Protocol of the Session on January 15, 2015

Wir kennen Berlin als die Stadt, die immer wird und niemals ist. Diese um ihre Stärke wissende und erwachsene Stadt Berlin will weiterhin mehr, und dafür wollen wir weiter als Senat arbeiten. So laden wir in wenigen Jahren die Welt in das neuentstandene Humboldt-Forum zum Dialog ein. Auf dieses neue, interkulturelle Herz unserer Hauptstadt sollten wir stolz sein, anstatt es – bestenfalls – zu ignorieren.

Selbstbewusst ist eine Stadt aber nur, wenn sie sich ihrer Zukunft sicher ist, wenn die Bürgerinnen und Bürger mit Zuversicht in die Zukunft schauen können. Wir haben noch große Herausforderungen zu meistern: gute Arbeit, bezahlbares Wohnen, Aufstiegschancen, öffentliche Sicherheit. Viele Berlinerinnen und Berliner sind von den dynamischen Veränderungen der letzten Jahre verunsichert. Das müssen wir ernst nehmen. Wollen wir, dass alle Menschen in diese neue Entwicklungsphase unserer Stadt mitkommen, so müssen wir Sicherheiten geben und Ängste nehmen.

Unsere Ausgangslage, Berlin mehr und mehr zu einer starken, selbstbewussten Hauptstadt zu machen, ist gut und um vieles besser als vor 13 Jahren. Beim Regierungswechsel 2001 wies der Landeshaushalt ein Defizit von mehr als 5 Milliarden auf. Die Wirtschaft schrumpfte um ein knappes Prozent, und es lebten von Monat zu Monat weniger Menschen in der Stadt. Die Arbeitslosigkeit war durch die Deindustrialisierung seit der Wende hoch. Heute wollen alle nach Berlin. Allein im letzten

(Regierender Bürgermeister Michael Müller)

Jahr ist die Zahl der Berlinerinnen und Berliner um mehr als 40 000 gestiegen. Das Wachstum von Wirtschaftskraft und Arbeitsplätzen verzeichnet im Bundesländervergleich Spitzenwerte: In den letzten zwölf Monaten wurden mehr als 40 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze geschaffen. Nicht zuletzt ist Berlin zu einem europaweit führenden Standort für Gründer und Start-ups geworden. Und wir dürfen nicht vergessen: Wir haben gleichzeitig noch unsere Finanzen in den Griff bekommen.

Das ist ein Erfolg, den wir in unterschiedlichen Regierungskonstellationen in den vergangenen Jahren miteinander erarbeitet haben. Ich danke Grünen, Linken und der CDU für die verlässliche Koalitionsarbeit. Gemeinsam haben wir unsere Stadt ein gutes Stück vorangebracht.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Alle sind gefordert, in die Stadt hineinzuhören. Es geht darum zu wissen, wo die Menschen der Schuh drückt. Es geht um den berechtigten Anspruch, als Bürgerin und Bürger gehört zu werden. Wenn wir einen Dialog auf Augenhöhe führen, werden wir Vertrauen gewinnen. Deshalb werde ich mir in regelmäßigen Bürgersprechstunden Zeit nehmen für den direkten, ungefilterten und persönlichen Austausch mit den Berlinerinnen und Berlinern.

[Martin Delius (PIRATEN): Ja, ja!]

Und wir werden wieder mehr in die Kieze gehen. Der Senat wird regelmäßig vor Ort in den Bezirken tagen. Denn unsere zwölf vielfältigen und starken Bezirke bilden eine gemeinsame Hauptstadt. Ich werde diese Gelegenheit auch als Regierender nutzen, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen.

Mehr Mitwirkung bedeutet aber auch mehr Verantwortung. Die geplante Bürgerbefragung zu Olympia ist ein wichtiger Schritt dafür. Ich hoffe – und da blicke ich auch in Richtung der Kolleginnen Pop und Kapek sowie der Kollegen Wolf und Delius –, es gelingt uns in dieser Frage, ohne Taktik zügig einen parteiübergreifenden Konsens zu erzielen.

[Udo Wolf (LINKE): Das wäre ja schön!]

Olympia betrifft alle Menschen in dieser Stadt. Deswegen ist es mir wichtig, möglichst vielen Menschen die Möglichkeit zu geben, mitabzustimmen. Lassen Sie uns deshalb den kleinkarierten Streit über das Ob und das Wie einer Volksbefragung endlich einstellen! Lassen Sie uns die Befragung einfach machen! Der Senat wird dafür am Dienstag einen Vorschlag unterbreiten.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Zurufe von der LINKEN und den PIRATEN]

Es ist mir wichtig, das Wissen und die Meinung der Bevölkerung über mehr Bürgerbeteiligung in die praktische

Politik einfließen zu lassen. Ich sage aber auch, direkte Demokratie kann repräsentative Demokratie nicht ersetzen. Liebe Abgeordnete! Sie sind als gewählte Mitglieder dieses Hauses Ausdruck des Bürgerwillens. Machen Sie sich, machen wir uns nicht zu klein dabei! Es ist unsere Aufgabe, einen Interessensausgleich, einen Kompromiss zu formulieren.

[Zuruf von Dr. Klaus Lederer (LINKE)]

Was meine ich damit? Zum Beispiel ist der Wohnungsbau ein gesamtstädtisches Interesse – niemand wird das hoffentlich bestreiten. Auch hier muss Politik stets das gemeinsame Ringen um Kompromisse sein. Wir als Parlament und Senat sind dafür da, regionale und gesamtstädtische Interessen gegeneinander abzuwägen. Da lassen wir uns auch nicht einreden, dass wir das zum Beispiel bei den Buckower Feldern nicht getan haben. Wir könnten hier 1 000 Wohnungen bauen, jetzt werden es in der Abwägung knapp 500. Und die Bürgerbeteiligung dazu beginnt jetzt im ganz normalen gesetzlichen Rahmen. Wir bauen dort doch keine städtischen Wohnungen, um die Menschen vor Ort zu ärgern. Wir bauen sie für die Menschen, die händeringend nach einer bezahlbaren Wohnung für sich und ihre Familie suchen. Da kann sich niemand in die Buckower Büsche schlagen!

Mehr bezahlbare Wohnungen sind eine vorrangige Aufgabe des Senats, der Bezirke und auch von allen Abgeordneten in diesem Haus.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Zurufe von der LINKEN]

Es ist eine Aufgabe der solidarischen Stadt: Am Ende muss Politik zu Entscheidungen bereit sein. Da dürfen wir keine Angst davor haben, dass nicht immer alle begeistert klatschen. Wir sollten gemeinsam ein Klima schaffen, in dem produktiver Streit um die besten Konzepte zum Wesen unserer Stadtgesellschaft gehört. Danach werden wir nachvollziehbare, aber eben auch verbindliche Entscheidungen zum Wohl aller Berlinerinnen und Berlinern herbeiführen. Das ist für mich gutes Regieren.

Politik hat die Aufgabe, sich in den Alltag der Bürgerinnen und Bürger hineinzuversetzen. Wie kann ich die Doppelbelastung Alleinerziehender abmildern? Wie kann ich den Verkehr sicherer machen? Wie kann ich mehr Wohnungen schnell schaffen? Es gibt viele Bereiche, in denen schon kleine Veränderungen große Auswirkungen für die Menschen haben. Das diffamieren manche als Klein-Klein der Politik – was für ein Blödsinn! Auch in einer Millionenstadt sind mir kleine Schritte lieber als große Luftschlösser. Denn es sind oft die kleinen Dinge, die das Leben einfacher und besser machen – dafür muss sich niemand rechtfertigen.

[Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

(Regierender Bürgermeister Michael Müller)

Berlin prosperiert, aber dabei müssen wir allen Menschen faire Chancen zur Teilhabe bieten. Vollbeschäftigung und gute Arbeit sind in meinem Berlin keine Utopie, sondern Ziele, für die wir jeden Tag arbeiten werden. Die Halbierung der Arbeitslosigkeit in den letzten zehn Jahren war ein großer Erfolg. Aber noch immer haben in unserer Stadt knapp 200 000 Menschen keine Arbeit. Solidarische Stadt bedeutet für mich, alles zu tun, um den Arbeitssuchenden neue Chancen zu eröffnen und zu verhindern, dass junge Menschen in die Arbeitslosigkeit rutschen. Berlin muss eine Stadt der Arbeit werden, in der sich niemand zurücklehnt und auf Kosten anderer lebt. Gleichzeitig werden wir diejenigen, die sich anstrengen, unterstützen und die zweite und auch die dritte Chance geben. Für sie werden wir gute und zukunftsfeste Arbeit schaffen. Gute Arbeit, von der man leben kann – das ist besonders wichtig für die Frauen in unserer Stadt. Es ist gut, dass es den Mindestlohn gibt, aber es ist nur ein Anfang. Denn es bleibt dabei: Frauen verdienen für die gleiche Arbeit noch immer zu oft weniger als Männer.

Um das Leben in der Stadt besser zu machen, müssen wir weiterhin für eine gerechte Gleichstellungspolitik sorgen. Wir unterstützen deshalb die Politik auf Bundesebene für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Bei unseren landeseigenen Unternehmen muss man uns da nichts erklären. Für uns sind Frauen in obersten Führungsetagen Selbstverständlichkeiten.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Das ist aber nur ein kleiner Teil. Wir wollen Frauen in ihren Lebenslagen konkret helfen. Wir wollen, dass Familien besser leben können. Wir werden deshalb die Zahl der Kitaplätze um weitere 10 000 erhöhen und uns vorrangig der Unterstützung von Alleinerziehenden widmen. Denn sie haben es besonders schwer, Alltag, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Der Schlüssel zu weiteren Erfolgen auf dem Arbeitsmarkt liegt in der Bildung. In unserem Berlin sollen alle Talente dieser Stadt entdeckt und angemessen gefördert werden, damit jeder und jede gute Ausgangsbedingungen für eine erfolgreiche berufliche Laufbahn erhält. Wir haben daher viel für die frühkindliche Bildung getan und die Zahl der Kitas und Ganztagesangebote massiv ausgebaut. Brennpunktschulen erhalten eine besondere Förderung, und 1 400 neue Lehrerinnen und Lehrer wurden eingestellt. Doch trotz dieser großen Anstrengung bleibt viel zu tun. Wir brauchen wegen der steigenden Schülerzahlen mehr Schulen, und wir brauchen vor allem funktionierende Schulen. Dabei ist Inklusion unser Ziel. Wir werden daher den wachstumsbedingten Mehrbedarf an Integrationsstunden für den sonderpädagogischen Förderbedarf an Schulen ausgleichen.

[Martin Delius (PIRATEN): Wachstumsbedingt!]

Um in der gesamten Bildungskette, von der Kita bis zur Hochschule, bessere Bedingungen zu schaffen, werden wir die jetzt vom Bund übernommenen eingesparten 66 Millionen Euro BAföG-Gelder ausschließlich in Hochschulen und Schulen investieren. Dadurch können wir mit den Geldern des Hochschulvertrages allein im Hochschulbereich jedes Jahr über 80 Millionen Euro in Bauten investieren. Das stärkt Forschung und Lehre.

Und wir packen endlich ein Thema an, das die Schüler und Eltern ebenso wie mich seit Langem nervt: Wir haben ein Schul- und Sportstättensanierungsprogramm, aber wir haben jetzt darüber hinaus ein Sanierungsprogramm für Schultoiletten beschlossen. Ich will keine Schulen mehr akzeptieren, in denen sich Schülerinnen und Schüler vor dem Gang zur Toilette ekeln müssen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN]

Leider verlassen noch immer zu viele Jugendliche die Schule ohne Abschluss. Deswegen haben wir mit den Jugendberufsagenturen ein wichtiges Förderinstrument geschaffen, um junge Menschen schon früh für Berufe zu interessieren. Wir wollen jeden fördern und werden nicht akzeptieren, dass jemand wegen seiner Herkunft oder Religion benachteiligt wird. Dafür ist eine gute Integrationspolitik wichtig. Das zentrale Instrument dafür ist die enge Begleitung und Förderung. Daher werden wir die Finanzierung von Integrationslotsen und Stadtteilmüttern dauerhaft sichern, das ist ein Zeichen der Wertschätzung dieser unglaublich wichtigen Arbeit in unseren Bezirken.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Um es klar zu sagen: Wir wollen, wo immer möglich, fördern. Aber, in einer solidarischen Stadt fordern wir auch den Willen zum Aufstieg. Kinder und Jugendliche, Lehrkräfte, Eltern und Politik sind hier gleichermaßen gefordert. Die wichtigste Voraussetzung für mehr Chancen auf dem Arbeitsmarkt ist ein wirtschaftlich prosperierendes Berlin. Die Berliner Wirtschaft wächst. Mit dem Handwerksprogramm zum Beispiel vergessen wir auch die traditionellen Wirtschaftsbereiche nicht und helfen den Meistern und Auszubildenden in den Handwerksbetrieben konkret. Aber wir haben auch mit unseren exzellenten Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen ideale Voraussetzungen für die Ansiedlung und Neugründung innovativer Unternehmen und für die Schaffung von neuen Arbeits- und Ausbildungsplätzen.

Weit gekommen sind wir in den letzten Jahren in der Gesundheits- und Kreativwirtschaft. Wir haben gerade im Senat den Gesetzentwurf für das neue Berliner Institut für Gesundheitsforschung, für das BIG, beschlossen, ein Meilenstein, um Berlin weltweit an der Spitze der biomedizinischen Forschung zu etablieren. Im Cluster IKT, Medien und Kreativbranche, erwirtschaften mittlerweile rund 250 000 Berlinerinnen und Berliner mehr als

(Regierender Bürgermeister Michael Müller)

28 Milliarden Euro. Diese Treiber der Berliner Wirtschaft werden wir weiter stärken.

Doch vergessen wir die hoch innovative Berliner Industrie nicht. Sie wird mehr und mehr zum Leuchtturm unserer Wirtschaft. Wachstumsmotoren sind hier vor allem die Bereiche Verkehr, Mobilität, optische Technologien, Mikrosystemtechnik, Energie und Clean Tech. Damit das so bleibt, werden wir im Steuerungskreis Industriepolitik zusammen mit Gewerkschaften, Kammern, Verbänden und Wirtschaftsförderinstitutionen die Produktionsbedingungen weiter verbessern. Besondere Chancen sehe ich dabei in der Weiterentwicklung der Smart City Berlin, die Innovationskraft und hohe Lebensqualität in sich vereint. Smart City meint dabei nichts anderes, als eine fortschrittliche Hauptstadt zu gestalten. Unser Ziel ist es, die führende Smart City Europas zu werden. Beispielhaft werden wir deshalb am künftigen Standort Tegel, in der „Urban Tech Republic“, Stichwort Industrie 4.0,

[Udo Wolf (LINKE): Mitten im Olympischen Dorf!]

die Technologien entwickeln, mit denen wir auf den Weltmärkten konkurrenzfähig sind. Moderne Netze, ressourcensparender und günstiger Zugang zu Energie, intelligente Lösungen für das Zusammenleben sind die Jobmotoren für das 21. Jahrhundert.

[Udo Wolf (LINKE): Ach!]

Hier sehe ich den strategischen Kern unserer Rekommunalisierungspolitik im Energiebereich. Öffentlicher Einfluss auf die Netze der Zukunft ist die Basis einer zukunftsfähigen, klimaverträglichen und nachhaltigen Energieversorgung ebenso wie für die Zukunftsfähigkeit von Städten und ihren Industrien und Dienstleistungen.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Meine Damen und Herren! Ein weiterer wichtiger Standortfaktor ist eine gute verkehrliche Anbindung Berlins. Zusätzlich zum guten Angebot bei Straße und Schiene brauchen wir einen funktionstüchtigen und international angebundenen Hauptstadtflughafen.

[Dirk Behrendt (GRÜNE): Ach! – Zurufe von den GRÜNEN und den PIRATEN]

Beim BER geht es jetzt darum, die Eröffnung 2017 durch konzentriertes Arbeiten auch tatsächlich zu realisieren,

[Martin Delius (PIRATEN): „Konzentriertes Arbeiten“! – Zuruf von Ramona Pop (GRÜNE) – Weitere Zurufe]

denn Berlin und Brandenburg brauchen diesen Flughafen für die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Wir müssen endlich auch unser Versprechen gegenüber den 300 000 Berlinerinnen und Berlinern rund um den Flughafen Tegel einlösen, nach Jahrzehnten Schluss mit dem Fluglärm in der Stadt zu machen.