Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Paul von Hindenburg ist sicherlich keine einfach zu bewertende Persönlichkeit. Seine Entscheidung, Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler zu ernennen, lastet heute schwer auf seinem Andenken. Auch seine grundsätzliche Rolle als Reichspräsident und als Generalfeldmarschall im Ersten Weltkrieg ist Gegenstand heftiger Diskussionen. Doch die Bewertung seiner Person ist sicherlich viel vielschichtiger. Zweifelsohne war Hindenburg kein Demokrat – das schon aufgrund seiner nationalkonservativen Erziehung im alten Preußen und seiner militärmonarchistischen Sozialisation im Kaiserreich. Ihm vorzuwerfen, die Weimarer Republik mit Vorsatz beseitigt zu haben, ist allerdings grundfalsch.
Im Gegenteil: Die Geschichtswissenschaft erkennt heute sogar an, dass Hindenburg stets auf Grundlage der Weimarer Reichsverfassung gehandelt hat und der Weimarer Republik mit ihren zahllosen Neuwahlen und Regierungskabinetten als einzige Konstante erst die nötige Stabilität gegeben hat.
Als pflichtbewusster Preuße hat er sich stets an seinen Amtseid gehalten, obwohl er überzeugter Monarchist war. Dennoch war die Berufung Hitlers zum Reichskanzler ein verhängnisvoller Fehler, der seine Verdienste, die er sich zweifelsohne um das damalige Deutschland erworben hat, schmälert.
Ich darf Sie aber daran erinnern, dass Hindenburg noch 1932 durch die demokratischen Parteien, also auch durch SPD und Zentrum, zur Wiederwahl als Reichspräsident aufgestellt wurde, mit dem Ziel, Hitler zu verhindern.
Ich werde mich hier jedoch nicht zum großen Hindenburg-Verteidiger aufschwingen. Man kann auch zu anderen Schlüssen kommen,
Für mich offenbart dieser Antrag das grundsätzlichere Problem, wie wir in Deutschland mit unserer Geschichte umgehen. Ich sage ganz ausdrücklich: Ich halte nichts davon, dank der Gnade der späten Geburt mit einem dicken Radiergummi durch Deutschland zu gehen und alle Namen zu löschen, die heute nicht mehr in unser Weltbild passen. Das ist geschichtsvergessen.
[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU – Philipp Magalski (PIRATEN): Dann hätte Hitler sie aber auch behalten dürfen!]
Dazu komme ich gleich noch. – Geschichte kann man nicht ausradieren. Diese Verdrängung der eigenen Geschichte mit dem Argument, jetzt werde alles besser, wurde in einem Teil dieses Landes bereits schon einmal versucht.
Ich darf Sie des Weiteren daran erinnern, dass es ausgerechnet die KPD war, die mit ihrem teils blutigen Kampf gegen die Weimarer Republik und ihre demokratischen Parteien, insbesondere gegen die SPD, die Thälmann Sozialfaschisten nannte, entscheidend zum Untergang der Weimarer Demokratie beigetragen hat.
Aber zurück zum Thema: Paul von Hindenburg hat in einem wichtigen Teil, genauer gesagt, gleich in mehreren Teilen der deutschen Geschichte eine wichtige Rolle gespielt. Auch wenn es der Linken heute schwerfallen mag, diesen Mann so zu sehen, aber als charismatische Heldengestalt des Ersten Weltkrieges wählte ihn das Volk gleich mehrfach zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik.
Seine Ernennung zum Ehrenbürger Berlins ist genau in diesem historischen Kontext zu sehen. Diese Entscheidung zu respektieren heißt nicht, sie zu teilen. Man kann daher nicht mit einer Art Gesinnungsprüfung durch die Geschichtsbücher gehen und löschen, was einem nicht passt. Das gilt natürlich nicht zum Beispiel für die Nazis, die schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben und wo es an der Eindeutigkeit der historischen Bewertung gar keinen Zweifel mehr geben darf.
Doch was ist mit denen, die zwiespältiger zu bewerten sind? – So hat auch Paul von Hindenburg Entscheidungen
getroffen, die uns bis heute positiv wie auch negativ beschäftigen. Vor diesem Hintergrund spreche ich mich ausdrücklich gegen den Antrag aus und werbe dafür, die Berliner Ehrenbürgerwürde von Paul von Hindenburg beizubehalten. – Vielen Dank!
Herr Lubawinski! Ich bin erschüttert über Ihre Rede, muss ich sagen, nicht über den Versuch, eine schwierige Frage historisch einzuordnen. Ich bin erschüttert darüber, dass Sie diesen Menschen, der eine Hauptverantwortung für die blutigsten Schlachten am Ende des Ersten Weltkrieges hatte,
quasi zum Helden des Deutschen Reiches heraufstilisieren. Das war er weiß Gott nicht. Er war ein Massenmörder, nichts anderes. Hindenburg befand sich nicht ganz zufällig – lesen Sie bitte in aktuelleren Ausgaben nach als denen, in denen Sie es offensichtlich gefunden haben – auf der Liste der 840 Militärs und Politiker, die seinerzeit die Entente-Mächte für einen Kriegsverbrecherprozess ausgeliefert haben wollten. Dieser Prozess kam nur nicht zustande, weil sich herausstellte, dass auch aufseiten der Entente zum Beispiel Massenvernichtungsmittel eingesetzt worden sind. Das sollte man auch wissen.
Zweitens: Bitte erinnern Sie sich als Sozialdemokrat daran, dass der verzweifelte Versuch Ihres ersten Reichspräsidenten, Friedrich Ebert, genau diese von Hindenburg installierte Dolchstoßlegende abzuwenden, abzuwehren, Ebert 1925 das Leben kostete.
Deswegen hat er einfach mal eine lebensnotwendige Operation verschleppt, und Sie springen jetzt hier der eigenen sozialdemokratischen Tradition förmlich ins Gesicht. Ich schäme mich dafür.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Versuch Nr. 2 in diesem Haus, Paul von Hindenburg von der Ehrenbürgerliste Berlins zu streichen! Bereits Ende 2002 hatte meine Fraktion dazu einen Antrag eingebracht, der auf eine Petition zurückging. Berliner Bürgerinnen und Bürger hatten das Abgeordnetenhaus gebeten, Hindenburg die Ehrenbürgerwürde abzuerkennen. SPD, CDU und damals auch noch die FDP fanden damals eine Streichung Hindenburgs von der Ehrenbürgerliste nicht angemessen. Ich stelle fest: Die SPD findet es immer noch nicht angemessen. Sie lehnten unseren Antrag 2003 ab, weil Sie es als unzulässigen Eingriff in die Ehrenbürgerliste empfanden. Wir haben es von Herr Lubawinski gerade noch mal gehört.
Herr Lubawinski! Ihr Verhalten ist auch heute so wenig nachvollziehbar wie 2003, denn es hatte bereits Eingriffe in die Liste gegeben. Meine Vorgängerin, Alice Ströver, hat dies in der Debatte treffend auf den Punkt gebracht, ich zitiere:
Wer die Ehrenbürgerliste Ostberlins 1992 bereinigt hat und den ehemaligen sowjetischen Stadtkommandanten Bersarin zu Recht wieder zum Ehrenbürger ernennt, der muss auch zulassen, dass über die Ehrenbürgerwürde für Hindenburg erneut abgestimmt wird.
Dies galt 2003 und gilt auch noch 2014. Ich hoffe, die Damen und Herren von der SPD, die Mehrheit – Herr Lubawinski wohl nicht – haben im Gegensatz zu den Kolleginnen und Kollegen von 2003 die Ereignisse reflektiert, die zur Ehrenbürgerwürde Hindenburgs geführt haben.
Fakt ist, dass der Beschluss über die Ehrenbürgerwürde für Hindenburg schon 1933 unrechtmäßig war. Die Kommunisten waren aus dem Parlament verbannt. Obwohl sie gewählte Abgeordnete waren, durften sie nicht abstimmen. Die SPD nahm an der Abstimmung gar nicht teil. Die Wahl erfolgte auf Antrag der NSDAP. Hitler und Hindenburg sollte gemeinsam in Würdigung ihrer Verdienste um die nationale Wiedergeburt der Stadt Berlin die Ehrenbürgerwürde verliehen werden. Dies geschah zeit- und wortgleich in über 4 000 Städten und Gemeinden. Es war also keine individuelle Vergabe der Ehrenbürgerschaft, die von der Stadt Berlin ausging, sondern – wie es unser heutiger Europaabgeordneter, Michael Cramer, in der Beratung im Kulturausschuss 2003 formuliert hat – eine „zentrale Agitationsmaschinerie der Nazis“. Somit ist für Hindenburg nicht einmal das formale Kriterium der Ehrenbürgerschaft für Berlin erfüllt.
Der undemokratische Vorgang, der zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Hindenburg geführt hat, ist nur ein Aspekt, weshalb Hindenburg auf der Liste gestrichen werden muss. Ganz grundsätzlich gehören Politiker, die zur Beseitigung der Demokratie beigetragen haben, nicht auf eine Ehrenbürgerliste, nirgendwo und auch nicht in Berlin.
Hindenburg hat aktiv zur Zerstörung der Demokratie beigetragen. Er war mehr als nur ein Steigbügelhalter für die Machtübernahme durch die Nazis. Hitler und Hindenburg wurden sehr schnell ein Gespann. Anfangs hatte Hindenburg nichts für Hitler übrig. Er hat sich mit anderen in dem fatalen Irrtum befunden, man könnte Hitler einbinden. Diesen offensichtlichen Irrtum hat Hindenburg nie korrigiert. Spätestens im Frühjahr 1933 hätte er Hitler entlassen müssen. Der Reichspräsident hatte das Recht dazu. Hindenburg hätte handeln müssen. Er hat es nicht getan. Ganz im Gegenteil, er ist zum aktiven Unterstützer Hitlers und der Nationalsozialisten geworden. Hindenburg steht mit seiner Unterschrift unter vielen Terrorgesetzen für das furchtbare Ausmaß, das alles bis dahin Denkbare übertraf.
Der Name Hindenburg steht für die Zerstörung der Demokratie, und er wusste, was er tat. Mit der Unterzeichnung der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat bereitete er am 28. Februar 1933 den Weg in die nationalsozialistische Diktatur und damit auch den Weg in den Zweiten Weltkrieg. Mit seiner Unterschrift setzte er auch wichtige Verfassungsbestimmungen außer Kraft. Er beschnitt persönliche Freiheiten, das Recht auf freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit, Vereins- und Versammlungsrecht, Eingriff in das Briefgeheimnis, Anordnung von Hausdurchsuchungen, Beschränkung des Eigentums, und er stimmte der Gründung der Gestapo und der Waffen-SS zu. Er unterzeichnete das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, durch das die Versetzung nichtarischer Beamter in den Ruhestand möglich wurde, und setzte damit ein rechtsstaatwidriges und rassistisches Gesetz in Kraft. Das müssen Sie sich mal vergegenwärtigen, meine Damen und Herren von der CDU und der SPD.
Was in diesem Zusammenhang bemerkenswert ist: Hindenburg wird nach all diesen furchtbaren und demokratieverletzenden Entscheidungen die Ehrenbürgerwürde verliehen, am 20. April 1933, Hitlers Geburtstag, wir erinnern uns. Das ist kein Zufall und rückt die Ehrenbürgerwürde noch mal in ein ganz anderes Licht.
All dies war bereits im Jahr 2003 bekannt, und es ist ein unglaublicher Vorgang, dass angesichts dieser Tatsachen SPD und CDU noch im Jahr 2003 durch die Ablehnung unseres Antrags Hindenburg bescheinigt haben, dass er
eine herausragende Persönlichkeit ist, die sich um die Stadt verdient gemacht hat. Im Gegensatz zu uns und der Linken fanden Sie es nicht unerträglich, dass Hindenburg auf die Ehrenbürgerliste Berlins gekommen ist. Sie fanden eine Streichung unangemessen.
Aber, meine Damen und Herren von der SPD und der CDU: Es bleibt die Hoffnung, dass Sie heute, im Jahr 2014, endlich den historischen Sachverhalt und die Umstände anerkennen, wie Hindenburg auf die Ehrenbürgerliste gelangt ist. Erkennen Sie endlich an, dass es unerträglich und demokratiepolitisch nicht haltbar ist, dass der Name Paul von Hindenburg mit der Ehrenbürgerwürde Berlins ausgezeichnet ist! Durch den Antrag der Linken haben wir nun erneut die Gelegenheit, diesen unrechtmäßigen Vorgang zu korrigieren. Hindenburg gehört nicht auf die Liste, er gehört herunter. – Vielen Dank!