Antrag der Piratenfraktion, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 17/1636
Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von grundsätzlich fünf Minuten zur Verfügung, doch bevor wir beginnen, ist mir signalisiert worden, dass um die Anwesenheit des zuständigen Innensenators gebeten wird und wir ihn bitte herbeizitieren mögen.
Gibt es dagegen Widerspruch? – Gibt es nicht. Dann unterbrechen wir. – Er kommt, er ist auf dem Weg, wunderbar, dann können wir ja gleich fortfahren.
[Benedikt Lux (GRÜNE): Wenn er ein guter Senator wäre, wäre er schon hier! Ihn interessiert das einfach nicht!]
Der Innensenator ist jetzt anwesend. Dann hat nun für die Piratenfraktion das Wort der Herr Abgeordnete Lauer. – Bitte sehr!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Antrag versucht die Piratenfraktion hier ein Kuriosum zu beheben, denn wir haben ja vorhin in der Debatte ums Tempelhofer Feld erfahren dürfen, wie sehr sich der Senat in Berlin an Beschlüsse durch Volksentscheide und an Gesetze oder Anträge gebunden fühlt, die hier beschlossen werden.
Wir gehen mal zurück ins Jahr 1988, ein Antrag der FDP, also es war nicht alles schlecht: Das Abgeordnetenhaus wolle beschließen: Das Abgeordnetenhaus fordert den Senat auf sicherzustellen, dass bei den für die polizeiliche Arbeit erforderlichen personenbezogenen Hinweisen – nein, falsche Zeile! Es gibt personenbezogene Hinweise im Polizeidokumentationssystem, und 1988 hat man beschlossen, dass „geisteskrank“, „geistesschwach“, „Freitodgefahr“, „Prostitution“, „häufig wechselnder Aufenthaltsort“, „Ansteckungsgefahr“ bzw. „Vorsicht Blutkontakt“, „Landstreicher“ und „Entmündigung“ gestrichen werden. Also man kann sich das so vorstellen, das waren dann alles so Bezeichnungen, die waren in den Polizeidatenbanken drin, und 1988 wehte noch ein anderer Wind, da hatte man andere Vorstellungen von Datenbanken als heute, und dann war man der Meinung, dass diese personenbezogenen Hinweise nicht mehr verwendet werden sollen.
Was passiert im Jahr 2012 durch diesen Senat, der sich ja an die Beschlüsse dieses Hohen Hauses so gebunden fühlt? – Die Innenministerkonferenz beschließt, die beiden personenbezogenen Hinweise „geisteskrank“ und „Ansteckungsgefahr“ entgegen der Beschlusslage dieses Hauses wieder einzuführen. Allein das ist schon ein Kuriosum. Man kann ja jetzt dazu stehen, wie man möchte, aber ohne dass das hier in irgendeiner Art und Weise durch den Senat angebracht wird, das ist schon ein starkes Stück. Und die Begründung war: Na ja, das war ein Beschluss von vor 30 Jahren. Daran fühlen wir uns nicht mehr gebunden. – So viel zu der Verweildauer oder der
Art und Weise, wie sich dieser Senat oder vielleicht auch zukünftige dazu verhalten, was dieses Haus hier macht und beschließt.
Jetzt kann man natürlich anfangen, zu argumentieren und zu sagen: Ja, aber das ist doch gut, wenn die Polizei weiß... Weiß ich nicht. Die gehen irgendwohin, und dann steht da in der POLIKS-Datenbank: Die Person ist geisteskrank. Oder: Ansteckungsgefahr. – Die Frage ist nur, ab wann man denn in dieser Systematik geisteskrank ist.
Da steht einfach: Ja, man braucht ein ärztliches Attest, das dann vorgebracht wird, und dann wird das gespeichert. – So! Aber die Person im konkreten Fall erfährt es natürlich meistens nicht, dass über sie so was gespeichert wird, und das führt im Zweifelsfall auch, weil es ja auch keine Möglichkeit gibt, das zu kontrollieren, zu der Möglichkeit von Missbrauch, dass man also Leute, die auf gut Deutsch die Polizei irgendwie nerven, mit „geisteskrank“ oder „Ansteckungsgefahr“ da im POLIKS-System durch die Polizei stigmatisiert.
Der Kollege Höfinghoff hat in seiner Kleinen Anfrage Drucksache 17/12 382 noch mal genau nach diesen personenbezogenen Hinweisen gefragt. Da antwortete der Senat:
Psychische Erkrankungen sind von den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten vor Ort nicht diagnostizierbar,
das ist sehr richtig, denn dann wären sie, weiß ich nicht, Neurologen oder Psychiater und keine Polizistinnen und Polizisten –
in den wenigsten Fällen vorher bekannt und machen hinsichtlich der Angriffsintensität für die betroffene Dienstkraft keinen Unterschied. Die Definition der „psychischen Erkrankung“ als solche ist schon strittig, mit individuellen Wertigkeiten belegt und nicht eindeutig.
Und wie müssen wir es uns im konkreten Fall vorstellen? – Die Polizei rückt am Neptunbrunnen an, und da steht dann eine Person, die sich selbst mit einem Messer gefährdet. Man kann sie nicht identifizieren, aber wie stellen wir uns das vor, also den Nutzen dieser Kennzeichnung? – Wenn er jetzt irgendwie polizeibekannt wäre, dass man ihn, bevor er da mit dem Messer weiter rumfuchtelt, mal freundlich fragt, ob er seinen Namen sagen könnte, damit man mal kurz in POLIKS abfragen kann, ob er vielleicht irgendwie geisteskrank ist oder – er hat da ja mit diesem Messer ziemlich rumgefuchtelt und sich selber verletzt – ob es denn da irgendeine Erkrankung gäbe, auf die man jetzt achten müsste, wenn man versucht, ihn zu überwältigen und so.
Diese personenbezogenen Hinweise, abgesehen davon, dass wir mal beschlossen haben, dass wir sie nicht mehr haben wollen, haben im Tagesgeschäft der Berliner Polizei wenig bis gar keine Relevanz, bieten aber das Potenzial für eine schrankenlose Willkür, da es, wie gesagt, nicht diese Kontrollmöglichkeiten gibt.
Ich finde die Einstellung des Senats zu dieser Sache schon ein starkes Stück. Deswegen fordern wir in unserem Antrag auch den Senat auf, dass er sich in der Innenministerkonferenz dafür einsetzen soll, dass diese personenbezogenen Hinweise nicht nur in Berlin, sondern auch in allen Bundesländern gestrichen werden.
Vielen Dank! – Wir haben dann nachgefragt, wie häufig es in den letzten zehn Jahren bei der Berliner Polizei im Einsatz dazu kam, dass sich Kolleginnen und Kollegen mit irgendeiner Krankheit angesteckt haben. Darüber gibt es keine Statistik. Das wird nicht dokumentiert. Auch auf Fragen im Ausschuss hin konnten keine Zahlen genannt werden. Wenn ich polemisch wäre, würde ich sagen, es ist natürlich sehr interessant, dass „Geisteskranke“ und „Ansteckungsgefahr“ wieder aufgenommen worden sind, aber Sachen wie „Prostitution“ nicht, und ob das irgendwie mit dem Gremium zu tun hat, das das beschließt. Aber das lasse ich sein.
Ein besonderes Schmankerl ist noch die Antwort auf unsere IFG-Anfrage, wo wir mal wollten, dass der Senat offenlegt, nach welchen Kriterien die Vergabe dieser personenbezogenen Hinweise erfolgt. – Das Thema ist so spannend, dass sich Herr Henkel von Kollegen Rissmann ablenken lässt. Ich finde, das ist ja eine gute Taktik, aber Sie sind doch sonst bei der Union immer so gradlinig und stehen hinter Ihren Leuten. Sie dürfen doch nicht so eine Flanke aufmachen! – Zitat aus der Ablehnung, letzter Satz:
eines deutschen Landes schwerwiegende Nachteile bereiten oder zu einer schwerwiegenden Gefährdung des Allgemeinwohls führen. Hierunter fallen Informationen, bei deren Offenbarung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit der Bestand sowie die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen oder Leben, Gesundheit und Freiheit der Menschen gefährdet werden.
Wenn das wahr ist, dann müssen wir uns noch ganz andere Gedanken machen. – Vielen lieben Dank – ich freue mich auf die Debatte!
Vielen Dank, Herr Lauer! – Für die SPD-Fraktion hat nun das Wort der Herr Abgeordnete Zimmermann. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! – Herr Lauer! Sie haben zwar eine ausgeprägte Fantasie und auch eine zugegebenermaßen kurzweilige Rhetorik, aber mit den Fakten hat das, was Sie hier erzählen, alles herzlich wenig zu tun.
[Christopher Lauer (PIRATEN): Was ist denn daran falsch? – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der CDU]
Was wir hier machen, ist kein Kuriosum, sondern das sind Maßnahmen zur Eigensicherung von Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen, und das bitten wir, nicht so gering zu schätzen, wie Sie das hier vorgeführt haben.
Ich fange ja gerade erst an. Darüber können wir nachher noch mal reden! – Wir wollen ganz klar, dass die Merkmale, die zur Vorbereitung von polizeilichen Maßnahmen von Bedeutung sind und erforderlich sind, auch und gerade zur Eigensicherung der Polizei, auch gespeichert werden können. Das ist keine Stigmatisierung. Das ist auch keine Diskriminierung, sondern das ist zur Vorbereitung von sinnvollen Maßnahmen erforderlich.
Deswegen sind wir grundsätzlich dafür, dass bestimmte Merkmale auch in den Systemen festgehalten werden.
Dass die Innenminister nichts unternommen hätten und dass ein uralter Beschluss einfach nicht umgesetzt werde, ist so auch nicht richtig, denn die Innenministerkonferenz hat sich damit befasst, und wir haben eine reduzierte Version. Wir haben bestimmte Merkmale, die festgehalten werden. Ich gehe davon aus, dass der Begriff „Landstreicher“, den Sie genannt haben, der auch nicht mehr zeitgemäß ist,
[Christopher Lauer (PIRATEN): Nennen Sie doch mal ein zeitgemäßes Wort! – Weitere Zurufe von den PIRATEN]
auch nicht ersetzt wurde durch „geisteskrank“. Das ist ja abenteuerlich! Es werden antiquierte Begriffe sicherlich nicht mehr verwendet, aber das, was notwendig ist, wird verwendet.
Wenn wir uns das im Innenausschuss angucken wollen, wie das genau aussieht, habe ich gar nichts dagegen. Aber pauschal zu sagen, dass ist alles nur kurios und alles eine Stigmatisierung, ohne dass Sie die Interessen der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten auch nur im Ansatz würdigen, das machen wir nicht mit. Deswegen werden wir auch eine erhebliche Distanz zu Ihrem Antrag entwickeln. – Danke schön!
Vielen Dank, Herr Zimmermann! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Lux. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Eigensicherung der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten ist uns ein hohes Gut, und zwar ein höheres, als es bei Ihnen der Fall ist. Deswegen haben wir als Oppositionsfraktionen diesen Antrag gestellt.
Der Umgang mit psychisch Kranken durch die Polizei ist etwas, was man durchaus öffentlich diskutieren muss. Ich darf auf einen RBB-Beitrag am 27. Mai in der ARD hinweisen. Dort wurde recherchiert und festgestellt, dass bei den 80 Toten durch Polizeikugeln in den letzten zehn Jahren zwei Drittel aller Todesopfer Menschen mit psychischer Erkrankung waren, dass in den meisten Fällen der Tod vermeidbar gewesen wäre. Das zeigt doch ganz deutlich, dass das Thema „Umgang der Polizei mit verhaltensauffälligen Menschen“ wichtig ist, aktuell ist, dass die Menschen, die psychisch krank sind, auch Hilfe brauchen und deren Leben eigentlich geschützt werden muss, auch und gerade durch die Polizei, dass das eine Tragödie ist, wenn diese dann durch Polizeikugeln getötet werden.
Polizei muss deshalb auch lernen, sich im Einzelfall zurückziehen zu können. Es ist bei den drei letzten Todesopfern, die es in Berlin durch Polizeikugeln gab, nicht der Fall gewesen, obwohl Polizei den Auftrag hat, besonnen zu handeln, zu deeskalieren. Frühere Polizeipräsidenten haben das bei der Vereidigung junger Beamten immer so schön gesagt: Das Wort ist die stärkste Waffe der Polizei. – Und das soll es nach Ansicht meiner Fraktion und der antragstellenden Fraktionen auch bleiben.
Was die Koalition macht – durch den Innensenator geduldet –, ist das Gegenteil dessen. Sie sorgen hier für Scheinsicherheit, indem Sie meinen, geisteskranke Personen und Personen, von denen eine Ansteckungsgefahr ausgeht, gesondert erfassen zu müssen.