Protocol of the Session on June 19, 2014

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ich sage Ihnen: Wenn Sie den Prozess der ISV retten wollen, lassen Sie Ihre Anträge genauso wie die der Opposition in den Ausschüssen liegen, und laden Sie zur offenen Debatte ein! Dann – bin ich sicher – kommt dabei auch was Konkretes, Abrechenbares raus. Um mal ein Bild zu bemühen: Das Absurde an der Situation im Moment ist doch, dass Sie sich hier als Regierungsfraktionen nicht anders verhalten als der CSD e. V. Sie lehnen die offene Debatte mit den Communitys in der Stadt ab, sondern werfen den Leuten Dinge vor die Füße und ziehen dann Ihr Ding einfach durch, koste es, was es wolle.

Apropos Kosten: Lieber Kollege Evers! In dem Antrag – auch das ist schon gesagt worden – steht nichts darüber, wie beispielsweise die Studie, das Einzige, das hier konkret benannt ist, bezahlt werden soll. Damit mir hier nicht unterstellt wird, ich mache jetzt hier schlimme Propaganda, zitiere ich jetzt einfach mal aus einem Faltblatt, das mir am Wochenende auf dem Stadtfest von den Schwusos in die Hand gedrückt wurde:

Im Doppelhaushalt 2010/2011 war die ISV mit 2,1 Millionen Euro veranschlagt, wodurch eine Vielzahl von Projekten ins Leben gerufen werden konnte. Im aktuellen Haushalt sind es noch knapp eine halbe Million Euro. Dieser Betrag sichert den Fortbestand einiger weniger Projekte auf niedrigem Niveau. Er gewährleistet jedoch weder, dass neu geschaffene Strukturen genutzt und neue Richtlinien umgesetzt werden können, noch dass die ISV tatsächlich weiterentwickelt werden kann, so wie es im Koalitionsvertrag vereinbart wurde.

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Wie gesagt, das sagen die Schwusos.

Zusammenfassend: Inhaltlich ist Ihr Antrag ein Ausfall. Die Ziel- und Aufgabenstellung ist schwach,

[Zuruf: Ihre Rede auch!]

Abfrage und Einbindung der Expertise aus den Communitys null. Sie haben also keine Ideen, wursteln vor sich hin, zerstören die Vorreiterrolle Berlins zur Akzeptanz sexueller Vielfalt und verweigern den Dialog mit der Stadtgesellschaft. Wenn Leute mich fragen, weshalb sie am Wochenende zum CSD auf die Straße gehen sollen, hier waren Gründe. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Vielen Dank, Kollege Schatz! – Für die Piratenfraktion erteile ich jetzt das Wort dem Kollegen Kowalewski. – Bitte sehr!

Ja, vielen Dank, geehrter Herr Präsident! – Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Vor etwas mehr als 81 Jahren, am 6. Mai 1933 marschierte ein Stoßtrupp der Deutschen Studentenschaft bei helllichtem Tage vor dem Institut für Sexualwissenschaft auf, drang von der Polizei geduldet in die Räumlichkeiten ein und entwendete das Archiv mit über 10 000 Bänden. Diese wurde wenige Tage später auf dem Bebelplatz von einer Meute aus Studierenden, Professoren und Verbänden von SS, SA und Hitlerjugend, die eine aufgespießte Büste des Institutsleiters Magnus Hirschfeld vor sich hertrug, zusammen mit anderen als undeutsch verfemten Schriften zu einer Rede von Joseph Goebbels von der Feuerwehr mit Benzin übergossen und verbrannt.

Magnus Hirschfeld, selbst Jude, homosexuell und für seine Arbeiten zur Sexualforschung hochdekoriert, wusste bereits 1931, dass seine Person das Gegenteil der in Deutschland grassierenden nationalsozialistischen Ideologie darstellte, betrat nie wieder deutschen Boden und sah die Zerstörung seines Lebenswerks in Paris in einer Wochenschau.

Ein solches Institut wie dieses, das wir als eines der ersten von viel zu vielen Opfern der rechten Barbarei beklagen müssen, hat es danach in Deutschland nie wieder gegeben. Zwar hat die Humboldt-Universität unter Bezugnahme auf dieses erste sexualwissenschaftliche Institut 1996 ein neues Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin eingerichtet, das seit 2003 zur Charité gehört und u. a. das erfolgreiche Programm „Kein Täter werden“ für Pädosexuelle anbietet, zwar gibt es seit 2011 in Berlin die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die u. a. im Rahmen des Projekts „Archiv der anderen Erinnerung“ Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen der Repression von LSBTI-Menschen in der BRD, der DDR

(Carsten Schatz)

und auch in Westberlin in Videoaufnahmen konserviert, wenn auch, wie wir gehört haben, mit geringer Unterstützung des Senats.

Zwar gibt es viele auch hier bereits erwähnte sexualwissenschaftliche Archive in Berlin und auch anderswo, die meist von ehrenamtlichen gepflegt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, ein interdisziplinäres wissenschaftliches Institut wie das von Magnus Hirschfeld gibt es heute allerdings nur an der US-amerikanischen Indiana-University. Es wurde 1947 von Alfred Kinsey gegründet und hat auch sämtliche Schriften Magnus Hirschfelds in der Sammlung. Dabei gibt es viel Forschungsbedarf.

So wurde der § 175, über den wir hier auch schon geredet haben, der seit 1935 sogenannte unzüchtige Handlungen zwischen Männern mit fünf Jahren Gefängnis, in sogenannten erschwerten Fällen mit zehn Jahren Zuchthaus bedrohte, in der BRD erst im Zuge der Wiedervereinigung mit der DDR 1994 aufgehoben, vor 20 Jahren also erst. Die Tausende Opfer dieses Unrechtparagrafen wurden bis heute nicht rehabilitiert oder entschädigt, obwohl der Bundesrat 2012, auch mit Berliner Unterstützung, eine entsprechende Initiative beschlossen hat. Die Reaktion der Bundesregierung ist gleich null. Das rächt sich natürlich in der öffentlichen Wahrnehmung. Gewaltvorfälle gegen homo- und transsexuelle Menschen und Beschädigung von Erinnerungsorten führen leider nicht zu dem gesellschaftlichen Aufschrei, den wir da erwarten würden.

Wie das traurige Beispiel einer Elfjährigen vor zwei Jahren zeigt, werden auch heute noch transsexuelle Kinder aus ihrer Familie herausgerissen und in die geschlossene Psychiatrie zwangseingewiesen, damit ihnen dort ihr geschlechtsatypisches Verhalten unterbunden werden kann. Über die Lebensrealität von Menschen, insbesondere von Jugendlichen, die nicht cis-heterosexuell sind, gibt es kaum belastbare Studien. Auch müssen wir erleben, wie Sex-Workerinnen und Sex-Worker, hetero- wie homosexuelle, generell zu Menschenhandelsopfern oder gar Menschenhändlern und Menschenhändlerinnen stilisiert oder gar kriminalisiert werden, weil es opportun erscheint, um neokonservative Wertekanons zu erzwingen. Auch hier: Kaum einer kann Zahlen vorlegen, um diese Unterstellung zu widerlegen.

Von der Fortschrittlichkeit und Offenheit der sprichwörtlichen goldenen Zwanzigerjahre sind wir in Berlin leider noch weit entfernt. Zwar haben wir das Motzstraßenfest und nicht nur eine, sondern seit Jahren mehrere CSDParaden, aber für wirklich gesellschaftlichen Nachhall wird eben auch empirische Forschung und wissenschaftliche Aufarbeitung benötigt. Deshalb – ich formuliere es positiv – muss es in Berlin nach 81 Jahren endlich auch wieder ein Magnus-Hirschfeld-Institut geben. Deshalb bedanke ich mich für diesen überfälligen Antrag, den wir

gern unterstützen, auch wenn wir natürlich gern noch Details zur Finanzierung wüssten, über die wir uns dann im Ausschuss noch einmal unterhalten könnten. – Vielen Dank!

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank, Kollege Kowalewski!

Meine Damen und Herren! Meine Kollegin Schillhaneck hatte Sie vorhin über die Vorabüberweisungen informiert. Die Koalitionsfraktionen haben nunmehr die ausschließliche Überweisung an den Ausschuss für Arbeit, Integration, Berufliche Bildung und Frauen beantragt. Wer dieser Überweisung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Grünen. Wer ist da dagegen?

[Zurufe: Und die Piraten!]

Sie auch? – Gut. Gibt es Gegenstimmen? – Das ist nicht der Fall, also einstimmig.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Die Linke war dafür!]

Die Linke dafür. Das war nicht so deutlich zu erkennen. Vielen Dank, für den Hinweis, Kollege Lux! – In jedem Fall ist damit die Überweisung an den Ausschuss für Gesundheit und Soziales aufgehoben.

Meine Damen und Herren! Unter der lfd. Nummer 4.4 ist heute keine Priorität angemeldet worden.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.5:

Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Verkaufsstopp bei der BImA erwirken – 1 700 Berliner Wohnungen schützen

Dringlicher Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke Drucksache 17/1702 Neu

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall. Nachdem die Fraktion Die Linke dem Antrag beigetreten ist, wurde die Drucksache 17/1702 ersetzt.

Für die Beratungen stehen wieder jeweils fünf Minuten pro Fraktion grundsätzlich zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Die Kollegin Schmidberger hat das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Schon wieder werden Wohnungen in Berlin aus öffentlicher Hand zum Höchstpreis verhökert. Dieses

(Simon Kowalewski)

Mal ist es aber nicht der Berliner Liegenschaftsfonds, nein, der Bund mit seiner Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, kurz BImA, will den maximalen Profit herausholen. Wohnungen, die vor allem bezahlbar sind für Mieter mit kleinem Geldbeutel, werden in Berlin aber doch dringend gebraucht. Es ist also höchste Zeit, dass SPD und CDU im Bund und in Berlin dieser schädlichen Geschäftspraxis einen Riegel vorschieben.

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Um was geht es? Der Bund besitzt über 5 000 Wohnungen im Land Berlin und 1 700 dieser Berliner Wohnungen soll die BImA in den nächsten Jahren zum Höchstpreis versilbern, denn die BImA steht unter dem Druck des Bundesfinanzministers, der 400 Millionen Euro im Jahr durch den Verkauf öffentlicher Bundesliegenschaften erzielen will. Aktuell stehen einige dieser Häuser, zum Beispiel in der Großgörschen- und der Katzlerstraße in Schöneberg, aber auch in Mitte zum Verkauf.

Herr Senator Müller! Sie haben die BImA in den letzten Tagen zu einem Umdenken aufgefordert und eine Abkehr vom Höchstbieterverfahren gefordert. Das können wir nur unterstützen. Mit diesem Antrag wollen wir Ihnen heute ein paar konkrete Aufträge mit auf den Weg geben.

[Michael Dietmann (CDU): Wie bei Pippi Langstrumpf!]

An dieser Stelle will ich auch der GEWOBAG dafür danken, dass sie auf Bitten der Mieter und der Baustadträtin aus Schöneberg, Frau Klotz, den Versuch unternommen hat, die Häuser in landeseigenen Besitz zu überführen. Genau das fordern wir auch in unserem Antrag. Wir rechnen deshalb mit Ihrer Unterstützung.

Bislang scheiterte jedes Übereinkommen mit der BImA am Preis, denn die BImA kalkuliert den Verkaufspreis auf der Grundlage von leeren Wohnungen, die in Eigentumswohnungen umgewandelt werden sollen. Dass in den Wohnungen aber Menschen leben, wird einfach ignoriert. Damit wird der Bund zum Mietpreistreiber und Verdrängungsmotor.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Zurufe von den GRÜNEN: Unerhört!]

Diese Profitgier des Bundes schadet nicht nur Berlin, auch andere Städte sind betroffen. Deshalb bedarf es notfalls auch einer Bundesratsinitiative, um endlich einen Paradigmenwechsel einzuleiten.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Oliver Höfinghoff (PIRATEN)]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Neubaupolitik der Welt hilft uns, wenn wir nicht den bezahlbaren Bestand an Wohnungen in Berlin langfristig sichern. Das ist nicht nur billiger, es geht auch schneller als Neubau. Das sage ich jetzt nicht, weil ich gegen Neubau sprechen will, nein, ganz im Gegenteil. Die 1 700 Wohnungen, die jetzt durch den Verkauf verlorenzugehen drohen, sind genau

so viele, wie der Senat in den nächsten zwei Jahren bauen lassen will – nur, damit die Dimension klar wird, über die wir reden. Was Sie also an der einen Stelle bauen wollen, wird an anderer Stelle wieder eingerissen. Um aus diesem Hamsterrad herauszukommen, müssen wir endlich den Bestand stärker schützen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]