Danke schön, Frau Kollegin Lange! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat Kollegin Bangert das Wort. – Bitte sehr!
Kollegin Lange! Das spricht nicht für eine Regierungsfähigkeit, die Worte, die Sie gerade gesprochen haben.
[Martin Delius (PIRATEN): Aber ehrlich! – Torsten Schneider (SPD): Das sagt ja die richtige! So ein Quatsch!]
Deshalb danken wir den Piraten, dass sie die Initiative ergriffen haben, die die SPD letztes Mal schon angekündigt hat
denn der Antrag der Piraten eröffnet uns die Möglichkeit, sich aus heutiger Sicht offen und kritisch damit auseinanderzusetzen, unter welchen Umständen und mit welchen Begründungen Menschen auf die Ehrenbürgerliste Berlins gelangt sind.
Wofür steht diese Liste? – Das Ehrenbürgerrecht ist die bedeutendste Auszeichnung Berlins. Sie kommt Persönlichkeiten zugute, die sich in hervorragender Weise um unsere Stadt verdient gemacht haben. 118 Personen tra
gen derzeit den Titel „Ehrenbürger Berlins“. Und seit 1813 werden die Personen schon ausgewählt. Es ist schon eine lange Zeit, also seit über 100 Jahren.
Aber es ist auch Fakt, dass diese Ehrenbürger Berlins in unterschiedlichen politischen Systemen und mit eigenen Interpretationen von Verdiensten ernannt wurden. 1948 erfolgte eine kritische Auseinandersetzung, und fünf Ehrenbürger wurden aus der Liste gestrichen, darunter Adolf Hitler, Göring und Goebbels.
Auch nach der Wiedervereinigung Deutschlands musste entschieden werden, wie mit den in Ostberlin ernannten Ehrenbürgern bei einer gesamtstädtischen Berliner Ehrenbürgerliste verfahren wird. Das war Anfang der Neunzigerjahre. Da gab es etliche Streichungen. Es gab auch einen Menschen, der wieder aufgenommen wurde, nachdem er gestrichen wurde, Bersarin, der erste sowjetische Stadtkommandant in Berlin.
Heute, 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, sollten wir innehalten und hinterfragen, wie es um die Bewertung dieser geehrten Verdienste steht. Wie dringend eine Reflexion notwendig ist, hat die kürzlich in diesem Haus geführte Debatte um die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde Paul von Hindenburgs gezeigt. Die historische und politikwissenschaftliche Forschung hat sich seit 1948 erheblich weiterentwickelt. Das wird in diesem Haus niemand bestreiten. 70 Jahre nach Ende der Nazi-Herrschaft ist es Zeit, unter Berücksichtigung wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse eine Neubewertung bzw. Prüfung der Ehrenbürgerliste Berlins vorzunehmen.
Da es bei der Ehrenbürgerliste aber um mehr als eine historische Einordnung der Verdienste geht, denn wir vergeben die Würde an auch noch lebende Persönlichkeiten, reicht uns das Ansinnen der Piraten nicht aus, die Kommission zur Prüfung der Liste lediglich aus Historikern zu besetzen und nur nach neuesten historischen Erkenntnissen zu prüfen.
Außerdem, liebe Piraten, die Hälfte der Menschheit ist auch weiblich, also wir wollen nicht nur Historiker,
Wir schlagen die Berufung einer unabhängigen Expertinnen-/Expertenkommission vor, die neben Historikern und Historikerinnen mit Politologinnen/Politologen und
Kulturwissenschaftlerinnen/-wissenschaftlern besetzt ist und die mit einer wissenschaftlich fundierten Begutachtung beauftragt wird. Meine Damen und Herren von CDU und SPD! Es ist legitim und längst überfällig, dass eine solche Debatte geführt wird. Wir sollten diese Prüfung jetzt dringend vornehmen.
Vor zwei Wochen, am 24. April, wurde dem Gründungsdirektor des Jüdischen Museums in Berlin Michael Blumenthal die Berliner Ehrenbürgerwürde verliehen. Blumenthals Vater war im Laufe der Novemberpogrome 1938 für mehrere Monate im Konzentrationslager Buchenwald interniert. Im Frühjahr 1939 flüchteten Michael Blumenthal und seine Familie aus Deutschland nach Schanghai und emigrierten dann 1947 in die USA. Daran erinnerte Blumenthal in seiner ebenso beeindruckenden wie berührenden Dankesrede anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde. Er sagte, er sei selbst jahrelang überzeugt gewesen, dass ihn nichts mehr mit seiner Heimatstadt verbinde oder je wieder verbinden könne, er, der einst ausgebürgert wurde und aus Berlin fliehen musste.
Als Gründungsdirektor des Jüdischen Museums ist Michael Blumenthal nach Berlin zurückgekehrt. Diese Zeit bezeichnet Blumenthal heute als die reichste und befriedigendste Zeit seines Lebens. Möglich war dieses Projekt für ihn nur – ich zitiere Michael Blumenthal –, „weil es eben in Berlin war, in diesem neuen, toleranten und schönen Berlin des 21. Jahrhunderts“. Genau das ist der Punkt. Mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Michael Blumenthal steht dieses neue, tolerante und schöne Berlin des 21. Jahrhunderts, also wir alle, in der Pflicht zu prüfen, ob historisch bedingte Entscheidungen zur Verleihung von Ehrenbürgerwürde unseren heutigen demokratischen Standards noch standhalten können.
Wir müssen den Mut haben, die Liste zu überprüfen und ggf. auch zu korrigieren. Michael Blumenthal ist in der Folge der Machtergreifung Hitlers aus Deutschland geflohen. Paul von Hindenburg hat entscheidend dazu beigetragen, dass Blumenthal und seine Familie in Deutschland nicht mehr sicher waren. Ich finde es politisch unverantwortlich und unerträglich, dass Blumenthal und Hindenburg nun gemeinsam auf der Ehrenbürgerliste Berlins stehen. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Frau Bangert! – Für die CDU-Fraktion erhält der Kollege Dr. Lehmann-Brauns das Wort. – Bitte sehr!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist kaum einen Monat her, dass wir über Hindenburg gestritten haben, kein einfaches Thema, aber in Abwägung seiner Verdienste um die Weimarer Republik gegen seinen Fehlgriff am Ende hat die Koalition den Antrag der Linken abgelehnt. Nun also dieser Antrag, der eine Revision der Ehrenbürger der vergangenen zwei Jahrhunderte verlangt!
Herr Magalski! Ich schätze Ihren differenzierenden Umgang mit der eigenen Oppositionsrolle. Anders als der Njet-Block der Linken,
die ohne Rücksicht auf die Kompliziertheit historischer Sachverhalte nur immer ihre rote Messlatte anlegen,
versucht Herr Magalski zu differenzieren, und das achte ich, aber diesem Antrag können wir, jedenfalls meine Fraktion, dennoch nicht zustimmen.
Dass Sie sich die Revision der Liste der 117 Ehrenbürger aus mehreren Jahrhunderten nicht selbst zutrauen, das ehrt Sie. Dass es eine Historikerkommission richten soll, ist aber naiv, denn offensichtlich halten Sie die Gilde der Historiker für gleichgesinnt, für gleichgestimmt, aus demselben geschichtspolitischen Holz geschnitzt, aus den gleichen Quellen schöpfend. Das ist aber leider nicht so.
Unsere Zeit ist voller Historikerkontroversen. Das ist schon gesagt worden. Nehmen Sie Bismarck, dessen 200. Geburtstag wir gerade begehen! Seine Bewertung ist höchst kontrovers. Die Historiker sind sich keinesfalls einig, ähnlich wie wir Politiker. Ich bin sicher, wenn Die Linke könnte wie zu ihrer DDR-Zeit, dann würde sie Bismarck von der Liste streichen, Moltke gleich mit, den General Clay, natürlich auch Wolf Biermann. Herr Brauer! Frau Hiller! Habe ich nicht recht?
Sagen Sie, Herr Lehmann-Brauns, da Sie ja immer so geschichtskennerisch und oberlehrerhaft auftreten, ist Ihnen eigentlich bewusst, dass die beste BismarckBiografie, die in Deutschland jemals erschienen ist, von Ernst Engelberg geschrieben wurde und nicht nur in der DDR erschienen ist, sondern danach in Lizenz auch in Westdeutschland aufgelegt wurde?
Mir ist sehr wohl bewusst, dass Herr Engelberg diese Geschichte geschrieben hat. Ich habe sie sogar zur DDRZeit gelesen, verehrter Herr Lederer! Ich weiß nicht, wo Sie damals steckten.
Ich weiß nur eines – dass es das Prädikat „der beste“ und „der zweitbeste“ bei Historikern nicht gibt.