SPD): Nimm dir schon mal einen Stift für die Kurzintervention!]

Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Die Schulstrukturreform war eine Herkulesaufgabe, und nicht wenige hielten Jürgen Zöllner damals 2008/2009 für verrückt, als er sich daran machte, Haupt- und Realschule abzuschaffen und ein zweigliedriges Schulsystem zu etablieren, das aus Gymnasium und Sekundarschule besteht. Ja wie sollte das gelingen, gerade im streitverliebten Berlin, war eine Frage, die man damals oft hören konnte.

Liebe Frau Kittler! Lieber Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei! Mit Leidenschaft, Augenmaß und Überzeugungskraft haben SPD und Linkspartei es damals geschafft, diese Reform zu einem Erfolg zu machen. Ich glaube, diese Reform ist aus zwei Gründen erfolgreich: Erstens haben Kinder und Jugendliche jetzt in Berlin

(Regina Kittler)

mehr Chancen auf gute Bildung. Und zweitens – das ist nicht weniger wichtig – ist diese Reform gesellschaftlich breit anerkannt. Ich bin überzeugt, dass Bildungsreformen nur dann gelingen, wenn sie genau diese beiden Punkte vereinen, nämlich echte Verbesserung und breite gesellschaftliche Akzeptanz. Das hat damals in den Beratungen durchaus eine Rolle gespielt.

Wir haben die gesellschaftliche Akzeptanz dadurch gewonnen, dass wir verschiedene gesellschaftliche Bedürfnisse, von denen wir gemeinsam wissen, dass es sie gibt, berücksichtigt und es dennoch geschafft haben, einen neuen Bildungskonsens zu formulieren, auf den wir eigentlich gemeinsam stolz sein könnten. Dieser Konsens lautet, dass es gleiche Chancen und Abschlüsse für alle gibt, die aber auf unterschiedlichen Wegen, also auch in unterschiedlichen Schularten erreicht werden können. Kurz gesagt: gleiche Ziele und Chancen für alle, aber auf vielfältigen Wegen. Das ist der Bildungskonsens, den wir gemeinsam formuliert haben, der diese Schulstrukturreform zum Erfolg gemacht hat.

Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass Kinder unterschiedlich sind – das wissen wir ja auch – und in sehr unterschiedlichen Umständen aufwachsen und deswegen nicht für jeden der gleiche Weg auch gleich erfolgreich ist. Die Schulstrukturreform kennt unterschiedliche Wege, aber nur gleiche Ziele: Alle Abschlüsse an allen Schulen, das ist das Geheimnis. Das ist das, was das Schlagwort „gleichwertig, aber nicht gleichartig“ meint.

Ihr Vorschlag, nun das Probejahr abzuschaffen, scheint zu beweisen, dass Ihnen dieser gesellschaftliche Konsens, den wir gemeinsam geschaffen haben, auf den wir eigentlich stolz sein könnten, fremd geworden ist. Denn wenn die Entscheidung, auf welche Schule ein Kind geht und auf welchem Weg es in Richtung gemeinsames Ziel geht, allein von der Wahlentscheidung nach der 6. Klasse abhängt, dann werden ISS und Gymnasium nicht nur gleichwertig sein müssen, sie werden auch gleichartig sein müssen.