Protocol of the Session on September 10, 2015

Vielen Dank! – Nach den Masern ist ja sozusagen vor den Windpocken – das war ja eine Folgeerkrankung, die sich mit durchgezogen hat. Deshalb frage ich: Sind diese Zahlen auch rückläufig? Hat das Impfmanagement auch an dieser Stelle Erfolge gehabt? Wir wissen ja, wo der Masernausbruch seinen Ursprung gehabt hat, der dann auf Teile ungeimpfter Bevölkerung getroffen ist, was dann zum Ausbruch geführt hat. Deshalb die Frage: Sind diese Defizite behoben worden?

Bitte, Herr Senator Czaja!

Herr Präsident! Frau Abgeordnete! Jetzt muss ich vorsichtig sein – ich bin kein Mediziner, um die Fragen im Detail zu beantworten. Aber die Windpockenimpfung gibt es nach meinem Wissen noch nicht allzu lange,

(Senator Andreas Geisel)

weshalb frühere Generationen nicht gegen Windpocken geimpft wurden. Diejenigen, die jetzt geimpft werden können, werden auch gegen Windpocken geimpft, und das passiert natürlich auch in der zentralen Impfstelle. Wir haben bei den Windpocken keine solche Ausbruchswelle gehabt wie bei den Masern. Wir hätten auch keine Epidemie bei den Masern gehabt, wenn die Berlinerinnen und Berlin gut geimpft gewesen wären. Man kann das sogar räumlich einordnen, wie Sie wissen. Die Einschulungsuntersuchungen geben uns da ja ganz gute Zahlen: Kollwitzplatz, Helmholtzplatz, Paul-Lincke-Ufer – das sind die Gegenden, in denen die Impfquote besonders niedrig sind und wo es besonders schwierig ist. – Herr Lux und andere sind, glaube ich, nicht geimpft. – Deswegen ist es wichtig, dass in diesen Regionen Aufklärung stattfindet, beispielsweise unter Studenten. Denn komischerweise ist es gerade bei Studenten der Fall, dass sie weniger häufig geimpft sind als Personen aus bildungsfernen Haushalten. Die höchste Impfquote in Berlin haben im Übrigen die Migranten – keine Gruppe ist so gut geimpft wie die türkischen und arabischen Berlinerinnen und Berliner oder derjenigen, die solche Wurzeln haben, was eben auch zeigt, dass Aufklärungsarbeit hilft und dass es nicht die Vorurteile sind, dass diese oder jene Gruppe zu einer Epidemie beitragen. Es wäre vielmehr gut, wenn auch die bildungsnahen Haushalte das tun. Das findet aber in den Universitäten und bei den Studenten auch statt, dort Aufklärungsarbeit zu leisten. Das gilt für Masern genauso wie für Windpocken.

Danke schön!

Die letzte Frage für heute vom Kollegen Otto – bitte sehr, mit der Bitte um kurze Frage und kurze Antwort! – Das gilt eigentlich für alle Fragesteller, weil ja auch alle Kollegen gerne drankommen wollen. – Bitte sehr!

Gemahnt wird, bevor ich dran bin – alle anderen durften länger fragen. – Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage bezieht sich auf die Meldung des „Tagesspiegels“ heute zur BERThematik. Frage: Wie beurteilt der Senat den Störfall in der Elektroanlage der Terminalbaustelle von Ende Juni, der den Ausfall der Vorfeldbeleuchtung, den Ausfall der Hindernisbefeuerung und den Ausfall der MLATSensorik an der Südbahn zur Folge hatte und dadurch den dringenden Verdacht nahelegt, dass die Flughafengesellschaft Anlagen, die die Sicherheit des Flugverkehrs gewährleisten sollen, provisorisch mit Baustrom betreibt?

Danke schön! – Senator Geisel oder Regierender Bürgermeister? – Bitte sehr!

Herr Präsident! Herr Abgeordneter Otto! Ich habe heute nachgefragt, wie die Situation ist. Die Flughafengeschäftsführung hat mir diese Darstellung hier weitergeleitet und wohl auch schon, auch dem „Tagesspiegel“, öffentlich gemacht: dass es wohl richtig ist, dass es diesen Arbeitsunfall und diesen Zwischenfall gegeben hat, aber dass die wiederholt aufgestellte Behauptung, dass dieser Arbeitsunfall und dieser Zwischenfall zu einer Störung des Flugbetriebs auf der Südbahn oder angrenzenden Einrichtungen geführt hätte, unzutreffend ist, dass es da keinen direkten Zusammenhang gibt. – Mehr kann ich Ihnen dazu auch nicht sagen als das, dass die Flughafengesellschaft dem eindeutig widerspricht und es wohl auch schon mehrfach getan hat, aber trotzdem diese Meldung immer weiter verbreitet wird.

Eine Nachfrage, Kollege Otto? – Bitte sehr!

Ich will noch einmal nachfragen, Herr Regierender Bürgermeister: Es gab einen Störfall, und es gab den Ausfall dieser sicherheitsrelevanten Beleuchtungsanlagen. Das ist nur nicht aufgefallen, weil es am Tag war. Können Sie denn ausschließen, dass die Anlagen an der Südbahn mit provisorischer Stromversorgung betrieben werden?

Bitte, Herr Regierender Bürgermeister!

Herr Präsident! Herr Abgeordneter Otto! Das kann ich nicht ausschließen. Ich kann Ihnen zu den technischen Fragen nicht direkt Antwort geben. Ich kann nur, wenn so eine Meldung kommt, nachhaken: Was ist da los? Ist der Flugbetrieb gesichert oder nicht? – Mir wird schriftlich versichert, der Stromausfall hatte keinerlei Auswirkungen auf den operativen Betrieb. Der Flugbetrieb auf der südlichen Start- und Landebahn ist sicher und entspricht den vorgeschriebenen Regularien.

[Ajibola Olalowo (GRÜNE): Glauben Sie das denn?]

Selbstverständlich wird das in den jetzt Mitte September stattfindenden Gremiensitzungen auch eine Rolle spielen; das ist eine Selbstverständlichkeit. Technisch – es tut mir leid – kann ich den Vorgang nicht beurteilen.

Eine weitere Nachfrage? – Kollege Buchholz, bitte schön!

(Senator Mario Czaja)

Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Regierender Bürgermeister! Heute war erneut im Newsletter der BERGeschäftsführung zu lesen, dass die baulichen Arbeiten, die eigentlich zum März 2016 abgeschlossen sein sollten, definitiv nicht zu diesem Termin abgeschlossen werden können. Wie hoffnungsvoll sind Sie noch, dass ein Eröffnungsband im zweiten Halbjahr 2017 zu halten ist?

Bitte schön, Herr Regierender Bürgermeister!

Herr Präsident! Herr Abgeordneter Buchholz! Sie beziehen sich ja jetzt nicht auf den Vorfall, den Herr Otto angesprochen hat, sondern offensichtlich auf die Insolvenz der Firma Imtech und die sich daraus ergebende Problematik. Ich habe selbst nie davon gesprochen, dass im März 2016 der Baubetrieb eingestellt wird, sondern es war mir sehr wichtig, es über den Aufsichtsrat so zu begleiten, dass wir in 2016 die Bautätigkeit einstellen können und 2017 an den Start gehen können. Das ist auch möglich, nach wie vor. Es ist unter anderem möglich, weil die Flughafengeschäftsführung für die sich abzeichnende, drohende, mögliche – wie auch immer – Insolvenz der Firma Imtech schon Vorsorge getroffen hat. Sie hat Rahmenvereinbarungen mit anderen Firmen getroffen, die jetzt die Arbeit übernehmen können, bzw. es bekommt die ARGE, in der Imtech und andere sind, eine entsprechende Anschlussmöglichkeit zu arbeiten. Insofern ist es richtig: Es hat eine Zeitverzögerung gegeben; da gibt es nichts herumzureden; das wird bestätigt von Herrn Mühlenfeld und von Herrn Marks. Diese Zeitverzögerung bedeutet aber nicht zwingend, dass wir nicht 2017 an den Start gehen können. Im Gegenteil: Alle sagen, dass jetzt mit Hochdruck daran gearbeitet wird, diesen Termin zu halten.

Danke schön! – Die Fragestunde ist damit für heute beendet. Ich rufe auf

lfd. Nr. 3:

Einundzwanzigster Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Jahresbericht 2014

Bericht Drucksache 17/2410

Zu diesem Tagesordnungspunkt begrüße ich ganz herzlich den Berliner Landesbeauftragten Herrn Dr. Martin Gutzeit. – Herzlich willkommen!

[Allgemeiner Beifall]

Für die Besprechung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD, und zwar erteile ich der Kollegin Dr. West das Wort. – Bitte schön!

Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrter Herr Gutzeit! Sowohl im letzten als auch in diesem Jahr gab es und gibt es viele Gründe, die Ereignisse vor 25 Jahren zu feiern. Wir säßen hier heute kaum so zusammen – schon gar nicht in dieser Zusammensetzung –, wenn die friedlichen Revolutionäre die Diktatur nicht hinweggefegt und die Mauer nicht niedergerissen hätten. Sie haben die deutsche Einheit erst wirklich möglich gemacht.

[Allgemeiner Beifall]

Mich als Sozialdemokratin haben im vergangen Jahr besonders meine Gespräche mit denjenigen bewegt, die unter hohem Risiko neue und unabhängige Parteien wie die SPD oder die Bündnisgrünen ins Leben gerufen haben.

Aber bei allem Grund zur Freude über Mauerfall und Wiedervereinigung wird auch dieser Tage klar, dass wir beim Thema Aufklärung und Aufarbeitung noch lange nicht am Ende sind. „Aufklärung hat kein Verfallsdatum“, hat Roland Jahn kürzlich gesagt. Die Opfer der DDR-Diktatur und ihre Angehörigen erwarten von uns, dass ihnen Gerechtigkeit wiederfährt und dass wir uns dieser Aufgabe stellen. Es geht dabei nicht zuletzt – und vielleicht sogar gerade – darum, dieses Kapitel der Geschichte an nächste Generationen weiterzugeben. Schon meine jüngeren Geschwister haben keine Eigenerinnerungen mehr an die DDR, diejenigen, die kurz nach der Wiedervereinigung geboren worden sind, sind jetzt erwachsen.

Begleitung und Beratung der Betroffenen, politischhistorische Aufarbeitung des DDR-Unrechts und politische Bildung nicht nur der Nachgeborenen, dafür möchte ich Ihnen, Herr Gutzeit, stellvertretend für alle, die in den vergangenen Jahrzehnten genau daran mit ihrer Behörde gearbeitet haben, herzlich danken!

[Allgemeiner Beifall]

Auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung stellen Menschen Anträge auf Einsicht in die eigenen StasiUnterlagen. Die Anzahl der Anträge steigt sogar wieder. In Berlin waren es im vergangenen Jahr fast 20 000 Menschen, die ihre persönliche Akte einsehen wollten, über die Hälfte davon zum ersten Mal. Nicht nur diese Zahlen zeigen, dass es nach wie vor großen Bedarf nach persönlicher und historischer Aufarbeitung des DDR-Unrechts gibt. Nicht wenige Menschen sind erst jetzt so weit, nach 25 Jahren, sich dem, was damals passiert ist, zu stellen. Viele der Betroffenen können erst jetzt über das sprechen, was sie erlebt haben. In jüngster Zeit melden sich

vermehrt die Kinder und Enkel beim Beauftragten, weil sie wissen möchten, was ihren Eltern und Großeltern, was ihren Familien widerfahren ist. Die Vergangenheit ist noch nicht vorbei, sie ist noch nicht einmal vergangen.

Das zeigen uns auch ganz eindringlich die Ergebnisse der Studie „Haftzwangsarbeit im DDR-Strafvollzug“ des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam, die die Ost-Beauftragte der Bundesregierung in Auftrag gegeben hat. Massenhaft wurden politische Häftlinge in der DDR unter Zwang als billige Arbeitskräfte eingesetzt und ausgebeutet. Sie wurden eingesetzt, um Möbel und Sofas, Strumpfhosen und Bettwäsche, Küchenherde und Kühlschränke, Fernseher, Werkzeugkästen und Zement herzustellen. Sie mussten harte, körperliche Arbeit verrichten, auch wenn sie nicht dafür geeignet waren. Sie hatten keinen Anspruch auf Urlaub und waren entgegen der offiziellen DDR-Gesetzgebung Zivilarbeitern keinesfalls gleichgestellt. Dabei ging es nicht nur um Straf- oder Erziehungsaspekte. Die Produktivität dieser Häftlinge stellt eine feste Plangröße in der DDR-Wirtschaft dar. IKEA ist da alles andere als ein Einzelfall.

Die Unternehmen, die davon profitiert haben, fordere ich auf, sich uneingeschränkt und am besten aus eigener Initiative an einer lückenlosen Aufklärung und Aufarbeitung zu beteiligen.

[Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der LINKEN]

Ich wünsche mir, dass die heutigen Verantwortlichen erkennen, dass genau das in ihrer Verantwortung liegt. Die Deutsche Bahn ist da schon vorangegangen, aber auch Galeria Kaufhof hat sich zu dieser Verpflichtung bekannt. Ich freue mich, dass die Ost-Beauftragte, Iris Gleicke, eine weitere Studie zur Zwangsarbeit in Einrichtungen der DDR-Jugendhilfe und den Jugendwerkhöfen in Auftrag gegeben hat. Nach wie vor ist auch hier das volle Ausmaß von Ausbeutung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht ausreichend geklärt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schauen Sie in den Bericht und lesen Sie selbst nach, was damals gerade auch sehr jungen Menschen angetan worden ist und worunter sie auch heute noch leiden. Es ist abzusehen, dass sich durch die neuen Forschungsergebnisse für viele Betroffene neue Fragen stellen. All denen, die den Mut und die Kraft aufbringen, über ihr Schicksal zu sprechen und dem Unrecht, was ihnen widerfahren ist, auf den Grund zu gehen, muss unser gemeinsamer Respekt gelten. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank, Frau Kollegin Dr. West! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Otto. – Sie haben das Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Gutzeit, herzlich willkommen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer heute die Zeitung aufgeschlagen hat, hat gesehen, dass Lenin wieder da ist. Aber nicht der Lenin, sondern nur ein Kopf, ein Betonkopf könnte man fast sagen. Warum kann man heute Lenin ausgraben und nach Spandau in die Festung überführen? Das hat zwei Gründe. Einmal den, dass wir gelassener mit den Denkmälern der DDR-Geschichte umgehen können, und zum Zweiten, das ist sicher der wichtigere Grund, dass wir uns inzwischen alle einig sind, dass Lenin mit der Oktoberrevolution ein Unterdrückungsregime abgelöst und durch ein anderes ersetzt hat. Darüber sind wir uns einig, und das ist, glaube ich, wichtig.

[Beifall bei den GRÜNEN und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Herr Gutzeit! In Ihrem Bericht haben wir lesen können – in den anderen Jahren ist es so ähnlich gewesen, deshalb liest man es ein bisschen genauer und guckt, was sich geändert hat –, wie wichtig die juristische Unterstützung für Menschen ist, die etwa eine Opferrente beantragen wollen, wie wichtig diese Unterstützung bei Gerichtsverfahren ist, weil es auch heute noch Richter gibt, die sich nicht hineinversetzen können in die Diktaturerfahrung. Woher sollen die es auch wissen? Wir wissen, wie wichtig Ihre Bildungsarbeit ist. Sie gehen in Schulen, Sie verbreiten Schriften, Sie lassen Menschen Studien machen über das Leben, über den Alltag, aber immer auch über das Herrschaftssystem in der DDR. Und Sie übernehmen die psychosoziale Betreuung von Menschen, die Haftopfer sind oder andere Nachteile und Drangsalierungen in der DDR erlitten haben. All das ist eine ganz wichtige Arbeit. Ich bin sehr froh, dass Sie die machen, und darf Ihnen im Namen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sagen, dass wir Ihnen dafür sehr dankbar sind.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Wenn man auf die historische Aufarbeitung guckt, ist immer die Frage, wo die passiert und welche Werkzeuge und Mittel es dazu überhaupt gibt. Ich will heute einmal etwas zu ein paar Orten sagen. Da fällt mir zuerst das Humboldt-Forum ein. Der Regierende Bürgermeister möchte dort die Geschichte Berlins präsentieren, und ich wünsche mir, dass dabei die Geschichte Ostberlins und die Geschichte der friedlichen Revolution neben der Geschichte Westberlins als Mauerstadt eine ganz herausgehobene Rolle spielt. Das wollte ich Ihnen heute ans Herz legen, Herr Müller!

(Dr. Clara West)

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Dr. Uwe Lehmann-Brauns (CDU)]

Der zweite Ort ist die Keibelstraße. Die Keibelstraße, ehemalige Polizeihaftanstalt, dafür gibt es inzwischen ein Konzept, da soll etwas passieren, da soll ein Ausstellungsort sein. Da ist der Schwerpunkt der 17. Juni 1953. Dabei hat die Keibelstraße eine ganz böse, wichtige Rolle gespielt, weil dort Leute inhaftiert, festgenommen und misshandelt worden sind, die sich am 17. Juni 1953 in Berlin auf der Karl-Marx-Allee oder gleich hier um die Ecke an der Leipziger Straße für Freiheit und auch für höhere Löhne eingesetzt haben. Das muss in der Keibelstraße ganz deutlich präsentiert werden.