Protocol of the Session on January 29, 2015

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Innerhalb sehr kurzer Zeit reden wir jetzt in zweiter Runde im Plenum. Wir hatten die Zeit, über die Frage der Beschulung von Flüchtlingskindern im Ausschuss ausführlich zu sprechen. Insbesondere wichtig war der Bericht des Senats. Wenn ich alles zusammenfasse, stellt sich für mich das gleiche Bild dar, das wir am 11. Dezember gezeichnet haben. Wir stehen vor einer riesigen Herausforderung. Wir haben allein in den letzten zwei Jahren einen Anstieg von 300 Prozent an Kindern, die wir beschulen müssen. Allein in den letzten drei Monaten gab es ein Plus von 36 Prozent.

[Hakan Taş (LINKE): Das hätten Sie vorausplanen können!]

Das sage ich, um uns einfach noch einmal die Größe der Aufgabe vor Augen zu führen.

Wir haben gehört, dass sofort eine pädagogische Kraft zur Verfügung steht. Es gibt keine finanziellen Limits. Zum jetzigen Zeitpunkt – ich wiederhole es, weil ich es schon am 11. Dezember gesagt habe – können alle Kinder in Regelschulen beschult werden, außer dem Sonderfall in der Herzbergstraße. Auch da habe ich mich noch einmal ausführlich informiert. Das haben Sie schon beim letzten Mal so hochgezogen. Auch dort gibt es einen Plan. Es wurde eine Fabriketage angemeldet, wo eine Filiale der nächstgelegenen Schule einziehen soll, soweit es die Brandschutzbestimmungen hergeben. Wir hoffen, dass es bis zum 6. Februar geklärt werden kann. Falls der Brandschutz dort nicht gewährleistet werden kann, werden Busse eingesetzt werden. Auch an diesem Beispiel wird sehr deutlich, wo das Ziel liegt: die schnellstmög

liche Beschulung in Regelklassen. Daran arbeiten alle beteiligten Behörden. Es gibt eine ressortübergreifende Gruppe, die sich mit Hochdruck darum kümmert. Daran habe ich gar keinen Zweifel.

Frau Kittler! Die Information, die der Staatssekretär jetzt im Hauptausschuss und auch im Bildungsausschuss gegeben hat, kann einen wirklich beunruhigen. Was machen wir im Sommer, wenn die Regelschulen voll sind? Es gibt Grenzen, auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, sodass wir diesen idealen Zustand, den wir alle wollen, die Beschulung an den Regelschulen, vielleicht nicht herstellen können. Wir müssen uns damit befassen. Dann müssen wir auch andere Lösungen finden. Wir können die Frequenzen erhöhen. Wir können statt 12 oder 15 Schüler dann 20 Schüler in eine Klasse stecken. Dann wird der Bildungserfolg nicht größer sein. Wir können mobile Ersatzbauten anbauen.

[Hakan Taş (LINKE): Sagen Sie doch einmal etwas zu den Planungen, was Sie machen wollen!]

Aber es ist eine große Aufgabe. Es wird der Fall sein können, dass wir für eine bestimmte Zeit die ideale Lösung nicht erreichen können.

[Hakan Taş (LINKE): Welche Planungen haben Sie?]

Aber Politik ist die Kunst des Machbaren. Wir machen das Beste daraus.

[Hakan Taş (LINKE): Sagen Sie Konkretes!]

Ich brauche gar nicht darauf einzugehen. Ich glaube, dass die Zustandsbeschreibung von Bildungsarmut und Verantwortungslosigkeit, so, wie es hier besprochen wurde, einfach nicht zutrifft. Ich weise das zurück. Deshalb werden wir Ihren Antrag auch ablehnen.

[Beifall – Hakan Taş (LINKE): So verantwortungslos sind Sie!]

Vielen Dank, Frau Bentele! – Für die Piratenfraktion hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Reinhardt. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! – An die Koalitionsrednerin Frau Bentele und Herrn Oberg kann ich nur sagen: Sie haben einige Punkte genannt, warum Sie der Meinung sind, dass der Antrag in der Situation nicht notwendig ist. Das einzige Argument vom Kollegen Oberg war letztendlich: Alles ist gut, so wie es jetzt ist. Es muss sich nichts ändern. – Herr Kollege Oberg! Sie waren gestern nicht im Hauptausschuss, im Gegensatz zu mir. Sie haben offensichtlich die Beschreibung von Staatssekretär Rackles nicht mitbekommen.

[Zuruf von Lars Oberg (SPD)]

Sie haben nicht mitbekommen, dass das, was Sie behaupten, nämlich dass alle Kinder in Regelschulen unterrichtet werden, de facto nicht der Fall ist. Es wurde nämlich gestern beschrieben, dass es eben – wie Frau Kollegin Bentele auch feststellte – nicht der Fall ist.

Frau Kollegin Bentele! Sie haben versucht zu sagen, dass das Maximale getan wird. Die Frage ist ja: Ist die Linie der Koalition und des Senats in den letzten Monaten konstant? Wird das getan, was man zugesagt hat? – Und das ist eben leider nicht der Fall. Wir hatten im letzten Sommer die Situation, dass klar wurde, dass zusätzlich zu der eh schon prekären Flüchtlingsunterbringung noch sechs große neue Standorte in Randlagen eingerichtet werden, Großunterkünfte im Bereich von ungefähr 500 Plätzen. Da war doch klar, dass es ein Problem geben wird. Da war doch klar, dass man hier alle Hebel in Bewegung setzen muss. Da haben hier noch alle gesagt: Ja, die Kinder kommen in Regelschulen unter. Das werden wir hinkriegen.

Dann hieß es im Oktober im Bildungsausschuss schon in Richtung Herzbergstraße: In Lichtenberg gebe es schulisch keine Puffer mehr. Ohne die Herzbergstraße gebe es keine Kapazitäten. Die Situation würde eine Mischvariante erlauben, ggf. müsste man eine Liegenschaft im Gebäudebereich anmieten, um eine Beschulung der Kinder sicherzustellen. Die nächste Schule sei eine Sonderschule. Man habe SenGesSoz gebeten, modulare Ergänzungsbauten bei einer Schule zu errichten. – Das ist aber nicht passiert. Es sind keine modularen Ergänzungsbauten. Was wir gestern berichtet bekommen haben, ist eine Fabriketage. Sie können mir doch nicht ernsthaft erklären, dass es das Gleiche ist, ob ich modulare Ergänzungsbauten bei einer Schule errichte oder irgendwo an einem anderen Standort eine Fabriketage anmiete. Das können Sie mir nicht erzählen, dass das das Gleiche ist und Sie den Unterschied nicht erkennen können.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN und den GRÜNEN]

Und dann – ganz wichtig – wird die ganze Zeit behauptet, es würde sich um ein Provisorium handeln. Im Plenum am 11. Dezember haben die Koalitionsfraktionen noch darauf hingewiesen, dass Willkommensklassen in Gemeinschaftsunterkünften als temporäre Provisorien besser seien als gar kein Unterricht. Das kann ja wirklich nur als eine Bankrotterklärung des Schulsystems in Berlin gesehen werden, das – gemessen an der Aussage der Koalitionsfraktionen – nicht in der Lage ist, allen schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen gemäß § 2 des Schulgesetzes das Recht auf den Besuch einer Schule zu gewähren. Im Fachausschuss ist die Koalition dann zurückgerudert und hat sich der Haltung der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft angeschlossen, dass natürlich die Regelbeschulung notwendig ist.

(Hildegard Bentele)

Aber die Frage ist doch: Was soll denn das sein, ein Provisorium? – Das soll doch provisorisch sein. Wir haben aber jetzt schon erlebt, wie alle Provisorien inklusive absolut abrisspflichtiger Unterkünfte, die wir in Berlin haben, immer weiter betrieben werden.

[Canan Bayram (GRÜNE): Ja, genau!]

Ich erinnere an die Motardstraße in Berlin-Spandau, wo sich hier alle einig sind, dass das Ding – das sind auch Containerbauten – sofort abgerissen gehört. Trotzdem ist auch dieses Provisorium seit über einem Jahrzehnt im Einsatz. Von welcher Dauer reden wir denn konkret, wenn wir den Begriff „provisorisch“ benutzen? Die Schülerinnen- und Schülerzahlen steigen, und es ist auf absehbare Zeit nicht zu sehen, dass aus dem Nichts irgendwelche Schulplätze entstehen. Berlin braucht Lösungen, aber kurz- und mittelfristig sind diese Lösungen nicht zu sehen. Das heißt, auch diese Provisorien werden in absehbarer Zeit nicht behoben werden.

Und wenn wir über andere Standorte reden und nicht nur über Lichtenberg, dann sehen wir die gleichen Probleme. Die wird es auch an den anderen Standorten geben. Wir haben Marzahn. Wir haben den Appell von Bezirksbürgermeister Komoß, der sagt, er kriegt die 95 Kinder, die an die staatlichen Schulen gehen und in den dort eingerichteten Deutschlerngruppen sind, gerade noch so unter, doch angesichts des geplanten Containerheims in Marzahn warnt der Bürgermeister, und er sagt: Sagen wir mal, es kämen noch 150 Kinder dazu, das wäre nicht leistbar, gut möglich, dass wir dann Klassen in Heimen unterrichten müssen – so Komoß.

Genau das ist die Situation. Wir hatten uns hier eigentlich schon darauf geeinigt, dass es eine Regelbeschulung geben soll. Jetzt kommen Sie und erklären uns, dass die Unterbringung und Beschulung in einer Fabriketage doch quasi das Gleiche sei, erklären das zu einem Provisorium, von dem überhaupt nicht klar ist, wie lange das jetzt dauern soll,

[Zuruf von Hildegard Bentele (CDU)]

und erklären dann noch hier, dass ja die Realität so wunderbar sei, dass man diesen Antrag nicht brauche, weil der letztendlich nur das fordere, was es schon gebe. Das tut er aber nicht, er fordert das, was sein sollte, aber momentan nicht die Situation ist.

[Zuruf von Lars Oberg (SPD)]

Genau! Der Antrag fordert die Einhaltung von Maßstäben, bei denen wir uns alle einig sein sollten, dass sie hier gelten, die aber leider nicht gelten. Das ist die Situation, und der müssen wir uns hier stellen. Ob Sie den Antrag annehmen oder nicht, sei Ihnen überlassen, aber ändern Sie es und sorgen Sie dafür, dass die Kinder in ganz normale Schulen gehen, dass sie dort Freundschaften schließen können, dass sie dort in den ganz normalen Unterricht gehen können wie alle anderen Kinder auch! – Danke schön!

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank, Herr Reinhardt! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Zu dem Antrag Drucksache 17/2002 empfiehlt der Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie mehrheitlich – gegen die Oppositionsfraktionen – die Ablehnung auch mit Änderungen. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind Grüne, Linke und Piraten. Gegenstimmen? – Das sind SPD, CDU und der fraktionslose Abgeordnete. Enthaltungen? – Ich sehe keine Enthaltungen. Damit ist dieser Antrag abgelehnt.

Tagesordnungspunkt 7 steht auf der Konsensliste. Tagesordnungspunkt 8 war Priorität der Fraktion der SPD unter Nr. 3.4. Tagesordnungspunkt 9 war Priorität der Piratenfraktion unter Nr. 3.3. Tagesordnungspunkt 10 steht wiederum auf der Konsensliste.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 11:

Zusammenstellung der vom Senat vorgelegten Rechtsverordnungen

Vorlage – zur Kenntnisnahme – gemäß Artikel 64 Absatz 3 der Verfassung von Berlin Drucksache 17/2060

Von der Verordnung hat das Haus hiermit Kenntnis genommen.

Tagesordnungspunkt 12 war Priorität der Fraktion der SPD unter Nr. 3.4.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 13:

Bundesratsinitiative zur Einführung des Verbandsklagerechtes für anerkannte Tierschutzverbände

Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, der Fraktion Die Linke und der Piratenfraktion Drucksache 17/2044

In der Beratung beginnt die Piratenfraktion. Das Wort hat Herr Abgeordneter Kowalewski. – Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Wir reden heute über einen Antrag, dass Berlin sich im Bundesrat dafür einsetzen wolle, dass es ein bundesweites Recht für anerkannte Organisationen gibt, um gegen Tierschutzverstöße rechtlich vorzugehen.

(Fabio Reinhardt)

Der Tierschutz, der von Anfang an in der Berliner Verfassung von 1995 als Staatsziel definiert war, ist im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland auch seit 2002 verankert. Dort heißt es im Artikel 20a – ich zitiere mit Ihrer Genehmigung –:

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.

Haben Sie den Fehler bemerkt? – Die Rechtsprechung kann diesem Auftrag überhaupt nicht nachkommen, denn ein eiserner Grundsatz des Rechtswesens lautet: Nemo iudex sine actore – niemand ist Richter ohne Kläger. Kläger kann im Verwaltungsrecht nur sein, wer selbst in eigenen Rechten verletzt ist. Es gilt grundsätzlich das System des Individualrechtsschutzes. Dass Tieren im Verwaltungsrecht keine Klagebefugnisse zuteilwerden, brauche ich vermutlich nicht zu erwähnen. Sie nehmen an der Rechtsordnung nur als Objekt teil. Es gibt also keinen Kläger, folglich keine Rechtsprechung, folglich auch keine Umsetzung dieses Verfassungsauftrags.