Man sollte meinen, wenn der Regierende eine Regierungserklärung abgibt, sollte so etwas wie Spannung aufkommen, Aufbruchstimmung, neue Ideen, neue Ziele.
Aber nichts, gar nichts, komplette Fehlanzeige! Ihnen ist der Laden ja auch schon nach zwölf Tagen um die Ohren geflogen, Respekt! Das ist reif für das Guinness-Buch der Rekorde, das hat vorher noch keiner geschafft!
Deshalb klingt alles, was Sie heute, mehr als vier Wochen später, zu sagen haben, eher langweilig. Es ist ein bisschen wie bei der S-Bahn: Verspätung, Ausfall und keine Auskunft. Nach nur zwölf Tagen musste der erste Senator Ihrer Regierung zurücktreten. Herr Wowereit! Michael Braun von der CDU, am 1. Dezember ernannt, als oberster Verbraucherschützer die absolute Fehlbesetzung. Absolute Fehlbesetzung, weil er als Notar Verträge über Schrottimmobilien beglaubigt hat, die Menschen ins Unglück gestürzt haben, weil er Verbraucherinnen und Verbraucher nicht geschützt hat, sondern von ihrer Unwissenheit auch noch profitiert hat. Sie, Herr Regierender Bürgermeister, haben dazu nicht sehr viel gesagt, auch hier im Parlament nicht. Klaus Lederer hatte Ihnen in der letzten Fragestunde im Dezember eine Brücke gebaut. Sie hätten zeigen können, dass Sie es mit dem Mentalitätswechsel in der Stadt immer noch ernst meinen. Das haben Sie aber nicht.
Ich will gar nicht über die 1990er-Jahre reden, es genügt das Hier und Heute. Gerade in der Auseinandersetzung um Michael Braun hat die CDU eindrucksvoll unter Beweis gestellt, welche moralischen Maßstäbe sie in der Politik anlegt. Sie, Herr Henkel, sind zwar dafür bekannt, dass Sie jeden Taschendieb gerne mit größtmöglicher Härte verfolgen wollen, Null-Toleranz-Politik, das ist Ihnen sehr nah. Hingegen auf Distanz zu gehen zu zwielichtigen Geschäften und ihren Machern, das wollen oder können Sie nicht!
Michael Braun steht noch immer der CDU SteglitzZehlendorf vor, Sie stärken ihm immer noch den Rücken. Frau Seibeld – sie ist leider nicht im Raum –, Sie haben den Vogel abgeschossen, als Sie bei seinem Rücktritt noch die beleidigte Leberwurst gespielt haben: Die Stadt war so böse zu uns, und die Presse erst! Der arme Herr Braun! Wissen Sie was? – Wenn jemand für zwölf Tage im Amt auch noch gut 50 000 Euro vom Berliner Steuerzahler kassieren will, nenne ich das eine bodenlose Frechheit!
Da sagen Sie: Das Senatorengesetz ist so! – Das sehen wir ganz anders. Wir haben auch einen Antrag dazu eingebracht. Darüber wird nachher noch gesprochen. Der Senat muss das Gesetz nur korrekt anwenden, dann würde gar kein Geld fließen. Herr Braun ist nicht etwa überraschend vom Regierenden Bürgermeister hinausgeworfen worden, nein, das hat Klaus Wowereit nicht gemacht,
Herr Braun hat den Regierenden Bürgermeister um Entlassung gebeten. Er ist zurückgetreten. Dafür hat das Senatorengesetz zu Recht kein Übergangsgeld vorgesehen. Das ist auch richtig so. Das sehen auch renommierte Verfassungsrechtler so, und daran sollte sich der Senat halten.
Herr Braun lässt überhaupt keinen Zweifel daran, dass ihm die 50 000 Euro zustehen. Hätten Sie nur einen Funken Anstand, Herr Braun – aber er ist auch gerade nicht im Saal –, Sie würden es nicht nehmen.
Keine Sorge, ich möchte jetzt nicht auch noch über den Bundespräsidenten reden. Jeder, der will, kann sehen, wie es mit den bürgerlichen Parteien in Deutschland aussieht. Ich will über Politik in Berlin reden. Diese Stadt will keine Zustände mehr wie in den 1990-er Jahren als mit Schwarz-Rot Filz und Vetternwirtschaft regierten, Wasser privatisiert wurde, mit Folgen, die wir immer noch alle bezahlen, oder, wie die Koalitionspartner in solch einer Situation miteinander umgehen. Auch darüber haben Sie uns in den ersten Wochen Ihrer Regierungszeit ein interessantes Bild vermittelt. So viel Schadenfreude und Häme in Sachen Braun waren zu hören, selbstverständlich anonym sind die Mitglieder der neuen Koalition übereinander hergezogen.
Herr Wowereit! Herr Henkel! Sie haben kein gemeinsames politisches Projekt. Sie haben einen kapitalen Fehlstart hingelegt, und dann können sich die beiden Regierungsfraktionen noch nicht einmal leiden. Sie gönnen sich ja noch nicht einmal selbst die üblichen 100 Tage Schonfrist, weshalb sollten wir es dann tun?
Immerhin haben Sie jetzt einen Nachfolger für Herrn Braun gefunden. Aber weshalb Herr Heilmann ausgerechnet für dieses Ressort? Weil er als Werbeprofi am besten weiß, wie man Verbrauchern etwas vormachen kann?
Apropos Parteibuchbesetzung: Noch im Wahlkampf schimpfte Frank Henkel über den auch von uns abgelehnten, aber von der SPD dringend gewollten Polizeipräsidentenkandidaten. Hauptkritikpunkt dabei war: SPDParteibuch. Das wäre aus unserer Sicht noch das geringste Problem. Innensenator Henkel hat nun bekannt gegeben, dass der Polizeipräsident eventuell ganz ohne Ausschreibung direkt vom Innensenator ernannt werden soll. Die SPD reagierte darauf anfangs zunächst einmal irritiert. Inzwischen ist sie aber bereit, nicht nur Herrn Hansen zu opfern, sondern gleich auch noch das gesamte transparente Verfahren. Herr Henkel hat nun die Ausnahmegenehmigung beantragt. Ich hoffe, Personalrat und Gleichstellungsbeauftragte machen das nicht mit, denn sonst gibt es vermutlich die Besetzung nach CDUParteibuch. Es stimmt eben doch: Wenn CDU und SPD zusammen regieren, dann ist es vorbei mit transparenten Verfahren, dann herrscht Kungelwirtschaft.
Herr Henkel! Es gibt nur eine Möglichkeit zur Klärung: Brechen Sie das alte Ausschreibungsverfahren ab und starten Sie ein neues. Das ist die einzig saubere Lösung.
Die Zeitungen haben es geschrieben, wir haben es gesagt – dafür gibt es auch kein anderes Wort: Was SPD und CDU seit November vorigen Jahres hingelegt haben, war ein kapitaler Fehlstart. Da können Sie heute so tun, als seien Sie inzwischen in die Gänge gekommen, die Wahrheit ist: Sie werden nicht viel bewegen. Rot-Schwarz ist eine Koalition des Stillstands und der Blockade. Stillstand bedeutet bekanntlich Rückschritt.
Politik findet bei Ihnen nicht mehr statt. Außer der Freude beim Postenbesetzen – Frau Pop hat bereits darauf hingewiesen. Es gibt jetzt 23 Staatssekretäre bei neun Senatoren. Was sollen die Senatoren eigentlich noch arbeiten? –, hält diese Koalition überhaupt nichts zusammen. Erkennbar war dies schon beim Koalitionsvertrag. Mit den heute vorgestellten Richtlinien zur Regierungspolitik haben Sie es unterstrichen. Was Sie Berlin bieten, Herr Regierender Bürgermeister, das ist ein Zeugnis der Bequemlichkeit und des Plagiats. Sie ruhen sich auf dem aus, was Rot-Rot auf den Weg gebracht hat, und das meiste Gehirnschmalz haben Sie offensichtlich darauf verwendet, alternative Begriffe für das Wort „fortsetzen“ zu finden.
[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN) – Michael Schäfer (GRÜNE): Was aber auch nicht gut für Rot-Rot ist, was Sie da sagen!]
Na ja, nun macht es uns nicht unglücklich, lieber Herr Schäfer, dass vieles von dem, was die Linke in den letz
ten Jahren in Berlin politisch vertreten und umgesetzt hat, in der Stadt inzwischen von so breiten Mehrheiten getragen wird,
dass selbst die CDU ihre frühere Kritik kleinlaut einkassieren musste. Ich denke da an das Unterrichtsfach Ethik, das von der CDU jahrelang ideologisch bekämpft worden ist,
oder die unter Rot-Rot beschlossene Schulstrukturreform, die mit der Einführung der Gemeinschafts- und Sekundarschule und der gleichzeitigen Abschaffung der Haupt- und Realschulen den Ausstieg aus dem selektiven und unsozialen Schulsystem in die Wege geleitet hat.
Die wird mittlerweile breit akzeptiert. Da werden wir allerdings aufpassen müssen, dass diese Reform auch erfolgreich umgesetzt wird.
Herr Regierender Bürgermeister! Sie sagen, Sekundarschulen und Gymnasien werden gleich behandelt. Allein, uns fehlt der Glaube.
In den Richtlinien zur Regierungspolitik, die Sie uns vorgelegt haben, steht ein anderer Satz. Wir wollen nicht, dass Gymnasien bevorzugt werden, wie es darin intendiert wird. Das würde nämlich bedeuten, dass ein Teil der Sekundarschulen dann wieder zur Restschule würde und damit die neuen Chancen, die gerade Kinder aus einkommensschwachen und bildungsfernen Familien bekommen haben, wieder zunichte gemacht würden. Zur weiteren Unterstützung von Gemeinschaftsschulen findet sich in Ihren Richtlinien bedauerlicherweise gar nichts. Sie können sich darauf verlassen: Wir werden weiter für die Gemeinschaftsschulen kämpfen.
Auch in der Wirtschaftspolitik – Schaufenster Elektromobilität, Masterplan Industrie, Zukunftsorte und Entwicklung Tegel – finden sich alles Dinge, die schon unter Rot-Rot Produktionsreife erlangt hatten. Sie werden künftig sicher nicht daran vorbeikommen, dass es ein linker Senator gewesen ist, der die Stadt in den vergangenen zehn Jahren wirtschaftspolitisch gut aufgestellt hat.
Kurz vor Weihnachten hat Berlin Partner ihre erfolgreiche Ansiedlungsbilanz präsentiert. Das ist auch ein Verdienst von Harald Wolf.
Rot-rote Wirtschaftspolitik konsequent ausgerichtet auf Zukunftsfelder hat für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung gesorgt. Jetzt, Herr Schäfer, setzt die Kritik ein: Nicht, dass Rot-Schwarz das fortsetzen will, sondern dass sie sich keine Ziele dabei setzen. Nicht ohne Grund haben wir im Wahlkampf von 150 000 neuen Arbeitsplätzen gesprochen, die in den kommenden Jahren entstehen können. Bei der neuen Koalition dagegen gibt es keine Zielvorgabe. Es fällt schon auf, dass SPD und CDU an vielen Stellen so vage bleiben. Ich kann es nur wiederholen: Sie wollen offensichtlich gar nichts Neues oder Eigenes ausprobieren.
Besonders dort, wo jetzt Weichenstellungen nötig sind, heißt es bei Ihnen: prüfen, prüfen, prüfen. Ein Prüfauftrag ist in Koalitionsverträgen der Tod des Machbaren. Allein in den sechs kurzen Absätzen zur öffentlichen Daseinsvorsorge taucht das Wort dreimal auf. Wir brauchen jetzt aber Entscheidungen. Es geht darum, was man künftig für Strom, Fernwärme und Wasser zahlen muss. Als das Bundeskartellamt die Wasserbetriebe wegen überhöhter Preise abgemahnt hat, haben Sie nicht gesagt, welchen Weg Sie gehen wollen. Die Aussagen des Koalitionsvertrages zu den Berliner Wasserbetrieben sind auch vage und unkonkret. Ich fürchte, dass Sie den Druck des Kartellamtes nicht an die Privaten weitergeben werden, ich fürchte, dass die Rekommunalisierung der privaten Anteile den schleichenden Tod durch Prüfauftrag stirbt. Und was das Allerschlimmste ist: Die durch das Kartellamt erzwungene Preissenkung wird von Ihnen vermutlich einseitig auf Kosten der Steuerzahlerinnen und -zahler umgesetzt. Das ist ein Skandal!