Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 58. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörerinnen und Zuhörer sowie die Vertreterinnen und Vertreter der Medien recht herzlich.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Schockiert haben wir die Nachricht von dem schrecklichen Attentat auf die Redaktion der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ und auf einen jüdischen Supermarkt in Paris vernommen.
Der tragische Tod so vieler Menschen, darunter Zeichner und Journalisten des Magazins, Polizisten und Personenschützer sowie Menschen jüdischen Glaubens haben bei uns große Betroffenheit und Trauer ausgelöst. Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen habe ich bereits in der vergangenen Woche in einem Kondolenzschreiben an die französische Botschaft der ganzen französischen Nation und den Angehörigen der Opfer gleichermaßen unser tief empfundenes Mitgefühl ausgesprochen.
Der brutale Terroranschlag ist nicht nur ein Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit, sondern auf die Demokratie insgesamt, in Europa, in Frankreich und bei uns.
Das Abgeordnetenhaus von Berlin steht an der Seite Frankreichs und unserer Partnerstadt Paris. Wir haben nicht vergessen, dass es auch französische Soldaten waren, die Deutschland von der Barbarei der Nazis befreit haben, und wir haben nicht vergessen, dass auch französische Soldaten die Freiheit Westberlins gesichert haben.
Die deutsch-französische Freundschaft ist für das freie und demokratische Europa von ganz besonderer Bedeutung. Unsere Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg schaffte erst die Voraussetzung dafür, dass die Jahrhunderte mit Krieg, Hass und Intoleranz, häufig auch im Namen der Religion, für einen großen Teil unseres Kontinents beendet werden konnten.
Islamistische Kreise arbeiten mit Einschüchterung nicht nur gegenüber Andersgläubigen, sondern auch gegenüber der breiten Mehrheit der muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die sich unserer demokratischen Gesellschaft zugehörig fühlen. Wir sollten auch nicht vergessen: Die Mehrheit der Opfer des weltweiten islamistischen Terrors sind Muslime. Die Nachrichten über Todesopfer in Nigeria, im Irak oder in Pakistan machen uns genauso betroffen.
Diesem weltweiten Versuch der Einschüchterung treten wir entschieden entgegen. Wir dürfen nicht zulassen, dass radikale Kräfte Hass in unserer Gesellschaft säen. Wir dürfen nicht zulassen, dass religiöser Fundamentalismus
Verunsicherung und Angst in unsere Stadt trägt. Unser Zusammenleben darf weder durch eine massive Einschränkung der Bürgerrechte jeder und jedes Einzelnen belastet werden, noch durch freiwillige Selbstzensur aus Angst vor Drohungen, denn dann hätten die kriminellen Terroristen bereits ein Stück Macht über uns erlangt.
Wir bekennen uns zu unserer freiheitlichen und offenen Gesellschaft, einer Idee, die in der europäischen Aufklärung geboren wurde und die Menschen nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt verbindet. Dem Ziel der perfiden Mörder und ihrer Hintermänner, einen Keil in unsere Gesellschaft zu treiben, setzen wir unsere Grundwerte entgegen: Freiheit und Demokratie!
Am Dienstagabend hat die bemerkenswerte Mahnwache auf dem Pariser Platz eindrucksvoll gezeigt, dass Politik und Zivilgesellschaft sich nicht einschüchtern lassen. Ich danke dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller für sein Bekenntnis und zitiere:
Wir brauchen jetzt nicht weniger Freiheit, sondern noch größere Offenheit, denn das macht unsere Demokratie aus, die wir stärken müssen.
Der Plan radikaler Islamisten und Terroristen wird nicht aufgehen. Wir werden es nicht zulassen, dass die Toten von Paris dazu missbraucht werden, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus bei uns zu propagieren. Europa weiß und gerade wir Deutschen wissen, wohin das führt.
Berlinerinnen und Berliner! Leben wir alle zusammen unsere gemeinsamen Werte: solidarisch, in Freiheit, gerecht und mit möglichst vielen Chancen für alle!
Wir stehen an der Seite unserer französischen Freunde, wenn sie trotz der massiven und menschenverachtenden Bedrohungen die Grundwerte der französischen Republik verteidigen: Liberté, Égalité, Fraternité!
Wir verneigen uns vor den Opfern. Wir nehmen Anteil an der Trauer der Hinterbliebenen und des französischen Volkes.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es liegt in der Natur des menschlichen Seins, dass Trauer und Freude nahe beieinanderliegen. Im Namen des Hauses möchte ich Herrn Staatssekretär Dirk Gerstle zum heutigen Geburtstag gratulieren. – Herzlichen Glückwunsch, Herr Staatssekretär!
Kurz vor Weihnachten ist der Kollege Philipp Magalski Vater der Tochter Smilla Lovis Anuuk geworden. – Herzlichen Glückwunsch und alles Gute für die Familie!
Erstmals begrüße ich heute Frau Staatssekretärin Daniela Augenstein, die neue Sprecherin des Senats, und Herrn Staatssekretär Steffen Krach aus der Wissenschaftsverwaltung. – Herzlich willkommen und auf gute Zusammenarbeit!
Den entpflichteten Staatssekretären Richard Meng und Dr. Knut Nevermann danke ich im Namen des Hauses für die geleistete Arbeit.
Dann habe ich wieder Geschäftliches mitzuteilen: Die Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 17/1935 „Zuschussvertrag zwischen dem Land Berlin und der Stiftung Oper in Berlin Kapitel 0310 – Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten Titel 682 39 und 894 50 – Zuschüsse an die Stiftung Oper in Berlin“ wird vom Senat zurückgezogen. Sie ist in der 56. Sitzung am 27. November 2014 an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten und an den Hauptausschuss überwiesen worden.
In der 55. Sitzung am 13. November 2014 hat das Haus dem Vermögensgeschäft Nr. 5/2014 zugestimmt, dem eine Vorlage der Finanzverwaltung mit einem redaktionellen Fehler zugrunde lag. Anstelle des nicht existierenden Flurstückes 37 der Flur 2 in Großbeeren sollte das Flurstück 1414 der Flur 2 mit einer Größe von 37 m2 verkauft werden. Hierzu ist nun Ihre Zustimmung erforderlich, dass auch der entsprechende Beschluss korrigiert wird, indem „Flurstück 37“ durch „Flurstück 1414“ ersetzt wird. – Ich höre hierzu keinen Widerspruch, dann wird dies so veranlasst.
Dann möchte ich Sie auf die Ihnen vorliegende Konsensliste sowie auf das Verzeichnis der Dringlichkeiten hinweisen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht Ihre Zustimmung finden, bitte ich um entsprechende Mitteilung.
Entschuldigung eines Senatsmitglieds: Der Regierende Bürgermeister wird das Plenum ca. um 17.30 Uhr verlassen. Grund ist die Eröffnung der Internationalen Grünen Woche im City-Cube.
Mit Schreiben vom 9. Januar 2015 hat mir der Regierende Bürgermeister seine Absicht mitgeteilt, in der heutigen Sitzung eine Erklärung gemäß Artikel 49 Absatz 3 der Verfassung von Berlin zum Thema „Unser Berlin – stark und solidarisch“ abzugeben. Hiermit erteile ich Ihnen, Herr Regierender Bürgermeister, nun das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist natürlich nicht möglich, heute eine Regierungserklärung abzugeben, ohne einige Worte zu den uns alle bewegenden Ereignissen der letzten Tage zu sagen. – Sie, Herr Präsident, haben es bereits betont: Unsere Gedanken, ja unsere Herzen sind in unserer Partnerstadt Paris. Wir sind tief erschüttert und schockiert über die furchtbaren Morde. Wir sind in Trauer und Solidarität mit unseren französischen Freunden verbunden.
Zugleich sind wir tief davon beeindruckt, wie die Menschen in Frankreich und der ganzen Welt in den vergangenen Tagen reagiert haben. Sie haben ein Zeichen gesetzt – für Mitmenschlichkeit, für Toleranz und gegen den Terror. Sie sind gegen das Gift des Hasses aufgestanden und haben der Gewalt die Stirn geboten. Auch wir in Berlin stehen fest an der Seite derer, die sich für Presse- und Meinungsfreiheit und damit für die Grundwerte unserer Demokratie einsetzen.
Niemand wird uns das Recht auf die freie Meinung nehmen können, weder mit Waffen noch mit Worten. Als Regierender Bürgermeister möchte ich allen danken, die in den vergangenen Tagen aufgestanden sind – sei es spontan zur Trauerkundgebung vor der französischen Botschaft am Tag des Attentats, sei es zum Zeichen der Solidarität am vergangenen Sonntag oder sei es vor zwei Tagen bei der Mahnwache des Zentralrats der Muslime und der türkischen Gemeinde am Brandenburger Tor. Ich schließe aber auch den Dank an diejenigen ein, die in den vergangenen Montagen friedlich denen entgegengetreten sind, die aktuelle Ereignisse zur Ausgrenzung von Flüchtlingen nutzen. Es ist gut, dass Berlinerinnen und Berliner tausendfach Zeichen gegen Intoleranz und Islamfeindlichkeit setzen. Es ist eine Allianz der Mitmenschlichkeit.
Alle Menschen – ganz gleich, ob muslimischen, jüdischen oder christlichen Glaubens – haben in Berlin ihr Zuhause; sie sind unverzichtbarer Teil unserer Stadt. Wir werden uns nicht abgrenzen, sondern die Gemeinsamkeiten suchen. Die freie und offene Gesellschaft ist ein Markenzeichen Berlins. Das wird uns niemand nehmen. Dafür werden wir jeden Tag gemeinsam kämpfen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor gut einem Monat wurde ich hier im Berliner Abgeordnetenhaus zum Regierenden Bürgermeister gewählt. Das gute Ergebnis hat mich gefreut, und ich habe es als das verstanden, was es ist: Es ist ein großer Vertrauensvorschuss, mit dem Erwartungen verbunden sind. Ja, wir befinden uns mitten in der Legislaturperiode, mitten in der Arbeit. Wir werden nicht alles in Frage stellen. Aber Veränderungen sind gleichwohl nötig. Das bedeutet: gutes Regieren, klare Schwerpunkte setzen, ernsthaft zum Wohle Berlins ar
beiten. Deswegen hat der Senat bei seiner Klausurtagung vor einer Woche eine Bilanz der letzten drei Jahre gezogen und entschieden, wo die Schwerpunkte seiner künftigen Arbeit liegen.
Die Ergebnisse sind gut und weitreichend. Sie sind ein erstes Beispiel dafür, was ich mit „gutem Regieren“ meine: konkretes Handeln, das zuallererst das Leben der Menschen in dieser Stadt besser machen soll.
Natürlich ist mir jeder Bereich unseres Regierens wichtig. Aber es geht mir hier und heute nicht darum – wie am Beginn einer jeden Legislaturperiode –, zu jedem Politikfeld, zu jedem Ressort etwas zu sagen. Denn vieles regeln nach wie vor unsere Richtlinien der Regierungspolitik. Doch wir bleiben nicht dabei stehen. Die Herausforderungen der wachsenden Stadt sind größer, als wir 2011 dachten. Daher haben wir neue Wege bei der Personalpolitik, dem Ausbau der Infrastruktur, der Wohnungs- und der Flüchtlingspolitik beschritten. Sie werden von mir heute an vielen Stellen nicht hören „wir wollen“, sondern „wir haben beschlossen und werden“.
Was mich antreibt, ist das Leitbild eines solidarischen Berlins. Mein Berlin ist eine im Wandel erprobte Metropole, eine Stadt, die wächst, lebenswert ist und in der die Menschen füreinander einstehen. Berlin war schon immer ein Sehnsuchtsort für Menschen aus allen Teilen der Welt. Hier wurden Wünsche nicht nur geträumt, sondern realisiert, und jeder konnte hier Autor seines eigenen Lebensentwurfs sein. Berlin lässt einen sein Leben leben, ohne gleichgültig zu sein. Berlin ist Heimat, ohne einzuengen. Berlin verändert sich dauernd und bleibt sich doch treu. Dieses Berlin rückt zusammen, wenn es darauf ankommt: Diese Solidarität hat Berlin in der Zeit der Blockade, der Teilung und der Wiedervereinigung gezeigt.
Ich mache seit über 30 Jahren in Berlin Politik, seit 25 Jahren in der wiedervereinigten Stadt. Viele von uns sind in einer Halbstadt politisiert worden. Bei mir war es bis zum Mauerfall Westberlin: eine eigene Welt, schon damals weltoffen und doch nicht selten sich selbst genug. Es war großartig, die Stadt nach 1989 mitgestalten zu dürfen. Nicht selten war es ein vorsichtiges Vortasten zu Erfolgen bis hin zu radikalen Brüchen und Krisen. Aber auch in diesen schwierigen Stunden war der Mut, Neues zu wagen, ein Berliner. Heute wissen wir: Wir haben nicht immer alles richtig gemacht. Aber es ist vieles gelungen.
Mein Berlin, unser Berlin hat sich seit der friedlichen Revolution geändert. Viele mussten diese Änderung mit Arbeitsplatzverlust und Zukunftssorgen bezahlen. Das dürfen wir nicht vergessen. Alte Kieze sind verschwunden, neue dazugekommen. Gut 1,7 Millionen Menschen sind nach der Wende neu in die Stadt gekommen – viele, um für immer zu bleiben. Und Berlin zieht weiter Menschen aus aller Welt an. Berlin ist zu einer Stadt zusam
mengewachsen. Wie stolz wir Berlinerinnen und Berliner darauf sein können, führen uns am besten die Worte anderer vor. Der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau hat das Gefühl vieler, die hierhergekommen sind, sehr persönlich beschrieben: Berlin – für mich ist das die Stadt, in die meine Kinder erst nicht ziehen wollten, aus der sie jetzt aber nicht mehr wegwollen. – Und der Londoner Bürgermeister Boris Johnson sagte 2013: Wenn ich jetzt in meinen Zwanzigern wäre und London hätte verlassen müssen, dann, glaube ich, wäre Berlin der Ort meiner Wahl gewesen.
Zu dieser alle in ihren Bann ziehenden Stadt haben wir Berlin in den vergangenen 25 Jahren gemacht. Es waren wilde Zeiten – mitreißend, aber auch nicht frei von Spannungen und jugendlichem Leichtsinn. Heute stellen wir fest: Berlin ist erwachsen geworden. Diese Stadt des Wandels ist heute die einzig wirklich internationale Metropole in Deutschland. Sie ist die kreative und kulturelle Lebensader eines vereinigten Europas. In diesem weltoffenen, zugleich kiezigen, aber stets eigenverantwortlichen Berlin fühle ich mich wohl, fühlen sich die Berlinerinnen und Berliner wohl. Dieses starke Berlin wollen wir solidarisch zur selbstbewussten Hauptstadt eines demokratischen Deutschlands weiterentwickeln. Diese Haltung prägt mich als Regierenden Bürgermeister und ist die Leitlinie des Berliner Senats.
Wir kennen Berlin als die Stadt, die immer wird und niemals ist. Diese um ihre Stärke wissende und erwachsene Stadt Berlin will weiterhin mehr, und dafür wollen wir weiter als Senat arbeiten. So laden wir in wenigen Jahren die Welt in das neuentstandene Humboldt-Forum zum Dialog ein. Auf dieses neue, interkulturelle Herz unserer Hauptstadt sollten wir stolz sein, anstatt es – bestenfalls – zu ignorieren.