Protocol of the Session on September 24, 2015

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 69. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin. Ich begrüße Sie. Ich begrüße unsere Gäste, unsere Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Vertreter der Medien recht herzlich.

Im Namen des Hauses möchte ich Herrn Senator Dr. Kollatz-Ahnen zum heutigen Geburtstag gratulieren. – Herr Finanzsenator, herzlichen Glückwunsch!

[Allgemeiner Beifall]

Auch bei Ihnen gilt: Was könnte es eine nettere Umgebung geben, seinen Geburtstag zu verbringen, als heute bei uns zu sein.

[Senator Dr. Matthias Kollatz-Ahnen: Und einen Präsidenten, der mich so freundlich begrüßt!]

Ich möchte recht herzlich Herrn Staatssekretär Glietsch, Beauftragter für Flüchtlingsmanagement, begrüßen. – Herr Staatssekretär Glietsch! Herzlich Willkommen! Auf gute Zusammenarbeit! Wir kennen uns ja.

[Allgemeiner Beifall]

Am Dienstag sind folgende fünf Anträge auf Durchführung einer Aktuellen Stunde eingegangen:

− Antrag der Fraktion der SPD zum Thema: „Mieterstadt Berlin“

− Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Mieterstadt Berlin“

− Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema: „Mieter schützen, Wohnungsbau nachhaltig und sozial ausrichten. Wie weiter nach dem Mietenkompromiss?“

− Antrag der Fraktion Die Linke zum Thema: „Mieter schützen, Wohnungsbau nachhaltig und sozial ausrichten. Wie weiter nach dem Mietenkompromiss?“

− Antrag der Piratenfraktion zum Thema: „Mieter schützen, Wohnungsbau nachhaltig und sozial ausrichten. Wie weiter nach dem Mietenkompromiss?“

Die Fraktionen haben sich im Ältestenrat auf die Behandlung des Antrags der Fraktion Die Linke verständigt, sodass ich dieses Thema für die Aktuelle Stunde unter dem Tagesordnungspunkt 1 aufrufen werde, und zwar in Verbindung mit der ersten Lesung der dringlichen Gesetzesvorlage zum Wohnraumversorgungsgesetz. Die anderen Anträge auf Aktuelle Stunde haben damit ihre Erledigung gefunden.

Ich möchte Sie dann auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird.

Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, so bitte ich um entsprechende Mitteilung.

Entschuldigung von einem Senatsmitglied für die heutige Sitzung: Der Regierende Bürgermeister ist ganztägig abwesend. Grund: Die Teilnahme an den Vorbesprechungen der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder und der anschließenden Besprechung bei der Bundeskanzlerin zum Thema Asyl- und Flüchtlingspolitik.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 1:

Aktuelle Stunde

gemäß § 52 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

„Mieter schützen, Wohnungsbau nachhaltig und sozial ausrichten. Wie weiter nach dem Mietenkompromiss?“

(auf Antrag der Fraktion Die Linke)

in Verbindung mit

Gesetz über die Neuausrichtung der sozialen Wohnraumversorgung in Berlin (Berliner Wohnraumversorgungsgesetz – WoVG Bln)

Dringliche Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 17/2464

Erste Lesung

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die erste Lesung. Für die Besprechung der Aktuellen Stunde bzw. die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Fraktion Die Linke. – Frau Lompscher, bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Mieter schützen, Wohnungsbau nachhaltig und sozial ausrichten. Wie weiter nach dem Mietenkompromiss?“ – Vieles, was heute dazu zu sagen ist, richtet sich auch an die Adresse von Michael Müller, den früheren Stadtentwicklungssenator. Er ist heute verhindert, und wir erwarten, dass er beim Flüchtlingsgipfel gut verhandelt für mehr Unterstützung des Bundes bei Unterbringung, Gesundheitsversorgung, Integration und Zugang zum Arbeitsmarkt und auch gegen die Verschärfung des Asylrechts, gegen Abschottung, Abschreckung und Ausgrenzung.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Um nicht missverstanden zu werden: Wir lehnen es ab, die Flüchtlingsfrage im Zusammenhang mit der Wohnungsmisere zu instrumentalisieren. Diese gibt es schon viel länger.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Aus partieller Wohnungsknappheit ist binnen weniger Jahre Wohnungsnot geworden. Der Senat hat viel zu spät umgesteuert. Nichts gegen eine Politik der kleinen Schritte, aber in der Wohnungspolitik waren und sind sie definitiv zu kurz. Das war schon mit Michael Müller als Senator so, und das ist bei Andreas Geisel nicht anders.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Neu ist allerdings, dass viel angekündigt und vorbereitet wird. Es geht jetzt Schlag auf Schlag. Vorgestern der Beschluss, die Elisabeth-Aue an sich zu ziehen, in der Woche zuvor Mietenkompromiss, Wohnungsbaubeschleunigungsgesetz, Mauerpark und Leichtbausiedlungen. Konzept und Strategie zur Umsetzung bleiben allerdings vage. Die Kapazitäten fehlen. Gibt es auch dafür einen Plan, außer der subtilen Drohung, sich bei den ohnehin ausgezerrten Bezirken zu bedienen? Es wird viel gebaut in dieser Stadt, keine Frage, aber nicht so, dass es bezahlbar ist. Luxusmodernisierte Altbauten und ausschweifende Neubauten helfen nicht bei der Lösung des sozialen Wohnungsproblems. Darauf weisen Mieterinitiativen seit Jahren hin. Seit 2012 fordert „Kotti und Co“ bezahlbare Sozialmieten und den Stopp der Verdrängung der Ärmsten aus der Innenstadt. Deshalb gab es das Mietenvolksbegehren mit dem großartigen Erfolg in der ersten Stufe. Und nur deshalb gibt es heute das vom Senat vorgelegte Wohnraumversorgungsgesetz. Das ist und bleibt ein großer Erfolg. Die Initiativen haben dem Senat Beine gemacht, aber laufen muss er selbst.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Einige Elemente dieses Gesetzes sind echte Fortschritte, andere hingegen fragwürdig oder sogar inakzeptabel. Das ist ausdrücklich nicht den Initiativen, sondern dem Senat vorzuwerfen, der zunächst massiv gegen das Volksbegehren vorgegangen ist, dann hat er Entgegenkommen und Verhandlungsbereitschaft signalisiert – immerhin. Aber ist das Resultat wirklich überzeugend? Wir unterstützen natürlich, dass Sozialmieterinnen künftig einen Rechtsanspruch auf sozial tragbare Miethöhen haben sollen. Aber warum nicht alle? Warum nur in den engen Grenzen der Angemessenheit, und warum nur bis maximal 2,50 Euro? Damit wird die frühere Praxis der gebietsbezogenen Mietsenkung de facto abgeschafft. Und warum nutzt der Senat nicht die rechtliche Möglichkeit, die er im Gegensatz zu den Initiatoren des Mietenvolksentscheids hat, die Eigentümer mit einer sozialen Richtsatzmiete an den Kosten der Mietsenkung zu beteiligen?

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Wir finden es gut und richtig, die soziale Ausrichtung der städtischen Wohnungsbaugesellschaften rechtlich zu fixieren. Allerdings greift dieser Gesetzesvorschlag auch hier zu kurz. Weder gibt es für die Eigenkapitalstärkung verbindliche Aussagen, noch ist die Rolle der vermögenslosen Anstalt klar, und das Mietenkonzept ist sozial nicht tragbar. Hier empfehle ich einen Blick nach München, das für seine Gesellschaften ein Konzept sozialer Mietobergrenzen weit unter den horrenden Angebotsmieten einschließlich umfassender Belegungsregeln verfolgt.

Stattdessen wird hier das aus unserer Sicht untaugliche Mietenbündnis mit Gesetzesrang versehen. Zwar wird der Anteil von belegungsgebundenen Wohnungen auf 55 Prozent angehoben, zugleich entfällt aber die bisherige Bindung der Höchstmiete an den Mietspiegel.

[Udo Wolf (LINKE): Herr Präsident! Was ist denn das für eine Veranstaltung hier?]

Herr Senator Heilmann! Herr Kollege Rissmann! Das stört! – Danke!

[Beifall bei der LINKEN]

Das hat nicht nur gestört, es ist auch völlig inakzeptabel – das ist jetzt für Herrn Heilmann interessant –, die Miete im Härtefall erst dann zu kappen, wenn die Nettokaltmiete 30 Prozent des Einkommens erreicht oder übersteigt. Maßstab müssen wie in der Rechtsprechung die Wohnkosten insgesamt, also die Bruttowarmmiete sein.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Und das muss generell, ohne Ausnahmen, also auch bei umfassenden Modernisierungen gelten.

[Anja Kofbinger (GRÜNE): Wenn man Millionär ist, weiß man das!]

Warum ist keine Befristung von Modernisierungsumlagen vorgesehen, wie auf Bundesebene gerade diskutiert? Wenn auch die CDU dabei ist, einen Rückzieher zu machen, aber das wundert uns nicht. Warum darf die ortsübliche Vergleichsmiete nach Modernisierung weiterhin um die sogenannte Betriebskosteneinsparung überschritten werden? Warum ist die vom Pankower Mieterprotest erkämpfte Regelung zur angemessenen Wohnungsgröße, nämlich ein Raum mehr als Personen, nicht berücksichtigt worden? Ebenso wenig wie die berechtigten Forderungen nach Modernisierungsvarianten, Wirtschaftlichkeitsnachweisen und Mietermitbestimmung? Mehr Fragen als Antworten!

Und zum Schluss: Die Bildung des Sondervermögens für die Wohnraumförderung ist natürlich ein positives Signal. Entscheidend werden aber die Förderkriterien und der Mittelumfang eben nicht nur für Neubau, sondern auch für Ankauf und Herrichtung von Bestandsgebäuden sein.

Damit aus diesem Mietenkompromiss ein wirklicher Schritt nach vorn wird, sind Nachbesserungen im parlamentarischen Verfahren dringend nötig.

[Zuruf von Joachim Esser (GRÜNE)]