Protocol of the Session on January 26, 2012

Erste Lesung

b) Wahlrecht ohne Altersbegrenzung II: Antrag auf Änderung des Landeswahlgesetzes

Antrag der Piratenfraktion Drucksache 17/0112

Erste Lesung

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Die Piratenfraktion beginnt. Die Kollegin Graf hat das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Damen und Herren! Versetzen Sie sich bitte einmal in das Jahr 2030! Lisa ist sieben. Sie möchte, dass die Straßenhunde vor ihrem Haus weggehen und wählt deswegen die Grünen. Martin ist zwölf. Er möchte, dass sein Sportplatz wieder repariert wird und wählt deswegen die CDU. In der Schule und im Kindergarten haben sie gelernt, was Parteiprogramme bedeuten, welche Bedeutung Wahlen haben und nehmen aktuelle Ereignisse durch. Bereits drei Monate vorher haben sich Lisa und Martin angemeldet, um zur Wahl gehen zu dürfen, weil sie noch unter 16 sind. Natürlich wird das neu und komisch auf Sie wirken, doch machen wir einen kleinen Exkurs in die Vergangenheit. 30. November 1918: Es hat einen Weltkrieg gebraucht, damit Frauen wählen durften. Was waren damals vielleicht die Argumente, die kamen? – Sie sind zu emotional

dafür und damit unpräzise. Sie werden von ihren Männern beeinflusst. Ihnen fehlt das Wissen. Würden Sie sagen, dass eine Frau heute nicht mehr wählen gehen darf? – Ich glaube nicht. Deswegen müssen wir ein Wahlrecht für Kinder haben, denn auch sie haben das Recht zu wählen.

Ein anderes Beispiel: das Wahlalter. Es wurde von 25 auf 21 bis schließlich auf 18 gesenkt. Da waren die Argumente: Sie haben nicht die entsprechende Reife. Sie sind zu leicht beeinflussbar. Aber würden Sie sagen, dass heute ein 19- oder 20-Jähriger nicht mehr wählen gehen darf? – Wenn doch, tun Sie mir leid.

[Beifall bei den PIRATEN]

Zum nächsten Punkt, zur demokratischen Legitimation: Wir sind hier und treffen Entscheidungen, die sowohl Kinder als auch Jugendliche betreffen. Wir entscheiden über ihre Kita, ihre Schule, ihren Sportplatz oder über den Park, in dem sie spielen. Wir fragen sie aber nicht bei unseren Entscheidungen. Genau das müssen wir ändern. Auch Kinder haben das Recht, an Volksentscheiden und Wahlen teilzunehmen.

[Beifall bei den PIRATEN – Bravo! von der SPD]

Wer wählen möchte, darf nicht aufgehalten werden. Nur damit können wir Demokratie fördern und Politikverdrossenheit vorbeugen. Ein anderer Punkt der demokratischen Legitimation ist, dass wir nur die Erwachsenen beteiligen. Das ist ein Grund, warum wir auch dem Antrag der Grünen zustimmen werden, denn 16 ist immer noch besser als 18. Brandenburg hat bereits heute beschlossen – mit SPD, Linken und Grünen –, dass es auf Landesebene ein Wahlalter von 16 haben möchte.

[Beifall bei den PIRATEN]

Liebe SPD! An diesem Punkt möchte ich noch einmal genau auf Sie eingehen. Sie haben in Ihrem Wahlprogramm auch ein Wahlalter 16 gefordert. Unterstützen Sie deshalb bitte auch den Antrag der Grünen!

[Beifall bei den PIRATEN – Sven Kohlmeier (SPD): Dann müssen Sie den Koalitionsvertrag lesen!]

Lieber Herr Kohlmeier! Der Koalitionsvertrag hat dann wohl einen Aspekt, in dem Sie Ihre Moral verraten. Tut mir leid!

[Beifall bei den PIRATEN – Zurufe von der SPD]

Nun zum nächsten Punkt, dem Medizinischen: Bereits heute haben Hirnforscher erforscht, dass mit 12 das Gehirn bereit ist, komplexe Entscheidungen zu treffen. Allerdings ist unser Bildungssystem in dem Punkt noch gar nicht so weit, dass es den passenden Unterricht dafür bietet. Deswegen müssen wir nebenher auch die Bildung fördern, um einen mündigen Bürger zu entwickeln. Die Entwicklung jedes einzelnen Menschen ist unter

schiedlich. Es kann 12-Jährige geben, die den Wunsch haben zu wählen, es kann 10-Jährige geben, die den Wunsch haben zu wählen, und es kann 15- oder 17Jährige geben, die diesen Wunsch nicht haben. Daher brauchen wir keine willkürliche Altersgrenze, sondern eine Altersgrenze, die nicht vorhanden ist.

[Beifall bei den PIRATEN – Zuruf von Lars Oberg (SPD) – Renate Harant (SPD): Was ist mit 3-Jährigen?]

Jeder! – Wir haben daher die Forderung an unsere Gesellschaft, dass jeder, der den Willen bekundet, wählen zu dürfen, auch wählen gehen darf, und dass sich auch jeder frühzeitig der Verantwortung bewusst ist, was es bedeutet, wählen zu dürfen. Raffen Sie sich auf, neue Denkansätze zuzulassen! Wir müssen vorausschauend planen, damit wir parallel die passenden Bildungsmöglichkeiten entwickeln und so zu mündigen, politisch bewussten Bürgern kommen. Geben Sie der Demokratie eine Chance!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Danke, Frau Kollegin Graf! – Für die SPD hat jetzt Kollege Langenbrinck das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Opposition scheint nach kleinen Skandälchen bei den Piraten, Wundenlecken bei der Linken und Augenauskratzen bei den Grünen ihre Leidenschaft zur Sacharbeit wiederentdeckt zu haben. Dazu herzlichen Glückwunsch! Was liegt da also näher, als sich die wunderbare Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU durchzulesen und Anträge einzubringen, die eine vermeintliche Missstimmung in der Koalition auslösen könnten? Genau das sollen die heute vorliegenden Anträge der Opposition zur Absenkung des Wahlalters:

[Andreas Baum (PIRATEN): Ein Märchen! – Zurufe von den PIRATEN und den GRÜNEN]

die Koalition von SPD und CDU auseinanderdividieren.

[Oh! von den PIRATEN und den Grünen]

Aber das wird Ihnen nicht gelingen mit diesem durchsichtigen Versuch.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Unruhe]

Meine Damen und Herren! Kollege Langenbrinck hat das Wort. – Bitte schön!

Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Opposition weiß selber nicht, was sie will. Grüne und Linke fordern die Änderung des Wahlalters auf 16, die Piraten wollen hingegen eine schrittweise Absenkung bis hin zur Abschaffung einer Altersgrenze, meint: Wahlrecht von Geburt an.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Und was will die SPD?]

Den Piraten freilich ist zu attestieren, dass sie mit ihrer Forderung am konsequentesten sind.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Aber, liebe Kollegen der Piraten – –

[Christopher Lauer (PIRATEN): Ja! Jetzt die Pointe!]

Jetzt, Herr Lauer! Ein wahlberechtigtes Baby kann schlecht, wie Sie es in Ihrem Antrag schreiben, einen Willen zu wählen selbstständig bekunden.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Den Windelpupser will ich sehen, dem Sie den Kugelschreiber in die Hand drücken, um seine drei Kreuze zu machen.

[Martin Delius (PIRATEN): Das gibt es nicht!]

Und vor allem, liebe Piraten: Wie wollen Sie den Urvater der Kinderpsychologie – –

Meine Damen und Herren! Etwas mehr Gelassenheit! Der Redner hat jetzt das Wort. – Bitte schön!

Wie wollen Sie Jean Piaget widerlegen, der sagt, dass erst mit dem 7. Lebensjahr das konkrete Denken beginnt? Mit Ihrem Vorschlag ignorieren Sie die Grundlagen der Entwicklungspsychologie. Darüber sollten Sie in Ruhe noch einmal nachdenken.

[Andreas Baum (PIRATEN): Das Denken setzt doch nicht schlagartig ein!]

Es gibt gute Argumente dafür, das Wahlalter auf 16 abzusenken, und es gibt gute Argumente dagegen. Beide Seiten der Medaille finden sich auch in der Berliner SPD wieder, wenngleich sich der Landesparteitag 2010 für die Absenkung ausgesprochen hat und diese Position Einzug ins Wahlprogramm erhielt. Interessant in der Diskussion „Wahlaltersenkung, ja oder nein?“ ist meines Erachtens insbesondere die Frage, wie häufig sich 16- und 17Jährige dort an Wahlen beteiligt haben, wo sie es durften. Das Ergebnis ist eher ernüchternd, nämlich unterdurchschnittlich. Wahlstatistiken zeigen ebenso, dass die Gruppe der 18- bis 25-Jährigen regelmäßig die niedrigste Wahlbeteiligung aller Altersgruppen aufweist, unab

hängig davon, ob sie bei der vorhergegangenen Wahl bereits mit 16 wählen durften oder nicht.

[Zurufe von den PIRATEN]

Was sagen die Jugendlichen eigentlich selber dazu? Grüne und Linke beziehen sich in ihrer Antragsbegründung auf Prof. Hurrelmann. Er bescheinigt den 16- und 17jährigen die notwendige Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit, die für ein Wahlrecht erforderlich sind.

[Udo Wolf (LINKE): Und Ihr Wahlprogramm?]

Prof. Hurrelmann koordiniert auch die Shell-Jugendstudie. In ihrer 15. Studie aus dem Jahr 2006 wurden 2 500 Jugendliche zwischen 12 und 25 Jahren nach dem Wahlrecht mit 16 befragt. Ergebnis: 52 Prozent von ihnen lehnten das ab, nur 25 Prozent stimmten zu, 23 Prozent war es schlichtweg egal.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Wahlprogramm! Lesen Sie doch einfach aus Ihrem Wahlprogramm vor!]