„Friede, Freude, große Koalition“, titelte die „BZ“ am 22. November. Das war wohl etwas voreilig. Bereits bei der Wahl des Regierenden Bürgermeisters fehlten min
destens zwei Stimmen. Die angeblich unsicheren Kantonisten von den Grünen können es nicht gewesen sein.
Die folgende Senatorensuche gestaltete sich etwas mühselig. Der „Tagesspiegel“ schrieb gar von der „Senatsreserve“. Insbesondere der Zuschnitt der Ressorts sorgt bis heute für Kopfschütteln. Hier zeigte sich bereits, dass bei Rot und Schwarz Proporz und Macht vor Inhalten und Sinnhaftigkeit gehen.
Absurd ist die Trennung von Wissenschaft und Forschung, gegen die die gesamte Stadt Sturm lief. Aber wann hat sich Klaus Wowereit je von berechtigten Einwänden beeindrucken lassen? Eine vernünftige Erklärung für diese widersinnige Trennung gibt es bis heute nicht. Frau Scheeres hat aber zur Belohnung dafür einen weiteren Staatssekretär bekommen, der vermutlich diese Trennung die nächsten Monate wird koordinieren müssen.
Andere Ressortzuschnitte sind offensichtlich nur mit parteiinterner Logik von SPD oder auch CDU zu erklären. Michael Müller hat nun das alte Strieder-Superressort.
Damit haben Sie, Herr Müller, nahezu auch alle großen Probleme der Stadt zu lösen: vom Verkehr und der SBahn über die Stadtentwicklung mit Tegel und Tempelhof über die drängende soziale Frage der Mietentwicklung bis hin zum Umwelt- und Klimaschutz. Dass dabei wie eh und je bei den Sozialdemokraten der Umwelt- und Klimaschutz auf der Strecke bleiben, befürchten nicht nur wir. Es ist wohl bezeichnend, dass Sie bis heute keinen Staatssekretär dafür gefunden haben.
Und überhaupt die Staatssekretäre, deren Anzahl Sie um ein Viertel gewaltig erhöht haben: Man musste sich ja schon fragen, was man tun musste, um bei Ihnen nicht Staatssekretär zu werden.
Besonders absurd fand ich die Geschichte „aus eins mach drei“. Der arme Benjamin Hoff wundert sich vermutlich bis heute darüber, weil es im Vorgängersenat nur ihn als Staatssekretär für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz gab.
Jetzt gibt es einen Staatssekretär für Umwelt, einen Staatssekretär für Gesundheit und eine Staatssekretärin für Verbraucherschutz. Nun gut, das ist offensichtlich Rot-Schwarz-Logik und Unsinn.
Trauen Sie, Herr Wowereit, Ihren eigenen Leuten gar nichts zu, dass Sie die Verwaltung dermaßen aufgebläht haben? Oder kriegen wir jetzt die Regierung der Abteilungs- und Verwaltungsleiter?
Womit keiner so schnell gerechnet hätte, war, dass die große Koalition der 90er-Jahre mit ihrer unschönen Verquickung von Immobiliengeschäften und Politik so schnell wieder aufploppt in der Stadt, nicht einmal wir, die dieses Schreckgespenst im Wahlkampf wahrlich an jede Hauswand gemalt haben. Kaum im Amt, wurden die Vorwürfe gegen den neuen Justizsenator Michael Braun bekannt, er habe als sogenannter Mitternachtsnotar beim Verkauf von Schrottimmobilien mitgemacht. Er hat die Vorwürfe weder ausgeräumt noch sich in irgendeiner Art und Weise an der Aufklärung beteiligt. Er hat sogar im Parlament die Unwahrheit gesagt. Da war der Rücktritt das willkommene Ende einer würdelosen Darbietung. Wobei das ja gar kein richtiger Rücktritt war! Herr Braun kam in den Genuss der Entlassung und der damit verbundenen ordentlichen Übergangsgelder. Bei diesem unschönen Spiel mit der Entlassung haben Sie ganz vorne mitgespielt, Herr Wowereit, obwohl Sie sich sonst ja gerne wegducken, wenn es unschön wird.
Das hat es wahrlich noch nie gegeben, den ersten Ministerrücktritt noch vor der Regierungserklärung. Nicht einmal bis zu dieser Regierungserklärung hat Ihre versprochene Stabilität gehalten.
Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum man so lange suchen musste, um Thomas Heilmann zu finden. Er war doch wahrlich die ganze Zeit als CDU-Vize und als Mitverhandler des Koalitionsvertrags hier: Thomas Heilmann, der nicht Wirtschaftssenator werden wollte oder durfte. Und bei allem Respekt, Herr Heilmann, das sieht etwas nach Notlösung aus, aber respektabel, dass Sie sich das antun.
Meine Damen und Herren von der CDU! Ist Ihnen eigentlich schon aufgefallen, wer bei alldem auf der Regierungsseite am schlechtesten wegkommt? – Sie haben nach der gleichen Devise „Dabeisein ist alles“ wie die damalige PDS im Jahr 2001 gehandelt und haben einen Koalitionsvertrag in 90 Minuten auf Ihrem Parteitag abgenickt, der sehr nach SPD und ziemlich wenig nach CDU aussieht.
Vom Mindestlohn, dem Verzicht auf das Wahlpflichtfach Religion bis hin zum Drug-Checking hat die CDU alles unterschrieben, was gestern noch des Teufels gewesen ist.
Frank Henkel hat sogar das vermasselte Besetzungsverfahren für den Polizeipräsidenten geschluckt und schluckt noch schwer daran. Jetzt stehen Sie allein im Regen da.
Die Linksfraktion kann vermutlich ein Lied davon singen, wie Klaus Wowereit alles Gute und Schöne in einer Koalition für sich beansprucht und der Koalitionspartner für die Probleme und Pannen geradestehen muss.
Diese Koalition ist kein Modell für den Bund für 2013, diese Koalition ist ein Auslaufmodell, schon bereits zu Anfang. „Senat mit Bypässen“, kommentierte eine Berliner Tageszeitung. Nach diesen letzten Wochen fragen nicht nur wir, wie lange diese Bypässe wohl noch halten werden.
Herr Regierender Bürgermeister! Einiges, was Sie heute hier gesagt haben, teilen auch wir. Wenn Sie betonen, dass Berlin eine internationale, weltoffene und tolerante Stadt ist und bleiben soll, dann haben Sie uns auf Ihrer Seite. Ich möchte an unsere gemeinsame Erklärung „Rechtsextremistische Morde und Gewalttaten verurteilen“ vom 24. November erinnern. Die Morde und Anschläge der Gruppe des Nationalsozialistischen Untergrunds haben uns alle erschüttert. Die neuen Erkenntnisse der letzten Wochen erfüllen uns mit Sorge. Gerade bei Migrantinnen und Migranten herrscht eine große Unsicherheit. Sie fühlen sich nicht ausreichend geschützt. Meine Damen und Herren, Sie müssen in der Bekämp
fung des Rechtsextremismus den Koalitionsvertrag nacharbeiten. Die drei dürren Zeilen werden nicht ausreichen. Und jetzt sind Sie, Herr Wowereit, und auch Sie, Herr Henkel, in der Pflicht, das verlorene Vertrauen bei den Migrantinnen und Migranten zurückzugewinnen.
Man mag sich über die richtige Balance von Vision und Pragmatismus ja trefflich streiten, aber ohne eine Idee, ohne ein Leitbild kann eine Metropole wie Berlin nicht regiert werden, ohne Potenziale einzubüßen oder auf Mittelmaß zurechtgestutzt zu werden. Von Aufbruchsstimmung ist nichts zu spüren. Das konnten wir am Montag im „Tagesspiegel“ lesen. Daran hat sich auch heute nichts geändert.
Während Sie in Ihrer ersten Regierungserklärung noch den Mentalitätswechsel beschworen, Herr Wowereit, und in der zweiten die innere Einheit der Stadt, fehlt jetzt die Idee, der Anspruch dieser Regierung. Man muss ja auch gar nicht nach Baden-Württemberg schauen, was alles möglich ist. Geografisch näher und vielleicht auch Ihnen näher liegt Hamburg. Dort regiert Olaf Scholz. Ich möchte ihn kurz zitieren. Er sagte in seiner Regierungserklärung: